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2. Die besonderen Seiten der idealen Skulpturgestalt als solcher
Wenden wir uns jetzt zur bestimmteren Betrachtung der Hauptmomente, auf welche es bei der idealen Skulpturgestalt ankommt, so wollen wir hier im wesentlichen Winckelmann folgen, der mit größtem Sinn und Glück die besonderen Formen und die Art und Weise angegeben hat, in welcher dieselben von den griechischen Künstlern behandelt und gebildet worden sind, um als Ideal der Skulptur gelten zu können. Die Lebendigkeit, dies Zerfließende, entflieht zwar den Bestimmungen des Verstandes, der hier das Besondere nicht so festzuhalten und zu durchdringen vermag als in der Architektur; im ganzen aber, wie wir schon sahen, läßt sich doch ein Zusammenhang der freien Geistigkeit und der körperlichen Formen angeben.
Der nächste allgemeine Unterschied, den wir in dieser Rücksicht machen können, betrifft die Bestimmung des Skulpturwerks überhaupt, nach welcher die menschliche Gestalt Geistiges auszudrücken hat. Der geistige Ausdruck nun, obschon er über die ganze leibliche Erscheinung ausgegossen sein muß, faßt sich am meisten in der Gesichtsbildung zusammen, wogegen die übrigen Glieder nur durch ihre Stellung, insofern dieselbe aus dem in sich freien Geiste herkommt, Geistiges in sich widerzuspiegeln imstande sind.
Mit der Betrachtung der idealen Formen erstens des Kopfes wollen wir beginnen, sodann zweitens von der Stellung des Körpers sprechen, woran sich dann drittens das Prinzip für die Bekleidung schließt.
a. Das griechische Profil
In der idealen Bildung des menschlichen Hauptes begegnet uns vor allem das sogenannte griechische Profil.
α) Dies Profil liegt in der spezifischen Verbindung der Stirn und Nase; in der fast geraden oder nur sanft gebogenen Linie nämlich, in welcher die Stirn sich zur Nase ohne Unterbrechung fortsetzt, sowie näher in der senkrechten Richtung dieser Linie auf eine zweite hin, welche, wenn man sie von der Nasenwurzel nach dem Kanal des Ohres zieht, mit jener ersten Stirn- und Nasenlinie einen rechten Winkel macht. In solcher Linie stehen Nase und Stirn durchgängig in der idealen schönen Skulptur zueinander, und es fragt sich daher, ob dies eine bloß nationale und künstlerische Zufälligkeit oder physiologische Notwendigkeit ist.
Camper 1) der holländische bekannte Physiologe, hat besonders diese Linie näher als die Schönheitslinie des Gesichts charakterisiert, indem er in ihr den Hauptunterschied der menschlichen Gesichtsbildung und des tierischen Profils findet und die Modifikationen dieser Linie deshalb auch durch die verschiedenen Menschenrassen verfolgt, worin ihm freilich Blumenbach (De varietate nativa, § 60 2) widerspricht. Im allgemeinen aber ist die angedeutete Linie in der Tat eine sehr bezeichnende Unterscheidung des menschlichen und tierischen Aussehens. Bei den Tieren bilden Maul und Nasenknochen zwar auch eine mehr oder weniger gerade Linie, aber das spezifische Hervortreten der tierischen Schnauze, die sich als gleichsam nächste praktische Beziehung zu den Gegenständen nach vorne drängt, bestimmt sich wesentlich durch das Verhältnis zum Schädel, an welchem das Ohr weiter herauf- oder herabgestellt ist, so daß nun die zur Nasenwurzel oder zum Oberkiefer - dahin, wo die Zähne einsitzen - fortgezogene Linie mit dem Schädel, statt wie beim Menschen einen rechten, hier einen spitzen Winkel bildet. Jeder Mensch hat für sich ein allgemeines Gefühl von diesem Unterschiede, der sich allerdings auf bestimmtere Gedanken zurückführen läßt.
αα) In der Kopfbildung der Tiere ist das Hervorragende das Maul, als Freßwerkzeug, mit dem Ober- und Unterkiefer, den Zähnen und Kaumuskeln. Diesem Hauptorgan sind die übrigen Organe nur als dienend und behilflich beigegeben. Vornehmlich die Nase, zum Herumschnuppern nach Nahrung; untergeordneter das Auge zum Spähen. Das ausdrückliche Hervortreten dieser dem Naturbedürfnis und den Befriedigungen desselben ausschließlich gewidmeten Formationen gibt dem tierischen Kopf den Ausdruck bloßer Zweckmäßigkeit für die Naturfunktionen, ohne alle geistige Idealität. So kann man denn auch von den Freßwerkzeugen aus den gesamten tierischen Organismus verstehen. Die bestimmte Art der Nahrung nämlich fordert eine bestimmte Struktur des Mauls, eine besondere Art der Zähne, mit denen dann wieder der Bau der Kiefer, Kaumuskeln, Backenknochen und weiterhin der Rückenwirbel, die Schenkelknochen, Klauen usf. im engsten Zusammenhange stehen. Der tierische Körper dient bloßen Naturzwecken und erhält durch diese Abhängigkeit von dem nur Sinnlichen der Ernährung den Ausdruck der Geistlosigkeit. - Soll nun das menschliche Antlitz schon seiner leiblichen Gestalt nach ein geistiges Gepräge haben, so müssen diejenigen Organe, welche beim Tier als die bedeutendsten erscheinen, beim Menschen zurücktreten und denen Platz machen, die nicht auf ein praktisches, sondern auf ein theoretisches, ideelles Verhältnis deuten.
ββ) Das menschliche Gesicht hat deshalb einen zweiten Mittelpunkt, in welchem sich das seelenvolle, geistige Verhalten zu den Dingen kundgibt. Dies ist in der oberen Partie des Gesichts der Fall, in der sinnenden Stirn und dem darunterliegenden seelendurchgängigen Auge mit seiner Umgebung. Mit der Stirn hängt nämlich das Sinnen, die Reflexion, das Insichgehen des Geistes zusammen, dessen Inneres sodann aus dem Auge in klarer Konzentration herausschaut. Durch das Hervortreten nun der Stirn, während der Mund und die Backenknochen zurückstehen, erhält das menschliche Angesicht den geistigen Charakter. Dies Vorwärtsgehen der Stirn wird dadurch notwendig das Bestimmende für den ganzen Bau des Schädels, der nun nicht mehr zurückfällt und den Schenkel eines spitzen Winkels bildet, als dessen äußerste Spitze das Maul sich hervordrängt, sondern von der Stirn aus läßt sich durch die Nase zur Spitze des Kinns eine Linie ziehen, welche mit einer zweiten über den Hinterschädel gegen die Spitze der Stirn hingezogenen einen rechten oder dem rechten sich annähernden Winkel bildet.
γγ) Den Übergang drittens und die Verbindung des unteren und oberen Teils des Gesichts, der nur theoretischen geistigen Stirn und des praktischen Organs für die Ernährung, macht die Nase, welche auch ihrer natürlichen Funktion nach als Riechorgan in der Mitte steht zwischen dem praktischen und theoretischen Verhalten zur Außenwelt. Sie gehört zwar in dieser Mitte noch dem tierischen Bedürfnis an, denn das Riechen hängt wesentlich mit dem Geschmack zusammen, weshalb denn auch beim Tier die Nase im Dienste des Mauls und der Ernährung steht; aber das Riechen selbst ist noch kein wirkliches praktisches Verzehren der Gegenstände wie das Fressen und Schmecken, sondern nimmt nur das Resultat des Prozesses auf, in welchen die Gegenstände mit der Luft und deren unsichtbarem, heimlichem Auflösen eingehen. Wird nun der Übergang von Stirn und Nase so gemacht, daß sich die Stirn für sich herauswölbt und gegen die Nase hin zurückzieht, während diese ihrerseits gegen die Stirn hin eingedrückt bleibt und dann erst wieder sich hervorhebt, so bilden beide Teile des Gesichts, der theoretische der Stirn und der aufs Praktische hindeutende der Nase und des Mundes, einen markierten Gegensatz, durch welchen die gleichsam zu beiden Systemen gehörige Nase von der Stirn ab zum System des Mundes hingezogen wird. Dann erhält die Stirn in ihrer isolierten Stellung einen Ausdruck der Härte und der eigensinnigen geistigen Konzentration in sich gegen die beredte Mitteilung des Mundes, der zum Organ der Ernährung wird und sogleich die Nase als Werkzeug für den Beginn der Begierde, für den Vorsatz des Riechens in ihren Dienst nimmt und sie auf das physische Bedürfnis hin ausgerichtet zeigt. Hiermit hängt dann ferner die Zufälligkeit der Form zusammen, zu deren undeterminierbaren Modifikationen sodann Nase und Stirn fortgehen können. Die Art der Wölbung, das Hervor- und Zurücktreten der Stirn verliert die feste Bestimmtheit, und die Nase kann platt oder scharf, herabhängend, gebogen, tiefer eingedrückt und aufgestülpt sein.
Bei der Milderung und Ausgleichung dagegen, bei der schönen Harmonie, welche das griechische Profil in dem sanften ununterbrochenen Zusammenhang der geistigen Stirn und der Nase zwischen den oberen und unteren Gesichtsteilen hervorbringt, erscheint die Nase, eben durch diesen Zusammenhang, mehr der Stirne angeeignet und erhält dadurch, als zum System des Geistigen herübergezogen, selber einen geistigen Ausdruck und Charakter. Das Riechen wird gleichsam zu einem theoretischen Riechen, zu einer feinen Nase fürs Geistige; wie sich denn auch die Nase in der Tat durch Rümpfen usf., wie unbedeutend diese Bewegungen auch sein mögen, dennoch höchst regsam für den Ausdruck geistiger Beurteilungen und Empfindungsweisen zeigt. So sagen wir z. B. von einem stolzen Menschen, er trage die Nase hoch, oder schreiben einem jungen Mädchen mit aufgeworfenem Näschen Schnippischkeit zu.
Ähnliches gilt auch vom Munde. Er hat zwar einerseits die Bestimmung, das Werkzeug für die Befriedigung des Hungers und Durstes zu sein, drückt aber andererseits auch geistige Zustände, Gesinnungen und Leidenschaften aus. Schon beim Tiere dient er in dieser Beziehung zum Schreien, beim Menschen zum Sprechen, Lachen, Seufzen usf., wobei die Züge des Mundes selbst schon einen charakteristischen Zusammenhang mit den geistigen Zuständen beredter Mitteilung oder der Freude, des Schmerzes usf. haben.
Man sagt nun freilich, eine solche Gesichtsbildung sei eben den Griechen nur als die eigentlich schöne vorgekommen; Chinesen, Juden, Ägypter dagegen hielten ganz andere, ja entgegengesetzte Bildungen für ebenso schön oder für schöner noch, so daß, Instanz gegen Instanz genommen, das griechische Profil darum noch nicht als der Typus der echten Schönheit erwiesen sei. Dies ist jedoch nur ein oberflächliches Gerede. Das griechische Profil darf als keine nur äußerliche und zufällige Form angesehen werden, sondern kommt dem Ideal der Schönheit an und für sich zu, weil es erstens diejenige Gesichtsbildung ist, in welcher der Ausdruck des Geistigen das bloß Natürliche ganz in den Hintergrund stellt, und zweitens am meisten sich der Zufälligkeit der Form entzieht, ohne doch eine bloße Gesetzmäßigkeit zu zeigen und alle und jede Individualität zu verbannen.
β) Was ferner die einzelnen Formen näher angeht, so will ich aus dem breiten Detail dessen, was hier zu erwähnen wäre, nur einige Hauptpunkte herausheben. Wir können in dieser Rücksicht zuerst von der Stirn, dem Auge und Ohr, als dem mehr auf das Theoretische und Geistige bezüglichen Teile des Gesichts, sprechen, dem sich zweitens Nase, Mund und Kinn als die relativ mehr dem Praktischen zugehörigen Bildungen anschließen. Drittens haben wir vom Haar als äußerlicher Umgebung zu reden, durch welche sich der Kopf zu einem schönen Oval in sich abrundet.
αα) Die Stirn ist in den Idealen der klassischen Skulpturgestalt weder herausgewölbt noch überhaupt hoch, denn obschon das Geistige in der Gesichtsbildung heraustreten soll, so ist es doch nicht die Geistigkeit als solche, welche die Skulptur darzustellen hat, sondern die noch ganz im Leiblichen sich ausdrückende Individualität. In Herkulesköpfen z. B. ist deshalb die Stirn vorzugsweise niedrig, weil Herkules mehr die muskelvoll nach außen gerichtete körperliche als die nach innen gewendete geistige Kräftigkeit hat. Im übrigen erscheint die Stirn vielfach modifiziert, niedriger bei weiblichen, reizenden und jugendlichen, höher bei würdevollen und geistig sinnenderen Gestalten. Gegen die Schläfe hin fällt sie nicht in scharfem Winkel ab und senkt sich an den Schläfen nicht ein, sondern rundet sich eiförmig in sanfter Wölbung und ist haarbewachsen. Denn die scharfen unbehaarten Winkel und eingesunkenen Vertiefungen an den Schläfen kommen nur der Hinfälligkeit des zunehmenden Alters, nicht aber der ewig blühenden Jugend der idealen Götter und Helden zu.
In Rücksicht auf das Auge müssen wir sogleich feststellen, daß der idealen Skulpturgestalt außer der eigentlich malerischen Farbe auch noch der Blick des Auges abgeht. Man kann zwar historisch erweisen wollen, daß die Alten an einigen Tempelbildern der Minerva und anderer Götter das Auge gemalt haben, weil man an einigen Statuen noch Farbspuren auffindet, bei heiligen Bildern jedoch haben sich die Künstler oft gegen den guten Geschmack soviel als möglich an das Traditionelle gehalten. Bei anderen zeigt sich's, daß sie müssen eingesetzte Augen von Edelsteinen gehabt haben. Dies geht dann aber aus der bereits oben angedeuteten Lust hervor, die Götterbilder so reich und prächtig als möglich auszuschmücken. Und im ganzen sind dies entweder Anfänge oder religiöse Traditionen und Ausnahmen, und außerdem gibt die Färbung dem Auge noch immer nicht den in sich konzentrierten Blick, der dem Auge erst einen vollständigen Ausdruck verleiht. Wir können es deshalb hier als ausgemacht ansehen, daß an den wahrhaft klassischen und freien Statuen und Büsten, die aus dem Altertum auf uns gekommen sind, der Augenstern sowie der geistige Ausdruck des Blicks fehlt. Denn obschon häufig in den Augapfel auch der Augenstern eingezeichnet oder durch eine konische Vertiefung und eine Wendung angedeutet ist, welche den Glanzpunkt des Augensterns und dadurch eine Art von Blick ausdrückt, so bleibt dies dennoch wieder nur die ganz äußerliche Gestalt des Auges und ist nicht seine Belebung, nicht der Blick als solcher, der Blick der inneren Seele.
Da liegt die Vorstellung nahe, es müsse den Künstler viel kosten, das Auge, diese einfache Beseelung, aufzuopfern. Blickt man doch jedem Menschen zuerst vor allem ins Auge, um einen Anhalt, einen Erklärungspunkt und Grund für seine gesamte Erscheinung zu finden, die sich aus dem Einheitspunkt des Blickes in ihrer einfachsten Weise fassen läßt. Der Blick ist das Seelenvollste, die Konzentration der Innigkeit und empfindenden Subjektivität; wie durch einen Händedruck und schneller noch setzt der Mensch sich durch den Blick des Auges mit dem Menschen in Einheit. Und dieses Seelenvollste muß die Skulptur entbehren. In der Malerei dagegen tritt dieser Ausdruck des Subjektiven entweder in seiner ganzen Innigkeit oder in mannigfaltiger Berührung mit den Außendingen und den dadurch hervorgerufenen besonderen Interessen, Empfindungen und Leidenschaften durch die Nuancen der Färbung hervor. Aber die Sphäre des Künstlers ist in der Skulptur weder die Innigkeit der Seele in sich, die Zusammenfassung des ganzen Menschen in das einfache Ich, das im Blick als diesem letzten Lichtpunkt erscheint, noch die zerstreute, mit der Außenwelt verwickelte Subjektivität. Die Skulptur hat die Totalität der äußerlichen Gestalt zum Zweck, in welche sie die Seele auseinanderschlagen und sie durch diese Mannigfaltigkeit darstellen muß, so daß ihr die Zurückführung auf den einen einfachen Seelenpunkt und die Augenblicklichkeit des Blicks nicht erlaubt ist. Das Skulpturwerk hat nicht eine Innerlichkeit als solche, welche sich nun auch für sich als dieses Ideelle des Blicks, den anderen Körperteilen gegenüber, kundgeben und in den Gegensatz von Auge und Leib treten dürfte; sondern was das Individuum als inneres, geistiges ist, bleibt ganz in der Totalität der Gestalt ergossen, welche nur der betrachtende Geist, der Beschauer, zusammenfaßt. Ebenso zweitens blickt das Auge in die Außenwelt hinaus; es sieht wesentlich auf etwas und zeigt dadurch den Menschen in seiner Beziehung auf eine mannigfaltige Äußerlichkeit sowie in der Empfindung für das, was ihn umgibt und um ihn vorgeht. Das echte Skulpturbild aber ist gerade dieser Verbindung mit den Außendingen entzogen und - versenkt in das Substantielle seines geistigen Gehalts - selbständig in sich, ohne Zerstreuung und Verwicklung. Drittens erhält der Blick des Auges seine entwickelte Bedeutung durch den Ausdruck der übrigen Gestalt, in deren Gebärde und Rede, obschon er sich gegen diese Entwicklung als der nur formelle Punkt der Subjektivität abscheidet, in welchen sich die ganze Mannigfaltigkeit der Gestalt und ihrer Umgebung zusammennimmt. Solche partikuläre Breite nun aber ist dem Plastischen fremd, und so wäre der speziellere Ausdruck im Blick, der nicht zugleich im Ganzen der Gestalt seine weitere entsprechende Entfaltung fände, nur eine zufällige Besonderheit, welche das Skulpturbild von sich fernzuhalten hat. Aus diesen Gründen entbehrt die Skulptur nicht nur nichts durch die Blicklosigkeit ihrer Gestalten, sondern sie muß ihrem ganzen Standpunkte nach diese Art des Seelenausdrucks fehlen lassen. Und so war es wieder der große Sinn der Alten, daß sie fest die Beschränkung und Umgrenzung der Skulptur erkannten und streng dieser Abstraktion treu blieben. Dies ist ihr hoher Verstand in der Fülle ihrer Vernunft und der Totalität ihrer Anschauung. - Es kommen zwar auch in der alten Skulptur Fälle vor, in welchen das Auge nach einem bestimmten Punkte sieht, wie z. B. in der schon mehrerwähnten Statue des Faun, der zum jungen Bacchus hinschaut; dies Hinlächeln ist seelenvoll ausgedrückt, doch auch hier ist das Auge nicht sehend, und die eigentlichen Götterstatuen in ihren einfachen Situationen sind nicht in so speziellen Bezügen in betreff auf die Wendung des Auges und Blicks dargestellt.
Was nun näher die Gestalt des Auges in idealen Skulpturwerken angeht, so ist es seiner Form nach groß, offen, oval, seiner Stellung nach gegen die Linie der Stirn und Nase im rechten Winkel und tiefliegend. - Die Größe des Auges rechnet schon Winckelmann (Winckelmann, Werke, Bd. IV, 5. Buch, Kap. 5, § 20, S. 198 3) so zur Schönheit, wie ein großes Licht schöner sei als ein kleines. "Die Größe aber", fährt er fort, "ist dem Augenknochen oder dessen Kasten gemäß und äußert sich in dem Schnitt und in der Öffnung der Augenlider, von denen das obere gegen den inneren Winkel einen runderen Bogen als das untere an schönen Augen beschreibt." Bei Profilköpfen von erhabener Arbeit bildet der Augapfel selbst ein Profil und erhält gerade durch diese abgeschnittene Öffnung eine Großartigkeit und einen offenen Blick, dessen Licht zugleich, nach Winckelmanns Bemerkung, auf Münzen durch einen erhabenen Punkt auf dem Augapfel sichtbar gemacht ist. Doch sind nicht alle großen Augen schön, denn sie werden es einerseits erst durch den Schwung der Augenlider, andererseits durch die tiefere Lage. Das Auge nämlich darf sich nicht vordrängen und in die Äußerlichkeit gleichsam herauswerfen, denn eben dies Verhältnis zur Außenwelt ist für das Ideal entfernt und mit dem Sichzurückziehen auf sich, auf das substantielle Insichsein des Individuums vertauscht. Das Vorliegen der Augen aber mahnt sogleich daran, daß der Augapfel bald herausgetrieben, bald wieder zurückgezogen wird und besonders beim Glotzen nur anzeigt, der Mensch sei aus sich heraus, entweder in Gedankenlosigkeit hinstierend oder ganz ebenso geistlos in den Anblick irgendeines sinnlichen Gegenstandes versenkt. In dem Skulpturideal der Alten liegt das Auge sogar tiefer als in der Natur (Winckelmann, l. c., § 21). Winckelmann gibt hierfür den Grund an, daß bei größeren Statuen, welche dem Blick des Beschauers ferner standen, das Auge ohne diese tiefere Lage, da außerdem der Augapfel mehrenteils glatt war, ohne Bedeutung und gleichsam erstorben gewesen sein würde, wenn nicht eben durch Erhabenheit der Augenknochen das dadurch vermehrte Spiel des Lichts und Schattens das Auge wirksamer gemacht hätte. Doch hat diese Vertiefung des Auges noch eine andere Bedeutung. Tritt nämlich die Stirn dadurch weiter hervor als in der Natur, so überwiegt der sinnende Teil des Gesichts und der geistige Ausdruck springt schärfer heraus, während nun auch der verstärkte Schatten in den Augenhöhlen seinerseits selbst eine Tiefe und unzerstreute Innerlichkeit zu empfinden gibt, ein Erblinden nach außen und eine Zurückgezogenheit auf das Wesentliche der Individualität, deren Tiefe sich über die ganze Gestalt ergießt. Auch auf den Münzen aus bester Zeit liegen die Augen tief, und die Augenknochen sind erhöht. Dagegen werden die Augenbrauen nicht durch einen breiteren Bogen kleiner Härchen ausgedrückt, sondern nur durch die schneidende Schärfe der Augenknochen angedeutet, welche, ohne die Stirn in ihrer fortlaufenden Form - wie dies die Brauen durch ihre Farbe und relative Erhabenheit tun - zu unterbrechen, sich wie ein elliptischer Kranz um die Augen hinziehen. Die höhere und dadurch selbständigere Wölbung der Augenbrauen ist nie für schön gehalten worden.
Von den Ohren drittens sagt Winckelmann (l. c., § 29), daß die Alten auf deren Ausarbeitung den größten Fleiß verwendeten, so daß z. B. bei geschnittenen Steinen die geringe Sorgfalt in der Ausführung des Ohrs ein untrügliches Kennzeichen für die Unechtheit des Kunstwerks sei. Besonders Porträtstatuen gäben oft die eigentümlich individuelle Gestalt des Ohres wieder. Man könne deshalb aus der Form des Ohrs häufig die dargestellte Person selbst, wenn dieselbe bekannt sei, erraten und aus einem Ohre mit einer ungewöhnlich großen inneren Öffnung z. B. auf einen Marcus Aurelius schließen. Ja das Unförmliche selbst hätten die Alten angedeutet. - Als eine eigene Art von Ohren an idealen Köpfen, an einigen des Herkules z. B., führt Winckelmann plattgeschlagene und an den knorpeligen Flügeln geschwollene Ohren an. Sie deuten auf Ringer und Pankratiasten, wie denn auch Herkules (1. c., § 34) in den Spielen dem Pelops zu Ehren zu Elis den Preis als Pankratiast davontrug.
ββ) In Rücksicht auf den Teil des Gesichts, welcher sich von seiten der natürlichen Funktion mehr auf das Praktische der Sinne bezieht, haben wir zweitens noch von der bestimmteren Form der Nase, des Mundes und des Kinns zu sprechen.
Die Verschiedenheit in der Form der Nase gibt dem Gesicht die mannigfachste Gestalt und die vielseitigsten Unterschiede des Ausdrucks. Eine scharfe Nase mit dünnen Flügeln sind wir z. B. mit einem scharfen Verstande in Zusammenhang zu bringen gewohnt, während uns eine breite und herabhängende oder tierisch aufgestülpte auf Sinnlichkeit, Dummheit und Brutalität überhaupt deutet. Sowohl von solchen Extremen als auch von deren partikulären Mittelstufen in Form und Ausdruck hat aber die Skulptur sich frei zu halten und vermeidet deshalb, wie wir bereits beim griechischen Profil sahen, nicht nur die Abtrennung von der Stirn, sondern auch das Herauf- und Herunterbiegen, die scharfe Spitze und breitere Rundung, die Hebung in der Mitte und Senkung nach der Stirn und dem Munde, überhaupt die Schärfe und Dicke der Nase, indem sie an die Stelle dieser vielfältigen Modifikationen gleichsam eine indifferente, wenn auch immer noch von Individualität leise belebte Form setzt.
Nächst dem Auge gehört der Mund zu dem schönsten Teile des Gesichts, wenn er nicht seiner natürlichen Zweckmäßigkeit, zum Werkzeug für das Essen und Trinken zu dienen, sondern seiner geistigen Bedeutsamkeit nach gestaltet ist. In dieser Beziehung steht er in Mannigfaltigkeit und Reichtum des Ausdrucks nur dem Auge nach, obschon er die feinsten Nuancen des Spottes, der Verachtung, des Neides, die ganze Gradation der Schmerzen und der Freude durch die leisesten Bewegungen und das regsamste Spiel derselben lebendig darzustellen vermag und ebenso in seiner ruhenden Gestalt Liebreiz, Ernst, Sinnlichkeit, Sprödigkeit, Hingebung usf. bezeichnet. Für die partikulären Nuancen nun aber des geistigen Ausdrucks gebraucht ihn die Skulptur weniger und hat vornehmlich das bloß Sinnliche, das auf Naturbedürfnisse hindeutet, aus der Gestalt und dem Schnitt der Lippen zu entfernen. Sie bildet deshalb den Mund überhaupt weder übervoll noch karg, denn allzu dünne Lippen deuten auch auf Kargheit des Empfindens; die Unterlippe voller als die obere, was auch bei Schiller der Fall war, in dessen Bildung des Mundes jene Bedeutsamkeit und Fülle des Gemüts zu lesen war. Diese idealere Form der Lippen gibt dem tierischen Maul gegenüber den Anblick einer gewissen Bedürfnislosigkeit, während man beim Tier, wenn der obere Teil sich vordrängt, sogleich an das Losfahren auf die Speise und das Ergreifen derselben erinnert wird. Beim Menschen ist der Mund, der geistigen Beziehung nach, hauptsächlich der Sitz der Rede, das Organ für die freie Mitteilung des bewußten Inneren, wie das Auge der Ausdruck der empfindenden Seele. Die Ideale der Skulptur nun haben ferner die Lippen nicht fest geschlossen, sondern bei den Werken aus der Blütezeit der Kunst (Winckelmann, l. c., § 25, S. 206) steht der Mund etwas offen, ohne jedoch die Zähne sichtbar zu machen, die mit dem Ausdruck des Geistigen nichts zu schaffen haben. Man kann dies dadurch erklären, daß bei der Tätigkeit der Sinne, besonders beim strengen, festen Hinblicken auf bestimmte Gegenstände, der Mund sich schließt, bei dem blicklosen freien Versunkensein dagegen leise sich öffnet und die Mundwinkel sich nur um ein weniges herunterneigen.
Das Kinn endlich drittens vervollständigt in seiner idealen Gestalt den geistigen Ausdruck des Mundes, wenn es nicht wie beim Tier ganz fehlt oder wie in den ägyptischen Skulpturwerken zurückgedrängt und mager bleibt, sondern tiefer selbst als gewöhnlich heruntergezogen ist und nun in der rundlichen Völligkeit seiner gewölbten Form, besonders bei kürzeren Unterlippen, noch mehr Großheit erhält. Ein volles Kinn nämlich bringt den Eindruck einer gewissen Sattheit und Ruhe hervor. Alte rührige Weiber dagegen wackeln mit dem dürren Kinn und mageren Muskeln, und Goethe z. B. vergleicht die Kiefer mit zwei Zangen, die greifen wollen. All diese Unruhe geht bei einem vollen Kinn verloren. Das Grübchen jedoch, das man jetzt für etwas Schönes hält, ist als ein zufälliger Liebreiz nichts zur Schönheit selbst wesentlich Gehöriges; statt dessen aber gilt ein großes rundes Kinn für ein untrügliches Merkmal antiker Köpfe. Bei der Mediceischen Venus z. B. ist es kleiner, doch hat man ausgefunden, daß es gelitten habe.
γγ) Zum Schluß bleibt uns jetzt nur noch vom Haar zu sprechen übrig. Das Haar überhaupt hat mehr den Charakter eines vegetabilischen als eines animalischen Gebildes und beweist weniger die Stärke des Organismus, als es vielmehr ein Zeichen der Schwäche ist. Die Barbaren lassen die Haare platt hängen oder tragen sie rund abgeschnitten, nicht wallend oder gelockt. Die Alten dagegen wendeten in ihren idealen Skulpturwerken auf die Ausarbeitung des Haares große Sorgfalt, worin die Neueren weniger fleißig und geschickt sind. Freilich ließen auch die Alten, wenn sie in allzu hartem Stein arbeiteten, das Haupthaar nicht in frei hängenden Locken wallen, sondern stellten es (Winckelmann, l. c., § 37, S. 218) wie kurz geschnitten und hernach fein gekämmt dar. Bei Statuen aus Marmor aber sind in der guten Zeit die Haare lockig und groß bei männlichen Köpfen gehalten, und bei weiblichen, wo die Haare hinaufgestrichen und oben zusammengebunden dargestellt wurden, sieht man sie wenigstens, wie Winckelmann sagt, schlangenweise und mit nachdrücklichen Vertiefungen gezogen, um ihnen Mannigfaltigkeit nebst Licht und Schatten zu geben, was durch niedrige Furchen nicht geschehen kann. Außerdem ist bei den besonderen Göttern der Wurf und die Anordnung des Haars verschieden. In ähnlicher Weise macht auch die christliche Malerei Christus durch eine bestimmte Art des Scheitels und der Locken kenntlich, nach welchem Vorbilde sich denn jetzigerzeit manche auch ein Aussehen wie Herr Christus geben.
γ) Diese besonderen Teile nun haben sich der Form nach zum Kopf, als einem Ganzen, zusammenzuschließen. Die schöne Gestalt wird hier durch eine Linie bestimmt, welche dem Eirund am nächsten kommt und alles Scharfe, Spitze, Winklige dadurch zur Harmonie und einem fortlaufenden milden Zusammenhange der Form auflöst, ohne doch bloß regelmäßig und abstrakt-symmetrisch zu sein oder in die vielseitige Verschiedenheit der Linien und ihrer Wendung und Biegung wie bei den übrigen Körperteilen auszulaufen. Zur Bildung dieses in sich zurückkehrenden Ovals gehört besonders für den vorderen Anblick des Gesichts der schöne freie Schwung vom Kinn zum Ohr sowie die schon erwähnte Linie, welche die Stirn die Augenknochen entlang beschreibt; ebenso der Bogen über das Profil von der Stirn über die Spitze der Nase zum Kinn herunter und die schöne Wölbung des Hinterkopfs zum Nacken.
Soviel wollte ich von der idealen Gestalt des Kopfs, ohne mich in das weitere Detail einzulassen, anführen.
1) Petrus Camper, 1722-1789, holländischer Anatom
2) Johann Friedrich Blumenbach, De generis humani varietate nativa, Göttingen 1775
3) Winckelmann, Werke, 9 Bde., Dresden 1808-20
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