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b. Unterschied gegen die Geschichtsschreibung und Redekunst
Um nun zweitens den Unterschied des in dieser Weise organisierten Gedichts von der prosaischen Darstellung bestimmter herauszuheben, wollen wir uns an diejenigen Gattungen der Prosa wenden, welche innerhalb ihrer Grenzen noch am meisten imstande sind, der Kunst teilhaftig zu werden. Dies ist vornehmlich bei der Kunst der Geschichtsschreibung und Beredsamkeit der Fall.
α) Was in dieser Rücksicht die Geschichtsschreibung angeht, so läßt sie allerdings für eine Seite der künstlerischen Tätigkeit Raum genug übrig.
αα) Die Entwicklung des menschlichen Daseins in Religion und Staat, die Begebenheiten und Schicksale der hervorragendsten Individuen und Völker, welche in diesen Gebieten von lebendiger Tätigkeit sind, große Zwecke ins Werk setzen oder ihr Unternehmen zugrunde gehen sehen, - dieser Gegenstand und Inhalt der Geschichtserzählung kann für sich wichtig, gediegen und interessant sein, und wie sehr der Historiker auch bemüht sein muß, das wirklich Geschehene wiederzugeben, so hat er doch diesen bunten Inhalt der Begebnisse und Charaktere in die Vorstellung aufzunehmen und aus dem Geiste her für die Vorstellung wiederzuschaffen und darzustellen. Bei solcher Reproduktion darf er sich ferner nicht mit der bloßen Richtigkeit des einzelnen begnügen, sondern muß zugleich das Aufgefaßte ordnen, bilden und die einzelnen Züge, Vorfälle, Taten so zusammenfassen und gruppieren, daß uns aus ihnen einerseits ein deutliches Bild der Nation, der Zeit, der äußeren Umstände und inneren Größe oder Schwäche der handelnden Individuen in charaktervoller Lebendigkeit entgegenspringt, andererseits aus allen Teilen ihr Zusammenhang hervorgeht, in welchem sie zu der inneren geschichtlichen Bedeutung eines Volks, einer Begebenheit usf. stehen. In diesem Sinne sprechen wir noch jetzt von der Kunst des Herodot, Thukydides, Xenophon, Tacitus und weniger anderer und werden ihre Erzählungen immer als klassische Werke der redenden Kunst bewundern.
ββ) Dennoch gehören auch diese schönsten Produkte der Geschichtsschreibung nicht der freien Kunst an, ja selbst wenn wir auch noch die äußerlich poetische Behandlung der Diktion, Versmaße usf. hinzutun wollten, würde doch keine Poesie daraus entstehen. Denn nicht nur die Art und Weise, in der die Geschichte geschrieben wird, sondern die Natur ihres Inhaltes ist es, welche sie prosaisch macht. Wir wollen hierauf einen näheren Blick werfen.
Das eigentlich dem Gegenstand und der Sache nach Historische nimmt erst da seinen Anfang, wo die Zeit des Heroentums, das ursprünglich der Poesie und Kunst zu vindizieren ist, aufhört: da also, wo die Bestimmtheit und Prosa des Lebens sowohl in den wirklichen Zuständen als auch in der Auffassung und Darstellung derselben vorhanden ist. So beschreibt Herodot z. B. nicht den Zug der Griechen gen Troja, sondern die Perserkriege und hat sich vielfach mit mühsamer Forschung und besonnener Beobachtung um die genaue Kenntnis dessen bemüht, was er zu erzählen gedenkt. Die Inder dagegen, ja die Orientalen überhaupt, fast nur mit Ausnahme der Chinesen, haben nicht prosaischen Sinn genug, um eine wirkliche Geschichtsschreibung zu liefern, indem sie entweder zu rein religiösen oder zu phantastischen Ausdeutungen und Umgestaltungen des Vorhandenen abschweifen. - Das Prosaische nun der historischen Zeit eines Volkes liegt kurz in folgendem.
Zur Geschichte gehört erstens ein Gemeinwesen, sei es nach der religiösen oder nach der weltlichen Seite des Staates hin - mit Gesetzen, Einrichtungen usf., die für sich festgesetzt sind und als allgemeine Gesetze bereits gelten oder geltend gemacht werden sollen.
Aus solchem Gemeinwesen nun zweitens gehen bestimmte Handlungen für die Erhaltung und Veränderung desselben hervor, die allgemeiner Natur sein können und die Hauptsache ausmachen, um welche es sich handelt und zu deren Beschließung und Ausführung es notwendig entsprechender Individuen bedarf. Diese sind groß und hervorragend, wenn sie sich mit ihrer Individualität dem gemeinsamen Zwecke, der im inneren Begriff der vorhandenen Zustände liegt, gemäß erweisen; klein, wenn sie der Durchführung nicht gewachsen sind; schlecht, wenn sie, statt die Sache der Zeit zu verfechten, nur ihre davon abgetrennte und somit zufällige Individualität walten lassen. Mag nun der eine oder der andere dieser oder sonstiger Fälle eintreten, so ist doch nie das vorhanden, was wir von dem echt poetischen Inhalte und Weltzustande bereits im ersten Teil gefordert haben. Auch bei den großen Individuen nämlich ist der substantielle Zweck, dem sie sich widmen, mehr oder weniger gegeben, vorgeschrieben, abgenötigt, und es kommt insofern nicht die individuelle Einheit zustande, in welcher das Allgemeine und die ganze Individualität schlechthin identisch, ein Selbstzweck für sich, ein geschlossenes Ganzes sein soll. Denn mögen sich auch die Individuen ihr Ziel aus sich selber gesteckt haben, so macht doch nicht die Freiheit oder Unfreiheit ihres Geistes und Gemütes, diese individuelle lebendige Gestaltung selbst, sondern der durchgeführte Zweck seine Wirkung auf die vorgefundene, für sich von dem Individuum unabhängige Wirklichkeit den Gegenstand der Geschichte aus. - Auf der anderen Seite kehrt sich in geschichtlichen Zuständen das Spiel der Zufälligkeit heraus, der Bruch zwischen dem in sich Substantiellen und der Relativität der einzelnen Ereignisse und Vorfälle sowie der besonderen Subjektivität der Charaktere in ihren eigentümlichen Leidenschaften, Absichten, Schicksalen, welche in dieser Prosa weit mehr Sonderbares und Abweichendes haben als die Wunder der Poesie, die sich immer noch an das allgemein Gültige halten müssen.
Was drittens endlich die Ausführung der historischen Handlungen angeht, so schiebt sich auch hier wieder, im Unterschiede des eigentlich Poetischen, teils der Zweispalt der subjektiven Eigentümlichkeit und des für die allgemeine Sache nötigen Bewußtseins von Gesetzen, Grundsätzen, Maximen usf. als prosaisch ein, teils bedarf die Realisation der vorgesetzten Zwecke selbst vieler Veranstaltungen und Zurüstungen, deren äußerliche Mittel eine große Breite, Abhängigkeit und Beziehung haben und von seiten des intendierten Unternehmens her nun auch mit Verstand, Klugheit und prosaischer Übersicht zweckmäßig zugerichtet und angewendet werden müssen. Es wird nicht unmittelbar Hand ans Werk gelegt, sondern größtenteils nach weitläufigen Vorbereitungen, so daß die einzelnen Ausführungen, welche für den einen Zweck geschehen, entweder ihrem Inhalte nach häufig ganz zufällig und ohne innere Einheit bleiben oder in Form praktischer Nützlichkeit aus dem nach Zwecken beziehenden Verstande, nicht aber aus selbständiger unmittelbar freier Lebendigkeit hervorgehen.
γγ) Der Geschichtsschreiber nun hat nicht das Recht, diese prosaischen Charakterzüge seines Inhalts auszulöschen oder in andere, poetische zu verwandeln; er muß erzählen, was vorliegt und wie es vorliegt, ohne umzudeuten und poetisch auszubilden. Wie sehr er deshalb auch bemüht sein kann, den inneren Sinn und Geist der Epoche, des Volks, der bestimmten Begebenheit, welche er schildert, zum inneren Mittelpunkte und das Einzelne zusammenhaltenden Bande seiner Erzählung zu machen, so hat er doch nicht die Freiheit, die vorgefundenen Umstände, Charaktere und Begebnisse sich zu diesem Behuf, wenn er auch das in sich selbst ganz Zufällige und Bedeutungslose beiseite schiebt, zu unterwerfen, sondern er muß sie nach ihrer äußerlichen Zufälligkeit, Abhängigkeit und ratlosen Willkür gewähren lassen. In der Biographie zwar scheint eine individuelle Lebendigkeit und selbständige Einheit möglich, da hier das Individuum sowie das, was von demselben ausgeht und auf diese eine Gestalt zurückwirkt, das Zentrum der Darstellung bleibt, aber ein geschichtlicher Charakter ist auch nur eines von zwei verschiedenen Extremen. Denn obschon derselbe eine subjektive Einheit abgibt, so tun sich dennoch auf der anderen Seite mannigfaltige Begebenheiten, Ereignisse usf. hervor, die teils für sich ohne inneren Zusammenhang sind, teils das Individuum ohne freies Zutun desselben berühren und es in diese Äußerlichkeit hineinziehen. So ist z. B. Alexander allerdings das eine Individuum, das an der Spitze seiner Zeit steht und sich auch aus eigener Individualität, die mit den Außenverhältnissen zusammenstimmt, zu dem Zuge gegen die persische Monarchie entschließt; Asien aber, das er besiegt, ist in der vielfachen Willkür seiner einzelnen Völkerschaften nur ein zufälliges Ganzes, und was geschieht, geht nach der Weise der unmittelbaren äußerlichen Erscheinung vor sich. - Steigt nun endlich der Historiker auch seiner subjektiven Erkenntnis nach in die absoluten Gründe für das Geschehen und in das göttliche Wesen hinunter, vor welchem die Zufälligkeiten verschwinden und sich die höhere Notwendigkeit enthüllt, so darf er sich dennoch in Rücksicht auf die reale Gestalt der Begebnisse nicht das Vorrecht der Dichtkunst erlauben, für welche dies Substantielle die Hauptsache sein muß, indem der Poesie allein die Freiheit zukommt, über den vorhandenen Stoff, damit er der inneren Wahrheit auch äußerlich gemäß sei, ungehindert zu schalten.
β) Die Beredsamkeit zweitens scheint der freien Kunst schon näherzustehen.
αα) Denn obschon der Redner sich gleichfalls aus der vorhandenen Wirklichkeit heraus, aus bestimmten realen Umständen und Absichten die Gelegenheit und den Inhalt für sein Kunstwerk nimmt, so bleibt dennoch erstens, was er ausspricht, sein freies Urteil, seine eigene Gesinnung, sein subjektiver, immanenter Zweck, bei welchem er mit seinem ganzen Selbst lebendig dabeisein kann. Ebenso zweitens ist ihm die Entwicklung dieses Inhalts, die Behandlungsweise überhaupt vollständig freigegeben, so daß es den Anschein gewinnt, als wenn wir in der Rede ein durchaus selbständiges Produkt des Geistes vor uns hätten. Drittens endlich soll er sich nicht nur an unser wissenschaftliches oder sonstiges verständiges Denken wenden, sondern er soll uns zu irgendeiner Überzeugung bewegen und darf, um dies Ziel zu erreichen, auf den ganzen Menschen, die Empfindung, Anschauung usf. einwirken. Sein Inhalt nämlich ist nicht nur die abstrakte Seite des bloßen Begriffs der Sache, für die er uns zu interessieren, des Zwecks, zu dessen Durchführung er uns aufzufordern gedenkt, sondern zum größten Teile auch eine bestimmte Realität und Wirklichkeit, so daß die Darstellung des Redners einerseits zwar das Substantielle in sich fassen, dies Allgemeine aber ebensosehr in Form der Erscheinung ergreifen und an unser konkretes Bewußtsein bringen muß. Er hat deshalb nicht nur den Verstand durch die Strenge der Folgerungen und Schlüsse zu befriedigen, sondern kann sich ebenso gegen unser Gemüt richten, die Leidenschaft aufregen und mit sich fortreißen, die Anschauung ausfüllen und so den Zuhörer nach allen Formen des Geistes erschüttern und überzeugen.
ββ) Im rechten Lichte gesehen, steht jedoch gerade in der Redekunst diese scheinbare Freiheit am meisten unter dem Gesetze praktischer Zweckmäßigkeit.
Was nämlich erstens der Rede ihre eigentliche bewegende Kraft verleiht, liegt nicht in dem besonderen Zwecke, für welchen gesprochen wird, sondern in dem Allgemeinen, den Gesetzen, Regeln, Grundsätzen, auf die sich der vereinzelte Fall zurückführen läßt und welche für sich bereits in dieser Form der Allgemeinheit, teils als wirkliche Staatsgesetze, teils als moralische, rechtliche, religiöse Maximen, Gefühle, Dogmen usf., vorhanden sind. Der bestimmte Umstand und Zweck, der hier den Ausgangspunkt abgibt, und dies Allgemeine sind deshalb von Hause aus getrennt, und diese Scheidung wird als das bleibende Verhältnis beibehalten. Der Redner hat freilich die Absicht, beide Seiten in eins zu setzen; was sich aber im Poetischen, insofern es überhaupt poetisch ist, schon als ursprünglich vollbracht zeigt, steht in der Redekunst nur als das subjektive Ziel des Redners da, dessen Erreichung außerhalb der Rede selbst liegt. Es bleibt insofern hier nichts anderes übrig, als subsumierend zu verfahren, so daß sich also die bestimmte reale Erscheinung, hier der konkrete Fall oder Zweck, nicht in unmittelbarer Einheit mit dem Allgemeinen frei aus sich selbst entwickelt, sondern nur durch die Unterstellung von Grundsätzen und durch die Beziehung auf Gesetzlichkeiten, Sitten, Gebräuche usf., die ihrerseits gleichfalls für sich bestehen, geltend gemacht wird. Es ist nicht das freie Leben der Sache in ihrer konkreten Erscheinung, sondern die prosaische Trennung von Begriff und Realität, die bloße Relation beider und Forderung ihrer Einheit, was den Grundtypus abgibt. - In dieser Weise muß z. B. der geistliche Redner häufig zu Werke gehen; denn für ihn sind die allgemeinen religiösen Lehren und die daraus folgenden moralischen, politischen und sonstigen Grundsätze und Verhaltungsregeln das, worauf er die verschiedenartigsten Fälle zurückzuführen hat, da diese Lehren im religiösen Bewußtsein wesentlich auch für sich, als die Substanz von allem Einzelnen, sollen erfahren, geglaubt und erkannt werden. Der Prediger kann dabei allerdings an unser Herz appellieren, die göttlichen Gesetze sich aus dem Quell des Gemüts entwickeln lassen und sie zu diesem Quell auch beim Zuhörer hinleiten; aber es ist nicht in schlechthin individueller Gestalt, daß sie sollen dargestellt und hervorgehoben werden, sondern ihre durchgreifende Allgemeinheit gerade soll als Gebote, Vorschriften, Glaubensregeln usf. zum Bewußtsein kommen. - Mehr noch ist dies in der gerichtlichen Beredsamkeit der Fall. In ihr tritt dann außerdem das Gedoppelte ein, daß es einerseits vornehmlich ein bestimmter Fall ist, auf den es ankommt, umgekehrt die Subsumtion desselben unter allgemeine Gesichtspunkte und Gesetze. Was den ersten Punkt betrifft, so liegt das Prosaische schon in der notwendigen Ausmittlung des wirklich Geschehenen und dem Zusammenlesen und geschickten Kombinieren aller einzelnen Umstände und Zufälligkeiten, woraus denn der freischaffenden Poesie gegenüber sogleich die Bedürftigkeit in Ansehung der Kenntnis des wirklichen Falls und die Mühseligkeit, dieselbe zu erlangen und mitzuteilen, hervorgeht. Weiter dann muß das konkrete Faktum analysiert und nicht nur seinen einzelnen Seiten nach auseinandergelegt werden, sondern jede dieser Seiten bedarf ebenso wie der ganze Fall einer Zurückführung auf für sich schon im voraus feststehende Gesetze. - Doch auch bei diesem Geschäft bleibt für Rührung des Herzens und Aufregung der Empfindung noch ein Spielraum übrig. Denn das Recht oder Unrecht des erörterten Falls ist so vorstellig zu machen, daß es nicht mehr bei der bloßen Einsicht und allgemeinen Überzeugung sein Bewenden hat; im Gegenteil, das Ganze kann durch die Art der Darstellung jedem der Zuhörer so eigentümlich und subjektiv werden sollen, daß sich gleichsam keiner mehr soll halten können, sondern alle ihr eigenes Interesse, ihre eigene Sache darin finden.
Zweitens ist in der Redekunst überhaupt die künstlerische Darstellung und Vollendung nicht dasjenige, was das letzte und höchste Interesse des Redners ausmacht, sondern er hat über die Kunst hinaus noch so sehr einen anderweitigen Zweck, daß die ganze Form und Ausbildung der Rede vielmehr nur als das wirksamste Mittel gebraucht wird, ein außerhalb der Kunst liegendes Interesse durchzuführen. Nach dieser Seite hin sollen auch die Zuhörer nicht für sich selber bewegt werden, sondern ihre Bewegung und Überzeugung wird gleichfalls nur als ein Mittel zur Erreichung der Absicht verwendet, deren Durchführung der Redner sich vorgesetzt hat, so daß also auch für den Hörer die Darstellung nicht als Selbstzweck dasteht, sondern sich nur als ein Mittel erweist, ihn zu dieser oder jener Überzeugung zu bringen oder zu bestimmten Entschlüssen, Tätigkeiten usf. zu veranlassen.
Dadurch verliert die Redekunst auch nach dieser Seite hin ihre freie Gestalt und wird zu einer Absichtlichkeit, zu einem Sollen, das auch drittens in betreff auf den Erfolg in der Rede selbst und deren künstlerischen Behandlung seine Erledigung nicht findet. Das poetische Kunstwerk bezweckt nichts anderes als das Hervorbringen und den Genuß des Schönen; Zweck und Vollbringung liegt hier unmittelbar in dem dadurch selbständig in sich fertigen Werke, und die künstlerische Tätigkeit ist nicht ein Mittel für ein außerhalb ihrer fallendes Resultat, sondern ein Zweck, der sich in seiner Ausführung unmittelbar mit sich selber zusammenschließt. In der Beredsamkeit aber erhält die Kunst nur die Stellung eines zur Hilfe herangerufenen Beiwerks; der eigentliche Zweck dagegen geht die Kunst als solche nichts an, sondern ist praktischer Art, Belehrung, Erbauung, Entscheidung von Rechtsangelegenheiten, Staatsverhältnissen usf., und damit eine Absicht für eine Sache, die erst geschehen, für eine Entscheidung, die erst erreicht werden soll, durch jenen Effekt der Redekunst aber noch nichts Geendigtes und Vollbrachtes ist, sondern erst vielfach anderen Tätigkeiten muß anheimgestellt werden. Denn eine Rede kann häufig mit einer Dissonanz schließen, welche erst der Zuhörer als Richter zu lösen und dieser Lösung gemäß sodann zu handeln hat; wie die geistliche Beredsamkeit z. B. oft von dem unversöhnten Gemüt anhebt und den Hörer zuletzt zu einem Richter über sich selbst und die Beschaffenheit seines Innern macht. Hier ist nun die religiöse Besserung der Zweck des Redners; ob aber bei aller Erbaulichkeit und Trefflichkeit seiner beredten Ermahnungen die Besserung erfolgt und so der rednerische Zweck erreicht wird, ist eine Seite, die nicht mehr in die Rede selbst fällt und anderen Umständen muß überlassen bleiben.
γγ) Nach allen diesen Richtungen nun hat die Beredsamkeit ihren Begriff statt in der freien poetischen Organisation des Kunstwerks vielmehr in der bloßen Zweckmäßigkeit zu suchen. Der Redner nämlich muß es sich zum Hauptaugenmerk machen, der subjektiven Absicht, aus der sein Werk hervorgeht, sowohl das Ganze als auch die einzelnen Teile zu unterwerfen, wodurch die selbständige Freiheit der Darstellung aufgehoben und dafür die Dienstlichkeit zu einem bestimmten, nicht mehr künstlerischen Zweck an die Stelle gesetzt wird. Vornehmlich aber, da es auf lebendige, praktische Wirkung abgesehen ist, hat er den Ort, an welchem er spricht, den Grad der Bildung, die Fassungsgabe, den Charakter der Zuhörerschaft durchweg zu berücksichtigen, um nicht mit dem Verfehlen des gerade für diese Stunde, Personen und Lokalität gehörigen Tones den erwünschten praktischen Erfolg einzubüßen. Bei dieser Gebundenheit an äußere Verhältnisse und Bedingungen darf weder das Ganze, noch können die einzelnen Teile mehr aus künstlerisch freiem Gemüt entspringen, sondern es wird sich in allem und jedem ein bloß zweckmäßiger Zusammenhang hervortun, der unter der Herrschaft von Ursache und Wirkung, Grund und Folge und anderen Verstandeskategorien bleibt.
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