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Inhalt - Übersicht

Einleitung

Erster Teil.
Die Idee des Kunstschönen oder das Ideal

Stellung der Kunst im Verhältnis zur endlichen Wirklichkeit und zur Religion und Philosophie

Zweiter Teil. Entwicklung des Ideals zu den besonderen Formen des Kunstschönen

Dritter Teil.
Das System der einzelnen Künste

Vom “Ende der Kunst” >

Wie nun aber die Kunst in der Natur und den endlichen Gebieten des Lebens ihr Vor hat, ebenso hat sie auch ein Nach, ...  >>>

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Georg Wilhelm Friedrich Hegel
Vorlesungen über die Ästhetik
                          
(1835-1838)                                                              

   Inhalt - Übersicht       

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2. Das Verhältnis des Ideals zur Natur

Die bildliche und äußerliche Seite nun, welche dem Ideal ebenso notwendig ist als der in sich gediegene Inhalt, und die Art der Durchdringung beider führt uns auf das Verhältnis der idealen Darstellung der Kunst zur Natur.
Denn dies äußerliche Element und dessen Gestaltung hat einen Zusammenhang mit dem,
was wir überhaupt Natur heißen. In dieser Beziehung ist der alte, immerfort sich erneuernde Zwist,
ob die Kunst natürlich im Sinne des vorhandenen Äußeren darstellen oder die Naturerscheinungen verherrlichen und verklären solle, noch nicht beigelegt. Recht der Natur und Recht des Schönen, Ideal und Naturwahrheit in solchen zunächst unbestimmten Wörtern kann man ohne Aufhören gegeneinanderreden.
Denn das Kunstwerk soll allerdings natürlich sein, aber es gibt auch eine gemeine, häßliche Natur, diese soll nun wiederum nicht nachgebildet werden, andererseits aber - und so geht es ohne Ende und festes Resultat fort.

In neuerer Zeit ist der Gegensatz von Ideal und Natur vornehmlich durch Winckelmann wieder angeregt und von Wichtigkeit geworden.
Winckelmanns Begeisterung hat sich, wie ich früher bereits andeutete, an den Werken der Alten und ihrer idealen Formen entzündet, und er ruhte nicht eher, bis er die Einsicht in deren Vortrefflichkeit gewonnen und die Anerkennung und das Studium dieser Meisterwerke der Kunst wieder in die Welt eingeführt hatte.
Aus dieser Anerkennung nun aber ist eine Sucht nach idealischer Darstellung hervorgegangen,
in der man die Schönheit gefunden zu haben glaubte, doch in Fadheit, Unlebendigkeit und charakterlose Oberflächlichkeit verfiel. Solche Leerheit des Ideals hauptsächlich in der Malerei hat Herr von Rumohr in seiner erwähnten Polemik gegen die Idee und das Ideal vor Augen.

Es ist nun die Sache der Theorie, diesen Gegensatz aufzulösen; das praktische Interesse dagegen für die Kunst selbst können wir auch hier wiederum ganz beiseite lassen,
denn man mag der Mittelmäßigkeit und ihren Talenten Grundsätze einflößen, welche man will,
es ist und bleibt dasselbe: sie produziert, ob nach einer schiefen oder nach der besten Theorie,
doch immer nur Mittelmäßiges und Schwächliches. Außerdem ist die Kunst überhaupt und insbesondere die Malerei bereits durch andere Anregungen von dieser Sucht nach sogenannten Idealen abgekommen und hat auf ihrem Wege durch Auffrischung des Interesses für die ältere italienische und deutsche wie für die spätere holländische Malerei Gehaltvolleres und Lebendigeres in Formen und Inhalt zu erlangen wenigstens den Versuch gemacht.

Wie jener abstrakten Ideale ist man aber auf der anderen Seite der beliebten Natürlichkeit in der Kunst ebensosehr satt geworden.
Auf dem Theater z. B. ist jedermann der alltäglichen Haushaltungsgeschichten und ihrer naturgetreuen Darstellung von Herzen müde.
Den Jammer der Väter mit der Frau, den Söhnen und Töchtern, mit der Besoldung, dem Auskommen, mit der Abhängigkeit von Ministern und Intrigen der Kammerdiener und Sekretäre und ebenso die Not der Frau mit den Mägden in der Küche und den verliebten empfindsamen Dingern von Töchtern in dem Wohnzimmer - alle diese Sorge und Plage findet jeder getreuer und besser im eigenen Hause.

Bei diesem Gegensatze des Ideals und der Natur hat man nun also die eine Kunst mehr als die andere im Sinne gehabt, hauptsächlich aber die Malerei, deren Sphäre gerade die anschauliche Besonderheit ist.
Wir wollen deshalb die Frage in betreff dieses Gegensatzes allgemeiner so stellen: soll die Kunst Poesie oder Prosa sein?
Denn das echt Poetische in der Kunst ist eben das, was wir Ideal nannten.
Kommt es auf den bloßen Namen Ideal an, so ließe sich derselbe leicht aufgeben.
Dann entsteht aber die Frage, was ist denn Poesie und was ist Prosa in der Kunst?
Obschon auch das Festhalten des an sich selbst Poetischen in bezug auf bestimmte Künste zu Abirrungen führen kann und bereits geführt hat:  insofern, was der Poesie ausdrücklich und näher der lyrischen etwa angehört, auch durch die Malerei dargestellt worden ist, weil solch ein Inhalt denn doch gewiß poetischer Art sei.
Die jetzige Kunstausstellung (1828) z. B. enthält mehrere Gemälde, alle aus ein und derselben
(der sogenannten Düsseldorfer) Schule, welche sämtlich Sujets aus der Poesie, und zwar aus der nur als Empfindung darstellbaren Seite der Poesie entlehnt haben.
Sieht man diese Gemälde öfter und genauer an, so erscheinen sie bald genug als süß und fade.

In jenem Gegensatze nun liegen folgende allgemeine Bestimmungen:

a) Die ganz formelle Idealität des Kunstwerks, indem die Poesie überhaupt, wie schon der Name andeutet, ein Gemachtes, vom Menschen Hervorgebrachtes ist, das er in seine Vorstellung aufgenommen, verarbeitet und aus derselben durch seine eigene Tätigkeit herausgestellt hat.

α) Der Inhalt kann dabei ganz gleichgültig sein oder uns außerhalb der Kunstdarstellung im gewöhnlichen Leben nur nebenher etwa augenblicklich interessieren.
In dieser Weise hat z. B. die holländische Malerei die vorhandenen flüchtigen Scheine der Natur als vom Menschen neu erzeugte zu tausend und aber tausend Effekten umzuschaffen gewußt.
Samt, Metallglanz, Licht, Pferde, Knechte, alte Weiber, Bauern, aus Pfeifenstummeln den Rauch herausblasend, das Blinken des Weins im durchsichtigen Glase, Kerle in schmutzigen Jacken, mit alten Karten spielend: solche und hunderterlei andere Gegenstände, um welche wir uns im alltäglichen Leben kaum bekümmern
- da uns selbst, wenn auch wir Karten spielen, trinken und von diesem und jenem schwatzen,
noch ganz andere Interessen ausfüllen -, werden uns in diesen Gemälden vors Auge gebracht.
Was uns aber bei dergleichen Inhalt, insofern ihn die Kunst uns darbietet, sogleich in Anspruch nimmt, ist eben dies Scheinen und Erscheinen der Gegenstände als durch den Geist produziert,
welcher das Äußere und Sinnliche der ganzen Materiatur im Innersten verwandelt.
Denn statt existierender Wolle, Seide, statt des wirklichen Haares, Glases, Fleisches und Metalls sehen wir bloße Farben, statt der totalen Dimensionen, deren das Natürliche zu seiner Erscheinung bedarf, eine bloße Fläche, und dennoch haben wir denselben Anblick, den das Wirkliche gibt.

β) Gegen die vorhandene prosaische Realität ist daher dieser durch den Geist produzierte Schein das Wunder der Idealität, ein Spott, wenn man will, und eine Ironie über das äußerliche natürliche Dasein. Denn welche Anstalten muß die Natur und der Mensch im gewöhnlichen Leben machen,
welcher unzähligen Mittel der verschiedensten Art müssen sie sich bedienen, um dergleichen hervorzubringen; welch einen Widerstand leistet hier das Material, wie das Metall z. B., wenn es bearbeitet werden soll.
Die Vorstellung dagegen, aus welcher die Kunst schöpft, ist ein weiches, einfaches Element, das alles, was die Natur und der Mensch in seinem natürlichen Dasein sich müssen sauer werden lassen, leicht und gefügig seinem Innern entnimmt.
Ebenso sind die dargestellten Gegenstände und der Mensch der Alltäglichkeit nicht von unerschöpflichem Reichtum, sondern beschränkt; Edelsteine, Gold, Pflanzen, Tiere usf. sind für sich nur dieses begrenzte Dasein.
Der Mensch aber als künstlerisch schaffend ist eine ganze Welt von Inhalt, den er der Natur entwendet und in dem umfassenden Bereich der Vorstellung und Anschauung zu einem Schatze zusammengehäuft hat, welchen er nun auf einfache Weise ohne die weitläufigen Bedingungen und Veranstaltungen der Realität frei aus sich herausgibt.

Die Kunst in dieser Idealität ist die Mitte zwischen dem bloß objektiven bedürftigen Dasein und der bloß inneren Vorstellung.
Sie liefert uns die Gegenstände selbst, aber aus dem Innern her; sie gibt sie nicht zum sonstigen Gebrauch, sondern beschränkt das Interesse auf die Abstraktion des ideellen Scheines für den bloß theoretischen Anblick.

γ) Dadurch nun erhebt sie durch diese Idealität zugleich die sonst wertlosen Objekte,
welche sie ihres unbedeutenden Inhalts unerachtet für sich fixiert und zum Zweck macht und auf das unsere Teilnahme richtet, woran wir sonst rücksichtslos vorübergehen würden.
Dasselbe vollbringt die Kunst in Rücksicht auf die Zeit und ist auch hierin ideell.
Was in der Natur vorübereilt, befestigt die Kunst zur Dauer; ein schnell verschwindendes Lächeln, einen plötzlichen schalkhaften Zug um den Mund, einen Blick, einen flüchtigen Lichtschein,
ebenso geistige Züge im Leben der Menschen, Vorfälle, Begebenheiten, welche kommen und gehen, da sind und wieder vergessen werden - alles und jedes entreißt sie dem augenblicklichen Dasein und überwindet auch in dieser Beziehung die Natur.

In dieser formellen Idealität nun aber der Kunst ist es nicht der Inhalt selbst, was uns vornehmlich in Anspruch nimmt, sondern die Satisfaktion des geistigen Hervorbringens.
Die Darstellung muß hier natürlich erscheinen, doch nicht das Natürliche daran als solches,
sondern jenes Machen, das Vertilgtwerden gerade der sinnlichen Materialität und der äußerlichen Bedingungen ist das Poetische und Ideale in formellem Sinne.
Wir erfreuen uns an einer Manifestation, welche erscheinen muß, als hätte die Natur sie hervorgebracht, während sie doch ohne deren Mittel eine Produktion des Geistes ist; die Gegenstände ergötzen uns nicht, weil sie so natürlich, sondern weil sie so natürlich gemacht sind.

b) Ein anderes, tiefer dringendes Interesse jedoch geht darauf,
daß der Inhalt nicht nur in den Formen,
in denen er sich uns in seiner unmittelbaren Existenz darbietet, zur Darstellung komme,
sondern als vom Geiste gefaßt
nun auch innerhalb jener Formen erweitert und anders gewendet werde.
Was natürlich existiert, ist schlechthin ein Einzelnes, und zwar nach allen Punkten und Seiten vereinzelt. Die Vorstellung dagegen hat die Bestimmung des Allgemeinen in sich, und was aus ihr hervorgeht, erhält schon dadurch den Charakter der Allgemeinheit im Unterschiede natürlicher Vereinzelung.
Die Vorstellung gewährt in dieser Beziehung den Vorteil,
daß sie von weiterem Umfange und dabei fähig ist, das Innere zu fassen, herauszuheben und sichtbarer zu explizieren.
Nun ist zwar das Kunstwerk nicht bloß allgemeine Vorstellung, sondern deren bestimmte Verkörperung; aber als aus dem Geist und dessen vorstellendem Elemente hervorgegangen,
muß es diesen Charakter des Allgemeinen, seiner anschaulichen Lebendigkeit unerachtet,
durch sich hindurchziehen lassen.
Dies gibt die höhere Idealität des Poetischen gegen jene formelle des bloßen Machens.
Hier nun ist es die Aufgabe des Kunstwerks, den Gegenstand in seiner Allgemeinheit zu ergreifen und in der äußeren Erscheinung desselben dasjenige fortzulassen, was für den Ausdruck des Inhalts bloß äußerlich und gleichgültig bleiben würde.
Der Künstler deshalb nimmt nicht alles das in Formen und Ausdrucksweisen auf, was er draußen in der Außenwelt vorfindet und weil er's vorfindet; sondern er greift nur nach den rechten und dem Begriff der Sache gemäßen Zügen, wenn er echte Poesie zustande bringen will.
Nimmt er sich die Natur und ihre Hervorbringungen, überhaupt das Vorhandene zum Vorbild,
so geschieht es nicht, weil die Natur es soundso gemacht, sondern weil sie es recht gemacht hat;
dies "recht" aber ist ein Höheres als das Vorhandene selber.

Bei der menschlichen Gestalt z. B. verfährt der Künstler nicht, wie man etwa bei Restauration alter Gemälde auch in den neugemalten Stellen die Sprünge wieder nachahmt, welche durch das Springen des Firnisses und der Farben alle die übrigen älteren Teile des Bildes wie mit einem Netz überzogen haben, sondern das Netz der Haut, und mehr noch die Sommersprossen, Bläschen, einzelnen Pockennarben, Leberflecke usw., läßt selbst die Porträtmalerei fort, und der berühmte Denner ist in seiner sogenannten Natürlichkeit nicht zum Muster zu nehmen.
Ebenso werden auch wohl die Muskeln und Adern angedeutet, doch dürfen sie nicht mit dieser Bestimmtheit und Ausführlichkeit wie in der Natur heraustreten.
Denn in alledem ist wenig oder nichts Geistiges, und der Ausdruck des Geistigen ist das Wesentliche in der menschlichen Gestalt.
Weshalb ich es auch nicht so durchaus nachteilig finden kann, daß bei uns z. B. weniger nackte Statuen gemacht werden als bei den Alten.
Dagegen ist der heutige Zuschnitt unserer Anzüge unkünstlerisch und prosaisch der idealeren Gewandung der Alten gegenüber. Beiden Bekleidungen ist der Zweck gemeinsam, den Körper zu bedecken.
Die Kleidung nun aber, welche die antike Kunst darstellt, ist eine mehr oder weniger für sich selbst formlose Fläche und wird nur etwa dadurch determiniert, daß sie einer Befestigung am Körper, an der Schulter z. B., bedarf.
Im übrigen bleibt das Gewand formbar und hängt einfach und frei nach der ihm eigenen immanenten Schwere herab oder wird durch die Stellung des Körpers, durch die Haltung und Bewegung der Glieder bestimmt.
Die Determinierbarkeit, in welcher sich dartut, das Äußere diene ganz nur dem veränderlichen Ausdruck des Geistes, der in dem Körper erscheint, so daß die besondere Form des Gewandes,
der Faltenwurf, das Herabhängen und Emporgezogensein ganz von innen her sich gestaltet und sich nur momentan gerade dieser Stellung oder Bewegung anpassend zeigt,
- diese Bestimmbarkeit macht das Ideale in der Kleidung aus.
In unseren modernen Anzügen dagegen ist der ganze Stoff fertig und nach den Formen der Gliedmaßen zugeschnitten und genäht, so daß eine eigene Freiheit des Fallens nicht mehr oder nur im geringsten Grade vorhanden ist.
Denn auch die Art der Falten ist durch die Nähte bestimmt und überhaupt Schnitt und Fall ganz technisch und handwerksmäßig durch den Schneider bewirkt.
Nun reguliert zwar der Bau der Glieder im allgemeinen die Form der Kleider;
aber in dieser Körperform sind sie gerade nur eine schlechte Nachäffung oder nach konventioneller Mode und zufälliger Laune der Zeit eine Verunstaltung der menschlichen Glieder, und der einmal fertige Schnitt bleibt nun immer derselbe, ohne durch Stellung und Bewegung bestimmt zu erscheinen; wie z. B. die Rockärmel und Hosen sich gleichbleiben, wir mögen Arme und Beine so oder anders bewegen. Die Falten höchstens ziehen sich in verschiedener Weise, immer aber nach den festen Nähten, wie die Beinkleider z. B. an der Statue von Scharnhorst.
Unsere Art der Bekleidung also ist als Äußeres nicht genug von dem Inneren abgeschieden, um dann umgekehrt von innen her gestaltet zu erscheinen, sondern in falscher Nachahmung der Naturform ebenso wieder für sich in dem einmal angenommenen Schnitt fertig und unveränderlich.

Das Ähnliche, was wir soeben in betreff auf die menschliche Gestalt und deren Bekleidung sahen,
gilt nun auch von einer Menge sonstiger Äußerlichkeiten und Bedürfnisse im menschlichen Leben, welche für sich notwendig und allen Menschen gemeinsam sind, ohne daß sie jedoch in Beziehung mit den wesentlichen Bestimmungen und Interessen stehen, welche das eigentliche, seinem Gehalt nach Allgemeine im menschlichen Dasein ausmachen, wie mannigfaltig auch alle diese physischen Bedingungen, als z. B. Essen, Trinken, Schlafen, Ankleiden usf., in die vom Geiste ausgehenden Handlungen äußerlich verflochten sein mögen.

Dergleichen kann nun allerdings mit in die poetische Kunstdarstellung aufgenommen werden, und man gesteht z. B. dem Homer in dieser Beziehung die größte Natürlichkeit zu.
Dennoch muß auch er sich, aller εe̓νάϱγεeιαa, aller Deutlichkeit für die Anschauung zum Trotz, darauf beschränken, solcher Zustände nur im allgemeinen zu erwähnen, und es wird keinem die Forderung einfallen, daß in dieser Beziehung alle Einzelheiten, wie das vorhandene Dasein sie gibt, sollten aufgezählt und beschrieben werden.
Wie auch bei der Körperschilderung des Achill wohl der hohen Stirn, der wohlgebauten Nase,
der langen, starken Beine Erwähnung geschehen kann, ohne daß jedoch die Einzelheit der wirklichen Existenz dieser Glieder Punkt für Punkt, die Lage und das Verhältnis jedes Teils zum anderen,
die Farbe usf., was erst die rechte Natürlichkeit wäre, mit zur Darstellung kommt.
Außerdem aber ist bei der Dichtkunst die Art des Ausdrucks immer die allgemeine Vorstellung im Unterschiede der natürlichen Einzelheit; der Dichter gibt statt der Sache stets nur den Namen,
das Wort, in welchem das Einzelne zu einer Allgemeinheit wird, indem das Wort von der Vorstellung produziert ist und dadurch schon den Charakter des Allgemeinen in sich trägt.
Nun ließe sich zwar sagen, es sei ja in der Vorstellung und im Reden natürlich, den Namen,
das Wort als diese unendliche Abkürzung des natürlich Existierenden zu gebrauchen,
doch dies wäre dann immer eine jener ersten gerade entgegengesetzte und dieselbe aufhebende Natürlichkeit.
Es fragt sich also, welche Art der Natürlichkeit bei jenem Gegensatz gegen das Poetische gemeint ist; denn Natur überhaupt ist ein unbestimmtes, leeres Wort.
Die Poesie wird stets nur das Energische, Wesentliche, Bezeichnende herausheben dürfen, und dies ausdrucksvoll Wesentliche ist eben das Ideelle und nicht bloß Vorhandene, dessen Einzelheiten bei irgendeinem Vorfall, einer Szene usf. vorzutragen matt, geistlos, ermüdend und unerträglich werden müßte.

In Beziehung auf diese Art der Allgemeinheit erweist sich jedoch die eine Kunst idealer,
die andere mehr gegen die Breite äußerer Anschaulichkeit hin ausgerichtet.
Die Skulptur z. B. ist in ihren Gebilden abstrakter als die Malerei, während in der Dichtkunst die epische Poesie einerseits in Rücksicht auf äußere Lebendigkeit der wirklichen Aufführung eines dramatischen Werks nachstehen wird, andererseits aber ebensosehr die dramatische Kunst in Fülle der Anschaulichkeit übertrifft, indem uns der epische Sänger konkrete Bilder aus der Anschauung des Geschehenen vorführt, wogegen der dramatische sich mit den inneren Motiven des Handelns, des Agierens auf den Willen und Reagierens des Inneren zu begnügen hat.

c) Indem es nun ferner der Geist ist, der die innere Welt seines an und für sich interessevollen Gehaltes in Form äußerer Erscheinung realisiert, so fragt es sich auch in dieser Beziehung,
welche Bedeutung der Gegensatz von Ideal und Natürlichkeit habe.
Das Natürliche kann in dieser Sphäre nicht in dem eigentlichen Sinne des Worts gebraucht werden, denn als Außengestalt des Geistes gilt es nicht nur dadurch,
daß es eben unmittelbar wie die tierische Lebendigkeit, die landschaftliche Natur usf. da ist,
sondern es erscheint hier seiner Bestimmung nach, insofern es der Geist ist,
welcher sich verleiblicht, nur als Ausdruck des Geistigen und somit schon als idealisiert.
Denn dies Aufnehmen in den Geist, dies Bilden und Gestalten von seiten des Geistes her heißt eben Idealisieren.
Von den Toten sagt man, daß ihr Gesicht die Physiognomie des Kindesalters wieder annehme;
der leiblich festgewordene Ausdruck der Leidenschaften, Gewohnheiten und Bestrebungen,
das Charakteristische in allem Wollen und Tun ist dann entflohen und die Unbestimmtheit der kindlichen Züge zurückgekehrt. Im Leben aber erhalten die Züge und die ganze Gestalt den Charakter ihres Ausdrucks von dem Innern her; wie denn auch die unterschiedenen Völker, Stände usf. den Unterschied ihrer geistigen Richtungen und Tätigkeiten in der äußeren Gestalt kundgeben.
In allen solchen Beziehungen erscheint das Äußere als vom Geist durchdrungen und durch ihn bewirkt, schon der Natur als solcher gegenüber idealisiert.
Hier nun erst ist der eigentliche bedeutungsvolle Sitz der Frage nach dem Natürlichen und Idealen. Denn auf der einen Seite wird die Behauptung aufgestellt, die Naturformen des Geistigen wären bereits in der wirklichen, von der Kunst nicht wiedererschaffenen Erscheinung für sich so vollkommen,
schön und vortrefflich da, daß es nicht noch ein anderes Schönes geben könne,
welches sich als höher und im Unterschiede dieses Vorhandenen als Ideal erwiese,
da die Kunst nicht einmal das in der Natur schon Vorgefundene ganz zu erreichen befähigt sei.
Auf der anderen Seite ergeht die Forderung, dem Wirklichen gegenüber für die Kunst noch anderweitige, idealere Formen und Darstellungen selbständig aufzufinden.
In dieser Rücksicht besonders ist die erwähnte Polemik des Herrn von Rumohr wichtig, der,
wenn andere, welche das Ideal im Munde führen, von oben herab verächtlich von gemeiner Natur reden, nun seinerseits mit gleicher Vornehmheit und Verachtung von der Idee und dem Ideale spricht.

Nun gibt es aber in der Tat in der Welt des Geistigen eine äußerlich und innerlich ordinäre Natur, welche äußerlich gemein ist, eben weil das Innere gemein ist und in seinem Handeln und ganzen Äußeren nur Zwecke des Neides, der Scheelsucht, Habbegier im Kleinlichen und Sinnlichen zur Erscheinung bringt.
Auch diese gemeine Natur kann sich die Kunst zum Stoffe nehmen und hat es getan.
Dann aber bleibt entweder, wie schon vorhin gesagt ist, das Darstellen als solches,
die Künstlichkeit des Hervorbringens das einzig wesentliche Interesse, und in diesem Falle würde einem gebildeten Menschen vergeblich zugemutet werden, für das ganze Kunstwerk, d. h. auch für solch einen Inhalt, Teilnahme zu bezeigen,
- oder der Künstler muß durch seine Auffassung noch etwas Weiteres und Tieferes daraus machen. Vorzüglich ist es die sogenannte Genremalerei, welche dergleichen Gegenstände nicht verschmäht hat und von den Holländern bis auf die Spitze der Vollendung ist geführt worden.
Was hat nun die Holländer zu diesem Genre hingeleitet, welcher Inhalt ist in diesen Bildchen ausgedrückt, die doch die höchste Kraft der Anziehung beweisen?
Unter dem Titel gemeiner Natur dürfen sie nicht etwa schlechthin beiseite gestellt und verworfen werden.
Denn der eigentliche Stoff dieser Gemälde, untersucht man ihn näher, ist so gemein nicht, als man gewöhnlich glaubt.

Die Holländer haben den Inhalt ihrer Darstellungen aus sich selbst, aus der Gegenwart ihres eigenen Lebens erwählt, und dies Präsente auch durch die Kunst noch einmal verwirklicht zu haben, ist ihnen nicht zum Vorwurf zu machen.
Was der Mitwelt vor Augen und Geist gebracht wird, muß ihr auch angehören,
wenn es ihr ganzes Interesse soll in Anspruch nehmen.
Um zu wissen, worin das damalige Interesse der Holländer bestand,
müssen wir ihre Geschichte fragen.
Der Holländer hat sich zum größten Teil den Boden,
darauf er wohnt und lebt, selber gemacht und ist ihn fortdauernd gegen das Anstürmen des Meers zu verteidigen und zu erhalten genötigt; die Bürger der Städte wie die Bauern haben durch Mut, Ausdauer, Tapferkeit die spanische Herrschaft unter Philipp II., dem Sohne Karls V.,
dieses mächtigen Königs der Welt, abgeworfen und sich mit der politischen ebenso die religiöse Freiheit in der Religion der Freiheit erkämpft.
Diese Bürgerlichkeit und Unternehmungslust im Kleinen wie im Großen, im eigenen Lande wie ins weite Meer hinaus, dieser sorgfältige und zugleich reinliche, nette Wohlstand, die Froheit und Übermütigkeit in dem Selbstgefühl, daß sie dies alles ihrer eigenen Tätigkeit verdanken, ist es,
was den allgemeinen Inhalt ihrer Bilder ausmacht.
Das aber ist kein gemeiner Stoff und Gehalt, zu dem man freilich nicht mit der Vornehmigkeit einer hohen Nase von Hof und Höflichkeiten her aus guter Gesellschaft herankommen muß.
In solchem Sinne tüchtiger Nationalität hat Rembrandt seine berühmte "Wache" in Amsterdam, van Dyck so viele seiner Porträts, Wouwerman seine Reiterszenen gemalt, und selbst jene bäurischen Gelage, Lustigkeiten und behaglichen Späße gehören hierher.

Wir haben z. B., um ein Gegenstück anzuführen, gleichfalls gute Genrebilder auf unserer diesjährigen Kunstausstellung, doch reichen sie an Kunst der Darstellung noch lange nicht an die gleichartigen der Holländer heran, und auch im Inhalt können sie sich zu der ähnlichen Freiheit und Fröhlichkeit nicht erheben.
Wir sehen z. B. eine Frau, welche ins Wirtshaus geht, um ihren Mann auszuzanken.
Dies gibt nichts als eine Szene bissiger, giftiger Menschen. Bei den Holländern dagegen in ihren Schenken, bei Hochzeiten und Tänzen, beim Schmausen und Trinken geht es,
wenn's auch zu Zänkereien und Schlägen kommt, nur froh und lustig zu, die Weiber und Mädchen sind auch dabei, und das Gefühl der Freiheit und Ausgelassenheit durchdringt alles und jedes.
Diese geistige Heiterkeit eines berechtigten Genusses, welche selbst bis in die Tierstücke hereingeht und sich als Sattheit und Lust hervorkehrt, diese frische, aufgeweckte geistige Freiheit und Lebendigkeit in Auffassung und Darstellung macht die höhere Seele solcher Gemälde aus.

In dem ähnlichen Sinne sind auch die Betteljungen von Murillo (in der Münchner Zentralgalerie) vortrefflich.
Äußerlich genommen, ist der Gegenstand auch hier aus der gemeinen Natur:
die Mutter laust den einen Jungen, indes er ruhig sein Brot kaut; zwei andere auf einem ähnlichen Bilde, zerlumpt und arm, essen Melonen und Trauben.
Aber in dieser Armut und halben Nacktheit gerade leuchtet innen und außen nichts als die gänzliche Unbekümmertheit und Sorglosigkeit, wie sie ein Derwisch nicht besser haben kann, in dem vollen Gefühle ihrer Gesundheit und Lebenslust hervor.
Diese Kummerlosigkeit um das Äußere und die innere Freiheit im Äußeren ist es, welche der Begriff des Idealen erheischt.
In Paris gibt es ein Knabenporträt von Raffael: müßig liegt der Kopf auf den Arm gestützt und blickt mit solcher Seligkeit kummerloser Befriedigung ins Weite und Freie,
daß man nicht loskommen kann, dies Bild geistiger froher Gesundheit anzuschauen.
Die gleiche Befriedigung gewähren uns jene Knaben von Murillo.
Man sieht, sie haben keine weiteren Interessen und Zwecke, doch nicht aus Stumpfsinn etwa,
sondern zufrieden und selig fast wie die olympischen Götter hocken sie am Boden;
sie handeln, sie sprechen nichts, aber sie sind Menschen aus einem Stück,
ohne Verdrießlichkeit und Unfrieden in sich; und bei dieser Grundlage zu aller Tüchtigkeit hat man die Vorstellung, es könne alles aus solchem Jungen werden. Das sind ganz andere Auffassungsweisen,
als wir bei jener zänkischen, galligen Frau oder dem Bauer sehen, der seine Peitsche zusammenbindet, oder bei dem Postillion, welcher auf der Streu schläft.

Dergleichen Genrebilder nun aber müssen klein sein und auch in ihrem ganzen sinnlichen Anblick als etwas Geringfügiges erscheinen, worüber wir dem äußeren Gegenstande und Inhalte nach hinaus sind. Es würde unerträglich werden, dergleichen in Lebensgröße ausgeführt und dadurch mit dem Anspruche zu sehen, als ob uns dergleichen wirklich in seiner Ganzheit sollte befriedigen können.

In dieser Weise muß das, was man gemeine Natur zu nennen pflegt, aufgefaßt werden, um in die Kunst eintreten zu dürfen.

Nun gibt es allerdings höhere, idealere Stoffe für die Kunst als die Darstellung solcher Froheit und bürgerlichen Tüchtigkeit in an sich immer unbedeutenden Partikularitäten.
Denn der Mensch hat ernstere Interessen und Zwecke, welche aus der Entfaltung und Vertiefung des Geistes in sich herkommen und in denen er in Harmonie mit sich bleiben muß.
Die höhere Kunst wird diejenige sein, welche sich die Darstellung dieses höheren Inhalts zur Aufgabe macht. Erst in dieser Rücksicht nun ergeht die Frage, woher denn die Formen für dies aus dem Geist Erzeugte zu entnehmen seien.
Die einen hegen die Meinung, wie der Künstler zunächst in sich selber jene hohen Ideen trage,
die er sich erschaffen, so müsse er sich auch die hohen Formen dafür,
wie die Gestalten z. B. der griechischen Götter, Christus, der Apostel, Heiligen usf., aus sich selber bilden.
Gegen diese Behauptung zieht nun vor allem Herr von Rumohr zu Felde,
indem er den Abweg der Kunst in dieser Richtung, in welcher die Künstler sich eigenmächtig ihre Formen im Unterschiede der Natur erfanden, erkannt und dagegen die Meisterwerke der Italiener und Niederländer als Muster aufgestellt hat.
In dieser Beziehung tadelt er es (Italienische Forschungen* Bd. I, S. 105 f.), 'daß die Kunstlehre der letzten sechzig Jahre darzulegen bemüht gewesen, der Zweck oder doch der Hauptzweck der Kunst bestehe darin, die Schöpfung in ihren einzelnen Gestaltungen nachzubessern, beziehungslose Formen hervorzubringen, welche das Erschaffene ins Schönere nachäffen und das sterbliche Geschlecht gleichsam dafür schadlos halten sollten, daß die Natur eben nicht schöner zu gestalten verstanden'.
Deshalb rät er (S. 63) dem Künstler, "von dem titanischen Vorhaben abzustehen,
die Naturform zu verherrlichen, zu verklären oder mit welchem anderen Namen solche Überhebungen des menschlichen Geistes in den Kunstschriften bezeichnet werden".
- Denn er ist der Überzeugung, daß auch für die höchsten geistigen Gegenstände in dem Vorhandenen bereits die genügenden Außenformen vorlägen, und behauptet deshalb (S. 83),
"daß die Darstellung der Kunst auch da, wo ihr Gegenstand der denkbar geistigste ist, nimmer auf willkürlich festgesetzten Zeichen, sondern durchhin auf einer in der Natur gegebenen Bedeutsamkeit der organischen Formen beruht".
Dabei hat Herr von Rumohr hauptsächlich die von Winckelmann angegebenen idealischen Formen der Alten im Auge. Diese Formen herausgehoben und zusammengestellt zu haben, ist aber Winckelmanns unendliches Verdienst, obschon sich in bezug auf besondere Merkmale Irrtümer mögen eingeschlichen haben.
Wie z. B. (S. 115, Anm.) Herr von Rumohr zu glauben scheint, daß die Verlängerung des Unterleibes, welche Winckelmann (Geschichte der Kunst des Altertums [1764], 5. Buch, Kap. 4, § 2) als ein Merkmal antiker Formenideale bezeichnet, aus römischen Standbildern entnommen sei. Hiergegen nun fordert Herr von Rumohr in seiner Polemik gegen das Ideale, der Künstler solle sich ganz dem Studium der Naturform in die Arme werfen; hier erst komme das eigentlich Schöne wahrhaft zum Vorschein. Denn, sagt er (S. 144), "die wichtigste Schönheit beruht auf jener gegebenen, in der Natur, nicht in menschlicher Willkür gegründeten Symbolik der Formen, durch welche diese in bestimmten Verbindungen zu Merkmalen und Zeichen gedeihen, bei deren Anblick wir uns notwendig teils bestimmter Vorstellungen und Begriffe erinnern, teils auch bestimmter in uns schlummernder Gefühle bewußt werden".
Und so verbinde denn auch (S. 105, Anm.) 'ein geheimer Zug des Geistes, etwa was man Idee nennt, den Künstler mit verwandten Naturerscheinungen, und in diesen lerne er ganz allgemach sein eigenes Wollen immer deutlicher erkennen und werde durch sie dasselbe auszudrücken erfähigt'.

Allerdings kann in der idealen Kunst von willkürlich festgesetzten Zeichen nicht die Rede sein, und wenn es geschehen ist, daß jene idealen Formen der Alten mit Hintansetzung der echten Naturform zu falschen und leeren Abstraktionen sind nachgebildet worden, so tut Herr von Rumohr recht daran, aufs stärkste dagegen zu opponieren.

Als das Hauptsächliche aber bei diesem Gegensatze des Kunstideals und der Natur ist folgendes festzustellen.

Die vorhandenen Naturformen des geistigen Gehaltes sind in der Tat als symbolisch in dem allgemeinen Sinne zu nehmen,
daß sie nicht unmittelbar für sich selber gelten, sondern ein Erscheinen sind des Inneren und Geistigen, welches sie ausdrücken.
Das macht schon in ihrer Wirklichkeit außerhalb der Kunst ihre Idealität im Unterschiede der Natur als solcher aus, die nichts Geistiges darstellt.
In der Kunst nun soll auf ihrer höheren Stufe der innere Gehalt des Geistes seine Außengestalt erhalten. Dieser Gehalt ist im wirklichen menschlichen Geist, und so hat er, wie das menschliche Innere überhaupt, seine vorhandene Außengestalt, in welcher er sich ausspricht.
Wie sehr nun auch dieser Punkt zuzugeben ist, so bleibt es doch wissenschaftlich eine durchaus müßige Frage, ob es in der vorhandenen Wirklichkeit so schöne ausdrucksvolle Gestalten und Physiognomien gibt, deren sich die Kunst bei Darstellung z. B. eines Jupiter - seiner Hoheit, Ruhe, Macht -, einer Juno, Venus, eines Petrus, Christus, Johannes, einer Maria usf. unmittelbar als Porträt bedienen könne.
Es läßt sich zwar dafür und dawider streiten, aber es bleibt eine ganz empirische und selbst als empirisch unentscheidbare Frage. Denn der einzige Weg der Entscheidung wäre das wirkliche Zeigen, das sich z. B. für die griechischen Götter schwer möchte bewerkstelligen lassen,
und auch für die Gegenwart hat der eine etwa vollendete Schönheiten gesehen, der andere, tausendmal Gescheitere nicht.
Außerdem aber gibt die Schönheit der Form überhaupt noch immer nicht das, was wir Ideal nannten, da zum Ideal auch zugleich Individualität des Gehalts und dadurch auch der Form gehört.
Ein der Form nach durchaus regelmäßiges,  schönes Gesicht z. B. kann dennoch kalt und ausdruckslos sein.
Die Ideale der griechischen Götter aber sind Individuen, denen auch eine charakteristische Bestimmtheit innerhalb der Allgemeinheit nicht abgeht.
Die Lebendigkeit des Ideals nun beruht gerade darin, daß diese bestimmte geistige Grundbedeutung, welche zur Darstellung kommen soll, durch alle besonderen Seiten der äußeren Erscheinung - Haltung, Stellung, Bewegung, Gesichtszüge, Form und Gestalt der Glieder usf. - vollständig durchgearbeitet sei, so daß nichts Leeres und Unbedeutendes übrigbleibe, sondern alles sich als von jener Bedeutung durchdrungen erweise.
Was uns z. B. von griechischer Skulptur als in der Tat dem Phidias zugehörig in neuester Zeit vor Augen gestellt ist, erhebt vornehmlich durch diese Art durchgreifender Lebendigkeit.
Das Ideal ist noch in seiner Strenge festgehalten und hat den Übergang zu Anmut, Lieblichkeit, Fülle und Grazie nicht gemacht, sondern hält jede Form noch in fester Beziehung auf die allgemeine Bedeutung, welche verleiblicht werden sollte. Diese höchste Lebendigkeit zeichnet die großen Künstler aus.

Solch eine Grundbedeutung ist der Partikularität der wirklichen Erscheinungswelt gegenüber in sich abstrakt zu nennen, und zwar vorzugsweise in der Skulptur und Malerei, welche nur ein Moment herausheben, ohne zu der vielseitigen Entwicklung fortzugehen,
in welcher Homer z. B. den Charakter des Achill als ebenso hart und grausam als mild und freundlich und nach so vielen anderen Seelenzügen zu schildern vermochte.
In der vorhandenen Wirklichkeit nun kann solche Bedeutung auch wohl ihren Ausdruck finden,
wie es z. B. fast kein Gesicht geben wird,
das nicht den Anblick der Frömmigkeit, Andacht, Heiterkeit usw. liefern könnte; aber solche Physiognomien drücken noch tausenderlei daneben aus,
was zu der auszuprägenden Grundbedeutung entweder gar nicht paßt oder zu ihr in keiner näheren Beziehung steht.
Deshalb wird sich auch ein Porträt sogleich durch seine Partikularität als Porträt bekunden.
Auf altdeutschen und niederländischen Gemälden z. B. findet sich häufig der Donator mit seiner Familie, Frau, Söhnen und Töchtern, abgebildet.
Sie alle sollen in Andacht versenkt erscheinen,
und die Frömmigkeit leuchtet wirklich aus allen Zügen hervor; aber außerdem erkennen wir in den Männern etwa wackere Kriegsleute, kräftig bewegte Menschen, in Leben und Leidenschaft des Wirkens viel versucht, und in den Frauen sehen wir Ehefrauen von ähnlicher lebenskräftiger Tüchtigkeit.
Vergleichen wir hiermit selbst in diesen Gemälden, welche in Rücksicht auf ihre naturwahren Physiognomien berühmt sind, Maria oder danebenstehende Heilige und Apostel, so ist auf ihren Gesichtern dagegen nur ein Ausdruck zu lesen, und alle Formen, der Knochenbau, die Muskeln, die ruhenden und bewegten Züge, sind auf diesen einen Ausdruck konzentriert.
Das Anpassende erst der ganzen Formation gibt den Unterschied des eigentlich Idealen und des Porträts.

Nun könnte man sich vorstellen, der Künstler solle sich aus dem Vorhandenen die besten Formen hier und dort auserlesen und sie zusammenstellen oder auch, wie es geschieht, aus Kupferstich- und Holzschnittsammlungen sich Physiognomien, Stellungen usf. heraussuchen, um für seinen Inhalt die echten Formen zu finden.
Mit diesem Sammeln und Wählen aber ist die Sache nicht abgetan,
sondern der Künstler muß sich schaffend verhalten und in seiner eigenen Phantasie mit Kenntnis der entsprechenden Formen wie mit tiefem Sinn und gründlicher Empfindung die Bedeutung, die ihn beseelt, durch und durch und aus einem Guß heraus bilden und gestalten.

* Karl Friedrich von Rumohr, Italienische Forschungen, 3 Bde., Berlin und Stettin 1826-31

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