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2. Sinnlichkeit, Maßlosigkeit und personifizierende Tätigkeit der indischen Phantasie
Umgekehrt springt die indische Anschauung aber ebensosehr unmittelbar aus dieser Übersinnlichkeit in die wildeste Sinnlichkeit über. Da jedoch die unmittelbare und dadurch ruhige Identität beider Seiten aufgehoben und statt derselben die Differenz innerhalb der Identität zum Grundtypus geworden ist, so stößt uns dieser Widerspruch vermittlungslos aus dem Endlichsten ins Göttliche, aus diesem wieder ins Endlichste hinein, und wir leben unter den Gestaltungen, welche aus diesem wechselseitigen Verkehren der einen Seite in die andere entstehen, wie in einer Hexenwelt, wo keine Bestimmtheit der Gestalt, wenn man sie festzuhalten hofft, standhält, sondern plötzlich sich ins Entgegengesetzte verwandelt oder sich zur Übertriebenheit aufbläht und auseinanderspreizt.
Die allgemeinen Weisen nun, in welchen die indische Kunst zum Vorschein kommt, sind folgende.
a) Auf der einen Seite legt die Vorstellung in das unmittelbar Sinnliche und Einzelne den ungeheuersten Inhalt des Absoluten so hinein, daß dieses Einzelne selbst, wie es geht und steht, solch einen Inhalt in sich vollkommen darstellen und als derselbe für die Anschauung existieren soll. Im Ramajana z. B. ist der Freund des Ramas, der Fürst der Affen Hanumat, eine Hauptgestalt und vollbringt die tapfersten Taten. Überhaupt wird in Indien der Affe göttlich verehrt, und es gibt eine ganze Affenstadt. In dem Affen, als diesem einzelnen, wird der unendliche Inhalt des Absoluten angestaunt und vergöttert. Ebenso die Kuh Sabala, welche im Ramajana gleichfalls in der Episode von Wiswamitras Büßungen mit unermeßlicher Macht bekleidet erscheint. Weiterhinauf gibt es in Indien Familien, in welchen das Absolute selbst, als dieser wirkliche, wenn auch ganz stumpfe und einfältige Mensch vegetiert, der in seiner unmittelbaren Lebendigkeit und Gegenwart als Gott verehrt wird. Dasselbe finden wir auch im Lamaismus, wo auch ein einzelner Mensch als der gegenwärtige Gott der höchsten Anbetung genießt. In Indien aber wird diese Verehrung nicht nur einem ausschließlich gezollt, sondern jeder Brahmane gilt von Hause aus durch die Geburt in seiner Kaste schon als Brahman und hat die den Menschen mit Gott identifizierende Wiedergeburt durch den Geist auf natürliche Weise schon durch die sinnliche Geburt vollbracht, so daß also die Spitze des Göttlichsten selber unmittelbar in die ganz gemeine sinnliche Wirklichkeit des Daseins zurückfällt. Denn obschon es den Brahmanen zur heiligsten Pflicht gemacht ist, die Wedas zu lesen und dadurch die Einsicht in die Tiefen der Gottheit zu erlangen, so kann dieser Pflicht doch ebensosehr, ohne dem Brahmanen seine Göttlichkeit zu nehmen, mit der größten Geistlosigkeit Genüge geschehen. In der ähnlichen Weise ist eins der allgemeinsten Verhältnisse, welches die Inder darstellen, das Erzeugen, Entstehen, wie die Griechen den Eros als den ältesten Gott angeben. Dies Erzeugen nun, die göttliche Tätigkeit, wird wiederum in vielfachen Darstellungen ganz sinnlich genommen, und die männlichen und weiblichen Geschlechtsteile werden aufs heiligste gehalten. Ebensosehr wird das Göttliche, wenn es auch für sich in seiner Göttlichkeit in die Wirklichkeit hineintritt, ganz trivial mitten in das Alltägliche hineingezogen. So wird z. B. im Anfange des Ramajana erzählt, wie Brahma zu Walmiki, dem mythischen Sänger des Ramajana, gekommen sei. Walmiki empfängt ihn ganz in der gewöhnlichen indischen Weise, bekomplimentiert ihn, setzt ihm einen Stuhl vor, bringt ihm Wasser und Früchte, Brahma setzt sich wirklich nieder und nötigt auch seinen Wirt, das gleiche zu tun; so sitzen sie lange Zeit, bis endlich Brahma dem Walmiki befiehlt, den Ramajana zu dichten.
Dies ist nun gleichfalls noch keine eigentlich symbolische Auffassung, denn obschon hier, wie das Symbol es fordert, die Gestalten aus dem Vorhandenen her aufgenommen und auf allgemeinere Bedeutungen angewendet werden, so fehlt hier doch die andere Seite, daß nämlich die besonderen Existenzen nicht die absolute Bedeutung für die Anschauung wirklich sein, sondern dieselbe nur andeuten sollen. Für die indische Phantasie sind der Affe, die Kuh, der einzelne Brahmane usf. nicht ein verwandtes Symbol des Göttlichen, sondern sie sind als das Göttliche selber, als ein demselben adäquates Dasein betrachtet und dargestellt.
Hierin aber liegt der Widerspruch, welcher die indische Kunst zu einer zweiten Weise der Auffassung hinübertreibt. Denn einerseits ist das schlechthin Unsinnliche, das Absolute als solches, die Bedeutung schlechthin, als das wahrhaft Göttliche ergriffen, auf der anderen Seite [sind] die Einzelheiten der konkreten Wirklichkeit auch in ihrem sinnlichen Dasein von der Phantasie unmittelbar als göttliche Erscheinungen angesehen. Zum Teil zwar sollen sie nur besondere Seiten des Absoluten ausdrücken, doch auch dann noch ist das unmittelbar Einzelne, das als gemäßes Dasein dieser bestimmten Allgemeinheit dargestellt wird, diesem seinem Inhalt schlechthin nur ungemäß und mit demselben in um so grellerem Widerspruch, als die Bedeutung hier schon in ihrer Allgemeinheit gefaßt und doch ausdrücklich in dieser Allgemeinheit als mit dem Sinnlichsten und Einzelnsten unmittelbar von der Phantasie in Identität gesetzt ist.
b) Die nächste Lösung dieses Zwiespalts sucht nun die indische Kunst, wie bereits oben ist angedeutet worden, in der Maßlosigkeit ihrer Gebilde. Die einzelnen Gestalten, um die Allgemeinheit als sinnliche Gestalten selber erreichen zu können, werden ins Kolossale, Groteske wild auseinandergezerrt. Denn die einzelne Gestalt, welche nicht sich selber und die ihr als besonderer Erscheinung eigentümliche, sondern eine außerhalb ihrer liegende allgemeine Bedeutung ausdrücken soll, genügt nun der Anschauung nicht eher, als bis sie aus sich selber heraus ins Ungeheure hin ohne Ziel und Maß fortgerissen wird. Hier ist es denn vornehmlich die verschwenderischste Übertreibung der Größe, in der räumlichen Gestalt sowohl als auch in der zeitlichen Unermeßlichkeit, und die Vervielfältigung ein und derselben Bestimmtheit, die Vielköpfigkeit, die Menge der Arme usf., durch welche das Erreichen der Weite und Allgemeinheit der Bedeutungen erstrebt wird. Das Ei z. B. schließt den Vogel ein. Diese einzelne Existenz nun wird zu der unermeßlichen Vorstellung eines Welteies als Einhüllung des allgemeinen Lebens aller Dinge erweitert, in welchem Brahma, der zeugende Gott, ratlos ein Schöpfungsjahr zubringt, bis durch seinen bloßen Gedanken die Hälften des Eies auseinanderfallen. Außer natürlichen Gegenständen werden nun auch menschliche Individuen und Begebenheiten ebensosehr zur Bedeutung eines wirklichen göttlichen Tuns in einer Weise erhöht, daß weder das Göttliche für sich noch das Menschliche kann festgehalten werden, sondern beides stets ineinander herüber- und hinübergewirrt erscheint. Hierher gehören besonders die Inkarnationen der Götter, hauptsächlich Wischnus, des erhaltenden Gottes, dessen Taten einen Hauptinhalt der großen epischen Gedichte abgeben. Die Gottheit geht in diesen Verkörperungen unmittelbar in die weltliche Erscheinung über. So ist z. B. Rama die siebente Inkarnation Wischnus (Ramatschandra). Nach einzelnen Bedürfnissen, Handlungen, Zuständen, Gestalten und Weisen des Benehmens zeigt es sich in diesen Gedichten, daß ihr Inhalt hergenommen sei aus zum Teil wirklichen Begebenheiten, aus den Taten älterer Könige, welche neue Zustände der Ordnung und Gesetzlichkeit zu gründen kräftig waren, und man ist deshalb mitten im Menschlichen auf dem festen Boden der Wirklichkeit. Umgekehrt aber ist dann alles wieder erweitert, ins Nebulose ausgedehnt, ins Allgemeine hinübergespielt, so daß man den kaum gewonnenen Boden wieder verliert und nicht weiß, wo man ist. Ähnlich geht es auch in der Sakuntala zu. Anfangs haben wir die zarteste, duftigste Liebeswelt vor uns, in welcher alles in menschlicher Weise seinen gemäßen Gang geht, dann aber werden wir plötzlich dieser ganzen konkreten Wirklichkeit entrückt und in die Wolken in Indras Himmel hinübergehoben, wo alles verändert ist und aus seinem bestimmten Kreise heraus zu allgemeinen Bedeutungen des Naturlebens im Verhältnis zu Brahmanen und der Macht über die Naturgötter, welche durch strenge Büßungen dem Menschen verliehen wird, erweitert.
Auch diese Darstellungsweise ist nicht eigentlich symbolisch zu nennen. Denn das eigentliche Symbol läßt die bestimmte Gestalt, welche sie verwendet, in ihrer Bestimmtheit bestehen, wie sie ist, weil sie darin nicht das unmittelbare Dasein der Bedeutung ihrer Allgemeinheit nach anschauen will, sondern in den verwandten Qualitäten des Gegenstandes auf die Bedeutung nur hinweist. Die indische Kunst aber, obschon sie Allgemeinheit und einzelne Existenz scheidet, fordert dessenunerachtet noch die unmittelbare, durch die Phantasie produzierte Einheit beider und muß deshalb das Daseiende seiner Begrenztheit entnehmen und in selbst sinnlicher Weise ins Unbestimmte vergrößern und überhaupt verwandeln und verunstalten. In diesem Zerfließen der Bestimmtheit und in der Verwirrung, welche dadurch hervorkommt, daß immer der höchste Gehalt in Dinge, Erscheinungen, Begebnisse und Taten hineingelegt wird, welche in ihrer Begrenztheit die Macht solchen Inhalts weder an und für sich in sich haben, noch auszudrücken fähig sind, kann man daher eher einen Anklang der Erhabenheit als das eigentlich Symbolische suchen. Im Erhabenen nämlich, wie wir es noch später werden kennenlernen, drückt die endliche Erscheinung das Absolute, das sie zur Anschauung bringen soll, nur so aus, daß an der Erscheinung selber heraustritt, sie könne den Inhalt nicht erreichen. So ist es z. B. mit der Ewigkeit. Ihre Vorstellung wird erhaben, wenn sie soll in zeitlicher Weise ausgesprochen werden, indem jede größte Zahl immer noch nicht genügend ist und fort und fort, ohne zu Ende zu kommen, vermehrt werden muß. Wie es von Gott heißt: "Tausend Jahre sind vor dir ein Tag." In dieser und ähnlicher Art enthält die indische Kunst vieles, das diesen Ton der Erhabenheit anzuschlagen beginnt. Der große Unterschied jedoch von der eigentlichen Erhabenheit besteht darin, daß die indische Phantasie in solchen wilden Gestaltungen das Negativsetzen der Erscheinungen, welche sie vorführt, nicht vollbringt, sondern gerade durch jene Maßlosigkeit und Unbegrenztheit den Unterschied und Widerspruch des Absoluten und seiner Gestaltung ausgelöscht und verschwunden glaubt. - Sowenig wir sie nun in dieser Übertreibung als eigentlich symbolisch und erhaben gelten lassen können, ebensowenig ist sie eigentlich schön. Denn sie gibt uns zwar, hauptsächlich in Schilderung des Menschlichen als solchen, viel Liebliches und Mildes, viel freundliche Bilder und zarte Empfindungen, die glänzendsten Naturbeschreibungen und reizendsten, kindlichsten Züge der Liebe und unbefangenen Unschuld, ebensoviel Großartiges und Edles; aber was die allgemeinen Grundbedeutungen betrifft, so bleibt das Geistige umgekehrt doch immer wieder ganz sinnlich, das Plattste steht neben dem Höchsten, die Bestimmtheit ist zerstört, das Erhabene bloße Grenzenlosigkeit, und was dem Mythos angehört, geht größtenteils nur zur Phantastik einer ruhelos umhersuchenden Einbildungskraft und verstandlosen Gestaltungsgabe fort.
c) Die reinste Weise nun endlich der Darstellung, welche wir auf dieser Stufe finden, ist die Personifikation und die menschliche Gestalt überhaupt. Indem jedoch die Bedeutung hier noch nicht als freie geistige Subjektivität zu fassen ist, sondern entweder irgendeine abstrakte, in ihrer Allgemeinheit aufgenommene Bestimmtheit oder das bloß Natürliche, z. B. das Leben der Ströme, Berge, Gestirne, der Sonne enthält, so ist es eigentlich unter der Würde der menschlichen Gestalt, als Ausdruck für diese Art des Inhalts benutzt zu werden. Denn ihrer wahren Bestimmung nach spricht der menschliche Körper sowohl als auch die Form menschlicher Tätigkeiten und Begebnisse nur den konkreten inneren Gehalt des Geistes aus, der in dieser seiner Realität bei sich selber ist und daran nicht nur ein Symbol oder äußeres Zeichen hat.
Auf der einen Seite bleibt daher die Personifikation, wenn die Bedeutung, die sie darzustellen berufen wird, dem Geistigen ebenso als dem Natürlichen angehören soll, der Abstraktion der Bedeutung wegen auf dieser Stufe gleichfalls noch oberflächlich und bedarf für die nähere Veranschaulichung noch mannigfach anderweitiger Gestaltungen, mit denen sie sich vermischt und dadurch selber verunreinigt wird. Nach der anderen Seite hin ist es nicht die Subjektivität und deren Gestalt, welche hier das Bezeichnende ist, sondern ihre Äußerungen, Taten usf., denn im Tun und Handeln erst liegt die bestimmtere Besonderung, welche mit dem bestimmten Inhalt der allgemeinen Bedeutungen in Bezug gebracht werden kann. Dann aber tritt wieder der Mangel ein, daß nicht das Subjekt, sondern nur die Äußerung desselben das Bedeutende ist, sowie die Verwirrung, daß die Begebenheiten und Taten, statt die Realität und das sich verwirklichende Dasein des Subjekts zu sein, ihren Inhalt und ihre Bedeutung anderswoher erhalten. Eine Reihe solcher Handlungen kann daher wohl in sich selbst eine Folge und Konsequenz haben, die sich aus dem Inhalte herschreibt, welchem solch eine Reihe zum Ausdruck dient; diese Konsequenz aber wird durch das Personifizieren und Vermenschlichen ebensosehr wieder unterbrochen und teilweise aufgehoben, weil das Subjektivieren umgekehrt auch zur Willkür des Tuns und der Äußerungen hinführt, so daß also Bedeutendes und Bedeutungsloses um so bunter und regelloser durcheinanderspielt, je weniger die Phantasie ihre Bedeutungen und deren Gestalten in einen gründlichen und festen Zusammenhang zu bringen befähigt ist. - Wird aber das nur Natürliche zum alleinigen Inhalte genommen, so ist das Natürliche seinerseits nicht würdig, die menschliche Gestalt zu tragen, und diese, als nur dem geistigen Ausdruck gemäß, ihrerseits unfähig, das bloß Natürliche darzustellen.
In allen diesen Beziehungen kann dies Personifizieren nicht wahrhaft sein, denn die Wahrheit in der Kunst fordert, wie die Wahrheit überhaupt, das Zusammenstimmen des Inneren und Äußeren, des Begriffs und der Realität. Die griechische Mythologie personifiziert zwar auch den Pontos, Skamandros, sie hat ihre Flußgötter, Nymphen, Dryaden und macht überhaupt die Natur mannigfach zum Inhalt ihrer menschlichen Götter. Sie läßt jedoch die Personifikation nicht bloß formell und oberflächlich, sondern bildet daraus Individuen, an welchen die bloße Naturbedeutung zurücktritt und das Menschliche dagegen, das solchen Naturinhalt in sich aufgenommen hat, das Hervorstechende wird. Die indische Kunst aber bleibt bei der grotesken Vermischung des Natürlichen und Menschlichen stehen, so daß keine Seite zu ihrem Rechte kommt und beide sich wechselseitig verunstalten.
Im allgemeinen sind auch diese Personifikationen noch nicht eigentlich symbolisch, weil sie ihrer formellen Oberflächlichkeit wegen mit dem bestimmteren Gehalt, den sie symbolisch ausdrücken sollten, in keiner wesentlichen Beziehung und engeren Verwandtschaft stehen. Zugleich beginnt aber in Rücksicht auf die besonderen anderweitigen Gestaltungen und Attribute, mit welchen dergleichen Personifikationen untermischt erscheinen und welche die bestimmteren den Göttern beigelegten Qualitäten ausdrücken sollen, das Streben nach symbolischen Darstellungen, für welche die Personifikation dann mehr nur die allgemeine zusammenfassende Form bleibt.
Was die hauptsächlicheren Anschauungen betrifft, welche hierher gehören, so ist zuvörderst des Trimurti, d. h. der dreigestaltigen Gottheit, Erwähnung zu tun. Zu ihr gehört erstens Brahma, die hervorbringende, zeugende Tätigkeit, der Weltschöpfer, Herr der Götter usf. Einerseits wird er von Brahman (als Neutrum), von dem obersten Wesen, unterschieden und ist dessen Erstgeborener, andererseits aber fällt er auch wieder mit dieser abstrakten Gottheit zusammen, wie überhaupt bei den Indern die Unterschiede sich nicht in ihren Grenzen festzuhalten vermögen, sondern teils verwischt werden, teils ineinander übergehen. Die nähere Gestalt nun hat viel Symbolisches: er wird mit vier Köpfen und vier Händen abgebildet, mit Zepter, Ring usf.; in Farbe ist er rot, was auf die Sonne hindeutet, da diese Götter immer zugleich allgemeine Naturbedeutungen in sich tragen, welche in ihnen personifiziert werden. Der zweite Gott des Trimurti ist Wischnu, der erhaltende Gott, der dritte Schiwa, der zerstörende. Die Symbole für diese Götter sind unzählig. Denn bei der Allgemeinheit ihrer Bedeutungen fassen sie unendlich viele einzelne Wirkungen in sich, teils in bezug auf besondere Naturerscheinungen - hauptsächlich elementarische, wie z. B. Wischnu die Qualität des Feurigen (Wilsons Lexikon*)) , s. v. 2) hat -, teils auch geistige, was denn immer bunt durcheinandergärt und für die Anschauung häufig die widerwärtigsten Gestalten zum Vorschein bringt.
Bei diesem dreigestaltigen Gott zeigt es sich sogleich am deutlichsten, daß hier die geistige Gestalt noch nicht in ihrer Wahrheit auftreten kann, weil das Geistige nicht die eigentliche durchgreifende Bedeutung ausmacht. Geist nämlich würde diese Dreiheit von Göttern sein, wenn der dritte Gott eine konkrete Einheit und Rückkehr zu sich aus der Unterscheidung und Verdopplung wäre. Denn der wahren Vorstellung nach ist Gott Geist als diese tätige absolute Unterscheidung und Einheit, welche überhaupt den Begriff des Geistes ausmacht. Im Trimurti aber ist der dritte Gott nicht etwa die konkrete Totalität, sondern selber nur eine Seite zu den zwei anderen und deshalb gleichfalls eine Abstraktion, kein Rückgehen in sich, sondern nur ein Übergehen in Anderes, ein Verwandeln, Erzeugen und Zerstören. Man muß sich deshalb sehr hüten, in solchen ersten Ahnungen der Vernunft schon die höchste Wahrheit wiederfinden und in diesem Anklange, der dem Rhythmus nach allerdings die Dreiheit enthält, welche eine Hauptvorstellung des Christentums ausmacht, bereits die christliche Dreieinigkeit erkennen zu wollen.
Von Brahman und dem Trimurti aus geht nun die indische Phantasie noch weiter zu einer unermeßlichen Anzahl der vielgestaltigsten Götter phantastisch fort. Denn jene allgemeinen Bedeutungen, welche als das wesentlich Göttliche aufgefaßt sind, lassen sich in tausend und aber tausend Erscheinungen wiederfinden, welche nun selbst als Götter personifiziert und symbolisiert werden und einem klaren Verständnis bei der Unbestimmtheit und durcheinanderwerfenden Unstetigkeit der Phantasie, welche in ihren Erfindungen nichts seiner eigentlichen Natur nach behandelt und alles und jedes von seinem Platze rückt, die größten Hindernisse in den Weg stellen. Für diese untergeordneten Götter, an deren Spitze Indra, Luft und Himmel, steht, geben vornehmlich die allgemeinen Naturkräfte, die Gestirne, Ströme, Gebirge in den verschiedenen Momenten ihres Wirkens, ihrer Veränderung, ihres segenvollen oder schädlichen, erhaltenden oder zerstörenden Einflusses, den näheren Inhalt ab.
Einer der hauptsächlichsten Gegenstände aber der indischen Phantasie und Kunst ist das Entstehen der Götter und aller Dinge, die Theogonie und Kosmogonie. Denn diese Phantasie ist überhaupt in dem steten Prozeß begriffen, das Sinnlichkeitsloseste in die äußere Erscheinung mitten hineinzuführen sowie umgekehrt das Natürlichste und Sinnlichste wieder durch die äußerste Abstraktion auszulöschen. In der ähnlichen Weise wird das Entstehen der Götter aus der obersten Gottheit und das Wirken und Dasein des Brahma, Wischnu, Schiwa in den besonderen Dingen, in Bergen, Wassern, menschlichen Ereignissen dargestellt. Dergleichen Inhalt kann denn einerseits für sich besondere Göttergestalt erhalten, andererseits aber gehen diese Götter wieder in die allgemeinen Bedeutungen der höchsten Götter auf. Solcher Theogonien und Kosmogonien gibt es in großer Anzahl und von unendlicher Mannigfaltigkeit. Wenn man daher sagt: so haben sich die Inder die Erschaffung der Welt, die Entstehung aller Dinge vorgestellt, so kann dies nur immer für eine Sekte oder ein bestimmtes Werk gelten, denn anderwärts findet sich dasselbe immer wieder anders. Die Phantasie dieses Volkes ist in ihrem Bilden und Gestalten unerschöpflich.
Eine Hauptvorstellung, welche sich durch die Entstehungsgeschichten hindurchzieht, ist statt der Vorstellung eines geistigen Schaffens die immer wiederkehrende Veranschaulichung des natürlichen Zeugens. Wenn man mit diesen Anschauungsweisen bekannt ist, so hat man den Schlüssel für viele Darstellungen, welche unser Gefühl der Scham ganz verwirren, indem die Schamlosigkeit aufs äußerste getrieben ist und in ihrer Sinnlichkeit ins Unglaubliche geht. Ein glänzendes Beispiel dieser Art und Weise der Auffassung bietet die berühmte und bekannte Episode aus dem Ramajana, die Herabkunft der Ganga, dar. Sie wird erzählt, als Rama zufällig an den Ganges kommt. Der winterliche, beeiste Himawan, der Fürst der Berge, hatte mit der schlanken Mena zwei Töchter gezeugt, Ganga, die ältere, und die schöne Uma, die jüngere. Die Götter, besonders Indra, hatten den Vater gebeten, ihnen Ganga, damit sie die heiligen Gebräuche begehen könnten, zu senden, und da Himawan sich ihrem Gesuche willfährig erweist, steigt Ganga zu den seligen Göttern empor. Nun folgt die weitere Geschichte der Uma, welche, nachdem sie viele wunderbare Taten der Demut und Büßung vollbracht hat, an Rudra, d. h. Schiwa, vermählt wird. Aus dieser Ehe entstehen wilde, unfruchtbare Gebirge. Hundert Jahre lang lag Schiwa mit Uma in ehelicher Umarmung, ohne Unterbrechung, so daß die Götter, erschreckt über Schiwas Zeugungsmacht und voll Angst vor dem zu gebärenden Kinde, ihn bitten, er möge seine Kraft der Erde zuwenden. Diese Stelle hat der englische Übersetzer nicht wörtlich übertragen mögen, weil sie jede Zucht und Scham allzusehr beiseite setze. Schiwa gibt denn auch den Bitten der Götter Gehör, er läßt von weiterem Zeugen ab, um nicht das Universum zu zerstören, und schleudert seinen Samen auf die Erde; von Feuer durchdrungen, entsteht daraus der weiße Berg, der Indien von der Tatarei trennt. Uma aber gerät darüber in Zorn und Wut und verwünscht alle Gatten. Dies sind zum Teil greuliche, fratzenhafte Gebilde, die unserer Phantasie und allem Verstande widerstreben, so daß sie, statt es wirklich darzustellen, nur merken lassen, was darunter zu verstehen sei. Schlegel hat diesen Teil der Episode nicht übersetzt, sondern erzählt nur, wie Ganga wieder auf die Erde herabgekommen sei. Dies geschah folgendermaßen. Ein Vorfahr des Rama, Sagar, hatte einen bösen Sohn, von einer zweiten Frau aber 60 000 Söhne, die in einem Kürbis zur Welt kamen, doch in Krügen mit geläuterter Butter zu starken Männern großgezogen wurden. Nun wollte Sagar eines Tages ein Roß opfern, das ihm aber Wischnu in Schlangengestalt entreißt. Da sendet Sagar die 60 000 aus. Wischnus Hauch, als sie ihm nach großen Mühseligkeiten und vielem Suchen nahen, verbrennt sie zu Asche. Nach langwierigem Harren zieht endlich ein Enkel des Sagar, Ansuman der Strahlende, Sohn des Asamandscha, aus, um seine 60 000 Oheime und das Opferpferd wiederzufinden. Er trifft auch wirklich auf das Roß, Schiwa und den Aschenhaufen; der Vogelkönig Garuda aber verkündigt ihm, wenn nicht der Strom der heiligen Ganga vom Himmel herab über den Aschenhaufen fließe, würden seine Verwandten nicht wieder ins Leben zurückkehren. Da unterzieht sich der wackre Ansuman 32000 Jahre lang auf dem Gipfel des Himawan den strengsten Büßungen. Vergebens. Weder seine eigenen Kasteiungen noch die 30 000jährigen seines Sohnes Dwilipa helfen das geringste. Erst dem Sohne des Dwilipa, dem herrlichen Bhagiratha, gelingt das große Werk nach wiederum tausendjähriger Büßung. Nun stürzt die Ganga herab; damit sie jedoch nicht die Erde zertrümmere, hält jetzt Schiwa sein Haupt unter, so daß sich in seinen Locken das Wasser verläuft. Da sind denn wieder neue Büßungen des Bhagiratha erforderlich, um die Ganga aus diesen Locken zum Weiterströmen zu befreien. Endlich ergießt sie sich in sechs Strömen, den siebenten leitet Bhagiratha nach gewaltigen Nöten bis zu den 60 000 hin, welche zum Himmel aufsteigen, während Bhagiratha selber sein Volk noch lange in Frieden beherrscht.
Von der ähnlichen Art wie die indischen Theogonien sind auch andere, die skandinavischen z. B. und die griechischen. In allen ist die Hauptkategorie das Zeugen und Erzeugtwerden, keine aber wirft sich so wild und in ihren Gestaltungen zum großen Teil mit solcher Willkür und Unangemessenheit der Erfindung umher. Die Theogonie des Hesiod vornehmlich ist viel durchsichtiger und bestimmter, so daß man jedesmal weiß, wo man ist, und die Bedeutung klar erkennt, da sie heller hervorsticht und dartut, daß die Gestalt und das Äußere an ihr nur äußerlich erscheint. Sie beginnt mit dem Chaos, dem Erebos, Eros, der Gäa; Gäa bringt den Uranos aus sich selbst hervor und erzeugt dann mit ihm die Gebirge, den Pontos usf., auch den Kronos und die Zyklopen, Zentimanen, welche Uranos aber bald nach ihrer Geburt in den Tartaros einschließt. Gäa leitet den Kronos dazu an, den Uranos zu entmannen; es geschieht; das Blut fängt die Erde auf, und daraus hervor wachsen die Erinnyen und Giganten; das Schamglied fängt das Meer auf, und dem Schaume des Meeres entsteigt die Kytheria. Dies alles ist klarer und fester zusammengehalten und bleibt auch nicht bei dem Kreise bloßer Naturgötter stehen.
*) Horace Hayman Wilson, Dictionary in Sanscrit and English, Kalkutta 1819
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