Zweites Kapitel: Die klassische Architektur
Die Baukunst, wenn sie ihre eigentümliche begriffsgemäße Stellung erhält, dient in ihrem Werke einem Zweck und einer Bedeutung, die sie nicht in sich selbst hat. Sie wird eine unorganische Umgebung, ein den Gesetzen der Schwere nach geordnetes und gebautes Ganzes, dessen Formen dem streng Regelmäßigen, Geraden, Rechtwinkligen, Kreisförmigen, den Verhältnissen bestimmter Zahl und Anzahl, dem in sich selbst begrenzten Maß und der festen Gesetzmäßigkeit anheimfallen. Ihre Schönheit besteht in dieser Zweckmäßigkeit selber, welche, von der unmittelbaren Vermischung mit dem Organischen, Geistigen, Symbolischen befreit, obschon sie dienend ist, dennoch eine in sich geschlossene Totalität zusammenfügt, die ihren einen Zweck klar durch alle ihre Formen hindurchscheinen läßt und in der Musik ihrer Verhältnisse das bloß Zweckmäßige zur Schönheit heraufgestaltet. Ihrem eigentlichen Begriff aber entspricht die Architektur auf dieser Stufe, weil sie an und für sich das Geistige zu seinem gemäßen Dasein zu bringen nicht imstande ist und deshalb nur das Äußerliche und Geistlose zum Widerschein des Geistigen umzubilden vermag.
In der Betrachtung dieser in ihrer Schönheit ebenso dienstbaren Baukunst wollen wir folgenden Gang nehmen:
Erstens haben wir den allgemeinen Begriff und Charakter derselben näher festzustellen;
zweitens die besonderen Grundbestimmungen der architektonischen Formen anzugeben, welche aus dem Zweck hervorgehen, für den das klassische Kunstwerk erbaut wird.
Drittens können wir einen Blick auf die konkrete Wirklichkeit werfen, zu der sich die klassische Architektur entwickelt hat.
Auf ein Detail jedoch will ich mich in keiner dieser Beziehungen einlassen, sondern mich nur auf das Allgemeinste beschränken, das hier einfacher ist als bei der symbolischen Baukunst.
|