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Inhalt - Übersicht

Einleitung

Erster Teil.
Die Idee des Kunstschönen oder das Ideal

Stellung der Kunst im Verhältnis zur endlichen Wirklichkeit und zur Religion und Philosophie

Zweiter Teil. Entwicklung des Ideals zu den besonderen Formen des Kunstschönen

Dritter Teil.
Das System der einzelnen Künste

Vom “Ende der Kunst” >

Wie nun aber die Kunst in der Natur und den endlichen Gebieten des Lebens ihr Vor hat, ebenso hat sie auch ein Nach, ...  >>>

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Georg Wilhelm Friedrich Hegel
Vorlesungen über die Ästhetik
                          
(1835-1838)                                                              

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1. Die Ehre

Das Motiv der Ehre war der alten klassischen Kunst unbekannt.
In der Ilias macht wohl der Zorn des Achilles den Inhalt und das bewegende Prinzip aus,
so daß der ganze weitere Verlauf davon abhängig ist; aber was wir im modernen Sinne unter Ehre verstehen, ist hier nicht aufgefaßt. Achill findet sich wesentlich nur dadurch verletzt,
daß ihm sein wirklicher Beuteanteil, der ihm gehört und der seine Ehrenbelohnung, sein γέαaς ist, von Agamemnon genommen wird.
Die Verletzung geschieht hier in Rücksicht auf etwas Reales, auf eine Gabe, in welcher allerdings auch eine Bevorzugung, eine Anerkennung des Ruhms und der Tapferkeit gelegen hatte, und Achill erzürnt sich, weil ihm Agamemnon unwürdig begegnet und ihn nichts zu achten kundgibt unter den Griechen; aber die Verletzung dringt nicht in die letzte Spitze der Persönlichkeit als solcher,
so daß sich Achill nun auch durch die Zurückgabe des ihm entrissenen Anteils und die Hinzufügung mehrerer Geschenke und Güter befriedigt und Agamemnon diese Reparation letztlich nicht verweigert, obschon sie sich unseren Vorstellungen nach aufs allergröblichste wechselseitig beleidigt haben. Durch die Schimpfworte jedoch haben sie sich nur zornig gemacht, während die partikulär sachliche Verletzung in ebenso partikulär-sachlicher Weise wieder aufgehoben wird.

 

a. Begriff der Ehre

Die romantische Ehre dagegen ist anderer Art. In ihr betrifft die Verletzung nicht den sachlichen realen Wert, Eigentum, Stand, Pflicht usf., sondern die Persönlichkeit als solche und deren Vorstellung von sich selbst, den Wert, den das Subjekt sich für sich selber zuschreibt.
Dieser Wert ist auf der jetzigen Stufe ebenso unendlich, als das Subjekt sich unendlich ist.
In der Ehre hat daher der Mensch das nächste affirmative Bewußtsein seiner unendlichen Subjektivität, unabhängig von dem Inhalt derselben.
Was nun das Individuum besitzt, was an ihm etwas Besonderes ausmacht, nach dessen Verlust es ebensogut als vorher bestehen könnte, in das wird durch die Ehre die absolute Geltung der ganzen Subjektivität hineingelegt und darin für sich und andere vorgestellt.
Der Maßstab der Ehre geht also nicht auf das, was das Subjekt wirklich ist, sondern auf das,
was in dieser Vorstellung ist. Die Vorstellung aber macht jedes Besondere zu der Allgemeinheit, daß meine ganze Subjektivität in diesem Besonderen, die mein ist, liegt.
Die Ehre ist nur Schein, pflegt man zu sagen. Allerdings ist dies der Fall; aber sie ist dem jetzigen Standpunkt gemäß näher als das Scheinen und Widerscheinen der Subjektivität in sich selbst zu nehmen, das als Scheinen eines in sich Unendlichen selber unendlich ist.
Durch diese Unendlichkeit eben wird der Schein der Ehre das eigentliche Dasein des Subjekts, seine höchste Wirklichkeit, und jede besondere Qualität, in welche die Ehre hineinscheint und dieselbe zur ihrigen macht, ist durch dieses Scheinen selber schon zu einem unendlichen Wert erhoben.
- Diese Art der Ehre macht eine Grundbestimmung in der romantischen Welt aus und hat die Voraussetzung, daß der Mensch ebensosehr aus der bloß religiösen Vorstellung und Innerlichkeit heraus-, als auch in die lebendige Wirklichkeit hineingetreten sei und an dem Stoffe derselben jetzt nur sich selbst in seiner rein persönlichen Selbständigkeit und absoluten Geltung zur Existenz bringe.

Die Ehre kann nun den mannigfaltigsten Inhalt haben.
Denn alles, was ich bin, was ich tue, was mir von anderen angetan wird, gehört auch meiner Ehre an.
Ich kann mir deshalb das schlechthin Substantielle selbst, Treue gegen Fürsten, gegen Vaterland, Beruf, Erfüllung der Vaterpflichten, Treue in der Ehe, Rechtschaffenheit in Handel und Wandel, Gewissenhaftigkeit in wissenschaftlichen Forschungen usf. zur Ehre anrechnen.
Für den Gesichtspunkt der Ehre nun aber sind alle diese in sich selbst gültigen und wahrhaftigen Verhältnisse nicht durch sich selbst schon sanktioniert und anerkannt, sondern erst dadurch,
daß ich meine Subjektivität hineinlege und sie hierdurch zur Ehrensache werden lasse.
Der Mann von Ehre denkt daher bei allen Dingen immer zuerst an sich selbst; und nicht,
ob etwas an und für sich recht sei oder nicht, ist die Frage, sondern, ob es ihm gemäß sei,
ob es seiner Ehre gezieme, sich damit zu befassen oder davonzubleiben.
Und so kann er auch wohl die schlechtesten Dinge tun und ein Mann von Ehre sein.
Er schafft sich ebenso willkürliche Zwecke, stellt sich in einem gewissen Charakter vor und macht sich dadurch bei sich und anderen zu dem verbindlich, wozu an sich keine Verbindlichkeit und Notwendigkeit statthat.
Dann legt nicht die Sache, sondern die subjektive Vorstellung Schwierigkeiten und Verwicklungen in den Weg, da es zur Ehrensache wird, den einmal angenommenen Charakter zu behaupten.
So hält es z. B. Donna Diana als ihrer Ehre zuwider, die Liebe, welche sie fühlt, irgend zu gestehen, weil sie einmal dafür gegolten hat, der Liebe nicht Gehör zu geben.
- Im allgemeinen bleibt deshalb der Inhalt der Ehre, da er nur durch das Subjekt und nicht nach seiner ihm selbst immanenten Wesentlichkeit gilt, der Zufälligkeit preisgegeben.
Deshalb sehen wir in den romantischen Darstellungen einerseits das, was an und für sich berechtigt ist, als Gesetz der Ehre ausgesprochen, indem das Individuum an das Bewußtsein des Rechten zugleich das unendliche Selbstbewußtsein seiner Persönlichkeit knüpft.
Daß die Ehre etwas fordere oder verbiete, drückt dann aus, daß die ganze Subjektivität sich in den Inhalt dieser Forderung oder dieses Verbots hineinsetze, so daß eine Übertretung sich nicht durch irgendeine Transaktion übersehen, gutmachen oder ersetzen lasse und das Subjekt nun keinem anderen Inhalte Gehör geben könne.
Umgekehrt aber kann die Ehre auch zu etwas ganz Formellem und Gehaltlosem werden,
insofern sie nichts als mein trockenes Ich, das für sich unendlich ist, enthält oder gar einen ganz schlechten Inhalt als verpflichtend in sich aufnimmt.
In diesem Falle bleibt die Ehre, besonders in dramatischen Darstellungen, ein durchweg kalter und toter Gegenstand, indem ihre Zwecke dann nicht einen wesentlichen Inhalt, sondern nur eine abstrakte Subjektivität ausdrücken.
Nun hat aber nur ein in sich substantieller Gehalt Notwendigkeit und läßt sich in dieser seinem mannigfachen Zusammenhange nach explizieren und als notwendig ins Bewußtsein bringen.
Dieser Mangel an tieferem Inhalt tritt besonders hervor, wenn die Spitzfindigkeit der Reflexion an sich selbst Zufälliges und Unbedeutendes, das mit dem Subjekt in Berührung steht, mit in den Umfang der Ehre hineinzieht. An Stoff fehlt es dann niemals, denn die Spitzfindigkeit analysiert mit großer Subtilität der Unterscheidungsgabe, und da können viele Seiten, die für sich genommen ganz gleichgültig sind, herausgefunden und zum Gegenstand der Ehre gemacht werden.
Hauptsächlich die Spanier haben diese Kasuistik der Reflexion über Ehrenpunkte in ihrer dramatischen Poesie ausgebildet und als Räsonnement ihren Ehrenhelden in den Mund gelegt.
So kann z. B. die Treue der Ehefrau bis in die allergeringfügigsten Umstände hinein untersucht und schon der bloße Verdacht anderer, ja die bloße Möglichkeit eines solchen Verdachtes,
selbst wenn der Mann weiß, der Verdacht sei falsch, ein Gegenstand der Ehre werden.
Führt dies zu Kollisionen, so liegt in der Durchführung derselben keine Befriedigung,
weil wir nichts Substantielles vor uns haben und deshalb statt der Beruhigung eines notwendigen Widerstreites nur eine peinlich einengende Empfindung daraus entnehmen können.
Auch in französischen Dramen ist es oft die trockene Ehre, ganz abstrakt für sich, die als wesentliches Interesse gelten soll.
Mehr aber noch ist Herrn Friedrich von Schlegels Alarcos dies in sich Eiskalte und Tote: der Held ermordet seine edle, liebende Frau - warum? - um der Ehre willen, und diese Ehre besteht darin, daß er die Königstochter, für die er gar keine Leidenschaft hegt, heiraten und dadurch Tochtermann des Königs werden kann. Das ist ein verächtliches Pathos und eine schlechte Vorstellung, die sich zu etwas Hohem und Unendlichem aufspreizt.

 

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