2. Die äußere Exekution des dramatischen Kunstwerks
Unter allen Künsten entbehrt nur die Poesie der vollen, auch sinnlichen Realität äußerer Erscheinung. Indem nun das Drama nicht etwa vergangene Taten für die geistige Anschauung erzählt oder die innere subjektive Welt für die Vorstellung und das Gemüt ausspricht, sondern eine gegenwärtige Handlung ihrer Gegenwart und Wirklichkeit nach darzustellen bemüht ist, so würde es in Widerspruch mit seinem eigenen Zwecke geraten, wenn es auf die Mittel beschränkt bleiben müßte, welche die Poesie als solche zu bieten imstande ist. Denn die gegenwärtige Handlung gehört zwar ganz dem Inneren an und läßt sich nach dieser Seite vollständig durch das Wort ausdrücken; umgekehrt aber bewegt sich das Handeln auch zur äußeren Realität heraus und erfordert den ganzen Menschen in seinem auch leiblichen Dasein, Tun, Benehmen, in seiner körperlichen Bewegung und seinem physiognomischen Ausdruck der Empfindungen und Leidenschaften, sowohl für sich als auch in der Einwirkung des Menschen auf den Menschen und der Reaktionen, die hierdurch entstehen können. Das sich in wirklicher Realität darstellende Individuum macht dann ferner eine äußere Umgebung, ein bestimmtes Lokal notwendig, in welchem es sich bewegt und tätig ist; und so bedarf die dramatische Poesie, insofern keine dieser Seiten in ihrer unmittelbaren Zufälligkeit belassen werden kann, sondern als Moment der Kunst selber künstlerisch gestaltet sein muß, die Beihilfe fast aller übrigen Künste. Die Szene umher ist teils, wie der Tempel, eine architektonische Umgebung, teils die äußere Natur, beide malerisch aufgefaßt und ausgeführt. In diesem Lokale treten sodann die Skulpturbilder beseelt auf und machen ihr Wollen und Empfinden in künstlerischer Ausbildung sowohl durch ausdrucksvolle Rezitation als auch durch ein malerisches Mienenspiel und von innen her geformte Stellungen und Bewegungen des übrigen Körpers objektiv. - In dieser Rücksicht nun kann sich näher ein Unterschied hervortun, der an das erinnert, was ich früher schon im Felde der Musik als Gegensatz des Deklamatorischen und Melodischen bezeichnet habe. Wie nämlich in der deklamatorischen Musik das Wort in seiner geistigen Bedeutung die Hauptsache ist, deren charakteristischer Ausdruck sich die musikalische Seite durchaus unterwirft, während die Melodie, obschon sie den Inhalt der Worte in sich aufnehmen kann, sich frei für sich in ihrem eigenen Elemente ergeht und entfaltet, so bedient sich auch die dramatische Poesie einerseits jener Schwesterkünste nur als einer sinnlichen Grundlage und Umgebung, aus welcher sich das poetische Wort als der hervorstechende Mittelpunkt, um den es eigentlich zu tun ist, in freier Herrschaft heraushebt; andererseits aber wird das, was zunächst nur als Beihilfe und Begleitung Gültigkeit hatte, für sich selber Zweck und gestaltet sich in seinem eigenen Bereiche zu einer in sich selbständigen Schönheit aus; die Deklamation geht zum Gesang, die Aktion zum mimischen Tanze fort, und die Szenerie macht durch ihre Pracht und malerischen Reize gleichfalls für sich selber Anspruch auf künstlerische Vollendung. Stellen wir nun, wie es besonders in neuerer Zeit vielfach geschehen ist, der eben berührten äußeren dramatischen Exekution das Poetische als solches gegenüber, so ergeben sich für die weiteren Erörterungen dieses Gebietes folgende Standpunkte:
erstens die dramatische Poesie, welche sich auf sich selbst als Poesie beschränken will und deshalb von der theatralischen Aufführung ihrer Werke absieht;
zweitens die eigentliche Schauspielkunst, insofern sie sich auf Rezitation, Mienenspiel und Aktion in der Weise beschränkt, daß durchweg das poetische Wort das Bestimmende und Vorwaltende bleiben kann;
drittens endlich diejenige Exekution, welche sich aller Mittel der Szenerie, der Musik und des Tanzes bedient und dieselben sich gegen das poetische Wort verselbständigen läßt.
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