b. Stellung und Bewegung des Körpers
Was nun die übrigen Glieder, Hals, Brust, Rücken, Leib, Arme, Hände, Schenkel und Füße, anbetrifft, so geht hier eine andere Ordnung an. Sie können in ihrer Form zwar schön sein, aber nur sinnlich, lebendig schön, ohne durch ihre Gestalt als solche schon, wie das Gesicht es tut, das Geistige auszusprechen. Die Alten haben nun auch für die Gestalt dieser Glieder und deren Ausarbeitung den höchsten Schönheitssinn bewiesen, doch dürfen auch diese Formen in der echten Skulptur sich nicht bloß als Schönheit des Lebendigen geltend machen, sondern müssen als Glieder der menschlichen Gestalt zugleich den Anblick des Geistigen geben, soviel dies die Leiblichkeit als solche imstande ist. Denn sonst würde der Ausdruck des Inneren sich nur auf das Antlitz konzentrieren, während doch in der Plastik der Skulptur das Geistige gerade durch die gesamte Gestalt hindurchergossen erscheinen und sich nicht für sich, dem Leiblichen gegenüber, isolieren soll.
Fragen wir nun, durch welche Mittel Brust, Leib, Rücken und die Extremitäten zum Ausdruck des Geistes mitwirken und dadurch selber außer der schönen Lebendigkeit auch den Hauch eines geistigen Lebens aufnehmen können, so sind diese Mittel:
erstens die Stellung, in welche die Glieder, insoweit dieselbe vom Inneren des Geistes ausgeht und frei vom Innern her bestimmt ist, zueinander gebracht werden;
zweitens die Bewegung oder Ruhe in ihrer vollen Schönheit und Freiheit der Form.
Drittens gibt diese Art der Stellung und Bewegung in ihrem bestimmten Habitus und Ausdruck näher die besondere Situation an, in welcher das Ideal, das niemals nur in abstracto Ideal sein kann, gefaßt ist.
Auch über diese Punkte will ich noch einige allgemeine Bemerkungen hinzufügen.
α) In Rücksicht auf die Stellung ist das erste, was sich schon der oberflächlichen Betrachtung darbietet, die aufrechte Stellung des Menschen. Der tierische Leib läuft mit dem Boden parallel, Maul und Auge verfolgen dieselbe Richtung des Rückgrats, und das Tier kann dies sein Verhältnis zur Schwere nicht selbständig aus sich aufheben. Das Entgegengesetzte ist beim Menschen der Fall, indem das geradeaus schauende Auge in seiner natürlichen Richtung im rechten Winkel mit der Linie der Schwere und des Leibes steht. Der Mensch kann zwar auch wie die Tiere auf vieren gehen, und die Kinder tun es in der Tat; sobald aber das Bewußtsein zu erwachen beginnt, reißt der Mensch sich von dem tierischen Gebundensein an den Boden los und steht frei für sich aufrecht da. Dies Stehen ist ein Wollen, denn hören wir auf, stehen zu wollen, so wird unser Körper zusammensinken und zu Boden fallen. Dadurch schon hat die aufrechte Stellung einen geistigen Ausdruck, insofern das Sichaufheben vom Boden mit dem Willen und deshalb mit Geistigem und Innerem in Zusammenhang bleibt; wie man denn auch von einem in sich freien und selbständigen Menschen, der seine Gesinnungen, Ansichten, Vorsätze und Zwecke nicht von anderen abhängig macht, zu sagen gewohnt ist, daß er sich auf seine eigenen Füße stelle.
Nun ist aber die aufrechte Stellung noch nicht als solche schön, sondern wird es erst durch die Freiheit ihrer Form. Steht nämlich der Mensch abstrakt nur gerade, läßt er die Hände ganz gleichmäßig am Leibe, ohne sie davon abzutrennen, herunterhängen, während die Beine ebenso dicht nebeneinander bleiben, so gibt dies einen widerwärtigen Eindruck von Steifheit, auch wenn darin zunächst kein Zwang zu sehen ist. Das Steife macht hier einerseits die abstrakte, gleichsam architektonische Regelmäßigkeit aus, in welcher die Glieder durch die gleiche Lage zueinander verharren; andererseits zeigt sich darin keine geistige Bestimmung von innen her, denn Arme, Beine, Brust, Leib, alle Glieder stehen und hängen dann, wie sie dem Menschen von Hause aus gewachsen sind, ohne durch den Geist und sein Wollen und Empfinden in ein verändertes Verhältnis gebracht zu werden. Dasselbe ist es mit dem Sitzen. Umgekehrt entbehrt auch das Zusammenkauern und Hocken am Boden der Freiheit, weil es auf etwas Subordiniertes, Unselbständiges und Knechtisches deutet. Die freie Stellung dagegen vermeidet teils die abstrakte Regelmäßigkeit und Winkligkeit und bringt auch die Stellung der Glieder in Linien, welche sich der Form des Organischen nähern, teils läßt sie geistige Bestimmungen hindurchscheinen, so daß aus der Stellung die Zustände und Leidenschaften des Inneren erkennbar werden. Erst in diesem Falle kann die Stellung als eine Gebärde des Geistes gelten.
In Anwendung der Stellungen als Gebärde muß die Skulptur jedoch mit großer Vorsicht verfahren und hat dabei manche Schwierigkeit zu überwinden. Einerseits nämlich leitet sich dann die wechselseitige Beziehung der Glieder zwar aus dem Inneren des Geistes her, andererseits aber darf diese Bestimmung von innen die einzelnen Teile nicht in einer Weise stellen, welche der Struktur des Körpers und den Gesetzen derselben widerstrebt und somit nur den Anblick eines den Gliedern angetanen Zwanges geben oder in Gegensatz gegen das schwere Material geraten würde, in welchem die Skulptur die Konzeptionen des Künstlers auszuführen die Aufgabe hat. Drittens muß die Stellung schlechthin ungezwungen scheinen, d. h. wir müssen den Eindruck erhalten, als wenn der Körper die Stellung wie von selber einnähme, weil sonst Körper und Geist sich als etwas Verschiedenes, Auseinandertretendes zeigen und in das Verhältnis des bloßen Befehls von der einen und des abstrakten Gehorsams von der anderen Seite treten, während beide doch in der Skulptur ein und dasselbe unmittelbar zusammenstimmende Ganze ausmachen sollen. Die Ungezwungenheit ist in dieser Rücksicht ein Haupterfordernis. Der Geist als Inneres muß die Glieder total durchdringen und diese ebenso den Geist und seine Bestimmungen als den eigenen Inhalt ihrer Seele in sich aufnehmen. Was endlich näher die Art der Gebärde angeht, welche die Stellung in der idealen Skulptur auszudrücken beauftragt werden kann, so geht schon aus dem, was wir früher ausführten, hervor, daß es nicht die schlechthin veränderliche, augenblickliche Gebärde sein darf. Die Skulptur muß nicht so darstellen, wie wenn Menschen durch Hüons Horn mitten in Bewegung und Handlung versteinert oder gefroren wären. Im Gegenteil muß die Gebärde, obgleich sie auf ein charakteristisches Handeln allenfalls hindeuten kann, doch nur ein Beginnen und Zubereiten ausdrücken, eine Intention, oder sie muß ein Aufhören und Zurückkehren aus der Handlung zur Ruhe bezeichnen. Die Ruhe und Selbständigkeit des Geistes, der die Möglichkeit einer ganzen Welt in sich schließt, ist das für die Skulpturgestalt Gemäßeste.
β) Wie mit der Stellung verhält es sich nun auch zweitens mit der Bewegung. Sie findet als eigentliche Bewegung in der Skulptur als solcher, insofern dieselbe noch nicht aus sich zu der einer weiteren Kunst sich annähernden Darstellungsweise fortgeht, weniger ihren Platz. Das ruhige Götterbild in seiner seligen Beschlossenheit in sich kampflos hinzustellen ist ihre Hauptaufgabe. Eine Mannigfaltigkeit der Bewegungen fällt da von selber fort; es ist mehr ein in sich versunkenes Dastehen oder Liegen, was zur Darstellung kommt; dies in sich Trächtige, das nicht zu einer bestimmten Handlung fortgeht und somit auch seine ganze Kraft nicht auf einen Moment reduziert und diesen Moment zur Hauptsache macht, sondern die ruhige gleiche Dauer. Man muß sich vorstellen können, daß die Göttergestalt in derselben Stellung unvergänglich so dastehen werde. Das Herausgegangensein aus sich, das Sichhineinreißen in die Mitte einer bestimmten konfliktvollen Handlung, die Anstrengung des Augenblicks, die nicht so aushalten kann und will, sind der ruhigen Idealität der Skulptur entgegen und treten mehr nur da auf, wo in Gruppen und Reliefs schon mit einem Anklang an das Prinzip der Malerei besondere Momente einer Handlung zur Darstellung gebracht werden. Der Effekt durch gewaltsame Affekte und deren vorübergehenden Ausbruch tut zwar seine sofortige Wirkung, dann aber hat er sie auch getan, und man kehrt dahin nicht gern zurück. Denn das Hervorstechende, das vorgestellt wird, ist die Sache des Augenblicks, die man auch im Augenblick sieht und kennt, während gerade die innere Fülle und Freiheit, das Unendliche und Ewige, worin man sich dauernd versenken mag, zurückgesetzt ist.
γ) Hiermit soll aber nicht gesagt sein, daß die Skulptur, wo sie ihr strenges Prinzip festhält und auf ihrem Gipfel steht, die bewegte Stellung ganz von sich ausschließen müsse; sie würde in diesem Falle das Göttliche nur in seiner Unbestimmtheit und Indifferenz vorstellig machen. Insofern sie im Gegenteil das Substantielle als Individualität zu fassen und in leiblicher Gestalt vor die Anschauung zu bringen hat, so wird auch der innere und äußere Zustand, zu welchem sie ihren Inhalt und dessen Form ausprägt, individuell sein müssen. Diese Individualität einer bestimmten Situation nun ist es, welche sich durch die Stellung und Bewegung des Körpers vornehmlich ausdrückt. Wie jedoch das Substantielle in der Skulptur die Hauptsache ist und die Individualität sich aus demselben noch nicht zu partikulärer Selbständigkeit herausgerungen hat, so muß auch die besondere Bestimmtheit der Situation nicht von der Art sein, daß sie die einfache Gediegenheit jenes Substantiellen trübt oder aufhebt, indem sie es entweder in die Einseitigkeit und den Kampf von Kollisionen hereinzieht oder überhaupt ganz in die überwiegende Wichtigkeit und Mannigfaltigkeit des Besonderen überführt, sondern sie muß mehr nur eine für sich genommen unwesentlichere Bestimmtheit oder auch ein heiteres Spiel harmloser Lebendigkeit auf der Oberfläche der Individualität bleiben, deren Substantialität dadurch nichts an ihrer Tiefe, Selbständigkeit und Ruhe einbüßt. Doch ist dies ein Punkt, den ich früher bereits bei Gelegenheit der Situation, in welcher das Ideal in seiner Bestimmtheit zur Darstellung kommen dürfe, in fortlaufendem Bezuge auf das Ideal der Skulptur besprochen habe (Bd. I, S. 262-266) und deshalb hier übergehen will.
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