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Inhalt - Übersicht

Einleitung

Erster Teil.
Die Idee des Kunstschönen oder das Ideal

Stellung der Kunst im Verhältnis zur endlichen Wirklichkeit und zur Religion und Philosophie

Zweiter Teil. Entwicklung des Ideals zu den besonderen Formen des Kunstschönen

Dritter Teil.
Das System der einzelnen Künste

Vom “Ende der Kunst” >

Wie nun aber die Kunst in der Natur und den endlichen Gebieten des Lebens ihr Vor hat, ebenso hat sie auch ein Nach, ...  >>>

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Georg Wilhelm Friedrich Hegel
Vorlesungen über die Ästhetik
                          
(1835-1838)                                                              

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b. Der Reim

Man kann äußerlich das Bedürfnis einer neuen Behandlung der Sprache nach ihrer sinnlichen Seite aus dem Verderben erklären wollen, in welches die alten Sprachen durch die fremden Völker gerieten; dieser Fortgang aber liegt in der Natur der Sache selbst.
Das nächste, was die Poesie an ihrer Außenseite dem Inneren gemäß macht, ist die von der Bedeutung der Silben unabhängige Länge und Kürze, für deren Zusammenstellungen, Einschnitte usf. die Kunst sich Gesetze ausbildet, welche zwar im allgemeinen mit dem jedesmal darzustellenden Charakter des Inhalts zusammenstimmen sollen, im besonderen und einzelnen jedoch weder die Längen und Kürzen noch die Akzentuierung allein von dem geistigen Sinn bestimmen und diese Seite demselben abstrakt unterwerfen lassen.
Je innerlicher aber und geistiger die Vorstellung wird, um desto mehr zieht sie sich aus dieser Naturseite, welche sie nun nicht mehr in plastischer Weise idealisieren kann, heraus und konzentriert sich so sehr in sich, daß sie das gleichsam Körperliche der Sprache teils überhaupt abstreift, teils an dem Übrigbleibenden nur das heraushebt, worein sich die geistige Bedeutung zu ihrer Mitteilung hineinlegt, während sie das übrige als unbedeutend beiherspielen läßt.
Wie nun aber die romantische Kunst, welche in Rücksicht auf die ganze Art ihres Auffassens und Darstellens einen ähnlichen Übergang in die in sich konzentrierte Sammlung des Geistigen macht, für dies Subjektive im Klang das entsprechendste Material aufsucht, so vertieft sich nun auch die romantische Poesie, da sie überhaupt verstärkter den Seelenton der Empfindung anschlägt, in das Spielen mit den für sich verselbständigten Lauten und Klängen der Buchstaben, Silben und Wörter und geht zu diesem Sichselbstgefallen in ihren Tönungen fort, die sie teils mit der Innigkeit, teils mit dem architektonisch verständigen Scharfsinn der Musik zu sondern, aufeinander zu beziehen und ineinander zu verschlingen lernt. Nach dieser Seite hin hat sich der Reim nicht zufällig nur in der romantischen Poesie ausgebildet, sondern ist ihr notwendig gewesen. Das Bedürfnis der Seele, sich selbst zu vernehmen, hebt sich voller heraus und befriedigt sich in dem Gleichklingen des Reims, das gegen die fest geregelte Zeitmessung gleichgültig macht und nur darauf hinarbeitet, uns durch Wiederkehr der ähnlichen Klänge zu uns selbst zurückzuführen.
Die Versifikation wird dadurch dem Musikalischen als solchem, d. h. dem Tönen des Inneren, nähergebracht und von dem gleichsam Stoffartigen der Sprache, jenem natürlichen Maße nämlich der Längen und Kürzen, befreit.

In Ansehung der bestimmteren Punkte, welche für diesen Kreis von Wichtigkeit sind, will ich nur über folgendes kurz einige allgemeine Bemerkungen hinzufügen:

erstens über den Ursprung des Reims;

zweitens über die näheren Unterschiede dieses Gebiets von der rhythmischen Versifikation;

drittens über die Arten, zu welchen dasselbe sich auseinandergelegt hat. 

α) Wir sahen bereits, daß der Reim zur Form der romantischen Dichtkunst gehöre, die solch ein stärkeres Prononcieren des für sich gestalteten Klingens fordert, insofern hier die innere Subjektivität im Materiellen des Tons sich selber vernehmen will. Wo sich dies ihr Bedürfnis hervortut, findet sie daher teils von Hause aus eine Sprache vor, wie ich sie oben in Rücksicht auf die Notwendigkeit des Reims angedeutet habe, teils gebraucht sie die alte vorhandene Sprache, die lateinische z. B., welche anderer Konstitution ist und eine rhythmische Versifikation verlangt, dennoch in dem Charakter des neuen Prinzips oder bildet dieselbe insoweit zu einer neuen Sprache um, daß sich das Rhythmische daraus verliert und der Reim nun, wie es z. B. im Italienischen und Französischen der Fall ist, die Hauptsache ausmachen kann.

αα) In dieser Rücksicht finden wir den Reim durch das Christentum schon sehr früh mit Gewalt in die lateinische Versifikation hineingelegt, obgleich dieselbe auf anderen Prinzipien beruhte. Diese Prinzipien jedoch sind ihr selbst schon mehr aus dem Griechischen angebildet worden, und statt sich als ursprünglich aus ihr hervorgegangen zu zeigen, erweisen sie im Gegenteil in der Art der Modifizierung, die sie erleiden, eine dem romantischen Charakter sich annähernde Tendenz. Die römische Versifikation nämlich fand einerseits in der frühesten Zeit ihre Grundlage nicht in der natürlichen Länge und Kürze, sondern maß den Wert der Silben nach dem Akzent, so daß erst durch die genauere Kenntnis und Nachbildung der griechischen Poesie das prosodische Prinzip derselben aufgenommen und befolgt wurde; andererseits verhärteten die Römer die bewegliche, heitere Sinnlichkeit der griechischen Metra, besonders durch die festeren Einschnitte der Zäsur sowohl im Hexameter als auch im Versmaß der alkäischen und sapphischen Strophe usf., zu einer schärfer prononcierten Struktur und strengeren Regelmäßigkeit. Außerdem kommen selbst in den Blütetagen der römischen Literatur bei den gebildetesten Dichtern schon Reime genug vor.
So heißt es z. B. bei Horaz in seiner Ars poetica, Vers 99 und 100:

Non satis est, pulchra esse poemata: dulcia sunto,
Et quocunque volent, animum auditoris agunto.*)

Ist dies auch von seiten des Dichters ganz absichtslos geschehen, so kann man es doch als einen seltsamen Zufall betrachten, daß gerade an dieser Stelle, in welcher Horaz "dulcia poemata" fordert, der Reim sich eingefunden hat. Bei Ovid ferner sind ähnliche Reime noch weniger vermieden.
Wenn dies nun auch, wie gesagt, zufällig ist, so scheinen doch dem gebildeten römischen Ohr Reime
nicht unangenehm gewesen zu sein, so daß sie sich, obschon vereinzelt und ausnahmsweise, einschleichen durften. Doch fehlt diesem Spiele mit Klängen die tiefere Bedeutsamkeit des romantischen Reimes, welcher nicht den Klang als solchen, sondern das Innerliche, die Bedeutung, in demselben hervorhebt.
Eben dies bildet den charakteristischen Unterschied des schon sehr alten indischen Reimes von dem modernen.

Nach dem Eindringen der barbarischen Völkerstämme ging dann in betreff auf die alten Sprachen mit dem Verderben der Akzentuation und dem Emporkommen des subjektiven Moments der Empfindung durch das Christentum das frühere rhythmische System der Versifikation in das des Reimes über.
So richtet sich in dem Hymnus des heiligen Ambrosius die Prosodie schon ganz nach dem Akzent der Aussprache und läßt den Reim hervorbrechen; das erste Werk des heiligen Augustinus gegen die Donatisten ist gleichfalls ein gereimter Gesang, und auch die sogenannten Leoninischen Verse müssen als ausdrücklich gereimte Hexameter und Pentameter von jenen vorhin erwähnten einzelnen Reimen sehr wohl unterschieden werden. Diese und ähnliche Erscheinungen zeigen das Hervortreten des Reims aus dem rhythmischen System selber. 

ββ) Nun hat man zwar andererseits den Ursprung des neuen Prinzips für die Versifikation bei den Arabern gesucht; doch fällt die Ausbildung ihrer großen Dichter teils später als das Vorkommen des Reims im christlichen Abendlande, während der Kreis der vormohammedanischen Kunst mit dem Okzident sich nicht einwirkend berührt, teils liegt auch in der arabischen Poesie schon von Hause aus ein Anklang an das romantische Prinzip, in welchem die Ritter des Abendlandes zur Zeit der Kreuzzüge die gleiche Stimmung bald genug herausfanden, so daß bei der äußerlich unabhängigen Verwandtschaft des geistigen Bodens, aus welchem die Poesie im mohammedanischen Orient wie im christlichen Okzident emporgeht, sich auch ein unabhängiges erstes Hervortreten einer neuen Art der Versifikation vorstellen läßt.

γγ) Ein drittes Element, in dem wiederum ohne Einfluß weder der alten Sprachen noch des Arabischen das Entstehen des Reims und dessen, was diesem Gebiete sich anschließt, kann aufgefunden werden, sind die germanischen Sprachen, wie wir sie in ihrer frühesten Ausbildung bei den Skandinaviern finden.
Hiervon geben z. B. die Lieder der alten Edda ein Beispiel, welche, wenn auch später erst gesammelt und zusammengestellt, doch einen frühen Ursprung nicht verleugnen. Hier ist es zwar, wie wir noch sehen werden, nicht der eigentliche Reimklang, der sich in seiner Vollständigkeit ausgebildet hat, aber doch ein wesentliches Herausheben von einzelnen Sprachlauten und eine gesetzliche Regelmäßigkeit in der bestimmten Wiederholung derselben.

β) Wichtiger nun zweitens als der Ursprung ist der charakteristische Unterschied des neuen Systems von dem alten. Den Hauptpunkt, auf den es hier ankommt, habe ich bereits oben berührt, und es bleibt nur noch übrig, ihn näher auszuführen.

Die rhythmische Versifikation hat ihre schönste und reichhaltigste Entwicklungsstufe in der griechischen Poesie erreicht, aus der wir uns daher die vornehmlichsten Kennzeichen dieses ganzen Feldes abstrahieren können. Es sind kurz folgende.

Erstens macht sie sich nicht den Klang als solchen der Buchstaben, Silben oder Wörter zu ihrem Material, sondern den Silbenklang in seiner Zeitdauer, so daß sich also die Aufmerksamkeit weder auf einzelne Silben oder Buchstaben noch auf die bloß qualitative Ähnlichkeit oder Gleichheit ihres Klingens ausschließlich hinrichten soll. Im Gegenteil bleibt das Klingen noch in ungetrennter Einheit mit dem festen Zeitmaß seiner bestimmten Dauer, und in der Fortbewegung beider hat das Ohr dem Wert jeder einzelnen Silbe wie dem Gesetz in dem rhythmischen Dahinschreiten aller gleichmäßig nachzugehen.
Zweitens beruht das Maß der Länge und Kürze sowie der rhythmischen Hebung und Senkung und mannigfachen Belebung durch schärfere Einschnitte und Haltepunkte auf dem Naturelement der Sprache, ohne sich von derjenigen Betonung leiten zu lassen, durch welche der geistige Wortsinn einer Silbe oder einem Worte erst seinen Nachdruck gibt. Die Versifikation erweist sich in ihrem Zusammenstellen der Füße, ihrem Versakzent, ihren Zäsuren usf. in dieser Rücksicht ebenso unabhängig als die Sprache selbst, welche auch außerhalb der Poesie schon die Akzentuierung gleichfalls aus den natürlichen Längen und Kürzen und deren Aufeinanderfolge und nicht aus der Bedeutsamkeit der Stammsilbe hernimmt.
Dadurch nun stehen drittens für das belebende Herausheben bestimmter Silben auf der einen Seite der Versakzent und Rhythmus, auf der anderen die sonstige Akzentuierung da, welche sich beide zu doppelter Mannigfaltigkeit des Ganzen ohne wechselseitige Störung oder Unterdrückung durcheinanderschlingen und in der gleichen Weise nun auch der poetischen Vorstellung das Recht gönnen, den Wörtern, welche ihr der geistigen Bedeutung nach von höherer Wichtigkeit als andere sind, durch die Art der Wortstellung und Bewegung den gebührenden Nachdruck nicht zu entziehen. 

αα) Das nächste nun, was die gereimte Versifikation in diesem System ändert, ist das unangefochtene Gelten der natürlichen Quantität. Soll deshalb überhaupt noch ein Zeitmaß übrigbleiben, so muß sich dasselbe den Grund für das quantitative Verweilen oder Forteilen, den es nicht mehr in der natürlichen Länge oder Kürze finden will, in einem anderen Gebiete aufsuchen.
Dies Gebiet aber, wie wir sahen, kann nur das geistige Element, der Sinn der Silben und Wörter sein.
Die Bedeutsamkeit ist es, welche als letzte Instanz das quantitative Silbenmaß, wenn es überhaupt noch als wesentlich erachtet wird, bestimmt und somit das Kriterium aus dem äußeren Dasein und dessen natürlicher Beschaffenheit ins Innerliche herüberspielt.

ββ) Hiermit verbindet sich nun aber eine weitere Folge, die als noch wichtiger heraustritt.
Denn wie ich schon oben andeutete, verzehrt diese Sammlung des Nachdrucks auf die bedeutsame Stammsilbe jene unabhängige Ausbreitung zu mannigfaltigen Flexionsformen, welche das rhythmische System, da es weder das Maß der Länge und Kürze noch den hervorhebenden Akzent aus der geistigen Bedeutung hernimmt, gegen den Stamm zurückzusetzen noch nicht genötigt wird. Fällt nun aber solche Entfaltung und deren naturgemäßes Einordnen in Versfüße nach fester Quantität der Silben fort, so geht hiermit auch notwendig das ganze System verloren, das auf dem Zeitmaß und dessen Regel beruht.
Von dieser Art z. B. sind die französischen und italienischen Verse, denen das Metrum und der Rhythmus im Sinne der Alten gänzlich fehlt, so daß es nur noch auf eine bestimmte Anzahl von Silben ankommt.

γγ) Als einzig möglicher Ersatz für diesen Verlust bietet sich hier nun der Reim dar. Ist es nämlich einerseits nicht mehr die Zeitdauer, die zur Gestaltung kommt und durch welche sich der Klang der Silben in gleichmäßiger und natürlicher Gültigkeit hindurch ergießt, während andererseits die geistige Bedeutung sich der Stammsilben bemächtigt und sich mit denselben ohne weitere organische Ausbreitung in eine gedrungene Einheit setzt, so bleibt als letztes sinnliches Material, das sowohl von dem Zeitmaß als auch von dieser Akzentuierung der Stammsilben sich frei halten kann, allein nur noch das Klingen der Silben übrig.

Dies Klingen aber, um für sich Aufmerksamkeit erregen zu können, muß erstens viel stärkerer Art sein als die Abwechslung verschiedener Laute, wie wir sie in den alten Versmaßen finden, und hat mit weit überwiegenderer Gewalt aufzutreten, als das Tönen der Silben in dem sonstigen Sprechen in Anspruch nehmen darf, indem es jetzt nicht allein das gegliederte Zeitmaß ersetzen soll, sondern auch die Aufgabe erhält, das sinnliche Element im Unterschiede jener Herrschaft der akzentuierenden und alles überflügelnden Bedeutung herauszuheben. Denn ist einmal die Vorstellung zu der Innerlichkeit und Vertiefung des Geistes in sich gelangt, für welche im Sprechen die sinnliche Seite gleichgültig wird, so muß das Tönen sich materieller aus dieser Innerlichkeit herausschlagen und gröber sein, um überhaupt nur auffallen zu können.
Den zarten Bewegungen des rhythmischen Wohlklangs gegenüber ist deshalb der Reim
ein plumpes Klingen, das keines in so feiner Weise ausgebildeten Ohres bedarf, als die griechische Versifikation es nötig macht.

Zweitens trennt sich zwar der Reim hier nicht von der geistigen Bedeutsamkeit sowohl der Stammsilben als solcher als auch der Vorstellungen im allgemeinen ab, doch verhilft er zugleich dem sinnlichen Klange zu einer relativ selbständigen Gültigkeit. Dies Ziel ist nur zu erreichen möglich, wenn das Tönen bestimmter Wörter sich für sich vom Erklingen der anderen Wörter abscheidet und nun in dieser Isolierung ein unabhängiges Dasein gewinnt, um in kräftigen materiellen Schlägen das Sinnliche wieder zu seinem Rechte zu bringen. Der Reim ist insofern dem durchgängigen rhythmischen Wohllaut gegenüber ein vereinzelt herausgehobenes ausschließliches Tönen.

Drittens sahen wir, daß es die subjektive Innerlichkeit sei, welche sich in ihrer ideellen Zusammenziehung in diesen Klängen ergehen und genügen sollte. Fallen nun aber die bisher betrachteten Mittel der Versifikation und deren reiche Mannigfaltigkeit fort, so bleibt nach der sinnlichen Seite hin für dieses Sichvernehmen nur das formellere Prinzip der Wiederholung ganz gleicher oder ähnlicher Klänge übrig, womit sich dann von seiten des Geistes her wieder das Herausheben und Beziehen verwandter Bedeutungen im Reimklang der sie bezeichnenden Wörter verbinden kann. Das Metrum der rhythmischen Versifikation erwies sich als ein vielfach gegliedertes Verhältnis unterschiedener Längen und Kürzen, der Reim dagegen ist einerseits zwar materieller, andererseits aber in diesem Materiellen selbst abstrakter: die bloße Erinnerung des Geistes und Ohrs an die Wiederkehr gleicher oder verwandter Laute und Bedeutungen, eine Wiederkehr, in welcher das Subjekt sich seiner selbst bewußt wird und sich darin als die setzende und vernehmende Tätigkeit erkennt und befriedigt.

γ) Was nun zum Schluß die besonderen Arten angeht, zu welchen sich dies neue System der vornehmlich romantischen Poesie auseinanderlegt, so will ich nur ganz kurz das Wichtigste in Rücksicht auf die Alliteration, die Assonanz und den eigentlichen Reim berühren.

αα) Die Alliteration erstens finden wir am durchgängigsten in der älteren skandinavischen Poesie ausgebildet, in welcher sie eine Hauptgrundlage abgibt, während die Assonanz und der Endreim, obschon auch diese eine nicht unbedeutende Rolle spielen, nur in gewissen Versarten vorkommen.
Das Prinzip des Stabreims, Buchstabenreims ist das unvollständigste Reimen, weil es nicht die Wiederkehr ganzer Silben fordert, sondern nur auf die Wiederholung ein und desselben Buchstabens, und zwar des Anfangsbuchstabens dringt. Bei der Schwäche dieses Gleichklangs ist es deshalb einerseits notwendig, daß nur solche Wörter zu diesem Behufe gebraucht werden, welche schon an und für sich auf ihrer Anfangssilbe einen hervorhebenden Akzent haben; andererseits müssen diese Wörter nicht weit auseinanderstehen, wenn sich die Gleichheit ihres Anfangs noch wesentlich dem Ohre soll bemerkbar machen. Im übrigen kann der alliterierende Buchstabe sowohl ein doppelter oder einfacher Konsonant als auch ein Vokal sein, doch machen die Konsonanten der Natur der Sprache gemäß, in welcher die Alliteration vorwaltet, die Hauptsache aus. Aus diesen Bedingungen hat sich für die isländische Poesie (Die Verslehre der Isländer von [Rasmus Christian] Rask, verdeutscht von Mohnike, Berlin 1830, S. 14-17) die Hauptregel festgestellt, daß alle Reimstäbe betonte Silben verlangen, deren Anfangsbuchstaben nicht auch in anderen Hauptwörtern, die auf ihrer ersten Silbe den Akzent tragen, in denselben Zeilen vorkommen darf, während von den drei Wörtern, deren erster Buchstabe den Reim bildet, zwei in der ersten, das dritte, welches den regelnden Hauptstab abgibt, im Beginn der zweiten Zeile stehen muß. Außerdem werden bei der Abstraktion dieses Gleichklangs bloßer Anfangsbuchstaben vornehmlich die ihrer Bedeutung nach wichtigeren Wörter zu Stabreimen gebraucht, so daß es auch hier nicht an einer Beziehung des Tönens und Sinnes der Wörter durchaus fehlt. Das Nähere jedoch muß ich übergehen.

ββ) Die Assonanz zweitens betrifft nicht den Anfangsbuchstaben, sondern geht schon dem Reim entgegen, insofern sie eine gleichklingende Wiederholung derselben Buchstaben in der Mitte oder an dem Ende verschiedener Wörter ist. Diese assonierenden Wörter brauchen nun zwar nicht schlechthin den Schluß eines Verses auszumachen, sondern können auch wohl an anderen Stellen vorkommen, hauptsächlich aber treten die Schlußsilben der Zeilen durch die Gleichheit einzelner Buchstaben - im Unterschiede der Alliteration, welche den Hauptstab an den Anfang des Verses stellt - in einen assonierenden Bezug aufeinander. Seiner reichhaltigsten Ausbildung nach weist dieses Assonieren nach den romanischen Völkern, den Spaniern vornehmlich, hin, deren volltönende Sprache sich insbesondere für die Wiederkehr derselben Vokale geeignet zeigt. Im allgemeinen zwar ist die Assonanz auf die Vokale beschränkt; indessen darf sie teils gleiche Vokale, teils auch gleiche Konsonanten, teils auch Konsonanten in Verbindung mit einem Vokale widerklingen lassen.

γγ) Was nun in dieser Weise Alliteration und Assonanz nur unvollständig herauszustellen befugt sind, bringt endlich der Reim zur reifsten Erscheinung. Denn bei ihm tritt bekanntlich mit Ausnahme der Anfangsbuchstaben der vollständige Gleichklang ganzer Stämme hervor, welche dieser Gleichheit wegen in eine ausdrückliche Beziehung ihres Tönens gebracht werden.
Auf die Anzahl der Silben kommt es hierbei nicht an; sowohl einsilbige als auch zwei- und mehrsilbige Wörter können und dürfen sich reimen, wodurch einerseits der männliche Reim, der sich auf einsilbige Wörter beschränkt, andererseits der weibliche entsteht, der zu zweisilbigen fortschreitet, sowie drittens der sogenannte gleitende Reim, der sich über drei und mehrere Silben hin erstreckt. Zu dem ersteren neigen sich besonders die nordischen Sprachen, zum zweiten die südlichen, wie das Italienische und Spanische; das Deutsche und Französische mag so ziemlich die Mitte halten; mehr als dreisilbige Reime sind in größerer Anzahl nur in wenigen Sprachen zu finden.

Seine Stellung erhält der Reim am Ende der Zeilen, an welchem das reimende Wort, obschon es nicht etwa jedesmal den geistigen Nachdruck der Bedeutung in sich zu konzentrieren nötig hat, dennoch in Ansehung des Klanges die Aufmerksamkeit auf sich zieht und die einzelnen Verse nun entweder nach dem Gesetze einer ganz abstrakt gleichen Wiederkehr desselben Reims aufeinanderfolgen läßt oder sie durch die künstlichere Form regelmäßiger Abwechslung und mannigfaltiger symmetrischer Verschlingungen verschiedener Reime zu den vielfältigsten, bald näheren, bald ferneren Verhältnissen vereinigt, trennt und bezieht. In solcher Relation scheinen sich dann die einzelnen Reime gleichsam unmittelbar zu finden oder einander zu fliehen und sich dennoch zu suchen, so daß sie in dieser Weise nun auch der lauschenden Erwartung des Ohrs bald ohne weiteres genügen, bald dieselbe durch längeres Ausbleiben necken, täuschen, spannen, durch regelmäßige Ordnung und Wiederkehr aber immer wieder zufriedenstellen.

Unter den besonderen Arten der Dichtkunst ist es vornehmlich die lyrische Poesie, welche ihrer Innerlichkeit und subjektiven Ausdrucksweise wegen sich am liebsten des Reimes bedient und dadurch das Sprechen selbst schon zu einer Musik der Empfindung und melodischen Symmetrie, nicht des Zeitmaßes und der rhythmischen Bewegung, sondern des Klanges macht, aus welchem das Innere sich selber vernehmlich entgegentönt.
Deshalb bildet sich auch diese Art, den Reim zu gebrauchen, zu einer einfacheren oder mannigfaltigeren Gliederung von Strophen aus, die sich jede für sich zu einem geschlossenen Ganzen abrunden; wie z. B. die Sonette und Kanzonen, das Madrigal und Triolett solch ein teils empfindungsreiches, teils scharfsinniges Spielen mit Tönen und Klängen sind. Die epische Poesie dagegen, wenn sie ihren Charakter mit lyrischen Elementen weniger untermischt, hält mehr ein in seinen Verschlingungen gleichmäßiges Weiterschreiten fest, ohne sich zu Strophen abzuschließen: wofür die Terzinen des Dante in seiner Göttlichen Komödie im Unterschiede seiner lyrischen Kanzonen und Sonette ein Beispiel an die Hand geben können. Doch will ich mich in das einzelne nicht weiter verlieren.

*) "Es genügt nicht, daß Dichtungen schön sind: süß sollen sie sein und den Geist des Hörers entführen, wohin sie wollen."

 

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