B. Die Bestimmtheit des Ideals
Das Ideal als solches, welches wir bisher seinem allgemeinen Begriff nach betrachtet haben, war relativ leicht zu fassen. Indem nun aber das Kunstschöne, insofern es Idee ist, nicht bei seinem bloß allgemeinen Begriffe stehenzubleiben vermag, sondern schon diesem Begriffe nach Bestimmtheit und Besonderheit in sich hat und deshalb auch aus sich heraus in die wirkliche Bestimmtheit hinübertreten muß, so kommt von dieser Seite her die Frage in Anregung, in welcher Weise - dem Herausgehen in die Äußerlichkeit und Endlichkeit und somit in das Nicht-Ideale zum Trotz - das Ideale sich dennoch zu erhalten sowie umgekehrt das endliche Dasein die Idealität des Kunstschönen in sich aufzunehmen imstande sei.
Wir haben in dieser Beziehung folgende Punkte zu besprechen:
erstens die Bestimmtheit des Ideals als solche;
zweitens die Bestimmtheit, insoweit sie sich durch ihre Besonderheit zur Differenz in sich und zur Lösung derselben fortentwickelt, was wir im allgemeinen als Handlung bezeichnen können;
drittens die äußerliche Bestimmtheit des Ideals.
I. Die ideale Bestimmtheit als solche
1. Das Göttliche als Einheit und Allgemeinheit
Wir sahen bereits, die Kunst habe vor allem das Göttliche zum Mittelpunkte ihrer Darstellungen zu machen. Das Göttliche nun aber, für sich als Einheit und Allgemeinheit festgehalten, ist wesentlich nur für den Gedanken und, als an sich selbst bildlos, dem Bilden und Gestalten der Phantasie entzogen; wie denn auch den Juden und Mohammedanern verboten ist, sich ein Bild von Gott für die nähere, im Sinnlichen sich umtuende Anschauung zu entwerfen. Für die bildende Kunst, welche der konkretesten Lebendigkeit der Gestalt durchweg bedarf, ist deshalb hier kein Raum, und die Lyrik allein vermag in der Erhebung zu Gott den Preis seiner Macht und Herrlichkeit anzustimmen.
2. Das Göttliche als Götterkreis
Nach der anderen Seite hin jedoch ist das Göttliche, wie sehr ihm auch Einheit und Allgemeinheit zukommt, ebensosehr auch in sich selbst wesentlich bestimmt, und indem es somit der Abstraktion sich entschlägt, gibt es sich auch der Bildlichkeit und Anschaubarkeit hin. Wird es nun in Form der Bestimmtheit von der Phantasie aufgefaßt und bildlich dargestellt, so tritt dadurch sogleich eine Mannigfaltigkeit des Bestimmens ein, und hier erst beginnt das eigentliche Bereich der idealen Kunst.
Denn erstens zerspaltet und zersplittert sich die eine göttliche Substanz zu einer Vielheit selbständig in sich beruhender Götter, wie in der polytheistischen Anschauung der griechischen Kunst; und auch für die christliche Vorstellung erscheint Gott, seiner rein geistigen Einheit in sich gegenüber, als wirklicher Mensch in das Irdische und Weltliche unmittelbar verflochten. Zweitens ist das Göttliche in seiner bestimmten Erscheinung und Wirklichkeit überhaupt im Sinn und Gemüt, Wollen und Vollbringen des Menschen gegenwärtig und wirksam, und so werden in dieser Sphäre vom Geiste Gottes erfüllte Menschen, Heilige, Märtyrer, Selige, Fromme überhaupt, ein gleich gemäßer Gegenstand auch der idealen Kunst. Mit diesem Prinzip der Besonderheit aber des Göttlichen und seines bestimmten und damit auch weltlichen Daseins kommt drittens die Partikularität der menschlichen Wirklichkeit zum Vorschein. Denn das ganze menschliche Gemüt mit allem, wovon es im Innersten bewegt wird und was eine Macht in ihm ist, jede Empfindung und Leidenschaft, jedes tiefere Interesse der Brust - dies konkrete Leben bildet den lebendigen Stoff der Kunst, und das Ideal ist dessen Darstellung und Ausdruck.
Das Göttliche dagegen als reiner Geist in sich ist nur Gegenstand der denkenden Erkenntnis. Der aber in Tätigkeit verleiblichte Geist, insoweit er nur immer an die Menschenbrust anklingt, gehört der Kunst. Hier jedoch tun sich dann sogleich besondere Interessen und Handlungen, bestimmte Charaktere und momentane Zustände und Situationen derselben, überhaupt die Verwicklungen mit Äußerlichem hervor, und es ist deshalb anzugeben, worin zunächst im allgemeinen das Ideale in Beziehung auf diese Bestimmtheit liegt.
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