3. Die Treue Die Diensttreue >>> / Subjektive Selbständigkeit in der Treue >>> / Kollisionen der Treue >>>
Das dritte Moment, welches für die romantische Subjektivität in ihrem weltlichen Kreise von Wichtigkeit wird, ist die Treue. Unter Treue jedoch haben wir hier weder das konsequente Festhalten an dem einmal gegebenen Liebeswort noch die Festigkeit der Freundschaft zu verstehen, als deren schönstes Vorbild unter den Alten Achill und Patroklos und inniger noch Orest und Pylades galten. Die Freundschaft in diesem Sinne des Wortes hat die Jugend vornehmlich zu ihrem Boden und zu ihrer Zeit. Jeder Mensch hat seinen Lebensweg für sich zu machen, eine Wirklichkeit sich zu erarbeiten und zu erhalten. Die Jugend nun, wenn die Individuen noch in gemeinsamer Unbestimmtheit ihrer wirklichen Verhältnisse leben, ist die Zeit, in welcher sie sich aneinanderschließen und so eng zu einer Gesinnung, einem Willen und einer Tätigkeit verbinden, daß dadurch jedes Unternehmen des einen zugleich zum Unternehmen des anderen wird. Dies ist schon in der Männerfreundschaft nicht mehr der Fall. Die Verhältnisse des Mannes gehen für sich ihren Gang und lassen sich nicht in so fester Gemeinschaft mit einem anderen durchführen, daß der eine nichts ohne den anderen vollbringen könnte. Männer finden und trennen sich wieder, ihre Interessen und Geschäfte laufen auseinander und vereinen sich; die Freundschaft, die Innigkeit der Gesinnung, der Grundsätze, allgemeinen Richtungen bleibt, aber es ist nicht die Jünglingsfreundschaft, bei welcher keiner etwas beschließt und ins Werk setzt, was nicht unmittelbar zu einer Angelegenheit des anderen würde. Es gehört wesentlich zum Prinzipe unseres tieferen Lebens, daß im ganzen jeder für sich sorgt, d. i. selbst in seiner Wirklichkeit tüchtig ist.
a. Die Diensttreue
Wenn nun die Treue in der Freundschaft und Liebe nur zwischen Gleichen besteht, so betrifft die Treue, wie wir sie zu betrachten haben, einen Oberen, Höheren, einen Herrn. Eine ähnliche Art der Treue finden wir schon bei den Alten in der Treue der Diener gegen die Familie, das Haus ihres Herrn. Das schönste Beispiel in dieser Beziehung liefert der Schweinehirt des Odysseus, der sich's sauer werden läßt bei Nacht und Unwetter, um seine Schweine zu hüten, voll Kummers wegen seines Herrn, welchem er dann auch endlich treuen Beistand leistet gegen die Freier. Das Bild einer ähnlich rührenden Treue, die hier aber ganz zur Gemütssache wird, zeigt uns Shakespeare z. B. im Lear (1. Akt, 4. Szene), wo Lear den Kent, der ihm dienen will, fragt: "Kennst du mich, Mensch?" - "Nein, Herr!" erwidert Kent, " aber Ihr habt etwas in Eurem Gesichte, das ich gern Herr nennen möchte." - Dies streift schon ganz nahe an das an, was wir hier als die romantische Treue festzustellen haben. Denn die Treue auf unserer Stufe ist nicht die Treue der Sklaven und Knechte, welche zwar schön und rührend sein kann, doch der freien Selbständigkeit der Individualität und eigenen Zwecke und Handlungen entbehrt und dadurch untergeordnet ist.
Was wir dagegen vor uns haben, ist die Vasallentreue des Rittertums, bei welcher das Subjekt, seiner Hingebung an einen Höheren, Fürsten, König, Kaiser zum Trotz, sein freies Beruhen auf sich als durchaus überwiegendes Moment bewahrt. Diese Treue macht jedoch ein so hohes Prinzip im Rittertum aus, weil in ihr der Hauptzusammenhalt eines Gemeinwesens und dessen gesellschaftlicher Ordnung, bei der ursprünglichen Entstehung wenigstens, liegt.
b. Subjektive Selbständigkeit in der Treue
Der inhaltsvollere Zweck, der durch diese neue Einigung der Individuen zum Vorschein kommt, ist aber nicht etwa Patriotismus, als objektives, allgemeines Interesse, sondern nur an ein Subjekt, den Herrn gebunden und darum auch wieder bedingt durch die eigene Ehre, den partikulären Vorteil, die subjektive Meinung. In ihrem größten Glanze erscheint die Treue in einer ungestalteten, ungeschlachten äußerlichen Welt, ohne Herrschaft der Rechte und Gesetze. Innerhalb solch einer gesetzlosen Wirklichkeit stellen sich die Kräftigsten und Emporragendsten als feste Mittelpunkte, als Führer, Fürsten hin, ihnen schließen andere aus freier Wahl sich an. Solch ein Verhältnis hat sich dann später selbst zu einem gesetzlichen Bande der Lehnsherrschaft ausgebildet, wo nun auch jeder Vasall für sich seine Rechte und Vorzüge in Anspruch nimmt. Das Grundprinzip aber, auf dem das Ganze seinem Ursprunge nach beruht, ist die freie Wahl sowohl in betreff auf das Subjekt der Anhänglichkeit als auch auf die Beharrlichkeit in derselben. So weiß denn die Ritterlichkeit der Treue das Eigentum, Recht, die persönliche Selbständigkeit und Ehre des Individuums sehr wohl aufrechtzuerhalten und ist daher nicht als eine Pflicht als solche, welche auch wider den zufälligen Willen des Subjekts zu leisten wäre, anerkannt. Im Gegenteil. Jedes Individuum macht ihr Bestehen und damit das Bestehen der allgemeinen Ordnung von seiner Lust, Neigung und singulären Gesinnung abhängig.
c. Kollisionen der Treue
Die Treue und der Gehorsam gegen den Herrn kann deshalb sehr leicht in Kollision mit der subjektiven Leidenschaft, der Gereiztheit der Ehre, dem Gefühl der Beleidigung, der Liebe und sonstigen inneren und äußeren Zufälligkeiten kommen und wird dadurch etwas höchst Prekäres. Ein Ritter z. B. ist seinem Fürsten getreu, aber sein Freund gerät in Zwist mit dem Fürsten; da hat er sogleich schon die Wahl zwischen der einen und anderen Treue, und vornehmlich kann er sich selbst, seiner Ehre und seinem Vorteil getreu sein. Das schönste Beispiel solch einer Kollision finden wir im Cid. Er ist dem König und ebenso sich selber treu. Wenn der König recht handelt, leiht er ihm seinen Arm, wenn der Fürst jedoch Unrecht tut oder Cid verletzt wird, entzieht er ihm seinen kräftigen Beistand. - Auch die Pairs Karls des Großen zeigen dasselbe Verhältnis. Es ist ein Band der Oberherrschaft und des Gehorsams, ungefähr ebenso, wie wir es zwischen Zeus und den übrigen Göttern schon haben kennenlernen; das Oberhaupt befiehlt, poltert und zankt, aber die selbständigen, kraftvollen Individuen widersetzen sich, wie und wann es ihnen beliebt. Am treuesten und anmutigsten aber ist diese Lösbarkeit und Lockerheit des Verbandes im Reineke Fuchs geschildert. Wie in diesem Gedicht die Großen des Reichs nur eigentlich sich selber und ihrer Selbständigkeit dienen, so waren auch die deutschen Fürsten und Ritter im Mittelalter nicht zu Hause, wenn sie fürs Ganze und ihren Kaiser etwas tun sollten; und es ist, als wenn man das Mittelalter eben darum so hoch stellte, weil in solchem Zustande jeder gerechtfertigt und ein Mann von Ehre ist, wenn er seiner Willkür nachgeht, was ihm in einem vernünftig organisierten Staatsleben nicht gestattet sein kann
Auf allen diesen drei Stufen, der Ehre, Liebe und Treue, ist der Boden die Selbständigkeit des Subjekts in sich, das Gemüt, das sich jedoch immer zu weiteren und reicheren Interessen aufschließt und in denselben mit sich selbst versöhnt bleibt. Hierherein fällt in der romantischen Kunst die schönste Partie des Kreises, welcher außerhalb der Religion als solcher steht. Die Zwecke betreffen das Menschliche, mit dem wir von einer Seite her wenigstens, von der Seite nämlich der subjektiven Freiheit, sympathisieren können und nicht, wie es in dem religiösen Felde hin und wieder der Fall ist, den Stoff wie die Darstellungsweise mit unseren Begriffen in Kollision finden. Ebensosehr aber kann dies Gebiet vielfach mit Religion in Bezug gebracht werden, so daß nun die religiösen Interessen mit denen des weltlichen Rittertums verwebt sind, wie z. B. die Abenteuer der Ritter von der Tafelrunde bei Aufsuchung des Heiligen Grals. In dieser Verschlingung kommt dann teils viel Mystisches und Phantastisches, teils viel Allegorisches in die Poesie des Rittertums herein. Ebenso aber kann das weltliche Gebiet von Liebe, Ehre und Treue auch ganz unabhängig von der Vertiefung in religiöse Zwecke und Gesinnungen auftreten und nur die nächste Bewegung des Gemüts in seiner weltlichen inneren Subjektivität zur Anschauung bringen. - Was jedoch der jetzigen Stufe noch abgeht, ist die Erfüllung dieser Innerlichkeit mit dem konkreten Inhalt der menschlichen Verhältnisse, Charaktere, Leidenschaften und des wirklichen Daseins überhaupt. Dieser Mannigfaltigkeit gegenüber bleibt das in sich unendliche Gemüt noch abstrakt und formell und erhält deshalb die Aufgabe, diesen weiteren Stoff nun gleichfalls in sich aufzunehmen und in künstlerischer Weise verarbeitet darzustellen.
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