a. Die poetische Sprache überhaupt
Die Kunst soll uns in allen Beziehungen auf einen anderen Boden stellen, als der ist, welchen wir in unserem gewöhnlichen Leben sowie in unserem religiösen Vorstellen und Handeln und in den Spekulationen der Wissenschaft einnehmen. In betreff auf sprachlichen Ausdruck vermag sie dies nur, insofern sie auch eine andere Sprache führt, als wir sonst schon in jenen Sphären gewohnt sind. Sie hat deshalb nicht nur auf der einen Seite das in ihrer Ausdrucksweise zu vermeiden, was uns in das bloß Alltägliche und Triviale der Prosa herunterziehen würde, sondern darf auf der anderen Seite auch nicht in den Ton und die Redeweise der religiösen Erbaulichkeit oder der wissenschaftlichen Spekulation verfallen. Vor allem muß sie die scharfen Sonderungen und Relationen des Verstandes, die Kategorien des Denkens, wenn sie sich aller Anschaulichkeit entkleidet haben, die philosophischen Formen der Urteile und Schlüsse usf. von sich fernhalten, weil diese Formen uns sogleich aus dem Gebiete der Phantasie in ein anderes Feld hineinversetzen. Doch läßt sich in allen diesen Rücksichten die Grenzlinie, an welcher die Poesie aufhört und das Prosaische beginnt, nur schwer ziehen und ist überhaupt mit fester Genauigkeit im allgemeinen nicht anzugeben.
b. Mittel der poetischen Sprache
Gehen wir daher sogleich zu den besonderen Mitteln fort, deren sich die poetische Sprache zur Erfüllung ihrer Aufgabe bedienen kann, so lassen sich folgende herausheben.
α) Erstens gibt es einzelne, der Poesie vorzugsweise eigentümliche Wörter und Bezeichnungen sowohl nach seiten der Veredelung als auch der komischen Erniedrigung und Übertreibung. Dasselbe findet in Ansehung auf Zusammensetzung verschiedener Wörter, auf bestimmte Flexionsformen und dergleichen mehr statt. Hier kann die Poesie teils am Altertümlichen und dadurch im gewöhnlichen Leben Ungebräuchlicheren festhalten, teils sich vornehmlich als vorwärtsschreitende Sprachbildnerin erweisen und darin, wenn sie nur nicht gegen den Genius der Sprache handelt, von großer Kühnheit der Erfindung sein.
β) Ein weiterer Punkt zweitens betrifft die Wortstellung. In dieses Feld gehören die sogenannten Redefiguren, insoweit sich dieselben nämlich auf die sprachliche Einkleidung als solche beziehen. Ihr Gebrauch jedoch führt leicht in das Rhetorische und Deklamatorische im schlechten Sinne des Worts und zerstört die individuelle Lebendigkeit, wenn diese Formen eine allgemeine, nach Regeln gemachte Ausdrucksweise an die Stelle des eigentümlichen Ergusses der Empfindung und der Leidenschaft setzen und dadurch besonders das Gegenteil jener innigen, wortkargen, fragmentarischen Äußerung bilden, deren Gemütstiefe nicht viel Redens zu machen weiß und dadurch besonders in der romantischen Poesie zur Schilderung in sich gedrungener Seelenzustände von großer Wirksamkeit ist. Im allgemeinen aber bleibt die Wortstellung eines der reichhaltigsten äußeren Mittel der Poesie.
γ) Drittens endlich wäre noch des Periodenbaues Erwähnung zu tun, welcher die übrigen Seiten in sich hineinnimmt und durch die Art seines einfachen oder verwickelteren Verlaufs, seiner unruhigen Abgerissenheit und Zerstückelung oder seines stillen Hinfließens, Fortflutens und Stürmens sehr viel zum Ausdruck der jedesmaligen Situation, Empfindungsweise und Leidenschaft beitragen kann. Denn nach allen diesen Seiten muß das Innere in die äußere sprachliche Darstellung hineinscheinen und deren Charakter bestimmen.
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