3. Verhältnis der musikalischen Ausdrucksmittel zu deren Inhalt
Nach Angabe des allgemeinen Charakters der Musik haben wir die besonderen Seiten betrachtet, nach welchen sich die Töne und deren zeitliche Dauer gestalten müssen. Indem wir nun aber mit der Melodie in das Bereich der freien künstlerischen Erfindung und des wirklichen musikalischen Schaffens hereingetreten sind, handelt es sich sogleich um einen Inhalt, der in Rhythmus, Harmonie und Melodie einen kunstgemäßen Ausdruck erhalten soll. Die Feststellung der allgemeinen Arten dieses Ausdrucks gibt nun den letzten Gesichtspunkt, von welchem aus wir jetzt noch auf die verschiedenen Gebiete der Musik einen Blick zu werfen haben. - In dieser Rücksicht ist zunächst folgender Unterschied herauszuheben.
Das eine Mal kann, wie wir schon früher sahen, die Musik begleitend sein, wenn nämlich ihr geistiger Inhalt nicht nur in der abstrakten Innerlichkeit seiner Bedeutung oder als subjektive Empfindung ergriffen wird, sondern so in die musikalische Bewegung eingeht, wie er von der Vorstellung bereits ausgebildet und in Worte gefaßt worden ist. Das andere Mal dagegen reißt die Musik sich von solch einem für sich schon fertigen Inhalte los und verselbständigt sich in ihrem eigenen Felde, so daß sie entweder, wenn sie sich's mit irgendeinem bestimmten Gehalt überhaupt noch zu tun macht, denselben unmittelbar in Melodien und deren harmonische Durcharbeitung einsenkt oder sich auch durch das ganz unabhängige Klingen und Tönen als solches und die harmonische und melodische Figuration desselben zufriedenzustellen weiß. Obschon in einem ganz anderen Felde, kehrt dadurch ein ähnlicher Unterschied zurück, wie wir ihn innerhalb der Architektur als die selbständige und dienende Baukunst gesehen haben. Doch ist die begleitende Musik wesentlich freier und geht mit ihrem Inhalt in eine viel engere Einigung ein, als dies in der Architektur jemals der Fall sein kann.
Dieser Unterschied tut sich nun in der realen Kunst als die Verschiedenartigkeit der Vokal- und Instrumentalmusik hervor. Wir dürfen denselben jedoch nicht in der bloß äußerlichen Weise nehmen, als wenn in der Vokalmusik nur der Klang der menschlichen Stimme, in der Instrumentalmusik dagegen das mannigfaltigere Klingen der übrigen Instrumente verwendet würde; sondern die Stimme spricht singend zugleich Worte aus, welche die Vorstellung eines bestimmten Inhaltes angeben, so daß nun die Musik als gesungenes Wort, wenn beide Seiten - Ton und Wort - nicht gleichgültig und beziehungslos auseinanderfallen sollen, nur die Aufgabe haben kann, den musikalischen Ausdruck diesem Inhalt - der als Inhalt seiner näheren Bestimmtheit nach vor die Vorstellung gebracht ist und nicht mehr der unbestimmteren Empfindung angehörig bleibt -, soweit die Musik es vermag, gemäß zu machen. Insofern aber, dieser Einigung unerachtet, der vorgestellte Inhalt als Text für sich vernehmbar und lesbar ist und sich deshalb auch für die Vorstellung selbst von dem musikalischen Ausdruck unterscheidet, so wird die zu einem Text hinzukommende Musik dadurch begleitend, während in der Skulptur und Malerei der dargestellte Inhalt nicht schon für sich außerhalb seiner künstlerischen Gestalt an die Vorstellung gelangt. Doch müssen wir den Begriff solcher Begleitung auf der anderen Seite ebensowenig im Sinne bloß dienstbarer Zweckmäßigkeit auffassen, denn die Sache verhält sich gerade umgekehrt: der Text steht im Dienste der Musik und hat keine weitere Gültigkeit, als dem Bewußtsein eine nähere Vorstellung von dem zu verschaffen, was sich der Künstler zum bestimmten Gegenstande seines Werks auserwählt hat. Diese Freiheit bewährt die Musik dann vornehmlich dadurch, daß sie den Inhalt nicht etwa in der Weise auffaßt, in welcher der Text denselben vorstellig macht, sondern sich eines Elementes bemächtigt, welches der Anschauung und Vorstellung nicht angehört. In dieser Rücksicht habe ich schon bei der allgemeinen Charakteristik der Musik angedeutet, daß die Musik die Innerlichkeit als solche ausdrücken müsse. Die Innerlichkeit aber kann gedoppelter Art sein. Einen Gegenstand in seiner Innerlichkeit nehmen kann nämlich einerseits heißen, ihn nicht in seiner äußeren Realität der Erscheinung, sondern seiner ideellen Bedeutung nach ergreifen; auf der anderen Seite aber kann damit gemeint sein, einen Inhalt so ausdrücken, wie er in der Subjektivität der Empfindung lebendig ist. Beide Auffassungsweisen sind der Musik möglich. Ich will dies näher vorstellig zu machen versuchen.
In alten Kirchenmusiken, bei einem Crucifixus z. B., sind die tiefen Bestimmungen, welche in dem Begriffe der Passion Christi als dieses göttlichen Leidens, Sterbens und Begrabenwerdens liegen, mehrfach so gefaßt worden, daß sich nicht eine subjektive Empfindung der Rührung, des Mitleidens oder menschlichen einzelnen Schmerzes über dies Begebnis ausspricht, sondern gleichsam die Sache selbst, d. h. die Tiefe ihrer Bedeutung durch die Harmonien und deren melodischen Verlauf hinbewegt. Zwar wird auch in diesem Falle in betreff auf den Hörer für die Empfindung gearbeitet: er soll den Schmerz der Kreuzigung, die Grablegung nicht anschauen, sich nicht nur eine allgemeine Vorstellung davon ausbilden, sondern in seinem innersten Selbst soll er das Innerste dieses Todes und dieser göttlichen Schmerzen durchleben, sich mit dem ganzen Gemüte darein versenken, so daß nun die Sache etwas in ihm Vernommenes wird, das alles übrige auslöscht und das Subjekt nur mit diesem einen erfüllt. Ebenso muß auch das Gemüt des Komponisten, damit das Kunstwerk solch einen Eindruck hervorzubringen die Macht erhalte, sich ganz in die Sache und nur in sie und nicht bloß in das subjektive Empfinden derselben eingelebt haben und nur sie allein in den Tönen für den inneren Sinn lebendig machen wollen.
Umgekehrt kann ich z. B. ein Buch, einen Text, der ein Begebnis erzählt, eine Handlung vorführt, Empfindungen zu Worten ausprägt, lesen und dadurch in meiner eigensten Empfindung höchst aufgeregt werden, Tränen vergießen usf. Dies subjektive Moment der Empfindung, das alles menschliche Tun und Handeln, jeden Ausdruck des inneren Lebens begleiten und nun auch im Vernehmen jeder Begebenheit und Mitanschauen jeder Handlung erweckt werden kann, ist die Musik ganz ebenso zu organisieren imstande und besänftigt, beruhigt, idealisiert dann auch durch ihren Eindruck im Hörer die Mitempfindung, zu der er sich gestimmt fühlt. In beiden Fällen erklingt also der Inhalt für das innere Selbst, welchem die Musik, eben weil sie sich des Subjekts seiner einfachen Konzentration nach bemächtigt, nun ebenso auch die umherschweifende Freiheit des Denkens, Vorstellens, Anschauens und das Hinaussein über einen bestimmten Gehalt zu begrenzen weiß, indem sie das Gemüt in einem besonderen Inhalte festhält, es in demselben beschäftigt und in diesem Kreise die Empfindung bewegt und ausfüllt.
Dies ist der Sinn, in welchem wir hier von begleitender Musik zu sprechen haben, insoweit sie in der angegebenen Weise von dem durch den Text für die Vorstellung bereits hingestellten Inhalt jene Seite der Innerlichkeit ausbildet. Da nun aber die Musik dieser Aufgabe besonders in der Vokalmusik nachzukommen vermag und die menschliche Stimme dann außerdem noch mit Instrumenten verbindet, so ist man gewohnt, gerade die Instrumentalmusik vorzugsweise begleitend zu nennen. Allerdings begleitet dieselbe die Stimme und darf sich dann nicht absolut verselbständigen und die Hauptsache ausmachen wollen; in dieser Verbindung jedoch steht die Vokalmusik direkter noch unter der oben angedeuteten Kategorie eines begleitenden Tönens, indem die Stimme artikulierte Worte für die Vorstellung spricht und der Gesang nur eine neue weitere Modifikation des Inhalts dieser Worte, nämlich eine Ausführung derselben für die innere Gemütsempfindung ist, während bei der Instrumentalmusik als solcher das Aussprechen für die Vorstellung fortfällt und die Musik sich auf die eigenen Mittel ihrer rein musikalischen Ausdrucksweise beschränken muß.
Zu diesen Unterschieden tritt nun endlich noch eine dritte Seite, welche nicht darf übersehen werden. Ich habe nämlich früher bereits darauf hingewiesen, daß die lebendige Wirklichkeit eines musikalischen Werkes immer erst von neuem wieder produziert werden müsse. In den bildenden Künsten stehen die Skulptur und die Malerei in dieser Rücksicht im Vorteil. Der Bildhauer, der Maler konzipiert sein Werk und führt es auch vollständig aus; die ganze Kunsttätigkeit konzentriert sich auf ein und dasselbe Individuum, wodurch das innige Sichentsprechen von Erfindung und wirklicher Ausführung sehr gewinnt. Schlimmer dagegen hat es der Architekt, welcher der Vielgeschäftigkeit eines mannigfach verzweigten Handwerks bedarf, das er anderen Händen anvertrauen muß. Der Komponist nun hat sein Werk gleichfalls fremden Händen und Kehlen zu übergeben, doch mit dem Unterschiede, daß hier die Exekution, von seiten sowohl des Technischen als auch des inneren belebenden Geistes, selbst wieder eine künstlerische und nicht nur handwerksmäßige Tätigkeit fordert. Besonders in dieser Beziehung haben sich gegenwärtig wieder, so wie bereits zur Zeit der älteren italienischen Oper, während in den anderen Künsten keine neuen Entdeckungen gemacht worden sind, in der Musik zwei Wunder aufgetan: eines der Konzeption, das andere der virtuosen Genialität in der Exekution, rücksichtlich welcher sich auch für die größeren Kenner der Begriff dessen, was Musik ist und was sie zu leisten vermag, mehr und mehr erweitert hat.
Hiernach erhalten wir für die Einteilung dieser letzten Betrachtungen folgende Haltpunkte:
Erstens haben wir uns mit der begleitenden Musik zu beschäftigen und zu fragen, zu welchen Ausdrucksweisen eines Inhalts dieselbe im allgemeinen befähigt ist.
Zweitens müssen wir dieselbe Frage nach dem näheren Charakter der für sich selbständigen Musik aufwerfen und
drittens mit einigen Bemerkungen über die künstlerische Exekution schließen.
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