b. Musikalische Auffassung des Inhalts
Fragen wir nun zweitens nach der von den übrigen Künsten unterschiedenen Auffassungsweise, in deren Form die Musik, sei sie begleitend oder von einem bestimmten Text unabhängig, einen besonderen Inhalt ergreifen und ausdrücken kann, so sagte ich bereits früher, daß die Musik unter allen Künsten die meiste Möglichkeit in sich schließe, sich nicht nur von jedem wirklichen Text, sondern auch von dem Ausdruck irgendeines bestimmten Inhalts zu befreien, um sich bloß in einem in sich abgeschlossenen Verlauf von Zusammenstellungen, Veränderungen, Gegensätzen und Vermittlungen zu befriedigen, welche innerhalb des rein musikalischen Bereichs der Töne fallen. Dann bleibt aber die Musik leer, bedeutungslos und ist, da ihr die eine Hauptseite aller Kunst, der geistige Inhalt und Ausdruck abgeht, noch nicht eigentlich zur Kunst zu rechnen. Erst wenn sich in dem sinnlichen Element der Töne und ihrer mannigfaltigen Figuration Geistiges in angemessener Weise ausdrückt, erhebt sich auch die Musik zur wahren Kunst, gleichgültig, ob dieser Inhalt für sich seine nähere Bezeichnung ausdrücklich durch Worte erhalte oder unbestimmter aus den Tönen und deren harmonischen Verhältnissen und melodischer Beseelung müsse empfunden werden.
α) In dieser Rücksicht besteht die eigentümliche Aufgabe der Musik darin, daß sie jedweden Inhalt nicht so für den Geist macht, wie dieser Inhalt als allgemeine Vorstellung im Bewußtsein liegt oder als bestimmte äußere Gestalt für die Anschauung sonst schon vorhanden ist oder durch die Kunst seine gemäßere Erscheinung erhält, sondern in der Weise, in welcher er in der Sphäre der subjektiven Innerlichkeit lebendig wird. Dieses in sich eingehüllte Leben und Weben für sich in Tönen widerklingen zu lassen oder den ausgesprochenen Worten und Vorstellungen hinzuzufügen und die Vorstellungen in dieses Element zu versenken, um sie für die Empfindung und Mitempfindung neu hervorzubringen, ist das der Musik zuzuteilende schwierige Geschäft.
αα) Die Innerlichkeit als solche ist daher die Form, in welcher sie ihren Inhalt zu fassen vermag und dadurch befähigt ist, alles in sich aufzunehmen, was überhaupt in das Innere eingehen und sich vornehmlich in die Form der Empfindung kleiden kann. Hierin liegt dann aber zugleich die Bestimmung, daß die Musik nicht darf für die Anschauung arbeiten wollen, sondern sich darauf beschränken muß, die Innerlichkeit dem Inneren faßbar zu machen, sei es nun, daß sie die substantielle innere Tiefe eines Inhalts als solchen will in die Tiefen des Gemüts eindringen lassen oder daß sie es vorzieht, das Leben und Weben eines Gehalts in einem einzelnen subjektiven Innern darzustellen, so daß ihr diese subjektive Innigkeit selbst zu ihrem eigentlichen Gegenstande wird
ββ) Die abstrakte Innerlichkeit nun hat zu ihrer nächsten Besonderung, mit welcher die Musik in Zusammenhang kommt, die Empfindung, die sich erweiternde Subjektivität des Ich, die zwar zu einem Inhalt fortgeht, denselben aber noch in dieser unmittelbaren Beschlossenheit im Ich und äußerlichkeitslosen Beziehung auf das Ich läßt. Dadurch bleibt die Empfindung immer nur das Umkleidende des Inhalts, und diese Sphäre ist es, welche von der Musik in Anspruch genommen wird.
γγ) Hier breitet sie sich dann zum Ausdruck aller besonderen Empfindungen auseinander, und alle Nuancen der Fröhlichkeit, Heiterkeit, des Scherzes, der Laune, des Jauchzens und Jubelns der Seele, ebenso die Gradationen der Angst, Bekümmernis, Traurigkeit, Klage, des Kummers, des Schmerzes, der Sehnsucht usf. und endlich der Ehrfurcht, Anbetung, Liebe usf. werden zu der eigentümlichen Sphäre des musikalischen Ausdrucks.
β) Schon außerhalb der Kunst ist der Ton als Interjektion, als Schrei des Schmerzes, als Seufzen, Lachen die unmittelbare lebendigste Äußerung von Seelenzuständen und Empfindungen, das Ach und Oh des Gemüts. Es liegt eine Selbstproduktion und Objektivität der Seele als Seele darin, ein Ausdruck, der in der Mitte steht zwischen der bewußtlosen Versenkung und der Rückkehr in sich zu innerlichen bestimmten Gedanken, und ein Hervorbringen, das nicht praktisch, sondern theoretisch ist, wie auch der Vogel in seinem Gesang diesen Genuß und diese Produktion seiner selbst hat.
Der bloß natürliche Ausdruck jedoch der Interjektionen ist noch keine Musik, denn diese Ausrufungen sind zwar keine artikulierten willkürlichen Zeichen von Vorstellungen wie die Sprachlaute und sagen deshalb auch nicht einen vorgestellten Inhalt in seiner Allgemeinheit als Vorstellung aus, sondern geben am Tone und im Tone selber eine Stimmung und Empfindung kund, die sich unmittelbar in dergleichen Töne hineinlegt und dem Herzen durch das Herausstoßen derselben Luft macht; dennoch aber ist diese Befreiung noch keine Befreiung durch die Kunst. Die Musik muß im Gegenteil die Empfindungen in bestimmte Tonverhältnisse bringen und den Naturausdruck seiner Wildheit, seinem rohen Ergehen entnehmen und ihn mäßigen.
γ) So machen die Interjektionen wohl den Ausgangspunkt der Musik, doch sie selbst ist erst Kunst als die kadenzierte Interjektion und hat sich in dieser Rücksicht ihr sinnliches Material in höherem Grade als die Malerei und Poesie künstlerisch zuzubereiten, ehe dasselbe befähigt wird, in kunstgemäßer Weise den Inhalt des Geistes auszudrücken. Die nähere Art und Weise, in welcher das Tonbereich zu solcher Angemessenheit verarbeitet wird, haben wir erst später zu betrachten; für jetzt will ich nur die Bemerkung wiederholen, daß die Töne in sich selbst eine Totalität von Unterschieden sind, die zu den mannigfaltigsten Arten unmittelbarer Zusammenstimmungen, wesentlicher Gegensätze, Widersprüche und Vermittlungen sich entzweien und verbinden können. Diesen Gegensätzen und Einigungen sowie der Verschiedenheit ihrer Bewegungen und Übergänge, ihres Eintretens, Fortschreitens, Kämpfens, Sichauflösens und Verschwindens entspricht in näherer oder entfernterer Beziehung die innere Natur sowohl dieses oder jenes Inhalts als auch der Empfindungen, in deren Form sich Herz und Gemüt solch eines Inhalts bemächtigen, so daß nun dergleichen Tonverhältnisse, in dieser Gemäßheit aufgefaßt und gestaltet, den beseelten Ausdruck dessen geben, was als bestimmter Inhalt im Geist vorhanden ist.
Der inneren einfachen Wesenheit aber eines Inhalts erweist sich das Element des Tones darum verwandter als das bisherige sinnliche Material, weil der Ton, statt sich zu räumlichen Gestalten zu befestigen und als die Mannigfaltigkeit des Neben- und Außereinanders Bestand zu erhalten, vielmehr dem ideellen Bereich der Zeit anheimfällt und deshalb nicht zu dem Unterschiede des einfachen Inneren und der konkreten leiblichen Gestalt und Erscheinung fortgeht. Dasselbe gilt für die Form der Empfindung eines Inhalts, deren Ausdruck der Musik hauptsächlich zukommt. In der Anschauung und Vorstellung nämlich tritt, wie beim selbstbewußten Denken, bereits die notwendige Unterscheidung des anschauenden, vorstellenden, denkenden Ich und des angeschauten, vorgestellten oder gedachten Gegenstandes ein; in der Empfindung aber ist dieser Unterschied ausgelöscht oder vielmehr noch gar nicht herausgestellt, sondern der Inhalt trennungslos mit dem Innern als solchem verwoben. Wenn sich daher die Musik auch als begleitende Kunst mit der Poesie oder umgekehrt die Poesie sich als verdeutlichende Dolmetscherin mit der Musik verbindet, so kann doch die Musik nicht äußerlich veranschaulichen oder Vorstellungen und Gedanken, wie sie als Vorstellungen und Gedanken vom Selbstbewußtsein gefaßt werden, wiedergeben wollen, sondern sie muß, wie gesagt, entweder die einfache Natur eines Inhalts in solchen Tonverhältnissen an die Empfindung bringen, wie sie dem inneren Verhältnis dieses Inhalts verwandt sind, oder näher diejenige Empfindung selber, welche der Inhalt von Anschauungen und Vorstellungen in dem ebenso mitempfindenden als vorstellenden Geiste erregen kann, durch ihre die Poesie begleitenden und verinnigenden Töne auszudrücken suchen.
<Die Musik
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