Zweiter Teil. Entwicklung des Ideals zu den besonderen Formen des Kunstschönen
Einleitung
Was wir bisher in dem ersten Teile betrachtet haben, betraf zwar die Wirklichkeit der Idee des Schönen als Ideal der Kunst, aber nach wie vielen Seiten hin wir uns auch den Begriff des idealen Kunstwerks entwickelten, so bezogen sich dennoch alle Bestimmungen nur auf das ideale Kunstwerk überhaupt. Wie die Idee ist nun aber die Idee des Schönen gleichfalls eine Totalität von wesentlichen Unterschieden, welche als solche hervortreten und sich verwirklichen müssen. Wir können dies im ganzen die besonderen Formen der Kunst nennen, als die Entwicklung dessen, was im Begriffe des Ideals liegt und durch die Kunst zur Existenz gelangt. Wenn wir jedoch von diesen Kunstformen als von verschiedenen Arten des Ideals sprechen, so dürfen wir "Art" nicht in dem gewöhnlichen Sinne des Wortes nehmen, als ob hier die Besonderheiten von außen her an das Ideal als die allgemeine Gattung heranträten und dasselbe modifizierten, sondern Art soll nichts als die unterschiedenen und damit konkreteren Bestimmungen der Idee des Schönen und des Ideals der Kunst selber ausdrücken. Die Allgemeinheit der Darstellung also wird hier nicht äußerlich, sondern an ihr selbst durch ihren eigenen Begriff bestimmt, so daß dieser Begriff es ist, der sich zu einer Totalität besonderer Gestaltungsweisen der Kunst auseinanderbreitet.
Näher nun finden die Kunstformen als verwirklichende Entfaltung des Schönen in der Weise ihren Ursprung in der Idee selbst, daß diese sich durch sie zur Darstellung und Realität heraustreibt und, je nachdem sie nur ihrer abstrakten Bestimmtheit oder ihrer konkreten Totalität nach für sich selber ist, sich auch in einer anderen realen Gestalt zur Erscheinung bringt. Denn die Idee ist überhaupt nur wahrhaft Idee als sich durch ihre eigene Tätigkeit für sich selber entwickelnd, und da sie als Ideal unmittelbar Erscheinung, und zwar mit ihrer Erscheinung identische Idee des Schönen ist, so ist auch auf jeder besonderen Stufe, welche das Ideal in seinem Entfaltungsgange betritt, mit jeder inneren Bestimmtheit unmittelbar eine andere reale Gestaltung verknüpft. Es gilt daher gleich, ob wir den Fortgang in dieser Entwicklung als einen inneren Fortgang der Idee in sich oder der Gestalt, in welcher sie sich Dasein gibt, ansehen. Jede dieser beiden Seiten ist unmittelbar mit der anderen verbunden. Die Vollendung der Idee als Inhalts erscheint deshalb ebensosehr auch als die Vollendung der Form; und die Mängel der Kunstgestalt erweisen sich umgekehrt gleichmäßig als ein Mangel der Idee, insofern dieselbe die innere Bedeutung für die äußere Erscheinung ausmacht und in ihr sich selber real wird. Wenn wir also hier zunächst im Vergleich mit dem wahren Ideal noch unangemessenen Kunstformen begegnen, so ist dies nicht in der Weise der Fall, in welcher man gewöhnlich von mißlungenen Kunstwerken zu sprechen gewohnt ist, die entweder nichts ausdrücken oder das, was sie darstellen sollten, zu erreichen nicht die Fähigkeit haben; sondern für den jedesmaligen Gehalt der Idee ist die bestimmte Gestalt, welche derselbe sich in den besonderen Kunstformen gibt, jedesmal angemessen, und die Mangelhaftigkeit oder Vollendung liegt nur in der relativ unwahren oder wahren Bestimmtheit als welche sich die Idee für sich ist. Denn der Inhalt muß in sich selber wahr und konkret sein, ehe er die wahrhaft schöne Gestalt zu finden vermag.
Wir haben in dieser Beziehung, wie wir bereits bei der allgemeinen Einteilung sahen, drei Hauptformen der Kunst zu betrachten.
Erstens die symbolische. In ihr sucht die Idee noch ihren echten Kunstausdruck, weil sie in sich selbst noch abstrakt und unbestimmt ist und deshalb auch die angemessene Erscheinung nicht an sich und in sich selber hat, sondern sich den ihr selbst äußeren Außendingen in der Natur und den menschlichen Begebenheiten gegenüber findet. Indem sie nun in dieser Gegenständlichkeit ihre eigenen Abstraktionen unmittelbar ahnt oder sich mit ihren bestimmungslosen Allgemeinheiten in ein konkretes Dasein hineinzwingt, verdirbt und verfälscht sie die vorgefundenen Gestalten. Denn sie kann sie nur willkürlich ergreifen und kommt deshalb statt zu einer vollkommenen Identifikation nur zu einem Anklang und selbst noch abstrakten Zusammenstimmen von Bedeutung und Gestalt, welche in dieser weder vollbrachten noch zu vollbringenden Ineinanderbildung neben ihrer Verwandtschaft ebensosehr ihre wechselseitige Äußerlichkeit, Fremdheit und Unangemessenheit hervorkehren.
Zweitens bleibt aber die Idee ihrem Begriff nach nicht bei der Abstraktion und Unbestimmtheit allgemeiner Gedanken stehen, sondern ist in sich selbst freie unendliche Subjektivität und erfaßt dieselbe in ihrer Wirklichkeit als Geist. Der Geist nun als freies Subjekt ist in sich und durch sich selber bestimmt und hat in dieser Selbstbestimmung auch in seinem eigenen Begriff die ihm adäquate äußere Gestalt, in welcher er sich als mit seiner ihm an und für sich zukommenden Realität zusammenschließen kann. In dieser schlechthin angemessenen Einheit von Inhalt und Form ist die zweite Kunstform, die klassische, begründet. Wenn jedoch die Vollendung derselben wirklich werden soll, muß der Geist, insofern er sich zum Kunstgegenstande macht, noch nicht der schlechthin absolute Geist sein, der nur in der Geistigkeit und Innerlichkeit selber sein gemäßes Dasein findet, sondern der selbst noch besondere und deshalb mit einer Abstraktion behaftete Geist. Das freie Subjekt also, welches die klassische Kunst herausgestaltet, erscheint wohl als wesentlich allgemein und deshalb von aller Zufälligkeit und bloßen Partikularität des Inneren und Äußeren befreit, zugleich aber als nur mit einer an sich selbst besonderten Allgemeinheit erfüllt. Denn die Außengestalt ist als äußere überhaupt bestimmte besondere Gestalt und vermag zu vollendeter Verschmelzung selber nur wieder einen bestimmten und deshalb beschränkten Inhalt in sich darzustellen, während auch der in sich selbst besondere Geist allein vollkommen in eine äußere Erscheinung aufgehen und sich mit ihr zu einer trennungslosen Einheit verbinden kann.
Hier hat die Kunst ihren eigenen Begriff insoweit erreicht, daß sie die Idee als geistige Individualität unmittelbar mit ihrer leiblichen Realität in so vollendeter Weise zusammenstimmen läßt, daß nun zuerst das äußerliche Dasein keine Selbständigkeit mehr gegen die Bedeutung, die es ausdrücken soll, bewahrt, und das Innere umgekehrt in seiner für die Anschauung herausgearbeiteten Gestalt nur sich selber zeigt und in ihr sich affirmativ auf sich bezieht.
Erfaßt sich nun aber drittens die Idee des Schönen als der absolute und dadurch, als Geist, für sich selber freie Geist, so findet sie sich in der Äußerlichkeit nicht mehr vollständig realisiert, indem sie ihr wahres Dasein nur in sich als Geist hat. Sie löst daher jene klassische Vereinigung der Innerlichkeit und äußeren Erscheinung auf und flieht aus derselben in sich selber zurück. Dies gibt den Grundtypus für die romantische Kunstform ab, für welche, indem ihr Gehalt seiner freien Geistigkeit wegen mehr fordert, als die Darstellung im Äußerlichen und Leiblichen zu bieten vermag, die Gestalt zu einer gleichgültigeren Äußerlichkeit wird, so daß die romantische Kunst also die Trennung des Inhalts und der Form von der entgegengesetzten Seite als das Symbolische von neuem hereinbringt.
In dieser Weise sucht die symbolische Kunst jene vollendete Einheit der inneren Bedeutung und äußeren Gestalt, welche die klassische in der Darstellung der substantiellen Individualität für die sinnliche Anschauung findet und die romantische in ihrer hervorragenden Geistigkeit überschreitet
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