2. Die Schönheit als abstrakte Einheit des sinnlichen Stoffs
Die zweite Seite der abstrakten Einheit betrifft nicht mehr die Form und Gestalt, sondern das Materielle, Sinnliche als solches. Hier tritt die Einheit als das ganz in sich unterschiedslose Zusammenstimmen des bestimmten sinnlichen Stoffes auf. Dies ist die einzige Einheit, deren das Materielle, für sich als sinnlicher Stoff genommen, empfänglich ist. In dieser Beziehung wird die abstrakte Reinheit des Stoffs in Gestalt, Farbe, Ton usf. auf dieser Stufe das Wesentliche. Reingezogene Linien, die unterschiedslos fortlaufen, nicht hier- oder dorthin ausweichen, glatte Flächen und dergleichen befriedigen durch ihre feste Bestimmtheit und deren gleichförmige Einheit mit sich. Die Reinheit des Himmels, die Klarheit der Luft, ein spiegelheller See, die Meeresglätte erfreuen uns von dieser Seite her. Ebendasselbe ist es mit der Reinheit der Töne. Der reine Klang der Stimme hat schon als bloßer reiner Ton dies unendlich Gefällige und Ansprechende, während eine unreine Stimme das Organ mitklingen läßt und nicht den Klang in seiner Beziehung auf sich selbst gibt und ein unreiner Ton von seiner Bestimmtheit abweicht. In ähnlicher Art hat auch die Sprache reine Töne wie die Vokale a, e, i, o, u und gemischte wie ä, ü, ö. Volksdialekte besonders haben unreine Klänge, Mitteltöne wie oa. Zur Reinheit der Töne gehört dann ferner, daß die Vokale auch von solchen Konsonanten umgeben seien, welche die Reinheit der Vokalklänge nicht dämpfen, wie die nordischen Sprachen häufig durch ihre Konsonanten sich den Ton der Vokale verkümmern, während das Italienische diese Reinheit erhält und deshalb so sangbar ist. - Von gleicher Wirkung sind die reinen, in sich einfachen, ungemischten Farben, ein reines Rot z. B. oder ein reines Blau, das selten ist, da es gewöhnlich ins Rötliche oder Gelbliche und Grüne hinüberspielt. Violett kann zwar auch rein sein, aber nur äußerlich, d. h. nicht beschmutzt, denn es ist nicht in sich selbst einfach und gehört nicht zu den durch das Wesen der Farbe bestimmten Farbenunterschieden. Diese Kardinalfarben sind es, welche der Sinn in ihrer Reinheit leicht erkennt, obschon sie zusammengestellt schwerer sind in Harmonie zu bringen, weil ihr Unterschied greller hervorsticht. Die gedämpften, vielfach gemischten Farben sind weniger angenehm, wenn sie auch leichter zusammenstimmen, indem ihnen die Energie der Entgegensetzung fehlt. Das Grün ist zwar auch eine aus Gelb und Blau gemischte Farbe, aber es ist eine einfache Neutralisation dieser Gegensätze und in seiner echten Reinheit als dieses Auslöschen der Entgegensetzung gerade wohltuender und weniger angreifend als das Blau und Gelb in ihrem festen Unterschiede.
Dies wäre das Wichtigste sowohl in Beziehung auf die abstrakte Einheit der Form als auch in betreff der Einfachheit und Reinheit des sinnlichen Stoffs. Beide Arten nun aber sind durch ihre Abstraktion unlebendig und keine wahrhaft wirkliche Einheit. Denn zu dieser gehört ideelle Subjektivität, welche dem Naturschönen überhaupt der vollständigen Erscheinung nach abgeht. Dieser wesentliche Mangel nun führt uns auf die Notwendigkeit des Ideals, das in der Natur nicht zu finden ist und gegen welches gehalten die Naturschönheit als untergeordnet erscheint.
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