1. Die indische Auffassung von Brahman
Das eine Extrem des indischen Bewußtseins ist das Bewußtsein von dem Absoluten als dem in sich schlechthin Allgemeinen, Unterschiedslosen und dadurch vollständig Unbestimmten. Diese äußerste Abstraktion, indem sie weder besonderen Inhalt hat, noch als konkrete Persönlichkeit vorgestellt ist, ergibt sich nach keiner Seite hin als ein Stoff, den die Anschauung irgend gestalten könnte. Denn Brahman, als dies oberste Göttliche überhaupt, ist den Sinnen und der Wahrnehmung durchaus entzogen, ja eigentlich nicht einmal ein Objekt für das Denken. Denn zum Denken gehört das Selbstbewußtsein, das sich einen Gegenstand setzt, um darin sich zu finden. Jedes Verstehen schon ist eine Identifikation des Ich und des Objekts, eine Aussöhnung der außerhalb dieses Verständnisses Getrennten; was ich nicht verstehe, nicht erkenne, bleibt ein mir Fremdes und Anderes. Die indische Art der Vereinigung aber des menschlichen Selbsts mit Brahman ist nichts als das stets gesteigerte Hinaufschrauben zu dieser äußersten Abstraktion selber, in welcher nicht nur der gesamte konkrete Inhalt, sondern auch das Selbstbewußtsein untergegangen sein muß, ehe der Mensch zu derselben hinzugelangen vermag. Deshalb kennt der Inder keine Versöhnung und Identität mit Brahman in dem Sinne, daß der Menschengeist sich dieser Einheit bewußt werde, sondern die Einheit besteht ihm darin, daß gerade das Bewußtsein und Selbstbewußtsein und damit aller Weltinhalt und Gehalt der eigenen Persönlichkeit total verschwinde. Die Ausleerung und Vernichtung zur absoluten Stumpfheit gilt als der höchste Zustand, der den Menschen zum obersten Gott selber, zu Brahman macht.
Diese Abstraktion, welche zum Härtesten gehört, was der Mensch sich auferlegen kann, einerseits als Brahman und andererseits als der rein theoretische innerliche Kultus des in sich Verdumpfen und Abtötens, ist kein Gegenstand der Phantasie und Kunst, welche sich nur etwa bei Schilderung des Weges zu diesem Ziele in mannigfacheren Gebilden zu ergehen Gelegenheit erhält.
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