B. Die phantastische Symbolik
Tritt das Bewußtsein dagegen aus der unmittelbar angeschauten Identität des Absoluten und seines äußerlich wahrgenommenen Daseins heraus, so liegt als wesentliche Bestimmung die Scheidung der bisher vereinigten Seiten vor uns, der Kampf von Bedeutung und Gestalt, welcher unmittelbar zu dem Versuche drängt, den Bruch durch Ineinanderbildung des Getrennten auf phantasievolle Weise wieder zu heilen.
Erst mit diesem Versuche entsteht das eigentliche Bedürfnis der Kunst. Denn setzt sich die Vorstellung ihren nicht mehr nur unmittelbar in der vorhandenen Realität angeschauten Inhalt losgelöst von diesem Dasein für sich fest, so ist hierdurch dem Geiste die Aufgabe gestellt, die allgemeinen Vorstellungen in erneuter, aus dem Geiste produzierter Weise für die Anschauung und Wahrnehmung phantasiereich herauszugestalten und in dieser Tätigkeit Kunstgebilde hervorzubringen. Da nun in der ersten Sphäre, innerhalb welcher wir uns noch befinden, diese Aufgabe nur symbolisch zu lösen ist, so kann es scheinen, als wenn wir jetzt schon auf dem Boden des eigentlich Symbolischen ständen. Dennoch ist dies nicht der Fall.
Das nächste, was uns begegnet, sind Gestaltungen einer gärenden Phantasie, welche in der Unruhe ihrer Phantasterei nur den Weg bezeichnet, der zu dem echten Mittelpunkte der symbolischen Kunst hinleiten kann. Bei dem ersten Hervortreten nämlich des Unterschiedes und der Beziehung von Bedeutung und Darstellungsform ist beides, das Scheiden sowohl als auch das Verknüpfen, noch verworrener Art. Diese Verworrenheit wird dadurch notwendig, daß jede der unterschiedenen Seiten noch nicht zu einer Totalität gediehen ist, welche in sich selbst das Moment trägt, das die Grundbestimmung der anderen ausmacht, wodurch erst die wahrhaft adäquate Einheit und Versöhnung zustande kommen kann. Der Geist seiner Totalität nach bestimmt z. B. die Seite der äußeren Erscheinung ebensosehr aus sich selber, als die in sich totale und gemäße Erscheinung für sich nur die äußere Existenz des Geistigen ist. Bei dieser ersten Trennung aber der vom Geist erfaßten Bedeutungen und der vorhandenen Welt der Erscheinungen sind die Bedeutungen nicht die der konkreten Geistigkeit, sondern Abstraktionen, und ihr Ausdruck das gleichfalls Unbegeistete und dadurch abstrakt nur Äußere und Sinnliche. Der Drang der Unterscheidung und Vereinigung ist deshalb ein Taumel, der aus den sinnlichen Einzelheiten unbestimmt und maßlos unmittelbar zu den allgemeinsten Bedeutungen hinüberschweift und für das innerlich im Bewußtsein Erfaßte nur die schlechthin entgegengesetzte Form sinnlicher Gestaltungen zu finden weiß. Dieser Widerspruch ist es, welcher die einander widerstrebenden Elemente wahrhaft vereinen soll, doch, von der einen Seite nur in die entgegengesetzte hineingetrieben und aus dieser in die erste wieder zurückgewiesen, sich nur ruhelos herüber- und hinüberwirft und in dem Hinundwiderschwanken und Gären dieses Strebens nach Auflösung die Beschwichtigung schon gefunden glaubt. Statt der echten Befriedigung ist deshalb gerade nur der Widerspruch selber als die wahre Vereinigung und somit die unvollkommenste Einheit als das eigentlich der Kunst Entsprechende hingestellt. Die wahre Schönheit daher dürfen wir auf diesem Felde trüber Verwirrung nicht suchen. Denn in dem rastlos raschen Überspringen von einem Extrem ins andere finden wir einerseits an das sowohl seiner Einzelheit als seiner elementarischen Erscheinung nach aufgenommene Sinnliche die Weite und Macht allgemeiner Bedeutungen in ganz inadäquater Weise geknüpft, andererseits das Allgemeinste, wenn von demselben ausgegangen wird, in der umgekehrten Art mitten in die sinnlichste Gegenwart schamlos hineingerückt; und kommt auch das Gefühl dieser Unangemessenheit zum Bewußtsein, so weiß sich hier die Phantasie nur durch Verzerrungen zu retten, indem sie die besonderen Gestalten über ihre festumgrenzte hinaustreibt, sie ausweitet, ins Unbestimmte verändert, ins Maßlose steigert und auseinanderreißt und dadurch in dem Streben nach Aussöhnung das Entgegengesetzte erst recht in seiner Versöhnungslosigkeit ans Licht bringt.
Diese ersten, noch wildesten Versuche der Phantasie und Kunst treffen wir vornehmlich bei den alten Indern an. Ihr Hauptmangel, dem Begriff dieser Stufe gemäß, besteht darin, daß sie weder imstande sind, die Bedeutungen für sich in ihrer Klarheit noch die vorhandene Wirklichkeit in deren eigentümlicher Gestalt und Bedeutsamkeit zu fassen. Die Inder haben sich daher auch als zu einer historischen Auffassung der Personen und Begebenheiten unfähig erwiesen, denn zur geschichtlichen Betrachtung gehört die Nüchternheit, das Geschehene für sich in seiner wirklichen Gestalt, seinen empirischen Vermittlungen, Gründen, Zwecken und Ursachen aufzunehmen und zu verstehen. Dieser prosaischen Besonnenheit widerstrebt ihr Drang, alles und jedes auf das schlechthin Absolute und Göttliche zurückzuführen und in dem Gewöhnlichsten und Sinnlichsten eine durch die Phantasie erschaffene Gegenwart und Wirklichkeit der Götter vor sich zu haben. In ihrer durcheinandergemischten Verwirrung des Endlichen und Absoluten geraten sie daher, indem die Ordnung, der Verstand und die Festigkeit des alltäglichen Bewußtseins und der Prosa ganz unberücksichtigt bleibt, bei aller Fülle und großartigen Kühnheit ebensosehr in eine ungeheure Faselei des Phantastischen, welche von dem Innerlichsten und Tiefsten in die gemeinste Gegenwart überläuft, um das eine Extrem in das andere unmittelbar zu verkehren und zu verzerren.
Für die bestimmteren Züge dieser kontinuierlichen Trunkenheit, dieses Verrückens und Verrücktseins haben wir hier nicht die religiösen Vorstellungen als solche, sondern nur die Hauptmomente, nach welchen diese Anschauungsweise der Kunst angehört, durchzugehen. Diese Hauptpunkte sind folgende.
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