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a. Die begleitende Musik
Aus dem, was ich bereits oben über die Stellung von Text und Musik zueinander gesagt habe, geht unmittelbar die Forderung hervor, daß in diesem ersten Gebiete sich der musikalische Ausdruck weit strenger einem bestimmten Inhalte anzuschließen habe als da, wo die Musik sich selbständig ihren eigenen Bewegungen und Eingebungen überlassen darf. Denn der Text gibt von Hause aus bestimmte Vorstellungen und entreißt dadurch das Bewußtsein jenem mehr träumerischen Elemente vorstellungsloser Empfindung, in welchem wir uns, ohne gestört zu sein, hier- und dorthin führen lassen und die Freiheit, aus einer Musik dies und das herauszuempfinden, uns von ihr so oder so bewegt zu fühlen, nicht aufzugeben brauchen. In dieser Verwebung nun aber muß sich die Musik nicht zu solcher Dienstbarkeit herunterbringen, daß sie, um in recht vollständiger Charakteristik die Worte des Textes wiederzugeben, das freie Hinströmen ihrer Bewegungen verliert und dadurch, statt ein auf sich selbst beruhendes Kunstwerk zu erschaffen, nur die verständige Künstlichkeit ausübt, die musikalischen Ausdrucksmittel zur möglichst getreuen Bezeichnung eines außerhalb ihrer und ohne sie bereits fertigen Inhaltes zu verwenden. Jeder merkbare Zwang, jede Hemmung der freien Produktion tut in dieser Rücksicht dem Eindrucke Abbruch. Auf der anderen Seite muß sich jedoch die Musik auch nicht, wie es jetzt bei den meisten neueren italienischen Komponisten Mode geworden ist, fast gänzlich von dem Inhalt des Textes, dessen Bestimmtheit dann als eine Fessel erscheint, emanzipieren und sich dem Charakter der selbständigen Musik durchaus nähern wollen. Die Kunst besteht im Gegenteil darin, sich mit dem Sinn der ausgesprochenen Worte, der Situation, Handlung usf. zu erfüllen und aus dieser inneren Beseelung heraus sodann einen seelenvollen Ausdruck zu finden und musikalisch auszubilden. So haben es alle großen Komponisten gemacht. Sie geben nichts den Worten Fremdes, aber sie lassen ebensowenig den freien Erguß der Töne, den ungestörten Gang und Verlauf der Komposition, die dadurch ihrer selbst und nicht bloß der Worte wegen da ist, vermissen.
Innerhalb dieser echten Freiheit lassen sich näher drei verschiedene Arten des Ausdrucks unterscheiden.
α) Den Beginn will ich mit dem machen, was man als das eigentlich Melodische im Ausdruck bezeichnen kann. Hier ist es die Empfindung, die tönende Seele, die für sich selbst werden und in ihrer Äußerung sich genießen soll.
αα) Die menschliche Brust, die Stimmung des Gemüts macht überhaupt die Sphäre aus, in welcher sich der Komponist zu bewegen hat, und die Melodie, dies reine Ertönen des Inneren, ist die eigenste Seele der Musik. Denn wahrhaft seelenvollen Ausdruck erhält der Ton erst dadurch, daß eine Empfindung in ihn hineingelegt wird und aus ihm herausklingt. In dieser Rücksicht ist schon der Naturschrei des Gefühls, der Schrei des Entsetzens z. B., das Schluchzen des Schmerzes, das Aufjauchzen und Trillern übermütiger Lust und Fröhlichkeit usf. höchst ausdrucksvoll, und ich habe deshalb auch oben schon diese Äußerungsweise als den Ausgangspunkt für die Musik bezeichnet, zugleich aber hinzugefügt, daß sie bei der Natürlichkeit als solcher nicht dürfe stehenbleiben. Hierin besonders unterscheiden sich wieder Musik und Malerei. Die Malerei kann oft die schönste und kunstgemäße Wirkung hervorbringen, wenn sie sich ganz in die wirkliche Gestalt, die Färbung und den Seelenausdruck eines vorhandenen Menschen in einer bestimmten Situation und Umgebung hineinlebt und, was sie so ganz durchdrungen und in sich aufgenommen hat, nun auch ganz in dieser Lebendigkeit wiedergibt. Hier ist die Naturtreue, wenn sie mit der Kunstwahrheit zusammentrifft, vollständig an ihrer Stelle. Die Musik dagegen muß den Ausdruck der Empfindungen nicht als Naturausbruch der Leidenschaft wiederholen, sondern das zu bestimmten Tonverhältnissen ausgebildete Klingen empfindungsreich beseelen und insofern den Ausdruck in ein erst durch die Kunst und für sie allein gemachtes Element hineinheben, in welchem der einfache Schrei sich zu einer Folge von Tönen, zu einer Bewegung auseinanderlegt, deren Wechsel und Lauf durch Harmonie gehalten und melodisch abgerundet wird.
ββ) Dies Melodische nun erhält eine nähere Bedeutung und Bestimmung in bezug auf das Ganze des menschlichen Geistes. Die schöne Kunst der Skulptur und Malerei bringt das geistige Innere hinaus zur äußeren Objektivität und befreit den Geist wieder aus dieser Äußerlichkeit des Anschauens dadurch, daß er einerseits sich selbst, Inneres, geistige Produktion darin wiederfindet, während andererseits der subjektiven Besonderheit, dem willkürlichen Vorstellen, Meinen und Reflektieren nichts gelassen wird, indem der Inhalt in seiner ganz bestimmten Individualität hinausgestellt ist. Die Musik hingegen hat, wie wir mehrfach sahen, für solche Objektivität nur das Element des Subjektiven selber, durch welches das Innere deshalb nur mit sich zusammengeht und in seiner Äußerung, in der die Empfindung sich aussingt, zu sich zurückkehrt. Musik ist Geist, Seele, die unmittelbar für sich selbst erklingt und sich in ihrem Sichvernehmen befriedigt fühlt. Als schöne Kunst nun aber erhält sie von seiten des Geistes her sogleich die Aufforderung, wie die Affekte selbst so auch deren Ausdruck zu zügeln, um nicht zum bacchantischen Toben und wirbelnden Tumult der Leidenschaften fortgerissen zu werden oder im Zwiespalt der Verzweiflung stehenzubleiben, sondern im Jubel der Lust wie im höchsten Schmerz noch frei und in ihrem Ergusse selig zu sein. Von dieser Art ist die wahrhaft idealische Musik, der melodische Ausdruck in Palestrina, Durante, Lotti, Pergolesi, Gluck, Haydn, Mozart. Die Ruhe der Seele bleibt in den Kompositionen dieser Meister unverloren; der Schmerz drückt sich zwar gleichfalls aus, doch er wird immer gelöst, das klare Ebenmaß verläuft sich zu keinem Extrem, alles bleibt in gebändigter Form fest zusammen, so daß der Jubel nie in wüstes Toben ausartet und selbst die Klage die seligste Beruhigung gibt. Ich habe schon bei der italienischen Malerei davon gesprochen, daß auch in dem tiefsten Schmerze und der äußersten Zerrissenheit des Gemüts die Versöhnung mit sich nicht fehlen dürfe, die in Tränen und Leiden selbst noch den Zug der Ruhe und glücklichen Gewißheit bewahrt. Der Schmerz bleibt schön in einer tiefen Seele, wie auch im Harlekin noch Zierlichkeit und Grazie herrscht. In derselben Weise hat die Natur den Italienern vornehmlich auch die Gabe des melodischen Ausdrucks zugeteilt, und wir finden in ihren älteren Kirchenmusiken bei der höchsten Andacht der Religion zugleich das reine Gefühl der Versöhnung und, wenn auch der Schmerz die Seele aufs tiefste ergreift, dennoch die Schönheit und Seligkeit, die einfache Größe und Gestaltung der Phantasie in dem zur Mannigfaltigkeit hin ausgehenden Genuß ihrer selbst. Es ist eine Schönheit, die wie Sinnlichkeit aussieht, so daß man auch diese melodische Befriedigung häufig auf einen bloß sinnlichen Genuß bezieht, aber die Kunst hat sich gerade im Elemente des Sinnlichen zu bewegen und den Geist in eine Sphäre hinüberzuführen, in welcher, wie im Natürlichen, das in sich und mit sich Befriedigtsein der Grundklang bleibt.
γγ) Wenn daher die Besonderheit der Empfindung dem Melodischen nicht fehlen darf, so soll die Musik dennoch, indem sie Leidenschaft und Phantasie in Tönen hinströmen läßt, die Seele, die in diese Empfindung sich versenkt, zugleich darüber erheben, sie über ihrem Inhalte schweben machen und so eine Region ihr bilden, wo die Zurücknahme aus ihrem Versenktsein, das reine Empfinden ihrer selbst ungehindert statthaben kann. Dies eigentlich macht das recht Sangbare, den Gesang einer Musik aus. Es ist dann nicht nur der Gang der bestimmten Empfindung als solcher, der Liebe, Sehnsucht, Fröhlichkeit usf., was zur Hauptsache wird, sondern das Innere, das darüber steht, in seinem Leiden wie in seiner Freude sich ausbreitet und seiner selbst genießt. Wie der Vogel in den Zweigen, die Lerche in der Luft heiter, rührend singt, um zu singen, als reine Naturproduktion ohne weiteren Zweck und bestimmten Inhalt, so ist es mit dem menschlichen Gesang und dem Melodischen des Ausdrucks. Daher geht auch die italienische Musik, in welcher dies Prinzip insbesondere vorwaltet, wie die Poesie häufig in das melodische Klingen als solches über und kann leicht die Empfindung und deren bestimmten Ausdruck zu verlassen scheinen oder wirklich verlassen, weil sie eben auf den Genuß der Kunst als Kunst, auf den Wohllaut der Seele in ihrer Selbstbefriedigung geht. Mehr oder weniger ist dies aber der Charakter des recht eigentlich Melodischen überhaupt. Die bloße Bestimmtheit des Ausdrucks, obschon sie auch da ist, hebt sich zugleich auf, indem das Herz nicht in anderes, Bestimmtes, sondern in das Vernehmen seiner selbst versunken ist und so allein, wie das Sichselbstanschauen des reinen Lichtes, die höchste Vorstellung von seliger Innigkeit und Versöhnung gibt.
β) Wie nun in der Skulptur die idealische Schönheit, das Beruhen-auf-sich vorherrschen muß, die Malerei aber bereits weiter zur besonderen Charakteristik herausgeht und in der Energie des bestimmten Ausdrucks eine Hauptaufgabe erfüllt, so kann sich auch die Musik nicht mit dem Melodischen in der oben geschilderten Weise begnügen. Das bloße Sichselbstempfinden der Seele und das tönende Spiel des Sichvernehmens ist zuletzt als bloße Stimmung zu allgemein und abstrakt und läuft Gefahr, sich nicht nur von der näheren Bezeichnung des im Text ausgesprochenen Inhalts zu entfernen, sondern auch überhaupt leer und trivial zu werden. Sollen nun Schmerz, Freude, Sehnsucht usf. in der Melodie widerklingen, so hat die wirkliche, konkrete Seele in der ernsten Wirklichkeit dergleichen Stimmungen nur innerhalb eines wirklichen Inhalts, unter bestimmten Umständen, in besonderen Situationen, Begebnissen, Handlungen usf. Wenn uns der Gesang die Empfindung z. B. der Trauer, der Klage über einen Verlust erweckt, so fragt es sich deshalb sogleich: was ist verlorengegangen? Ist es das Leben mit dem Reichtum seiner Interessen, ist es Jugend, Glück, Gattin, Geliebte, sind es Kinder, Eltern, Freunde usf.? Dadurch erhält die Musik die fernere Aufgabe, in betreff auf den bestimmten Inhalt und die besonderen Verhältnisse und Situationen, in welche das Gemüt sich eingelebt hat und in denen es nun sein inneres Leben zu Tönen erklingen macht, dem Ausdruck selber die gleiche Besonderung zu geben. Denn die Musik hat es nicht mit dem Inneren als solchem, sondern mit dem erfüllten Inneren zu tun, dessen bestimmter Inhalt mit der Bestimmtheit der Empfindung aufs engste verbunden ist, so daß nun nach Maßgabe des verschiedenen Gehalts auch wesentlich eine Unterschiedenheit des Ausdrucks wird hervortreten müssen. Ebenso geht das Gemüt, je mehr es sich mit seiner ganzen Macht auf irgendeine Besonderheit wirft, um so mehr zur steigenden Bewegung der Affekte und, jenem seligen Genuß der Seele in sich selbst gegenüber, zu Kämpfen und Zerrissenheit, zu Konflikten der Leidenschaften gegeneinander und überhaupt zu einer Tiefe der Besonderung heraus, für welche der bisher betrachtete Ausdruck nicht mehr entsprechend ist. Das Nähere des Inhalts ist nun eben das, was der Text angibt. Bei dem eigentlich Melodischen, das sich auf dies Bestimmte weniger einläßt, bleiben die spezielleren Bezüge des Textes mehr nur nebensächlich. Ein Lied z. B., obschon es als Gedicht und Text in sich selbst ein Ganzes von mannigfach nuancierten Stimmungen, Anschauungen und Vorstellungen enthalten kann, hat dennoch meist den Grundklang ein und derselben, sich durch alles fortziehenden Empfindung und schlägt dadurch vornehmlich einen Gemütston an. Diesen zu fassen und in Tönen wiederzugeben macht die Hauptwirksamkeit solcher Liedermelodie aus. Sie kann deshalb auch das ganze Gedicht hindurch für alle Verse, wenn diese auch in ihrem Inhalt vielfach modifiziert sind, dieselbe bleiben und durch diese Wiederkehr gerade, statt dem Eindruck Schaden zu tun, die Eindringlichkeit erhöhen. Es geht damit wie in einer Landschaft, wo auch die verschiedenartigsten Gegenstände uns vor Augen gestellt sind und doch nur ein und dieselbe Grundstimmung und Situation der Natur das Ganze belebt. Solch ein Ton, mag er auch nur für ein paar Verse passen und für andere nicht, muß auch im Liede herrschen, weil hier der bestimmte Sinn der Worte nicht das Überwiegende sein darf, sondern die Melodie einfach für sich über der Verschiedenartigkeit schwebt. Bei vielen Kompositionen dagegen, welche bei jedem neuen Verse mit einer neuen Melodie anheben, die oft in Takt, Rhythmus und selbst in Tonart von der vorhergehenden verschieden ist, sieht man gar nicht ein, warum, wären solche wesentliche Abänderungen wirklich notwendig, nicht auch das Gedicht selbst in Metrum, Rhythmus, Reimverschlingung usf. bei jedem Verse wechseln müßte.
αα) Was sich nun aber für das Lied, das ein echt melodischer Gesang der Seele ist, als passend erweist, reicht nicht für jede Art des musikalischen Ausdruckes hin. Wir haben deshalb dem Melodischen als solchem gegenüber noch eine zweite Seite herauszuheben, die von gleicher Wichtigkeit ist und den Gesang erst eigentlich zur begleitenden Musik macht. Dies findet in derjenigen Ausdrucksweise statt, welche im Rezitativ vorherrscht. Hier nämlich ist es keine in sich abgeschlossene Melodie, welche gleichsam nur den Grundton eines Inhalts auffaßt, in dessen Ausbildung die Seele als mit sich einige Subjektivität sich selber vernimmt, sondern der Inhalt der Worte prägt sich seiner ganzen Besonderheit nach den Tönen ein und bestimmt den Verlauf sowie den Wert derselben in Rücksicht auf bezeichnende Höhe oder Tiefe, Heraushebung oder Senkung. Hierdurch wird die Musik im Unterschiede des melodischen Ausdrucks zu einer tönenden Deklamation, welche sich dem Gange der Worte sowohl in Ansehung des Sinns als auch der syntaktischen Zusammenstellung genau anschließt und, insofern sie nur die Seite der erhöhteren Empfindung als neues Element hinzubringt, zwischen dem Melodischen als solchem und der poetischen Rede steht. Dieser Stellung gemäß tritt deshalb eine freiere Akzentuierung ein, welche sich streng an den bestimmten Sinn der einzelnen Wörter hält; der Text selbst bedarf keines fest bestimmten Metrums, und der musikalische Vortrag braucht sich nicht wie das Melodische in gleichartiger Folge eng an Takt und Rhythmus zu binden, sondern kann diese Seite in betreff auf Forteilen und Zurückhalten, Verweilen bei bestimmten Tönen und schnelles Überfliegen anderer der ganz vom Inhalt der Worte ergriffenen Empfindung frei anheimstellen. Ebenso ist die Modulation nicht so abgeschlossen als im Melodischen; Beginn, Fortschreiten, Einhalten, Abbrechen, Wiederanfangen, Aufhören, alles dies ist nach Bedürfnis des auszudrückenden Textes einer unbeschränkteren Freiheit übergeben; unvermutete Akzente, weniger vermittelte Übergänge, plötzlicher Wechsel und Abschlüsse sind erlaubt, und im Unterschiede hinströmender Melodien stört auch die fragmentarisch abgebrochene, leidenschaftlich zerrissene Äußerungsweise, wenn es der Inhalt erfordert, nicht.
ββ) In dieser Beziehung zeigt sich der rezitativisch-deklamatorische Ausdruck gleich geschickt für die stille Betrachtung und den ruhigen Bericht von Ereignissen als auch für die empfindungsreiche Gemütsschilderung, welche das Innere mitten in eine Situation hineingerissen zeigt und das Herz für alles, was sich in derselben bewegt, in lebendigen Seelentönen zur Mitempfindung weckt. Seine hauptsächliche Anwendung erhält das Rezitativ deshalb einerseits im Oratorium, teils als erzählendes Rezitieren, teils als lebendigeres Hineinführen in ein augenblickliches Geschehen, andererseits im dramatischen Gesang, wo demselben alle Nuancen einer flüchtigen Mitteilung sowie jede Art der Leidenschaft zusteht, mag sie sich in scharfem Wechsel, kurz, zerstückt, in aphoristischem Ungestüm äußern, mit raschen Blitzen und Gegenblitzen des Ausdrucks dialogisch einschlagen oder auch zusammenhängender hinfluten. Außerdem kann in beiden Gebieten, dem epischen und dramatischen, auch noch die Instrumentalmusik hinzukommen, um entweder ganz einfach die Haltpunkte für die Harmonien anzugeben oder den Gesang auch mit Zwischensätzen zu unterbrechen, die in ähnlicher Charakteristik andere Seiten und Fortbewegungen der Situation musikalisch ausmalen.
γγ) Was jedoch dieser rezitativischen Art der Deklamation abgeht, ist eben der Vorzug, den das Melodische als solches hat, die bestimmte Gliederung und Abrundung, der Ausdruck jener Seeleninnigkeit und Einheit, welche sich zwar in einen besonderen Inhalt hineinlegt, doch in ihm gerade die Einigkeit mit sich kundgibt, indem sie sich nicht durch die einzelnen Seiten zerstreuen, hin und her reißen und zersplittern läßt, sondern auch in ihnen noch die subjektive Zusammenfassung geltend macht. Die Musik kann sich daher auch in betreff solcher bestimmteren Charakteristik ihres durch den Text gegebenen Inhalts weder mit der rezitativischen Deklamation begnügen, noch überhaupt bei dem bloßen Unterschiede des Melodischen, das relativ über den Besonderheiten und Einzelheiten der Worte schwebt, und des Rezitativischen, das sich denselben aufs engste anzuschließen bemüht ist, stehenbleiben. Im Gegenteil muß sie eine Vermittlung dieser Elemente zu erlangen suchen. Wir können diese neue Einigung mit dem vergleichen, was wir früher bereits in bezug auf den Unterschied der Harmonie und Melodie eintreten sahen. Die Melodie nahm das Harmonische als ihre nicht nur allgemeine, sondern ebenso in sich bestimmte und besonderte Grundlage in sich hinein, und statt dadurch die Freiheit ihrer Bewegung zu verlieren, gewann sie für dieselbe erst die ähnliche Kraft und Bestimmtheit, welche der menschliche Organismus durch die feste Knochenstruktur erhält, die nur unangemessene Stellungen und Bewegungen verhindert, den gemäßen dagegen Halt und Sicherheit gibt. Dies führt uns auf einen letzten Gesichtspunkt für die Betrachtung der begleitenden Musik.
γ) Die dritte Ausdrucksweise nämlich besteht darin, daß der melodische Gesang, der einen Text begleitet, sich auch gegen die besondere Charakteristik hinwendet und daher das im Rezitativ vorwaltende Prinzip nicht bloß gleichgültig sich gegenüber bestehen läßt, sondern es zu dem seinigen macht, um sich selber die fehlende Bestimmtheit, der charakterisierenden Deklamation aber die organische Gliederung und einheitsvolle Abgeschlossenheit angedeihen zu lassen. Denn schon das Melodische, wie wir es oben betrachtet haben, konnte nicht schlechthin leer und unbestimmt bleiben. Wenn ich daher hauptsächlich nur den Punkt davon heraushob, daß es hier in allem und jedem Gehalt die mit sich und ihrer Innigkeit beschäftigte und in dieser Einheit mit sich beseligte Gemütsstimmung sei, welche sich ausdrücke und dem Melodischen als solchem entspreche, indem dasselbe, musikalisch genommen, die gleiche Einheit und abgerundete Rückkehr in sich sei, so geschah dies nur, weil dieser Punkt den spezifischen Charakter des rein Melodischen im Unterschiede der rezitativischen Deklamation betrifft. Die weitere Aufgabe nun aber des Melodischen ist dahin festzustellen, daß die Melodie, was zunächst außerhalb ihrer sich bewegen zu müssen scheint, auch zu ihrem Eigentum werden läßt und durch diese Erfüllung, insofern sie nun ebenso deklamatorisch als melodisch ist, erst zu einem wahrhaft konkreten Ausdrucke gelangt. Auf der anderen Seite steht dadurch auch das Deklamatorische nicht mehr für sich vereinzelt da, sondern ergänzt durch das Hineingenommensein in den melodischen Ausdruck ebensosehr seine eigene Einseitigkeit. Dies macht die Notwendigkeit für diese konkrete Einheit aus.
Um jetzt an das Nähere heranzugehen, haben wir hier folgende Seiten zu sondern:
Erstens müssen wir auf die Beschaffenheit des Textes, der sich zur Komposition eignet, einen Blick werfen, da sich der bestimmte Inhalt der Worte jetzt für die Musik und deren Ausdruck als von wesentlicher Wichtigkeit erwiesen hat.
Zweitens ist in Rücksicht auf die Komposition selbst ein neues Element, die charakterisierende Deklamation, herzugetreten, welches wir deshalb in seinem Verhältnis zu dem Prinzipe betrachten müssen, das wir zunächst im Melodischen fanden.
Drittens wollen wir uns nach den Gattungen umsehen, innerhalb welcher diese Art musikalischer Ausdrucksweise ihre vornehmlichste Stelle findet.
αα) Die Musik begleitet auf der Stufe, die uns gegenwärtig beschäftigt, den Inhalt nicht nur im allgemeinen, sondern hat, wie wir sahen, auch auf eine nähere Charakteristik desselben einzugehen. Es ist deshalb ein schädliches Vorurteil, zu meinen, die Beschaffenheit des Textes sei für die Komposition eine gleichgültige Sache. Den großartigen Musikwerken liegt im Gegenteil ein vortrefflicher Text zugrunde, den sich die Komponisten mit wahrhaftem Ernst ausgewählt oder selber gebildet haben. Denn keinem Künstler darf der Stoff, den er behandelt, gleichgültig bleiben und dem Musiker um so weniger, je mehr ihm die Poesie die nähere epische, lyrische, dramatische Form des Inhalts schon im voraus bearbeitet und feststellt.
Die Hauptforderung nun, welche in bezug auf einen guten Text zu machen ist, besteht darin, daß der Inhalt in sich selbst wahrhafte Gediegenheit habe. Mit in sich selbst Plattem, Trivialem, Kahlem und Absurdem läßt sich nichts musikalisch Tüchtiges und Tiefes herauskünsteln; der Komponist mag noch so würzen und spicken, aus einer gebratenen Katze wird doch keine Hasenpastete. Bei bloß melodischen Musikstücken freilich ist der Text im ganzen weniger entscheidend; dennoch aber erheischen auch sie einen in sich wahren Gehalt der Worte. Auf der anderen Seite darf jedoch dieser Inhalt auch wieder nicht allzu gedankenschwer und von philosophischer Tiefe sein, wie z. B. die Schillersche Lyrik, deren großartige Weite des Pathos den musikalischen Ausdruck lyrischer Empfindungen überfliegt. Ähnlich geht es auch mit den Chören des Aischylos und Sophokles, welche bei ihrer Tiefe der Anschauungen zugleich so phantasiereich, sinnvoll und gründlich ins einzelne hinein ausgearbeitet und so poetisch für sich bereits fertig sind, daß der Musik nichts hinzuzutun übrigbleibt, indem gleichsam kein Raum mehr für das Innere da ist, mit diesem Inhalt zu spielen und ihn sich in neuen Bewegungen ergehen zu lassen. Von entgegengesetzter Art erweisen sich die neueren Stoffe und Behandlungsweisen der sogenannten romantischen Poesie. Sie sollen größtenteils naiv und volkstümlich sein, doch ist dies nur allzuoft eine preziöse, gemachte, heraufgeschraubte Naivität, die statt reiner, wahrer Empfindung nur zu erzwungenen, durch Reflexion erarbeiteten Gefühlen, schlechter Sehnsüchtigkeit und Schöntuerei mit sich selber kommt und sich ebensosehr auf Plattheit, Albernheit und Gemeinheit viel zugute tut, als sie sich auf der anderen Seite in die schlechthin gehaltlosen Leidenschaften, Neid, Liederlichkeit, teuflische Bosheit und dergleichen mehr, verliert und an jener eigenen Vortrefflichkeit wie an diesen Zerrissenheiten und Schnödigkeiten eine selbstgefällige Freude hat. Die ursprüngliche, einfache, gründliche, durchdringende Empfindung fehlt hier ganz, und nichts bringt der Musik, wenn sie in ihrem Gebiete dasselbe tut, größeren Schaden. Weder die Gedankentiefe also noch die Selbstgefälligkeit oder Nichtswürdigkeit der Empfindung gibt einen echten Inhalt ab. Am passendsten dagegen für die Musik ist eine gewisse mittlere Art von Poesie, welche wir Deutschen kaum mehr als Poesie gelten lassen, für die aber die Italiener und Franzosen viel Sinn und Geschicklichkeit besessen haben: eine Poesie, im Lyrischen wahr, höchst einfach, mit wenigen Worten die Situation und Empfindung andeutend; im Dramatischen ohne allzu verzweigte Verwicklung klar und lebendig, das Einzelne nicht ausarbeitend, überhaupt mehr bemüht, Umrisse zu geben als dichterisch vollständig ausgeprägte Werke. Hier wird dem Komponisten, wie es nötig ist, nur die allgemeine Grundlage geliefert, auf der er sein Gebäude nach eigener Erfindung und Ausschöpfung aller Motive aufrichten und sich nach vielen Seiten lebendig bewegen kann. Denn da die Musik sich den Worten anschließen soll, müssen diese den Inhalt nicht sehr ins einzelne hin ausmalen, weil sonst die musikalische Deklamation kleinlich, zerstreut und zu sehr nach verschiedenen Seiten hingezogen wird, so daß sich die Einheit verliert und der Totaleffekt schwächt. In dieser Rücksicht befindet man sich beim Urteil über die Vortrefflichkeit oder Unzulässigkeit eines Textes nur allzuoft im Irrtum. Wie oft kann man nicht z. B. das Gerede hören, der Text der "Zauberflöte" sei gar zu jämmerlich, und doch gehört dieses Machwerk zu den lobenswerten Opernbüchern. Schikaneder hat hier nach mancher tollen, phantastischen und platten Produktion den rechten Punkt getroffen. Das Reich der Nacht, die Königin, das Sonnenreich, die Mysterien, Einweihungen, die Weisheit, Liebe, die Prüfungen und dabei die Art einer mittelmäßigen Moral, die in ihrer Allgemeinheit vortrefflich ist, - das alles, bei der Tiefe, der bezaubernden Lieblichkeit und Seele der Musik, weitet und erfüllt die Phantasie und erwärmt das Herz.
Um noch andere Beispiele anzuführen, so sind für religiöse Musik die alten lateinischen Texte der großen Messe usf. unübertroffen, indem sie teils den allgemeinsten Glaubensinhalt, teils die entsprechenden substantiellen Stadien in der Empfindung und dem Bewußtsein der gläubigen Gemeinde in größter Einfachheit und Kürze hinstellen und dem Musiker die größte Breite der Ausarbeitung gönnen. Auch das große Requiem, Zusammenstellungen aus Psalmen usf. sind von gleicher Brauchbarkeit. In ähnlicher Weise hat sich Händel seine Texte zum Teil selber aus religiösen Dogmen und vor allem aus Bibelstellen, Situationen, die einen symbolischen Bezug gestatten usf., zu einem geschlossenen Ganzen zusammengestellt. - Was die Lyrik angeht, so sind gefühlvolle kleinere Gedichte, besonders die einfachen, wortarmen, empfindungstiefen, die irgendeine Stimmung und Herzenssituation gedrungen und seelenvoll aussprechen, oder auch leichtere, lustige, besonders zur Komposition geeignet. Solche Gedichte fehlen fast keiner Nation. Für das dramatische Feld will ich nur Metastasio nennen, ferner Marmontel, diesen empfindungsreichen, feingebildeten, liebenswürdigen Franzosen, der dem Piccini Unterricht im Französischen gab und im Dramatischen mit der Geschicklichkeit für die Entwicklung und das Interessante der Handlung Anmut und Heiterkeit zu verbinden verstand. Vor allem aber sind die Texte der berühmteren Gluckschen Opern hervorzuheben, welche sich in einfachen Motiven bewegen und im Kreise des gediegensten Inhalts für die Empfindung halten, die Liebe der Mutter, Gattin, des Bruders, der Schwester, Freundschaft, Ehre usf. schildern und diese einfachen Motive und substantiellen Kollisionen sich ruhig entwickeln lassen. Dadurch bleibt die Leidenschaft durchaus rein, groß, edel und von plastischer Einfachheit.
ββ) Solch einem Inhalt nun hat sich die ebenso in ihrem Ausdruck charakteristische als melodische Musik gemäß zu machen. Damit dies möglich werde, muß nicht nur der Text den Ernst des Herzens, die Komik und tragische Größe der Leidenschaften, die Tiefen der religiösen Vorstellung und Empfindung, die Mächte und Schicksale der menschlichen Brust enthalten, sondern auch der Komponist muß seinerseits mit ganzem Gemüte dabeisein und diesen Gehalt mit vollem Herzen durchempfunden und durchgelebt haben.
Ebenso wichtig ist ferner das Verhältnis, in welches hier das Charakteristische auf der einen und das Melodische auf der anderen Seite treten müssen. Die Hauptforderung scheint 15/208 mir in dieser Beziehung die zu sein, daß dem Melodischen, als der zusammenfassenden Einheit, immer der Sieg zugeteilt werde und nicht der Zerspaltung in einzeln auseinandergestreute charakteristische Züge. So sucht z. B. die heutige dramatische Musik oft ihren Effekt in gewaltsamen Kontrasten, indem sie entgegengesetzte Leidenschaften kunstvollerweise kämpfend in ein und denselben Gang der Musik zusammenzwingt. Sie drückt so z. B. Fröhlichkeit, Hochzeit, Festgepränge aus und preßt dahinein ebenso Haß, Rache, Feindschaft, so daß zwischen Lust, Freude, Tanzmusik zugleich heftiger Zank und die widrigste Entzweiung tobt. Solche Kontraste der Zerrissenheit, die uns einheitslos von einer Seite zur anderen herüberstoßen, sind um so mehr gegen die Harmonie der Schönheit, in je schärferer Charakteristik sie unmittelbar Entgegengesetztes verbinden, wo dann von Genuß und Rückkehr des Innern zu sich in der Melodie nicht mehr die Rede sein kann. Überhaupt führt die Einigung des Melodischen und Charakteristischen die Gefahr mit sich, nach der Seite der bestimmteren Schilderung leicht über die zart gezogenen Grenzen des musikalisch Schönen herauszuschreiten, besonders wenn es darauf ankommt, Gewalt, Selbstsucht, Bosheit, Heftigkeit und sonstige Extreme einseitiger Leidenschaften auszudrücken. Sobald sich hier die Musik auf die Abstraktion charakteristischer Bestimmtheit einläßt, wird sie unvermeidlich fast zu dem Abwege geführt, ins Scharfe, Harte, durchaus Unmelodische und Unmusikalische zu geraten und selbst das Disharmonische zu mißbrauchen.
Das Ähnliche findet in Ansehung der besonderen charakterisierenden Züge statt. Werden diese nämlich für sich festgehalten und stark prononciert, so lösen sie sich leicht ab voneinander und werden nun gleichsam ruhend und selbständig, während in dem musikalischen Entfalten, das wesentlich Fortbewegung und in diesem Fortgang ein steter Bezug sein muß, die Isolierung sogleich in schädlicher Weise den Fluß und die Einheit stört.
Die wahrhaft musikalische Schönheit liegt nach diesen Seiten darin, daß zwar vom bloß Melodischen zum Charaktervollen fortgegangen wird, innerhalb dieser Besonderung aber das Melodische als die tragende, einende Seele bewahrt bleibt, wie z. B. im Charakteristischen der Raffaelischen Malerei sich der Ton der Schönheit immer noch erhält. Dann ist das Melodische bedeutungsvoll, aber in aller Bestimmtheit die hindurchdringende, zusammenhaltende Beseelung, und das charakteristisch Besondere erscheint nur als ein Heraussein bestimmter Seiten, die von innen her immer auf diese Einheit und Beseelung zurückgeführt werden. Hierin jedoch das rechte Maß zu treffen ist besonders in der Musik von größerer Schwierigkeit als in anderen Künsten, weil die Musik sich leichter zu diesen entgegengesetzten Ausdrucksweisen auseinanderwirft. So ist denn auch das Urteil über musikalische Werke fast zu jeder Zeit geteilt. Die einen geben dem überwiegend nur Melodischen, die anderen dem mehr Charakteristischen den Vorzug. Händel z. B., der auch in seinen Opern für einzelne lyrische Momente oft eine Strenge des Ausdrucks forderte, hatte schon zu seiner Zeit Kämpfe genug mit seinen italienischen Sängern zu bestehen und wendete sich zuletzt, als auch das Publikum auf die Seite der Italiener getreten war, ganz zur Komposition von Oratorien herüber, in welchen seine Produktionsgabe ihr reichstes Gebiet fand. Auch zu Glucks Zeit ist der lange und lebhaft geführte Streit der Gluckisten und Piccinisten berühmt geworden; Rousseau hat seinerseits wieder, der Melodielosigkeit der älteren Franzosen gegenüber, die melodiereiche Musik der Italiener vorgezogen; jetzt endlich streitet man in der ähnlichen Weise für oder wider Rossini und die neuere italienische Schule. Die Gegner verschreien namentlich Rossinis Musik als einen leeren Ohrenkitzel; lebt man sich aber näher in ihre Melodien hinein, so ist diese Musik im Gegenteil höchst gefühlvoll, geistreich und eindringend für Gemüt und Herz, wenn sie sich auch nicht auf die Art der Charakteristik einläßt, wie sie besonders dem strengen deutschen musikalischen Verstande beliebt. Denn nur allzuhäufig freilich wird Rossini dem Text ungetreu und geht mit seinen freien Melodien über alle Berge, so daß man dann nur die Wahl hat, ob man bei dem Gegenstande bleiben und über die nicht mehr damit zusammenstimmende Musik unzufrieden sein oder den Inhalt aufgeben und sich ungehindert an den freien Eingebungen des Komponisten ergötzen und die Seele, die sie enthalten, seelenvoll genießen will.
γγ) Was nun zum Schluß noch die vornehmlichsten Arten der begleitenden Musik angeht, so will ich hierüber kurz sein.
Als erste Hauptart können wir die kirchliche Musik bezeichnen, welche, insoweit sie es nicht mit der subjektiv-einzelnen Empfindung, sondern mit dem substantiellen Gehalt alles Empfindens oder mit der allgemeinen Empfindung der Gemeinde als Gesamtheit zu tun hat, größtenteils von epischer Gediegenheit bleibt, wenn sie auch keine Begebnisse als Begebnisse berichtet. Wie aber eine künstlerische Auffassung, ohne Begebenheiten zu erzählen, dennoch episch sein könne, werden wir später noch bei der näheren Betrachtung der epischen Poesie auseinanderzusetzen haben. Diese gründliche religiöse Musik gehört zum Tiefsten und Wirkungsreichsten, was die Kunst überhaupt hervorbringen kann. Ihre eigentliche Stellung, insoweit sie sich auf die priesterliche Fürbitte für die Gemeinde bezieht, hat sie innerhalb des katholischen Kultus gefunden, als Messe, überhaupt als musikalische Erhebung bei den verschiedenartigsten kirchlichen Handlungen und Festen. Auch die Protestanten haben dergleichen Musiken von größter Tiefe sowohl des religiösen Sinnes als der musikalischen Gediegenheit und Reichhaltigkeit der Erfindung und Ausführung geliefert, wie z. B. vor allen Sebastian Bach, ein Meister, dessen großartige, echt protestantische, kernige und doch gleichsam gelehrte Genialität man erst neuerdings wieder vollständig hat schätzen lernen. Vorzüglich aber entwickelt sich hier im Unterschiede zu der katholischen Richtung zunächst aus den Passionsfeiern die erst im Protestantismus vollendete Form des Oratoriums. In unseren Tagen freilich schließt im Protestantismus die Musik sich nicht mehr so eng an den wirklichen Kultus an, greift nicht mehr in den Gottesdienst selber ein und ist gar oft mehr eine Sache gelehrter Übung als lebendiger Produktion geworden.
Die lyrische Musik zweitens drückt die einzelne Seelenstimmung melodisch aus und muß sich am meisten von dem nur Charakteristischen und Deklamatorischen freihalten, obschon auch sie dazu fortgehen kann, den besonderen Inhalt der Worte mit in den Ausdruck aufzunehmen, mag nun derselbe religiöser oder sonstiger Art sein. Stürmische Leidenschaften jedoch ohne Beruhigung und Abschluß, der unaufgelöste Zwiespalt des Herzens, die bloße innere Zerrissenheit eignen sich weniger für die selbständige Lyrik, sondern finden ihre bessere Stellung als integrierende besondere Teile der dramatischen Musik.
Zum Dramatischen nämlich bildet sich die Musik drittens gleichfalls aus. Schon die alte Tragödie war musikalisch, doch erhielt in ihr die Musik noch kein Übergewicht, da in eigentlich poetischen Werken dem sprachlichen Ausdrucke und der dichterischen Ausführung der Vorstellungen und Empfindungen der Vorrang bleiben muß und die Musik, deren harmonische und melodische Entwicklung bei den Alten noch den Grad der späteren christlichen Zeit nicht erreicht hatte, hauptsächlich nur dazu dienen konnte, von der rhythmischen Seite her das musikalische Klingen der poetischen Worte lebendig zu erhöhen und für die Empfindung eindringlicher zu machen. Einen selbständigen Standpunkt hat dagegen die dramatische Musik, nachdem sie sich im Felde der Kirchenmusik bereits in sich vollendet und auch im lyrischen Ausdruck eine große Vollkommenheit erlangt hatte, in der modernen Oper, Operette usf. gewonnen. Doch ist die Operette nach seiten des Gesangs eine geringere Mittelart, welche Sprechen und Singen, Musikalisches und Unmusikalisches, prosaische Rede und melodischen Gesang nur äußerlich vermischt. Gemeinhin pflegt man zwar zu sagen, das Singen in Dramen sei überhaupt unnatürlich, doch dieser Vorwurf reicht nicht aus und müßte noch mehr gegen die Oper gekehrt werden können, in welcher von Anfang bis zu Ende jede Vorstellung, Empfindung, Leidenschaft und Entschließung von Gesang begleitet und durch ihn ausgedrückt wird. Im Gegenteil ist deshalb die Operette noch zu rechtfertigen, wenn sie Musik da eintreten läßt, wo die Empfindungen und Leidenschaften sich lebendiger regen oder überhaupt sich der musikalischen Schilderung zugänglich erweisen; das Nebeneinander aber von prosaischem Gewäsch des Dialogs und der künstlerisch behandelten Gesangstücke bleibt immer ein Mißstand. Die Befreiung durch die Kunst nämlich ist dann nicht vollständig. In der eigentlichen Oper hingegen, die eine ganze Handlung durchweg musikalisch ausführt, werden wir ein für allemal aus der Prosa in eine höhere Kunstwelt hinüberversetzt, in deren Charakter sich nun auch das ganze Werk erhält, wenn die Musik die innere Seite der Empfindung, die einzelnen und allgemeinen Stimmungen in den verschiedenen Situationen, die Konflikte und Kämpfe der Leidenschaften zu ihrem Hauptinhalt nimmt, um dieselben durch den vollständigsten Ausdruck der Affekte nun erst vollständig herauszuheben. Im Vaudeville umgekehrt, wo bei einzelnen, frappanteren gereimten Pointen sonst schon bekannte und beliebte Melodien abgesungen werden, ist das Singen gleichsam nur eine Ironie über sich selber. Daß gesungen wird, soll einen heiteren parodierenden Anstrich haben, das Verständnis des Textes und seiner Scherzworte ist die Hauptsache, und wenn das Singen aufhört, kommt uns ein Lächeln darüber an, daß überhaupt sei gesungen worden.
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