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Inhalt - Übersicht

Einleitung

Erster Teil.
Die Idee des Kunstschönen oder das Ideal

Stellung der Kunst im Verhältnis zur endlichen Wirklichkeit und zur Religion und Philosophie

Zweiter Teil. Entwicklung des Ideals zu den besonderen Formen des Kunstschönen

Dritter Teil.
Das System der einzelnen Künste

Vom “Ende der Kunst” >

Wie nun aber die Kunst in der Natur und den endlichen Gebieten des Lebens ihr Vor hat, ebenso hat sie auch ein Nach, ...  >>>

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Georg Wilhelm Friedrich Hegel
Vorlesungen über die Ästhetik
                          
(1835-1838)                                                              

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Drittes Kapitel: Die Poesie

1. Der Tempel der klassischen Architektur fordert einen Gott, der ihm inwohnt; die Skulptur stellt denselben in plastischer Schönheit hin und gibt dem Material, das sie dazu verwendet, Formen, die nicht ihrer Natur nach dem Geistigen äußerlich bleiben, sondern die dem bestimmten Inhalte selbst immanente Gestalt sind.
Die Leiblichkeit aber und Sinnlichkeit sowie die ideale Allgemeinheit der Skulpturgestalt hat sich gegenüber teils das subjektiv Innerliche, teils die Partikularität des Besonderen, in deren Elementesowohl der Gehalt des religiösen als auch des weltlichen Lebens durch eine neue Kunst Wirklichkeit gewinnen muß.
Diese ebenso subjektive als partikulär-charakteristische Ausdrucksweise bringt im Prinzipe der bildenden Künste selbst die Malerei hinzu, indem sie die reale Äußerlichkeit der Gestalt zur ideelleren Farbenerscheinung herabsetzt und den Ausdruck der inneren Seele zum Mittelpunkt der Darstellung macht. Die allgemeine Sphäre jedoch, in welcher sich diese Künste, die eine im symbolischen, die andere im plastisch-idealen, die dritte im romantischen Typus, bewegen, ist die sinnliche Außengestalt des Geistes und der Naturdinge.

Nun hat aber der geistige Inhalt, als wesentlich dem Innern des Bewußtseins angehörig, an dem bloßen Elemente der äußeren Erscheinung und dem Anschauen, welchem die Außengestalt sich darbietet, ein für das Innere zugleich fremdes Dasein, aus dem die Kunst ihre Konzeptionen deshalb wieder herausziehen muß, um sie in ein Bereich hineinzuverlegen, das sowohl dem Material als der Ausdrucksart nach für sich selbst innerlicher und ideeller Art ist.
Dies war der Schritt, welchen wir die Musik vorwärts tun sahen, insofern sie das Innerliche als solches und die subjektive Empfindung statt in anschaubaren Gestalten in den Figurationen des in sich erzitternden Klingens für das Innere machte.
Doch trat auch sie dadurch in ein anderes Extrem, in die unexplizierte subjektive Konzentration herüber, deren Inhalt in den Tönen eine nur selbst wieder symbolische Äußerung fand.
Denn der Ton für sich genommen ist inhaltslos und hat seine Bestimmtheit in Zahlenverhältnissen, so daß nun das Qualitative des geistigen Gehalts diesen quantitativen Verhältnissen, welche sich zu wesentlichen Unterschieden, Gegensätzen und Vermittlung auftun, wohl im allgemeinen entspricht, in seiner qualitativen Bestimmtheit aber nicht durch den Ton vollständig kann ausgeprägt werden.
Soll daher diese Seite nicht durchaus fehlen, so muß sich die Musik ihrer Einseitigkeit wegen die genauere Bezeichnung des Wortes zu Hilfe rufen und fordert zum festeren Anschluß an die Besonderheit und den charakteristischen Ausdruck des Inhalts einen Text, der für das Subjektive, das sich durch die Töne hin ergießt, erst die nähere Erfüllung gibt.
Durch dieses Aussprechen von Vorstellungen und Empfindungen stellt sich nun zwar die abstrakte Innerlichkeit der Musik zu einer klareren und festeren Explikation heraus;
was aber von ihr ausgebildet wird, ist teils nicht die Seite der Vorstellung und deren kunstgemäße Form, sondern nur die begleitende Innerlichkeit als solche, teils entschlägt die Musik sich überhaupt der Verbindung mit dem Wort, um sich in ihrem eigenen Kreise des Tönens hemmungslos umherzubewegen.
Dadurch trennt sich das Bereich der Vorstellung, die nicht bei der abstrakteren Innerlichkeit als solcher stehenbleibt, sondern ihre Welt sich als eine konkrete Wirklichkeit ausgestaltet, auch ihrerseits gleichfalls von der Musik los und gibt sich in der Dichtkunst für sich eine kunstgemäße Existenz.

Die Poesie nun, die redende Kunst, ist das dritte, die Totalität, welche die Extreme der bildenden Künste und der Musik auf einer höheren Stufe, in dem Gebiete der geistigen Innerlichkeit selber, in sich vereinigt.
Denn einerseits enthält die Dichtkunst wie die Musik das Prinzip des Sichvernehmens des Inneren als Inneren, das der Baukunst, Skulptur und Malerei abgeht; andererseits breitet sie sich im Felde des inneren Vorstellens, Anschauens und Empfindens selber zu einer objektiven Welt aus, welche die Bestimmtheit der Skulptur und Malerei nicht durchaus verliert und die Totalität einer Begebenheit, eine Reihenfolge, einen Wechsel von Gemütsbewegungen, Leidenschaften, Vorstellungen und den abgeschlossenen Verlauf einer Handlung vollständiger als irgendeine andere Kunst zu entfalten befähigt ist.

2. Näher aber macht die Poesie die dritte Seite zur Malerei und Musik als den romantischen Künsten aus.

α) Teils nämlich ist ihr Prinzip überhaupt das der Geistigkeit, die sich nicht mehr zur schweren Materie als solcher herauswendet, um dieselbe wie die Architektur zur analogen Umgebung des Inneren symbolisch zu formen oder wie die Skulptur die dem Geist zugehörige Naturgestalt als räumliche Äußerlichkeit in die reale Materie hineinzubilden, sondern den Geist mit allen seinen Konzeptionen der Phantasie und Kunst, ohne dieselben für die äußere Anschauung sichtbar und leiblich herauszustellen, unmittelbar für den Geist ausspricht.
Teils vermag die Poesie nicht nur das subjektive Innere, sondern auch das Besondere und Partikuläre des äußeren Daseins in einem noch reichhaltigeren Grade als Musik und Malerei sowohl in Form der Innerlichkeit zusammenzufassen als auch in der Breite einzelner Züge und zufälliger Eigentümlichkeiten auseinanderzulegen.

b) Als Totalität jedoch ist die Poesie nach der anderen Seite von den bestimmten Künsten, deren Charakter sie in sich verbindet, auch wieder wesentlich zu unterscheiden.

α) Was in dieser Rücksicht die Malerei angeht, so bleibt sie überall da im Vorteil, wo es darauf ankommt, einen Inhalt auch seiner äußeren Erscheinung nach vor die Anschauung zu bringen.
Denn die Poesie vermag zwar gleichfalls durch mannigfache Mittel ganz ebenso zu veranschaulichen, wie in der Phantasie überhaupt das Prinzip des Herausstellens für die Anschauung liegt; insofern aber die Vorstellung, in deren Elemente die Poesie sich vornehmlich bewegt, geistiger Natur ist und ihr deshalb die Allgemeinheit des Denkens zugute kommt, ist sie die Bestimmtheit der sinnlichen Anschauung zu erreichen unfähig. Auf der anderen Seite fallen in der Poesie die verschiedenen Züge, welche sie, um uns die konkrete Gestalt eines Inhalts anschaubar zu machen, herbeiführt, nicht wie in der Malerei als ein und dieselbe Totalität zusammen, die vollständig als ein Zugleich aller ihrer Einzelheiten vor uns dasteht, sondern gehen auseinander, da die Vorstellung das Vielfache, das sie enthält, nur als Sukzession geben kann.
Doch ist dies nur ein Mangel nach der sinnlichen Seite hin, den der Geist wieder zu ersetzen imstande bleibt. Indem nämlich die Rede auch da, wo sie eine konkrete Anschauung hervorzurufen bemüht ist, sich nicht an das sinnliche Aufnehmen einer vorhandenen Äußerlichkeit, sondern immer an das Innere, an die geistige Anschauung wendet, so sind die einzelnen Züge, wenn sie auch nur aufeinanderfolgen, doch in das Element des in sich einigen Geistes versetzt, der das Nacheinander zu tilgen, die bunte Reihe zu einem Bilde zusammenzuziehen und dies Bild in der Vorstellung festzuhalten und zu genießen weiß. Außerdem kehrt sich dieser Mangel an sinnlicher Realität und äußerlicher Bestimmtheit für die Poesie der Malerei gegenüber sogleich zu einem unberechenbaren Überfluß um.
Denn indem sich die Dichtkunst der malerischen Beschränkung auf einen bestimmten Raum und mehr noch auf einen bestimmten Moment einer Situation oder Handlung entreißt, so wird ihr dadurch die Möglichkeit geboten, einen Gegenstand in seiner ganzen innerlichen Tiefe wie in der Breite seiner zeitlichen Entfaltung darzustellen.
Das Wahrhaftige ist schlechthin konkret in dem Sinne, daß es eine Einheit wesentlicher Bestimmungen in sich faßt. Als erscheinend aber entwickeln sich dieselben nicht nur im Nebeneinander des Raums, sondern in einer zeitlichen Folge als eine Geschichte, deren Verlauf die Malerei nur in ungehöriger Weise zu vergegenwärtigen vermag. Schon jeder Halm, jeder Baum hat in diesem Sinne seine Geschichte, eine Veränderung, Folge und abgeschlossene Totalität unterschiedener Zustände. Mehr noch ist dies im Gebiete des Geistes der Fall, der als wirklicher, erscheinender Geist erschöpfend nur kann dargestellt werden, wenn er uns als solch ein Verlauf vor die Vorstellung kommt.

β) Mit der Musik hat, wie wir sahen, die Poesie als äußerliches Material das Tönen gemeinschaftlich. Die ganz äußerliche, im schlechten Sinne des Wortes objektive Materie verfliegt in der Stufenfolge der besonderen Künste zuletzt in dem subjektiven Elemente des Klangs, der sich der Sichtbarkeit entzieht und das Innere nur dem Inneren vernehmbar macht. Für die Musik aber ist die Gestaltung dieses Tönens als Tönens der wesentliche Zweck.
Denn obschon die Seele in dem Gang und Lauf der Melodie und ihrer harmonischen Grundverhältnisse das Innere der Gegenstände oder ihr eigenes Inneres sich zur Empfindung bringt, so ist es doch nicht das Innere als solches, sondern die mit ihrem Tönen aufs innigste verwebte Seele, die Gestaltung dieses musikalischen Ausdrucks, was der Musik ihren eigentlichen Charakter gibt.
Dies ist so sehr der Fall, daß die Musik, je mehr in ihr die Einlebung des Inneren in das Bereich der Töne statt des Geistigen als solchen überwiegt, um so mehr zur Musik und selbständigen Kunst wird. Deshalb aber ist sie auch nur in relativer Weise befähigt, die Mannigfaltigkeit geistiger Vorstellungen und Anschauungen, die weite Ausbreitung des in sich erfüllten Bewußtseins in sich aufzunehmen, und bleibt in ihrem Ausdruck bei der abstrakteren Allgemeinheit dessen, was sie als Inhalt ergreift, und der unbestimmteren Innigkeit des Gemüts stehen. In demselben Grade nun, in welchem der Geist sich die abstraktere Allgemeinheit zu einer konkreten Totalität der Vorstellungen, Zwecke, Handlungen, Ereignisse ausbildet und zu deren Gestaltung sich auch die vereinzelnde Anschauung beigibt, verläßt er nicht nur die bloß empfindende Innerlichkeit und arbeitet dieselbe zu einer gleichfalls im Innern der Phantasie selber entfalteten Welt objektiver Wirklichkeit heraus, sondern muß es nun eben dieser Ausgestaltung wegen aufgeben, den dadurch neu gewonnenen Reichtum des Geistes auch ganz und ausschließlich durch Tonverhältnisse ausdrücken zu wollen. Wie das Material der Skulptur zu arm ist, um die volleren Erscheinungen, welche die Malerei ins Leben zu rufen die Aufgabe hat, in sich darstellen zu können, so sind jetzt auch die Tonverhältnisse und der melodische Ausdruck nicht mehr imstande, die dichterischen Phantasiegebilde vollständig zu realisieren. Denn diese haben teils die genauere bewußte Bestimmtheit von Vorstellungen, teils die für die innere Anschauung ausgeprägte Gestalt äußerlicher Erscheinung.
Der Geist zieht deshalb seinen Inhalt aus dem Tone als solchem heraus und gibt sich durch Worte kund, die zwar das Element des Klanges nicht ganz verlassen,
aber zum bloß äußeren Zeichen der Mitteilung herabsinken.
Durch diese Erfüllung nämlich mit geistigen Vorstellungen wird der Ton zum Wortlaut und das Wort wiederum aus einem Selbstzwecke zu einem für sich selbständigkeitslosen Mittel geistiger Äußerung. Dies bringt nach dem, was wir schon früher feststellten, den wesentlichen Unterschied von Musik und Poesie hervor.
Der Inhalt der redenden Kunst ist die gesamte Welt der phantasiereich ausgebildeten Vorstellungen, das bei sich selbst seiende Geistige, das in diesem geistigen Elemente bleibt und, wenn es zu einer Äußerlichkeit sich hinausbewegt, dieselbe nur noch als ein von dem Inhalte selber verschiedenes Zeichen benutzt. Mit der Musik gibt die Kunst die Einsenkung des Geistigen in eine auch sinnlich sichtbare, gegenwärtige Gestalt auf; in der Poesie verläßt sie auch das entgegengesetzte Element des Tönens und Vernehmens wenigstens insoweit, als dieses Tönen nicht mehr zur gemäßen Äußerlichkeit und dem alleinigen Ausdruck des Inhalts umgestaltet wird.
Das Innere äußert sich daher wohl, aber es will in der wenn auch ideelleren Sinnlichkeit des Tons nicht sein wirkliches Dasein finden, das es allein in sich selber sucht, um den Gehalt des Geistes, wie er im Innern der Phantasie als Phantasie ist, auszusprechen.

c) Sehen wir uns drittens endlich nach dem eigentümlichen Charakter der Poesie in diesem Unterschiede von Musik und Malerei sowie den übrigen bildenden Künsten um, so liegt derselbe einfach in der eben angedeuteten Herabsetzung der sinnlichen Erscheinungsweise und Ausgestaltung alles poetischen Inhalts.
Wenn nämlich der Ton nicht mehr wie in der Musik oder wie die Farbe in der Malerei den ganzen Inhalt in sich aufnimmt und darstellt, so fällt hier notwendig die musikalische Behandlung desselben nach seiten des Taktes sowie der Harmonie und Melodie fort und läßt nur noch im allgemeinen die Figuration des Zeitmaßes der Silben und Wörter sowie den Rhythmus, Wohlklang usf. übrig, und zwar nicht als das eigentliche Element für den Inhalt, sondern als eine akzidentellere Äußerlichkeit, welche eine Kunstform nur noch annimmt, weil die Kunst keine Außenseite sich schlechthin zufällig nach eigenem Belieben ergehen lassen darf.

α) Bei dieser Zurückziehung des geistigen Inhalts aus dem sinnlichen Material fragt es sich nun sogleich, was denn jetzt in der Poesie, wenn es der Ton nicht sein soll, die eigentliche Äußerlichkeit und Objektivität ausmachen werde.
Wir können einfach antworten: das innere Vorstellen und Anschauen selbst.
Die geistigen Formen sind es, die sich an die Stelle des Sinnlichen setzen und das zu gestaltende Material, wie früher Marmor, Erz, Farbe und die musikalischen Töne, abgeben. Denn wir müssen uns hier nicht dadurch irreführen lassen, daß man sagen kann, Vorstellungen und Anschauungen seien ja der Inhalt der Poesie.
Dies ist allerdings, wie sich später noch ausführlicher zeigen wird, richtig; ebenso wesentlich steht aber auch zu behaupten, daß die Vorstellung, die Anschauung, Empfindung usf. die spezifischen Formen seien, in denen von der Poesie jeder Inhalt gefaßt und zur Darstellung gebracht wird, so daß diese Formen, da die sinnliche Seite der Mitteilung das nur Beiherspielende bleibt, das eigentliche Material liefern, welches der Dichter künstlerisch zu behandeln hat.
Die Sache, der Inhalt soll zwar auch in der Poesie zur Gegenständlichkeit für den Geist gelangen; die Objektivität jedoch vertauscht ihre bisherige äußere Realität mit der inneren und erhält ein Dasein nur im Bewußtsein selbst, als etwas bloß geistig Vorgestelltes und Angeschautes.
Der Geist wird so auf seinem eigenen Boden sich gegenständlich und hat das sprachliche Element nur als Mittel, teils der Mitteilung, teils der unmittelbaren Äußerlichkeit, aus welcher er als aus einem bloßen Zeichen von Hause aus in sich zurückgegangen ist.
Deshalb bleibt es auch für das eigentlich Poetische gleichgültig, ob ein Dichtwerk gelesen oder angehört wird, und es kann auch ohne wesentliche Verkümmerung seines Wertes in andere Sprachen übersetzt, aus gebundener in ungebundene Rede übertragen und somit in ganz andere Verhältnisse des Tönens gebracht werden.

β) Weiter nun zweitens fragt es sich, für was denn das innere Vorstellen als Material und Form in der Poesie anzuwenden sei.
Für das an und für sich Wahrhafte der geistigen Interessen überhaupt, doch nicht nur für das Substantielle derselben in ihrer Allgemeinheit symbolischer Andeutung oder klassischen Besonderung, sondern ebenso für alles Spezielle auch und Partikuläre, was in diesem Substantiellen liegt, und damit für alles fast, was den Geist auf irgendeine Weise interessiert und beschäftigt. Die redende Kunst hat deswegen in Ansehung ihres Inhalts sowohl als auch der Weise, denselben zu exponieren, ein unermeßliches und weiteres Feld als die übrigen Künste. Jeder Inhalt, alle geistigen und natürlichen Dinge, Begebenheiten, Geschichten, Taten, Handlungen, innere und äußere Zustände lassen sich in die Poesie hineinziehen und von ihr gestalten.

γ) Dieser verschiedenartigste Stoff nun aber wird nicht schon dadurch, daß er überhaupt in die Vorstellung aufgenommen ist, poetisch, denn auch das gewöhnliche Bewußtsein kann sich ganz denselben Gehalt zu Vorstellungen ausbilden und zu Anschauungen vereinzeln,
ohne daß etwas Poetisches zustande kommt. In dieser Rücksicht nannten wir die Vorstellung vorhin nur das Material und Element, das erst, insofern es durch die Kunst eine neue Gestalt annimmt zu einer der Poesie gemäßen Form wird, wie auch Farbe und Ton nicht unmittelbar als Farbe und Ton bereits malerisch und musikalisch sind.
Wir können diesen Unterschied allgemein so fassen, daß es nicht die Vorstellung als solche, sondern die künstlerische Phantasie sei, welche einen Inhalt poetisch mache, wenn nämlich die Phantasie denselben so ergreift, daß er sich, statt als architektonische, skulpturmäßig-plastische und malerische Gestalt dazustehen oder als musikalische Töne zu verklingen, in der Rede, in Worten und deren sprachlich schöner Zusammenfügung mitteilen läßt.

Die nächste Forderung, welche hierdurch notwendig wird, beschränkt sich einerseits darauf, daß der Inhalt weder in den Verhältnissen des verständigen oder spekulativen Denkens noch in der Form wortloser Empfindung oder bloß äußerlich sinnlicher Deutlichkeit und Genauigkeit aufgefaßt sei, andererseits, daß er nicht in der Zufälligkeit, Zersplitterung und Relativität der endlichen Wirklichkeit überhaupt in die Vorstellung eingehe.
Die poetische Phantasie hat in dieser Rücksicht einmal die Mitte zu halten zwischen der abstrakten Allgemeinheit des Denkens und der sinnlich-konkreten Leiblichkeit, soweit wir letztere in den Darstellungen der bildenden Künste haben kennenlernen; das andere Mal muß sie überhaupt den Forderungen Genüge tun, welche wir im ersten Teile bereits für jedes Kunstgebilde aufstellten, d. h. sie muß in ihrem Inhalte Zweck für sich selbst sein und alles, was sie ergreifen mag, in rein theoretischem Interesse als eine in sich selbständige, in sich geschlossene Welt ausbilden. Denn nur in diesem Falle ist, wie die Kunst es verlangt, der Inhalt durch die Art seiner Darstellung ein organisches Ganzes, das in seinen Teilen den Anschein eines engen Zusammenhangs und Zusammenhalts gibt und der Welt relativer Abhängigkeiten gegenüber frei für sich nur um seiner selbst willen dasteht.

3. Der letzte Punkt, den wir noch schließlich in Rücksicht auf den Unterschied der Poesie von den übrigen Künsten zu besprechen haben, betrifft gleichfalls das veränderte Verhältnis, in welches die dichterische Phantasie ihre Gebilde zu dem äußeren Material der Darstellung bringt.

Die bisher betrachteten Künste machten vollständig Ernst mit dem sinnlichen Element, in welchem sie sich bewegten, insofern sie dem Inhalt nur eine Gestalt gaben, welche durchweg konnte von den aufgetürmten schweren Massen, dem Erz, Marmor, Holz, den Farben und Tönen aufgenommen und ausgeprägt werden. Nun hat in gewissem Sinne freilich auch die Poesie eine ähnliche Pflicht zu erfüllen. Denn sie muß dichtend stets darauf bedacht sein, daß ihre Gestaltungen nur durch die sprachliche Mitteilung dem Geiste kundwerden sollen. Dennoch verändert sich hier das ganze Verhältnis.

a) Bei der Wichtigkeit nämlich, welche die sinnliche Seite in den bildenden Künsten und der Musik erhält, entspricht nun, der spezifischen Bestimmtheit dieses Materials wegen, auch nur ein begrenzter Kreis von Darstellungen vollständig dem besonderen, realen Dasein in Stein, Farbe oder Ton, so daß dadurch der Inhalt und die künstlerische Auffassungsweise der bisher betrachteten Künste in gewisse Schranken eingehegt wird.
Dies war der Grund, weshalb wir jede der bestimmten Künste nur mit irgendeiner der besonderen Kunstformen, zu deren gemäßer Ausdrückung diese und nicht auch die andere Kunst am fähigsten erschien, in engen Zusammenhang brachten: die Architektur mit dem Symbolischen, die Skulptur mit dem Klassischen, Malerei und Musik mit der romantischen Form.
Zwar griffen die besonderen Künste diesseits und jenseits ihres eigentlichen Bereichs auch in die anderen Kunstformen hinüber, weshalb wir ebenso von klassischer und romantischer Baukunst, von symbolischer und christlicher Skulptur sprechen konnten und auch der klassischen Malerei und Musik Erwähnung tun mußten; diese Abzweigungen aber waren, statt den eigentlichen Gipfel zu erreichen, teils nur vorbereitende Versuche untergeordneter Anfänge, oder sie zeigten ein beginnendes Überschreiten einer Kunst, in welchem dieselbe einen Inhalt und eine Behandlungsweise des Materials ergriff, deren Typus vollständig auszubilden erst einer weiteren Kunst erlaubt war.
- Am ärmsten in dem Ausdrucke ihres Inhalts überhaupt ist die Architektur, reichhaltiger schon die Skulptur, während sich der Umfang der Malerei und Musik am weitesten auszudehnen vermag. Denn mit der steigenden Idealität und vielseitigeren Partikularisierung des äußeren Materials vermehrt sich die Mannigfaltigkeit sowohl des Inhalts als auch der Formen, die derselbe annimmt.
Die Poesie nun streift sich von solcher Wichtigkeit des Materials überhaupt in der Weise los, daß die Bestimmtheit ihrer sinnlichen Äußerungsart keinen Grund mehr für die Beschränkung auf einen spezifischen Inhalt und abgegrenzten Kreis der Auffassung und Darstellung abgeben kann. Sie ist deshalb auch an keine bestimmte Kunstform ausschließlicher gebunden, sondern wird die allgemeine Kunst, welche jeden Inhalt, der nur überhaupt in die Phantasie einzugehen imstande ist, in jeder Form gestalten und aussprechen kann, da ihr eigentliches Material die Phantasie selber bleibt, diese allgemeine Grundlage aller besonderen Kunstformen und einzelnen Künste.

Das Ähnliche haben wir bereits in einem anderen Gebiet beim Schlusse der besonderen Kunstformen gesehen, deren letzten Standpunkt wir darin suchten, daß die Kunst sich von der speziellen Darstellungsweise in einer ihrer Formen unabhängig machte und über dem Kreise dieser Totalität von Besonderheiten stand.
Die Möglichkeit solch einer allseitigen Ausbildung liegt unter den bestimmten Künsten von Hause aus allein im Wesen der Poesie und betätigt sich deshalb im Verlauf der dichterischen Produktion teils durch die wirkliche Ausgestaltung jeder besonderen Form, teils durch die Befreiung aus der Befangenheit in dem für sich abgeschlossenen Typus des entweder symbolischen oder klassischen und romantischen Charakters der Auffassung und des Inhalts.

b) Hieraus läßt sich nun auch zugleich die Stellung rechtfertigen, welche wir der Dichtkunst in der wissenschaftlichen Entwicklung gegeben haben.
Denn da die Poesie sich mehr, als dies in irgendeiner der anderen Produktionsweisen von Kunstwerken der Fall sein kann, mit dem Allgemeinen der Kunst als solcher zu tun macht,
so könnte es scheinen, daß die wissenschaftliche Erörterung mit ihr zu beginnen habe,
um dann erst in die Besonderung einzugehen, zu welcher das spezifische sinnliche Material die übrigen Künste auseinandertreten läßt.
Nach dem jedoch, was wir bereits bei den besonderen Kunstformen gesehen haben, besteht der philosophische Entfaltungsgang einerseits in einer Vertiefung des geistigen Gehalts, andererseits in dem Erweis, daß die Kunst ihren gemäßen Inhalt zunächst nur suche, sodann ihn finde und endlich überschreite.
Dieser Begriff des Schönen und der Kunst muß sich nun ebenso auch in den Künsten selbst geltend machen. Wir begannen deshalb mit der Architektur, welche der vollständigen Darstellung des Geistigen in einem sinnlichen Element nur zustrebt, so daß die Kunst bei der echten Ineinsbildung erst durch die Skulptur anlangt und mit der Malerei und Musik um der Innerlichkeit und Subjektivität ihres Gehalts willen die vollbrachte Einigung sowohl nach seiten der Konzeption als der sinnlichen Ausführung wieder aufzulösen beginnt.
Diesen letzteren Charakter nun stellt die Poesie am schärfsten heraus, insofern sie in ihrer Kunstverkörperung wesentlich als ein Herausgehen aus der realen Sinnlichkeit und Herabsetzen derselben, nicht aber als ein Produzieren zu fassen ist, das in die Verleiblichung und Bewegung im Äußerlichen noch nicht einzugehen wagt.
Um diese Befreiung wissenschaftlich explizieren zu können, muß aber das vorher schon erörtert sein, wovon die Kunst sich loszumachen unternimmt.
In der gleichen Weise verhält es sich mit dem Umstande, daß die Poesie die Totalität des Inhalts und der Kunstformen in sich aufzunehmen imstande ist. Auch dies haben wir als das Erringen einer Totalität anzusehen, das wissenschaftlich nur als Aufheben der Beschränktheit im Besonderen kann dargetan werden, wozu wiederum die vorausgegangene Betrachtung der Einseitigkeiten gehört, deren alleinige Gültigkeit durch die Totalität negiert wird.

Nur durch diesen Gang der Betrachtung ergibt sich dann auch die Poesie als diejenige besondere Kunst, an welcher zugleich die Kunst selbst sich aufzulösen beginnt und für das philosophische Erkennen ihren Übergangspunkt zur religiösen Vorstellung als solcher sowie zur Prosa des wissenschaftlichen Denkens erhält.
Die Grenzgebiete der Welt des Schönen sind, wie wir früher sahen, auf der einen Seite die Prosa der Endlichkeit und des gewöhnlichen Bewußtseins, aus der die Kunst sich zur Wahrheit herausringt, auf der anderen Seite die höheren Sphären der Religion und Wissenschaft, in welche sie zu einem sinnlichkeitsloseren Erfassen des Absoluten übergeht.

c) Wie vollständig deshalb auch die Poesie die ganze Totalität des Schönen noch einmal in geistigster Weise produziert, so macht dennoch die Geistigkeit gerade zugleich den Mangel dieses letzten Kunstgebiets aus.
Wir können innerhalb des Systems der Künste die Dichtkunst in dieser Rücksicht der Architektur direkt entgegenstellen. Die Baukunst nämlich vermag das objektive Material dem geistigen Gehalt noch nicht so zu unterwerfen, daß sie dasselbe zur adäquaten Gestalt des Geistes zu formieren imstande wäre; die Poesie umgekehrt geht in der negativen Behandlung ihres sinnlichen Elementes so weit, daß sie das Entgegengesetzte der schweren räumlichen Materie, den Ton, statt ihn, wie es die Baukunst mit ihrem Material tut, zu einem andeutenden Symbol zu gestalten, vielmehr zu einem bedeutungslosen Zeichen herabbringt.
Dadurch löst sie aber die Verschmelzung der geistigen Innerlichkeit und des äußeren Daseins in einem Grade auf, welcher dem ursprünglichen Begriffe der Kunst nicht mehr zu entsprechen anfängt, so daß nun die Poesie Gefahr läuft, sich überhaupt aus der Region des Sinnlichen ganz in das Geistige hineinzuverlieren. Die schöne Mitte zwischen diesen Extremen der Baukunst und Poesie halten die Skulptur, Malerei und Musik, indem jede dieser Künste den geistigen Gehalt noch ganz in ein natürliches Element hineinarbeitet und gleichmäßig den Sinnen wie dem Geiste erfaßbar macht.
Denn obschon Malerei und Musik als die romantischen Künste ein bereits ideelleres Material ergreifen, so ersetzen sie dennoch die Unmittelbarkeit des Daseins, die sich in dieser gesteigerten Idealität zu verflüchtigen beginnt, auf der anderen Seite wiederum durch die Fülle der Partikularität und die mannigfaltigere Gestaltbarkeit, deren die Farbe und der Ton sich in reicherer Weise, als es für das Material der Skulptur erforderlich ist, fähig erweisen.

Die Poesie sucht nun zwar ihrerseits gleichfalls nach einem Ersatz, insofern sie die objektive Welt in einer Breite und Vielseitigkeit vor Augen bringt, welche selbst die Malerei, wenigstens in ein und demselben Werke, nicht zu erreichen weiß; doch dies bleibt immer nur eine Realität des inneren Bewußtseins, und wenn die Poesie auch im Bedürfnis der Kunstverkörperung auf einen verstärkten sinnlichen Eindruck losgeht, so vermag sie doch denselben teils nur durch die von der Musik und Malerei erborgten, ihr selbst aber fremden Mittel zustande zu bringen, teils muß sie, um sich selbst als echte Poesie zu erhalten, diese Schwesterkünste nur immer als dienend hinzutreten lassen und die geistige Vorstellung dagegen, die Phantasie, die zur inneren Phantasie spricht, als eigentliche Hauptsache, um welche es zu tun ist, herausheben.

Soviel im allgemeinen von dem begriffsmäßigen Verhältnis der Poesie zu den übrigen Künsten. Was nun die nähere Betrachtung der Dichtkunst selber angeht, so müssen wir dieselbe nach folgenden Gesichtspunkten ordnen.

Wir haben gesehen, daß in der Poesie das innere Vorstellen selbst sowohl den Inhalt als auch das Material abgibt. Indem das Vorstellen jedoch auch außerhalb der Kunst bereits die geläufigste Weise des Bewußtseins ist, so müssen wir uns zunächst der Aufgabe unterziehen, die poetische Vorstellung von der prosaischen abzuscheiden.
Bei diesem inneren poetischen Vorstellen allein darf aber die Dichtkunst nicht stehenbleiben, sondern muß ihre Gestaltungen dem sprachlichen Ausdruck anvertrauen. Hiernach hat sie wiederum eine doppelte Pflicht zu übernehmen. Einerseits nämlich muß sie bereits ihr inneres Bilden so einrichten, daß es sich der sprachlichen Mitteilung vollständig fügen kann; andererseits darf sie dies sprachliche Element selbst nicht so belassen, wie es von dem gewöhnlichen Bewußtsein gebraucht wird, sondern muß es poetisch behandeln, um sich sowohl in der Wahl und Stellung als auch im Klang der Wörter von der prosaischen Ausdrucksweise zu unterscheiden.

Da sie nun aber, ihrer sprachlichen Äußerung unerachtet, am meisten von den Bedingungen und Schranken frei ist, welche die Besonderheit des Materials den übrigen Künsten auferlegt, so behält die Poesie die ausgedehnteste Möglichkeit, vollständig alle die verschiedenen Gattungen auszubilden, welche das Kunstwerk unabhängig von der Einseitigkeit einer besonderen Kunst annehmen kann, und zeigt deshalb die vollendeteste Gliederung unterschiedener Gattungen der Poesie.

Hiernach haben wir im weiteren Verlauf

erstens vom Poetischen überhaupt und dem poetischen Kunstwerk zu sprechen;

zweitens von dem poetischen Ausdruck;

drittens von der Einteilung der Dichtkunst in epische, lyrische und dramatische Poesie.

 

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