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Inhalt - Übersicht

Einleitung

Erster Teil.
Die Idee des Kunstschönen oder das Ideal

Stellung der Kunst im Verhältnis zur endlichen Wirklichkeit und zur Religion und Philosophie

Zweiter Teil. Entwicklung des Ideals zu den besonderen Formen des Kunstschönen

Dritter Teil.
Das System der einzelnen Künste

Vom “Ende der Kunst” >

Wie nun aber die Kunst in der Natur und den endlichen Gebieten des Lebens ihr Vor hat, ebenso hat sie auch ein Nach, ...  >>>

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Georg Wilhelm Friedrich Hegel
Vorlesungen über die Ästhetik
                          
(1835-1838)                                                              

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c. Originalität

Die Originalität nun endlich besteht nicht nur im Befolgen der Gesetze des Stils,
sondern in der subjektiven Begeisterung, welche, statt sich der bloßen Manier hinzugeben, einen an und für sich vernünftigen Stoff ergreift und denselben ebensosehr im Wesen und Begriff einer bestimmten Kunstgattung als dem allgemeinen Begriff des Ideals gemäß von innen her aus der künstlerischen Subjektivität heraus gestaltet.

α) Die Originalität ist deshalb identisch mit der wahren Objektivität und schließt das Subjektive und Sachliche der Darstellung in der Weise zusammen, daß beide Seiten nichts Fremdes mehr gegeneinander behalten.
In der einen Beziehung daher macht sie die eigenste Innerlichkeit des Künstlers aus,
nach der anderen Seite hin gibt sie jedoch nichts als die Natur des Gegenstandes,
so daß jene Eigentümlichkeit nur als die Eigentümlichkeit der Sache selbst erscheint und gleichmäßig aus dieser wie die Sache aus der produktiven Subjektivität hervorgeht.

β) Die Originalität ist deshalb vor allem von der Willkür bloßer Einfälle abzuscheiden.
Denn gewöhnlich pflegt man unter Originalität nur das Hervorbringen von Absonderlichkeiten zu verstehen, wie sie nur gerade diesem Subjekt eigentümlich sind und keinem anderen würden zu Sinne kommen. Das ist dann aber nur eine schlechte Partikularität.
Niemand z. B. ist in dieser Bedeutung des Wortes origineller als die Engländer, d. h. jeder legt sich auf eine bestimmte Narrheit, die ihm kein vernünftiger Mensch nachmachen wird, und nennt sich im Bewußtsein seiner Narrheit originell.

Hiermit hängt denn auch die besonders heutigentags gerühmte Originalität des Witzes und Humors zusammen. In ihr geht der Künstler von seiner eigenen Subjektivität aus und kehrt immer wieder zu derselben zurück, so daß das eigentliche Objekt der Darstellung nur als eine äußerliche Veranlassung behandelt wird, um den Witzen, Späßen, Einfällen und Sprüngen der subjektivsten Laune vollen Spielraum zu geben.
Dann fällt aber der Gegenstand und dies Subjektive auseinander, und mit dem Stoff wird durchaus willkürlich verfahren, damit ja die Partikularität des Künstlers als Hauptsache hervorleuchten könne. Solch ein Humor kann voll Geist und tiefer Empfindung sein und tritt gewöhnlich als höchst imponierend auf, ist aber im ganzen leichter, als man glaubt.
Denn den vernünftigen Lauf der Sache stets zu unterbrechen, willkürlich anzufangen, fortzugehen, zu enden, eine Reihe von Witzen und Empfindungen bunt durcheinanderzuwürfeln und dadurch Karikaturen der Phantasie zu erzeugen ist leichter, als ein in sich gediegenes Ganzes im Zeugnis des wahren Ideals aus sich zu entwickeln und abzurunden.
Der gegenwärtige Humor aber liebt es, die Widerwärtigkeit eines ungezogenen Talentes herauszukehren, und schwankt von wirklichem Humor denn auch ebensosehr zur Plattheit und Faselei herüber.
Wahrhaften Humor hat es selten gegeben; jetzt aber sollen die mattesten Trivialitäten, wenn sie nur die äußere Farbe und Prätention des Humors haben, für geistreich und tief gelten. Shakespeare dagegen hat großen und tiefen Humor, und dennoch fehlt es auch bei ihm nicht an Flachheiten.
Ebenso überrascht auch Jean Pauls Humor oft durch die Tiefe des Witzes und Schönheit der Empfindung, ebensooft aber auch in entgegengesetzter Weise durch barocke Zusammenstellungen von Gegenständen, welche zusammenhangslos auseinanderliegen und deren Beziehungen, zu welchen der Humor sie kombiniert, sich kaum entziffern lassen. Dergleichen hat selbst der größte Humorist nicht im Gedächtnis präsent und so sieht man es denn auch den Jean Paulschen Kombinationen häufig an, daß sie nicht aus der Kraft des Genies hervorgegangen, sondern äußerlich zusammengetragen sind.
Jean Paul hat deshalb auch, um immer neues Material zu haben, in alle Bücher der verschiedensten Art,
botanische, juristische, Reisebeschreibungen, philosophische, hineingesehen, was ihn frappierte, sogleich notiert, augenblickliche Einfälle dazugeschrieben und, wenn es nun darauf ankam, selber ans Erfinden zu gehen, äußerlich das Heterogenste - brasilianische Pflanzen und das alte Reichskammergericht - zueinandergebracht.
Das ist dann besonders als Originalität gepriesen oder als Humor, der alles und jedes zulasse, entschuldigt worden. Die wahre Originalität aber schließt solche Willkür gerade von sich aus.

Bei dieser Gelegenheit können wir denn auch wieder der Ironie gedenken, welche sich hauptsächlich dann als die höchste Originalität auszugeben liebt, wenn es ihr mit keinem Inhalt mehr Ernst ist und sie ihr Geschäft des Spaßes nur des Spaßes wegen treibt.
Nach einer anderen Seite hin bringt sie in ihren Darstellungen eine Menge Äußerlichkeiten zusammen, deren innersten Sinn der Dichter für sich behält, wo denn die List und das Große darin bestehen soll, daß die Vorstellung verbreitet wird, gerade in diesen Zusammentragungen und Äußerlichkeiten sei die Poesie der Poesie und alles Tiefste und Vortrefflichste verborgen, das sich nur eben seiner Tiefe wegen nicht aussprechen lasse.
So wurde z. B. in Friedrich von Schlegels Gedichten zur Zeit, als er sich einbildete, ein Dichter zu sein, dies Nichtgesagte als das Beste ausgegeben; doch diese Poesie der Poesie ergab sich gerade als die platteste Prosa.

γ) Das wahrhafte Kunstwerk muß von dieser schiefen Originalität befreit werden,
denn es erweist seine echte Originalität nur dadurch, daß es als die eine eigene Schöpfung eines Geistes erscheint, der nichts von außen her aufliest und zusammenflickt, sondern das Ganze im strengen Zusammenhange aus einem Guß, in einem Tone sich durch sich selber produzieren läßt, wie die Sache sich in sich selbst zusammengeeint hat. Finden sich dagegen die Szenen und Motive nicht durch sich selber, sondern bloß von außen her zueinander, so ist die innere Notwendigkeit ihrer Einigung nicht vorhanden, und sie erscheinen nur als zufällig durch ein drittes, fremdes Subjekt verknüpft. So ist Goethes Götz besonders seiner großen Originalität wegen bewundert worden, und allerdings hat Goethe, wie schon oben gesagt ist, mit vieler Kühnheit in diesem Werke alles geleugnet und mit Füßen getreten, was von den damaligen Theorien der schönen Wissenschaften als Kunstgesetz festgestellt war.
Dennoch ist die Ausführung nicht von wahrhafter Originalität. Denn man sieht diesem Jugendwerke noch die Armut eigenen Stoffs an, so daß nun viele Züge und ganze Szenen,
statt aus dem großen Inhalte selber herausgearbeitet zu sein, hier und dort aus den Interessen der Zeit, in der es verfaßt ist, zusammengerafft und äußerlich eingefügt erscheinen.
Die Szene z. B. des Götz mit dem Bruder Martin, welcher auf Luther hindeutet, enthält nur Vorstellungen, welche Goethe aus dem geschöpft hat, worüber man in dieser Periode in Deutschland die Mönche wieder zu bedauern anfing: daß sie keinen Wein trinken dürften, schläfrig verdauten, dadurch mancherlei Begierden anheimfielen und überhaupt die drei unerträglichen Gelübde, der Armut, Keuschheit und des Gehorsams, ablegen müßten.
Dagegen begeistert sich Bruder Martin für das ritterliche Leben Götzens: wie dieser mit der Beute seiner Feinde beladen sich erinnere: "Den stach ich vom Pferd, eh er schießen konnte, und den rannt ich samt dem Pferd nieder", und dann auf sein Schloß komme und sein Weib finde; er trinkt auf Frau Elisabeths Gesundheit und wischt sich die Augen.
- Mit diesen zeitlichen Gedanken aber hat Luther nicht angefangen, sondern eine ganz andere Tiefe der religiösen Anschauung und Überzeugung aus Augustin als ein frommer Mönch geschöpft. In derselbigen Weise folgen dann gleich in den nächsten Szenen pädagogische Zeitbeziehungen, die insbesondere Basedow*) in Anregung gebracht hatte.
Die Kinder z. B., hieß es damals, lernten viel unverstandenes Zeug, die rechte Methode aber bestände darin, sie durch Anschauung und Erfahrung Realien zu lehren. Karl nun sagt seinem Vater ganz so, wie es zu Goethes Jugendzeit Mode war, auswendig her: "Jaxthausen ist ein Dorf und Schloß an der Jaxt, gehört seit zweihundert Jahren den Herrn von Berlichingen erb- und eigentümlich zu"; als jedoch Götz ihn fragt: "Kennst du den Herrn von Berlichingen?",
sieht der Bub ihn starr an und kennt vor lauter Gelehrsamkeit seinen eigenen Vater nicht.
Götz versichert, er kannte alle Pfade, Weg und Furten, eh er wußte, wie Fluß, Dorf und Burg hieß.
Dies sind fremdartige Anhängsel, welche den Stoff selbst nichts angehen; während da,
wo derselbe nun in seiner eigentümlichen Tiefe hätte gefaßt werden können, im Gespräche z. B. Götzens und Weislingens, nur kalte prosaische Reflexionen über die Zeit zum Vorschein kommen.

Ein ähnliches Anfügen von einzelnen Zügen, die aus dem Inhalte nicht hervorgehen, finden wir selbst noch in den Wahlverwandtschaften wieder: die Parkanlagen, die lebenden Bilder und Pendelschwingungen, das Metallfühlen, die Kopfschmerzen, das ganze aus der Chemie entlehnte Bild der chemischen Verwandtschaften sind von dieser Art.
Im Roman, der in einer bestimmten prosaischen Zeit spielt, ist dergleichen freilich eher zu gestatten, besonders wenn es wie bei Goethe so geschickt und anmutig benutzt wird, und außerdem kann sich ein Kunstwerk nicht von der Bildung seiner Zeit durchweg frei machen; aber ein anderes ist es, diese Bildung selber abspiegeln, ein anderes, die Materialien unabhängig vom eigentlichen Inhalt der Darstellung äußerlich aufsuchen und zusammenbringen. Die echte Originalität des Künstlers wie des Kunstwerks liegt nur darin, von der Vernünftigkeit des in sich selber wahren Gehalts beseelt zu sein.
Hat der Künstler diese objektive Vernunft ganz zur seinigen gemacht, ohne sie von innen oder außen her mit fremden Partikularitäten zu vermischen und zu verunreinigen, dann allein gibt er in dem gestalteten Gegenstande auch sich selbst in seiner wahrsten Subjektivität, die nur der lebendige Durchgangspunkt für das in sich selber abgeschlossene Kunstwerk sein will.
Denn in allem wahrhaftigen Dichten, Denken und Tun läßt die echte Freiheit das Substantielle als eine Macht in sich walten, welche zugleich so sehr die eigenste Macht des subjektiven Denkens und Wollens selber ist, daß in der vollendeten Versöhnung beider kein Zwiespalt mehr übrigzubleiben vermag.
So zehrt zwar die Originalität der Kunst jede zufällige Besonderheit auf, aber sie verschlingt sie nur, damit der Künstler ganz dem Zuge und Schwunge seiner von der Sache allein erfüllten Begeisterung des Genius folgen und statt der Beliebigkeit und leeren Willkür sein wahres Selbst in seiner der Wahrheit nach vollbrachten Sache darstellen könne.
Keine Manier zu haben war von jeher die einzig große Manier, und in diesem Sinne allein sind Homer, Sophokles, Raffael, Shakespeare originell zu nennen.

*) Johann Bernhard Basedow, 1723-1790, Pädagoge

 

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