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Inhalt - Übersicht

Einleitung

Erster Teil.
Die Idee des Kunstschönen oder das Ideal

Stellung der Kunst im Verhältnis zur endlichen Wirklichkeit und zur Religion und Philosophie

Zweiter Teil. Entwicklung des Ideals zu den besonderen Formen des Kunstschönen

Dritter Teil.
Das System der einzelnen Künste

Vom “Ende der Kunst” >

Wie nun aber die Kunst in der Natur und den endlichen Gebieten des Lebens ihr Vor hat, ebenso hat sie auch ein Nach, ...  >>>

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Georg Wilhelm Friedrich Hegel
Vorlesungen über die Ästhetik
                          
(1835-1838)                                                              

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c. Die Melodie

Blicken wir auf das zurück, was uns zunächst in Ansehung der besonderen musikalischen Ausdrucksmittel beschäftigt hat,
so betrachteten wir erstens die Gestaltungsweise der  zeitlichen Dauer der Töne in Rücksicht auf Zeitmaß, Takt und Rhythmus. Von hier aus gingen wir zu dem wirklichen Tönen fort, und zwar erstens zum Klang der Instrumente und menschlichen Stimme,
zweitens zur festen Maßbestimmung der Intervalle und zu deren abstrakter Reihenfolge in der Skala und den verschiedenen Tonarten;
drittens zu den Gesetzen der besonderen Akkorde und ihrer Fortbewegung zueinander.
Das letzte Gebiet nun, in welchem die früheren sich in eins bilden und in dieser Identität die Grundlage für die erst wahrhaft freie Entfaltung und Einigung der Töne abgeben, ist die Melodie.

Die Harmonie nämlich befaßt nur die wesentlichen Verhältnisse, welche das Gesetz der Notwendigkeit für die Tonwelt ausmachen, doch nicht selber schon, ebensowenig wie Takt und Rhythmus, eigentliche Musik, sondern nur die substantielle Basis, der gesetzmäßige Grund und Boden sind, auf dem die freie Seele sich ergeht.
Das Poetische der Musik, die Seelensprache, welche die innere Lust und den Schmerz des Gemüts in Töne ergießt und in diesem Erguß sich über die Naturgewalt der Empfindung mildernd erhebt, indem sie das präsente Ergriffensein des Inneren zu einem Vernehmen seiner, zu einem freien Verweilen bei sich selbst macht und dem Herzen eben dadurch die Befreiung von dem Druck der Freuden und Leiden gibt - das freie Tönen der Seele im Felde der Musik ist erst die Melodie. Dies letzte Gebiet, insofern es die höhere poetische Seite der Musik, das Bereich ihrer eigentlich künstlerischen Erfindungen im Gebrauch der bisher betrachteten Elemente ausmacht, ist nun vornehmlich dasjenige, von welchem zu sprechen wäre.
Dennoch aber treten uns hier gerade die schon oben erwähnten Schwierigkeiten in den Weg. Einerseits nämlich gehörte zu einer weitläufigen und begründenden Abhandlung des Gegenstandes eine genauere Kenntnis der Regeln der Komposition und eine ganz andere Kennerschaft der vollendetesten musikalischen Kunstwerke, als ich sie besitze und mir zu verschaffen gewußt habe, da man von den eigentlichen Kennern und ausübenden Musikern - von den letzteren, die häufig die geistlosesten sind, am allerwenigsten - hierüber selten etwas Bestimmtes und Ausführliches hört. Auf der anderen Seite liegt es in der Natur der Musik selbst, daß sich in ihr weniger als in den übrigen Künsten Bestimmtes und Besonderes in allgemeinerer Weise festhalten und herausheben läßt und lassen soll.
Denn wie sehr die Musik auch einen geistigen Inhalt in sich aufnimmt und das Innere dieses Gegenstandes oder die inneren Bewegungen der Empfindung zum Gegenstande ihres Ausdruckes macht, so bleibt dieser Inhalt, eben weil er seiner Innerlichkeit nach gefaßt wird oder als subjektive Empfindung widerklingt, unbestimmter und vager, und die musikalischen Veränderungen sind nicht jedesmal zugleich auch die Veränderung einer Empfindung oder Vorstellung, eines Gedankens oder einer individuellen Gestalt, sondern eine bloß musikalische Fortbewegung, die mit sich selber spielt und dahinein Methode bringt.
Ich will mich deshalb nur auf folgende allgemeine Bemerkungen, die mir interessant scheinen und aufgefallen sind, beschränken.

α) Die Melodie in ihrer freien Entfaltung der Töne schwebt zwar einerseits unabhängig über Takt, Rhythmus und Harmonie, doch hat sie andererseits keine anderen Mittel zu ihrer Verwirklichung als eben die rhythmisch-taktmäßigen Bewegungen der Töne in deren wesentlichen und in sich selbst notwendigen Verhältnissen.
Die Bewegung der Melodie ist daher in diese Mittel ihres Daseins eingeschlossen und darf nicht gegen die der Sache nach notwendige Gesetzmäßigkeit derselben in ihnen Existenz gewinnen wollen. In dieser engen Verknüpfung mit der Harmonie als solcher büßt aber die Melodie nicht etwa ihre Freiheit ein, sondern befreit sich nur von der Subjektivität zufälliger Willkür in launenhaftem Fortschreiten und bizarren Veränderungen und erhält gerade hierdurch erst ihre wahre Selbständigkeit.
Denn die echte Freiheit steht nicht dem Notwendigen als einer fremden und deshalb drückenden und unterdrückenden Macht gegenüber, sondern hat dies Substantielle als das ihr selbst einwohnende, mit ihr identische Wesen, in dessen Forderungen sie deshalb so sehr nur ihren eigenen Gesetzen folgt und ihrer eigenen Natur Genüge tut, daß sie sich erst in dem Abgehen von diesen Vorschriften von sich abwenden und sich selber ungetreu werden würde.
Umgekehrt aber zeigt es sich nun auch, daß Takt, Rhythmus und Harmonie für sich genommen nur Abstraktionen sind, die in ihrer Isolierung keine musikalische Gültigkeit haben, sondern nur durch die Melodie und innerhalb derselben, als Momente und Seiten der Melodie selber, zu einer wahrhaft musikalischen Existenz gelangen können. In dem auf solche Weise in Einklang gebrachten Unterschied von Harmonie und Melodie liegt das Hauptgeheimnis der großen Kompositionen.

β) Was nun in dieser Rücksicht zweitens den besonderen Charakter der Melodie angeht, so scheinen mir folgende Unterschiede von Wichtigkeit zu sein.

αα) Die Melodie kann sich erstens in Ansehung ihres harmonischen Verlaufes auf einen ganz einfachen Kreis von Akkorden und Tonarten beschränken, indem sie sich nur innerhalb jener gegensatzlos zueinanderstimmenden Tonverhältnisse ausbreitet, welche sie dann bloß als Basis behandelt, um in deren Boden nur die allgemeineren Haltpunkte für ihre nähere Figuration und Bewegung zu finden. Liedermelodien z. B., die darum nicht etwa oberflächlich werden, sondern von tiefer Seele des Ausdrucks sein können, lassen sich gewöhnlich so in den einfachsten Verhältnissen der Harmonie hin und her gehen.
Sie setzen die schwierigeren Verwicklungen der Akkorde und Tonarten gleichsam nicht ins Problem, insofern sie sich mit solchen Gängen und Modulierungen begnügen, welche, um ein Zueinanderstimmen zu bewirken, sich nicht zu scharfen Gegensätzen weitertreiben und keine vielfachen Vermittlungen erfordern, ehe die befriedigende Einheit herzustellen ist.
Diese Behandlungsart kann allerdings auch zur Seichtigkeit führen, wie in vielen modernen italienischen und französischen Melodien, deren Harmonienfolge ganz oberflächlicher Art ist, während der Komponist, was ihm von dieser Seite her abgeht, nur durch einen pikanten Reiz des Rhythmus oder durch sonstige Würzen zu ersetzen sucht. Im allgemeinen aber ist die Leerheit der Melodie nicht eine notwendige Wirkung der Einfachheit ihrer harmonischen Basis.

ββ) Ein weiterer Unterschied besteht nun zweitens darin, daß die Melodie sich nicht mehr wie in dem ersten Falle bloß in einer Entfaltung von einzelnen Tönen auf einer relativ für sich als bloßer Grundlage sich fortbewegenden Harmonienfolge entwickelt, sondern daß sich jeder einzelne Ton der Melodie als ein konkretes Ganzes zu einem Akkord ausfüllt und dadurch teils einen Reichtum an Tönen erhält, teils sich mit dem Gange der Harmonie so eng verwebt, daß keine solche bestimmtere Unterscheidung einer sich für sich auslegenden Melodie und einer nur die begleitenden Haltpunkte und den festeren Grund und Boden abgebenden Harmonie mehr zu machen ist. Harmonie und Melodie bleiben dann ein und dasselbe kompakte Ganze, und eine Veränderung in der einen ist zugleich eine notwendige Veränderung in der anderen Seite.
Dies findet z. B. besonders in vierstimmig gesetzten Chorälen statt.
Ebenso kann sich auch ein und dieselbe Melodie mehrstimmig so verweben, daß diese Verschlingung einen Harmoniengang bildet, oder es können auch selbst verschiedene Melodien in der ähnlichen Weise harmonisch ineinandergearbeitet werden, so daß immer das Zusammentreffen bestimmter Töne dieser Melodien eine Harmonie abgibt, wie dies z. B. häufig in Kompositionen von Sebastian Bach vorkommt. Der Fortgang zerlegt sich dann in mannigfach voneinander abweichende Gänge, die selbständig neben- und durcheinander hinzuziehen scheinen, doch eine wesentlich harmonische Beziehung aufeinander behalten, die dadurch wieder ein notwendiges Zusammengehören hereinbringt.

γγ) In solcher Behandlungsweise nun darf nicht nur die tiefere Musik ihre Bewegungen bis an die Grenzen unmittelbarer Konsonanz herantreiben, ja dieselbe, um zu ihr zurückzukehren, vorher sogar verletzen, sondern sie muß im Gegenteil das einfache erste Zusammenstimmen zu Dissonanzen auseinanderreißen. Denn erst in dergleichen Gegensätzen sind die tieferen Verhältnisse und Geheimnisse der Harmonie, in denen eine Notwendigkeit für sich liegt, begründet, und so können die tief eindringenden Bewegungen der Melodie auch nur in diesen tieferen harmonischen Verhältnissen ihre Grundlage finden.
Die Kühnheit der musikalischen Komposition verläßt deshalb den bloß konsonierenden Fortgang, schreitet zu Gegensätzen weiter, ruft alle stärksten Widersprüche und Dissonanzen auf und erweist ihre eigene Macht in dem Aufwühlen aller Mächte der Harmonie, deren Kämpfe sie ebensosehr beschwichtigen zu können und damit den befriedigenden Sieg melodischer Beruhigung zu feiern die Gewißheit hat. Es ist dies ein Kampf der Freiheit und Notwendigkeit: ein Kampf der Freiheit der Phantasie, sich ihren Schwingen zu überlassen, mit der Notwendigkeit jener harmonischen Verhältnisse, deren sie zu ihrer Äußerung bedarf und in welchen ihre eigene Bedeutung liegt.
Ist nun aber die Harmonie, der Gebrauch aller ihrer Mittel, die Kühnheit des Kampfes in diesem Gebrauch und gegen diese Mittel die Hauptsache, so wird die Komposition leicht schwerfällig und gelehrt, insofern ihr entweder die Freiheit der Bewegung wirklich abgeht oder sie wenigstens den vollständigen Triumph derselben nicht heraustreten läßt.

γ) In jeder Melodie nämlich drittens muß sich das eigentlich Melodische, Sangbare, in welcher Art von Musik es sei, als das Vorherrschende, Unabhängige zeigen, das in dem Reichtume seines Ausdrucks sich nicht vergißt und verliert.
Nach dieser Seite hin ist die Melodie zwar die unendliche Bestimmbarkeit und Möglichkeit in Fortbewegung von Tönen, die aber so gehalten sein muß, daß immer ein in sich totales und abgeschlossenes Ganzes vor unserem Sinne bleibt.
Dies Ganze enthält zwar eine Mannigfaltigkeit und hat in sich einen Fortschritt, aber als Totalität muß es fest in sich abgerundet sein und bedarf insofern eines bestimmten Anfangs und Abschlusses, so daß die Mitte nur die Vermittlung jenes Anfangs und dieses Endes ist. Nur als diese Bewegung, die nicht ins Unbestimmte hinausläuft, sondern in sich selbst gegliedert ist und zu sich zurückkehrt, entspricht die Melodie dem freien Beisichsein der Subjektivität, deren Ausdruck sie sein soll, und so allein übt die Musik in ihrem eigentümlichen Elemente der Innerlichkeit, die unmittelbar Äußerung, und der Äußerung, die unmittelbar innerlich wird, die Idealität und Befreiung aus, welche, indem sie zugleich der harmonischen Notwendigkeit gehorcht, die Seele in das Vernehmen einer höheren Sphäre versetzt.

 

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