b. Verletzbarkeit der Ehre
Indem nun die Ehre nicht nur ein Scheinen in mir selber ist, sondern auch in der Vorstellung und Anerkennung der anderen sein muß, welche wiederum ihrerseits die gleiche Anerkennung ihrer Ehre fordern dürfen, so ist die Ehre das schlechthin Verletzliche. Denn wieweit ich und in bezug worauf ich die Forderung ausdehnen will, beruht rein in meiner Willkür. Der kleinste Verstoß kann mir in dieser Rücksicht schon von Bedeutung sein; und da der Mensch innerhalb der konkreten Wirklichkeit mit tausend Dingen in den mannigfaltigsten Verhältnissen steht und den Kreis dessen, was er zu dem Seinigen zählen und worein er seine Ehre legen wolle, unendlich zu erweitern vermag, so ist bei der Selbständigkeit der Individuen und ihrer spröden Vereinzelung, die gleichfalls im Prinzip der Ehre liegt, des Streitens und Haderns kein Ende. Auch bei der Verletzung kommt es deshalb, wie bei der Ehre überhaupt, nicht auf den Inhalt an, in welchem ich mich verletzt fühlen muß; denn das, was negiert wird, betrifft die Persönlichkeit, die solch einen Inhalt zu dem ihrigen gemacht hat und nun sich, als diesen ideellen unendlichen Punkt, angegriffen erachtet.
c. Wiederherstellung der Ehre
Dadurch ist jede Ehrenverletzung als etwas in sich selbst Unendliches angesehen und kann deswegen nur auf unendliche Weise gutgemacht werden. Zwar gibt es auch wieder viele Grade der Beleidigung und ebensoviel Grade der Satisfaktion; was ich aber überhaupt in diesem Kreise als eine Verletzung nehme, inwieweit ich mich als beleidigt empfinden und eine Genugtuung fordern will, das hängt auch hier wieder ganz von der subjektiven Willkür ab, die bis zur skrupulösesten Reflexion und gereiztesten Empfindlichkeit fortzugehen das Recht hat. Bei solch einer Genugtuung, die gefordert ist, muß dann der Verletzende, ebenso wie ich selbst, als ein Ehrenmann anerkannt werden. Denn ich will die Anerkennung meiner Ehre von seiten des anderen; um nun aber Ehre für ihn und durch ihn zu haben, muß er mir selbst als ein Mann von Ehre, d. h. er muß mir, der Verletzung, die er mir angetan, und meiner subjektiven Feindschaft gegen ihn unerachtet, in seiner Persönlichkeit als ein Unendliches gelten.
So ist es denn im Prinzip der Ehre überhaupt eine Grundbestimmung, daß keiner durch seine Handlungen irgendwem ein Recht über sich geben darf und deshalb, was er auch getan und begangen haben mag, sich nach wie vor als ein unverändertes Unendliches betrachtet und in dieser Qualität genommen und behandelt sein will.
Da nun die Ehre in ihren Streitigkeiten und ihrer Genugtuung in dieser Rücksicht auf der persönlichen Selbständigkeit beruht, die sich durch nichts beschränkt weiß, sondern aus sich selbst handelt, so sehen wir hier das zuerst wieder herausgekehrt, was bei den heroischen Gestalten des Ideals eine Grundbestimmung ausmachte, die Selbständigkeit der Individualität. In der Ehre aber haben wir nicht nur das Festhalten an sich selber und das Handeln aus sich, sondern die Selbständigkeit ist hier verbunden mit der Vorstellung von sich selbst, und diese Vorstellung gerade macht den eigentlichen Inhalt der Ehre aus, so daß sie in dem Äußerlichen und Vorhandenen das Ihrige und sich darin ihrer ganzen Subjektivität nach vorstellt. Die Ehre ist somit die in sich reflektierte Selbständigkeit, welche nur diese Reflexion zu ihrem Wesen hat und es schlechthin zufällig läßt, ob ihr Inhalt das in sich selbst Sittliche und Notwendige oder das Zufällige und Bedeutungslose ist.
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