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Inhalt - Übersicht

Einleitung

Erster Teil.
Die Idee des Kunstschönen oder das Ideal

Stellung der Kunst im Verhältnis zur endlichen Wirklichkeit und zur Religion und Philosophie

Zweiter Teil. Entwicklung des Ideals zu den besonderen Formen des Kunstschönen

Dritter Teil.
Das System der einzelnen Künste

Vom “Ende der Kunst” >

Wie nun aber die Kunst in der Natur und den endlichen Gebieten des Lebens ihr Vor hat, ebenso hat sie auch ein Nach, ...  >>>

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Georg Wilhelm Friedrich Hegel
Vorlesungen über die Ästhetik
                          
(1835-1838)                                                              

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c. Wirkung der Musik

Aus dieser Richtung läßt sich nun auch drittens die Macht herleiten, mit welcher die Musik hauptsächlich auf das Gemüt als solches einwirkt, das weder zu verständigen Betrachtungen fortgeht, noch das Selbstbewußtsein zu vereinzelten Anschauungen zerstreut, sondern in der Innigkeit und unaufgeschlossenen Tiefe der Empfindung zu leben gewohnt ist. Denn gerade diese Sphäre, der innere Sinn, das abstrakte Sichselbstvernehmen ist es, was die Musik erfaßt und dadurch auch den Sitz der inneren Veränderungen, das Herz und Gemüt, als diesen einfachen konzentrierten Mittelpunkt des ganzen Menschen, in Bewegung bringt.

α) Die Skulptur besonders gibt ihren Kunstwerken ein ganz für sich bestehendes Dasein, eine sowohl dem Inhalt als auch der äußeren Kunsterscheinung nach in sich beschlossene Objektivität. Ihr Gehalt ist die zwar individuell belebte, doch selbständig auf sich beruhende Substantialität des Geistigen, ihre Form die räumlich totale Gestalt. Deshalb behält auch ein Skulpturwerk als Objekt der Anschauung die meiste Selbständigkeit. Mehr schon, wie wir bereits bei der Betrachtung der Malerei (Bd. III, S. 28) sahen, tritt das Gemälde mit dem Beschauer in einen näheren Zusammenhang, teils des in sich subjektiveren Inhalts wegen, den es darstellt, teils in betreff auf den bloßen Schein der Realität, welchen es gibt und dadurch beweist, daß es nichts für sich Selbständiges, sondern im Gegenteil wesentlich nur für Anderes, für das beschauende und empfindende Subjekt sein wolle. Doch auch vor einem Gemälde noch bleibt uns eine selbständigere Freiheit übrig, indem wir es immer nur mit einem außerhalb vorhandenen Objekt zu tun haben, das durch die Anschauung allein an uns kommt und dadurch erst auf die Empfindung und Vorstellung wirkt. Der Beschauer kann deshalb an dem Kunstwerke selbst hin und her gehen, dies oder das daran bemerken, sich das Ganze, da es ihm standhält, analysieren, vielfache Reflexionen darüber anstellen und sich somit die volle Freiheit für seine unabhängige Betrachtung bewahren.

αα) Das musikalische Kunstwerk dagegen geht zwar als Kunstwerk überhaupt gleichfalls zu dem Beginn einer Unterscheidung von genießendem Subjekt und objektivem Werke fort, indem es in seinen wirklich erklingenden Tönen ein vom Inneren verschiedenes sinnliches Dasein erhält; teils aber steigert sich dieser Gegensatz nicht wie in der bildenden Kunst zu einem dauernden äußerlichen Bestehen im Raume und zur Anschaubarkeit einer fürsichseienden Objektivität, sondern verflüchtigt umgekehrt seine reale Existenz zu einem unmittelbaren zeitlichen Vergehen derselben, - teils macht die Musik nicht die Trennung des äußerlichen Materials von dem geistigen Inhalt wie die Poesie, in welcher die Seite der Vorstellung sich, von dem Ton der Sprache unabhängiger und von dieser Äußerlichkeit unter allen Künsten am meisten abgesondert, in einem eigentümlichen Gange geistiger Phantasiegestalten als solcher ausbildet. Freilich könnte hier bemerkt werden, daß die Musik nach dem, was ich vorhin anführte, umgekehrt wieder die Töne von ihrem Inhalte loslösen und sie dadurch verselbständigen könne; diese Befreiung aber ist nicht das eigentlich Kunstgemäße, das im Gegenteil darin besteht, die harmonische und melodische Bewegung ganz zum Ausdruck des einmal erwählten Inhalts und der Empfindungen zu verwenden, welche derselbe zu erwecken imstande ist. Indem nun der musikalische Ausdruck das Innere selbst, den inneren Sinn der Sache und Empfindung zu seinem Gehalt und den in der Kunst wenigstens nicht zu Raumfiguren fortschreitenden, in seinem sinnlichen Dasein schlechthin vergänglichen Ton hat, so dringt sie mit ihren Bewegungen unmittelbar in den inneren Sitz aller Bewegungen der Seele ein. Sie befängt daher das Bewußtsein, das keinem Objekt mehr gegenübersteht und im Verlust dieser Freiheit von dem fortflutenden Strom der Töne selber mit fortgerissen wird.
Doch ist auch hier, bei den verschiedenartigen Richtungen, zu denen die Musik auseinandertreten kann, eine verschiedenartige Wirkung möglich. Wenn nämlich der Musik ein tieferer Inhalt oder überhaupt ein seelenvollerer Ausdruck abgeht, so kann es geschehen, daß wir uns einerseits ohne weitere innere Bewegung an dem bloß sinnlichen Klang und Wohllaut erfreuen oder auf der anderen Seite mit den Betrachtungen des Verstandes den harmonischen und melodischen Verlauf verfolgen, von welchem das innere Gemüt nicht weiter berührt und fortgeführt wird.
Ja es gibt bei der Musik vornehmlich eine solche bloße Verstandesanalyse, für welche im Kunstwerke nichts anderes vorhanden ist als die Geschicklichkeit eines virtuosen Machwerks. Abstrahieren wir aber von dieser Verständigkeit und lassen uns unbefangen gehen, so zieht uns das musikalische Kunstwerk ganz in sich hinein und trägt uns mit sich fort, abgesehen von der Macht, welche die Kunst als Kunst im allgemeinen über uns ausübt. Die eigentümliche Gewalt der Musik ist eine elementarische Macht, d. h. sie liegt in dem Elemente des Tones, in welchem sich hier die Kunst bewegt.

ββ) Von diesem Elemente wird das Subjekt nicht nur dieser oder jener Besonderheit nach ergriffen oder bloß durch einen bestimmten Inhalt gefaßt, sondern seinem einfachen Selbst, dem Zentrum seines geistigen Daseins nach in das Werk hineingehoben und selber in Tätigkeit gesetzt. So haben wir z. B. bei hervorstechenden, leicht fortrauschenden Rhythmen sogleich Lust, den Takt mitzuschlagen, die Melodie mitzusingen, und bei Tanzmusik kommt es einem gar in die Beine: überhaupt das Subjekt ist als diese Person mit in Anspruch genommen.
Bei einem bloß regelmäßigen Tun umgekehrt, das, insoweit es in die Zeit fällt, durch diese Gleichförmigkeit taktmäßig wird und keinen sonstigen weiteren Inhalt hat, fordern wir einerseits eine Äußerung dieser Regelmäßigkeit als solcher, damit dies Tun in einer selbst subjektiven Weise für das Subjekt werde, andererseits verlangen wir eine nähere Erfüllung dieser Gleichheit.
Beides bietet die musikalische Begleitung dar. In solcher Weise wird dem Marsch der Soldaten Musik hinzugefügt, welche das Innere zu der Regel des Marsches anregt, das Subjekt in dies Geschäft versenkt und es harmonisch mit dem, was zu tun ist, erfüllt. In der ähnlichen Art ist ebenso die regellose Unruhe an einer table d'hôte unter vielen Menschen und die unbefriedigende Anregung durch sie lästig; dieses Hinundherlaufen, Klappern, Schwätzen soll geregelt und, da man es nächst dem Essen und Trinken mit der leeren Zeit zu tun hat, die Leerheit ausgefüllt werden. Auch bei dieser Gelegenheit wie bei so vielen anderen tritt die Musik hilfreich ein und wehrt außerdem andere Gedanken, Zerstreuungen und Einfälle ab.

γγ) Hierin zeigt sich zugleich der Zusammenhang des subjektiven Inneren mit der Zeit als solcher, welche das allgemeine Element der Musik ausmacht.
Die Innerlichkeit nämlich als subjektive Einheit ist die tätige Negation des gleichgültigen Nebeneinanderbestehens im Raum und damit negative Einheit. Zunächst aber bleibt diese Identität mit sich ganz abstrakt und leer und besteht nur darin, sich selbst zum Objekt zu machen, doch diese Objektivität, die selbst nur ideeller Art und dasselbe was das Subjekt ist, aufzuheben, um dadurch sich als die subjektive Einheit hervorzubringen. Die gleich ideelle negative Tätigkeit ist in ihrem Bereiche der Äußerlichkeit die Zeit.
Denn erstens tilgt sie das gleichgültige Nebeneinander des Räumlichen und zieht die Kontinuität desselben zum Zeitpunkt, zum Jetzt zusammen.
Der Zeitpunkt aber erweist sich zweitens sogleich als Negation seiner, indem dieses Jetzt, sobald es ist, zu einem anderen Jetzt sich aufhebt und dadurch seine negative Tätigkeit hervorkehrt. Drittens kommt es zwar, der Äußerlichkeit wegen, in deren Elemente die Zeit sich bewegt, nicht zur wahrhaft subjektiven Einheit des ersten Zeitpunkts mit dem anderen, zu dem sich das Jetzt aufhebt, aber das Jetzt bleibt dennoch in seiner Veränderung immer dasselbe; denn jeder Zeitpunkt ist ein Jetzt und von dem anderen, als bloßer Zeitpunkt genommen, ebenso ununterschieden als das abstrakte Ich von dem Objekt, zu dem es sich aufhebt und in demselben, da dies Objekt nur das leere Ich selber ist, mit sich zusammengeht.

Näher nun gehört das wirkliche Ich selber der Zeit an, mit der es, wenn wir von dem konkreten Inhalt des Bewußtseins und Selbstbewußtseins abstrahieren, zusammenfällt, insofern es nichts ist als diese leere Bewegung, sich als ein Anderes zu setzen und diese Veränderung aufzuheben, d. h. sich selbst, das Ich und nur das Ich als solches darin zu erhalten. Ich ist in der Zeit, und die Zeit ist das Sein des Subjekts selber.
Da nun die Zeit und nicht die Räumlichkeit als solche das wesentliche Element abgibt, in welchem der Ton in Rücksicht auf seine musikalische Geltung Existenz gewinnt und die Zeit des Tons zugleich die des Subjekts ist, so dringt der Ton schon dieser Grundlage nach in das Selbst ein, faßt dasselbe seinem einfachsten Dasein nach und setzt das Ich durch die zeitliche Bewegung und deren Rhythmus in Bewegung, während die anderweitige Figuration der Töne, als Ausdruck von Empfindungen, noch außerdem eine bestimmtere Erfüllung für das Subjekt, von welcher es gleichfalls berührt und fortgezogen wird, hinzubringt.

Dies ist es, was sich als wesentlicher Grund für die elementarische Macht der Musik angeben läßt.

β) Daß nun aber die Musik ihre volle Wirkung ausübe, dazu gehört noch mehr als das bloß abstrakte Tönen in seiner zeitlichen Bewegung. Die zweite Seite, die hinzukommen muß, ist ein Inhalt, eine geistvolle Empfindung für das Gemüt, und der Ausdruck, die Seele dieses Inhalts in den Tönen.

Wir dürfen deshalb keine abgeschmackte Meinung
von der Allgewalt der Musik als solcher hegen, von der uns die alten Skribenten, heilige und profane, so mancherlei fabelhafte Geschichten erzählen.
Schon bei den Zivilisationswundern des Orpheus reichten die Töne und deren Bewegung wohl für die wilden Bestien, die sich zahm um ihn herumlagerten, nicht aber für die Menschen aus, welche den Inhalt einer höheren Lehre forderten. Wie denn auch die Hymnen, welche unter Orpheus Namen, wenn auch nicht in ihrer ursprünglichen Gestalt, auf uns gekommen sind, mythologische und sonstige Vorstellungen enthalten.
In der ähnlichen Weise sind auch die Kriegslieder des Tyrtaios berühmt, durch welche, wie erzählt wird, die Lakedämonier, nach so langen vergeblichen Kämpfen zu einer unwiderstehlichen Begeisterung angefeuert, endlich den Sieg gegen die Messenier durchsetzten.
Auch hier war der Inhalt der Vorstellungen, zu welchen diese Elegien anregten, die Hauptsache, obschon auch der musikalischen Seite, bei barbarischen Völkern und in Zeiten tief aufgewühlter Leidenschaften vornehmlich, ihr Wert und ihre Wirkung nicht abzusprechen ist.
Die Pfeifen der Hochländer trugen wesentlich zur Anfeuerung des Mutes bei, und die Gewalt der Marseillaise, des Ça ira usf. in der Französischen Revolution ist nicht zu leugnen.
Die eigentliche Begeisterung aber findet ihren Grund in der bestimmten Idee, in dem wahrhaften Interesse des Geistes, von welchem eine Nation erfüllt ist und das nun durch die Musik zur augenblicklich lebendigeren Empfindung gehoben werden kann, indem die Töne, der Rhythmus, die Melodie das sich dahingebende Subjekt mit sich fortreißen.
In jetziger Zeit aber werden wir die Musik nicht für fähig halten, durch sich selbst schon solche Stimmung des Mutes und der Todesverachtung hervorzubringen. Man hat z. B. heutigentags fast bei allen Armeen recht gute Regimentsmusik, die beschäftigt, abzieht, zum Marsch antreibt, zum Angriff anfeuert.
Aber damit meint man nicht den Feind zu schlagen; durch bloßes Vorblasen und Trommeln kommt der Mut noch nicht, und man müßte viel Posaunen zusammenbringen, ehe eine Festung vor ihrem Schalle zusammenstürzte wie die Mauern von Jericho. Gedankenbegeisterung, Kanonen, Genie des Feldherrn machen's jetzt und nicht die Musik, die nur noch als Stütze für die Mächte gelten kann, welche sonst schon das Gemüt erfüllt und befangen haben.

γ) Eine letzte Seite in Rücksicht auf die subjektive Wirkung der Töne liegt in der Art und Weise, in welcher das musikalische Kunstwerk im Unterschiede von anderen Kunstwerken an uns kommt. Indem nämlich die Töne nicht wie Bauwerke, Statuen, Gemälde für sich einen dauernden objektiven Bestand haben, sondern mit ihrem flüchtigen Vorüberrauschen schon wieder verschwinden, so bedarf das musikalische Kunstwerk einerseits schon dieser bloß momentanen Existenz wegen einer stets wiederholten Reproduktion.
Doch hat die Notwendigkeit solch einer erneuten Verlebendigung noch einen anderen tieferen Sinn. Denn insofern es das subjektive Innere selbst ist, das die Musik sich mit dem Zwecke zum Inhalt nimmt, sich nicht als äußere Gestalt und objektiv dastehendes Werk, sondern als subjektive  Innerlichkeit zur Erscheinung zu bringen, so muß die Äußerung sich auch unmittelbar als Mitteilung eines lebendigen Subjekts ergeben, in welche dasselbe seine ganze eigene Innerlichkeit hineinlegt. Am meisten ist dies im Gesang der menschlichen Stimme, relativ jedoch auch schon in der Instrumentalmusik der Fall, die nur durch ausübende Künstler und deren lebendige, ebenso geistige als technische Geschicklichkeit zur Ausführung zu gelangen vermag.

Durch diese Subjektivität in Rücksicht auf die Verwirklichung des musikalischen Kunstwerks vervollständigt sich erst die Bedeutung des Subjektiven in der Musik, das nun aber nach dieser Richtung hin sich auch zu dem einseitigen Extrem isolieren kann, daß die subjektive Virtuosität der Reproduktion als solcher zum alleinigen Mittelpunkte und Inhalte des Genusses gemacht wird.

Mit diesen Bemerkungen will ich es in betreff auf den allgemeinen Charakter der Musik genug sein lassen.

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