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Inhalt - Übersicht

Einleitung

Erster Teil.
Die Idee des Kunstschönen oder das Ideal

Stellung der Kunst im Verhältnis zur endlichen Wirklichkeit und zur Religion und Philosophie

Zweiter Teil. Entwicklung des Ideals zu den besonderen Formen des Kunstschönen

Dritter Teil.
Das System der einzelnen Künste

Vom “Ende der Kunst” >

Wie nun aber die Kunst in der Natur und den endlichen Gebieten des Lebens ihr Vor hat, ebenso hat sie auch ein Nach, ...  >>>

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Georg Wilhelm Friedrich Hegel
Vorlesungen über die Ästhetik
                          
(1835-1838)                                                              

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<<<Die individuelle epische Handlung
[Epos und Notwendigkeit]

γ) Wir haben jetzt in Rücksicht auf die Form des Begebens im Epos nur noch einer dritten wichtigen Seite Erwähnung zu tun. Ich sagte bereits früher, daß im Drama der innerliche Wille, das, was derselbe fordert und soll, das wesentliche Bestimmende sei und die bleibende Grundlage ausmache von allem, was vor sich geht. Die Taten, welche geschehen, erscheinen schlechthin durch den Charakter und dessen Zwecke gesetzt, und das Hauptinteresse dreht sich demnach vornehmlich um die Berechtigung oder Berechtigungslosigkeit des Handelns innerhalb der vorausgesetzten Situationen und herbeigeführten Konflikte. Wenn daher auch im Drama die äußeren Umstände von Wirksamkeit sind, so erhalten sie doch nur Geltung durch das, was Gemüt und Wille aus ihnen macht, und die Art und Weise, in welcher der Charakter gegen sie reagiert.
Im Epos aber gelten die Umstände und äußeren Zufälle in dem gleichen Maße als der subjektive Wille, und was der Mensch vollbringt, geht an uns wie das vorüber, was von außen geschieht, so daß die menschliche Tat sich nun auch wirklich ebensosehr durch die Verwicklung der Umstände bedingt und zuwege gebracht erweisen muß. Denn episch handelt der Einzelne nicht nur frei aus sich und für sich selber, sondern steht mitten in einer Gesamtheit, deren Zweck und Dasein im breiten Zusammenhange einer in sich totalen inneren und äußeren Welt den unverrückbaren wirklichen Grund für jedes besondere Individuum abgibt.
Dieser Typus muß allen Leidenschaften, Beschlüssen und Ausführungen im Epos bewahrt bleiben.
Nun scheint zwar bei dem gleichen Werte des Äußeren in seinen unabhängigen Vorfallenheiten jeder Laune des Zufalls ein unbezweifelbarer Spielraum gegeben zu sein, und doch soll das Epos umgekehrt gerade das wahrhaft Objektive, das in sich substantielle Dasein zur Darstellung bringen.
Diesem Widerspruche ist sogleich dadurch zu begegnen, daß in die Begebnisse und das Geschehen überhaupt Notwendigkeit hineingelegt wird.

αα) In diesem Sinne nun läßt sich behaupten, im Epos, nicht aber, wie man es gewöhnlich nimmt, im Drama, herrsche das Schicksal. Der dramatische Charakter macht sich durch die Art seines Zwecks, den er unter gegebenen und gewußten Umständen kollisionsvoll durchsetzen will, sein Schicksal selber; dem epischen im Gegenteil wird es gemacht, und diese Macht der Umstände, welche der Tat ihre individuelle Gestalt aufdringt, dem Menschen sein Los zuteilt, den Ausgang seiner Handlungen bestimmt, ist das eigentliche Walten des Schicksals. Was geschieht, gehört sich, es ist so und geschieht notwendig.
In der Lyrik läßt sich die Empfindung, Reflexion, das eigene Interesse, die Sehnsucht hören; das Drama kehrt das innere Recht der Handlung objektiv heraus; die epische Poesie aber stellt im Elemente des in sich notwendigen totalen Daseins dar, und für das Individuum bleibt nichts übrig, als diesem substantiellen Zustande, dem Seienden zu folgen, ihm gemäß zu sein oder nicht und dann, wie es kann und muß, zu leiden. Das Schicksal bestimmt, was geschehen soll und geschieht, und wie die Individuen selber plastisch sind, so auch die Erfolge, Gelingen und Mißlingen, Leben und Tod. Denn das Eigentliche, was sich vor uns auftut, ist ein großer allgemeiner Zustand, in welchem die Handlungen und Schicksale des Menschen als etwas Einzelnes und Vorübergehendes erscheinen. Dies Verhängnis ist die große Gerechtigkeit und wird nicht tragisch im dramatischen Sinne des Worts, in welchem das Individuum als Person, sondern in dem epischen Sinne, in welchem der Mensch in seiner Sache gerichtet erscheint und die tragische Nemesis darin liegt, daß die Größe der Sache zu groß ist für die Individuen. So schwebt ein Ton der Trauer über dem Ganzen; wir sehen das Herrlichste früh vergehen; schon im Leben trauert Achilles über seinen Tod, und am Ende der Odyssee sehen wir ihn selbst und Agamemnon als vergangen, als Schatten mit dem Bewußtsein, Schatten zu sein; auch Troja sinkt, am Hausaltar wird der alte Priamos getötet, die Weiber, die Mädchen werden zu Sklavinnen gemacht, Äneas auf Götterbefehl zieht aus, in Latium ein neues Reich zu gründen, und die siegenden Helden kehren erst nach mannigfaltigen Leiden zu glücklichem oder bitterem Ende in die Heimat zurück.

ββ) Die Art und Weise aber, in welcher diese Notwendigkeit der Begebnisse zur Darstellung gebracht wird, kann sehr verschieden sein.

Das Nächste, Unentwickelteste ist das bloße Hinstellen der Begebnisse, ohne daß der Dichter durch Hinzufügung einer leitenden Götterwelt das Notwendige in den einzelnen Vorfällen und dem allgemeinen Resultat näher aus dem Beschließen, Einschreiten und Mithandeln ewiger Mächte erklärt. In diesem Falle muß dann aber aus dem ganzen Tone des Vortrags sich die Empfindung aufdrängen, daß wir es in den erzählten Begebenheiten und großen Lebensschicksalen einzelner Individuen und ganzer Geschlechter nicht mit dem nur Veränderlichen und Zufälligen im menschlichen Dasein, sondern mit in sich selbst begründeten Geschicken zu tun haben, deren Notwendigkeit jedoch das dunkle Wirken einer Macht bleibt, die nicht selbst als diese Macht in ihrem göttlichen Herrschen bestimmter individualisiert und in ihrer Tätigkeit poetisch vorgestellt wird. Diesen Ton hält z. B. das Nibelungenlied fest, indem es die Leitung des blutigen letzten Ausgangs aller Taten weder der christlichen Vorsehung noch einer heidnischen Götterwelt zuschreibt. Denn in Rücksicht auf das Christentum ist nur etwa von Kirchgang und Messe die Rede, auch sagt der Bischof von Speyer, als die Helden in König Etzels Land ziehen wollen, zur schönen Ute: Gott müsse sie da bewahren. Außerdem kommen dann warnende Träume, die Wahrsagung der Donauweiber an Hagen und dergleichen mehr vor, doch keine eigentlich leitend eingreifenden Götter. Dies gibt der Darstellung etwas Starres, Unaufgeschlossenes, eine gleichsam objektive und dadurch höchst epische Trauer, ganz im Gegensatz der Ossianischen Gedichte, in welchen einerseits gleichfalls keine Götter auftreten, andererseits aber die Klage über den Tod und Untergang des gesamten Heldengeschlechts sich als subjektiver Schmerz des ergrauten Sängers und als die Wonne wehmütiger Erinnerung kundgibt.

Von dieser Art der Auffassung ist nun wesentlich die vollständige Verwebung aller menschlichen Schicksale und Naturereignisse mit dem Ratschluß, Willen und Handeln einer vielgestaltigen Götterwelt unterschieden, wie wir sie z. B. in den großen indischen Epopöen, bei Homer, Vergil usf. antreffen. Die von seiten des Dichters mannigfache poetische Ausdeutung selbst anscheinend zufälliger Begebenheiten durch das Mitwirken und Erscheinen der Götter habe ich früher bereits (Bd. II, S. 79 ff.) bemerklich gemacht und durch Beispiele aus der Ilias und Odyssee zu veranschaulichen versucht. Hier tritt nun besonders die Forderung ein, in dem Handeln der Götter und Menschen das poetische Verhältnis wechselseitiger Selbständigkeit zu bewahren, so daß weder die Götter zu leblosen Abstraktionen noch die menschlichen Individuen zu bloß gehorchenden Dienern herabsinken können. Wie dieser Gefahr zu entgehen sei, habe ich gleichfalls an einer anderen Stelle schon (Bd. I, S. 292-301) weitläufiger angegeben. Das indische Epos ist in dieser Rücksicht zu dem eigentlich idealen Verhältnis der Götter und Menschen nicht hindurchgedrungen, indem auf dieser Stufe der symbolischen Phantasie die menschliche Seite in ihrer freien schönen Wirklichkeit noch zurückgedrängt bleibt und die individuelle Tätigkeit des Menschen teils als Inkarnation der Götter erscheint, teils überhaupt als das Nebensächlichere verschwindet oder als asketische Erhebung in den Zustand und die Macht der Götter geschildert ist. - Umgekehrt wieder haben im Christentume die besonderen personifizierten Mächte, Leidenschaften, Genien der Menschen, Engel usf. größtenteils zuwenig individuelle Selbständigkeit und werden dadurch leicht zu etwas Kaltem und Abstraktem.
Das Ähnliche ist auch im Mohammedanismus der Fall. Bei der Entgötterung der Natur und Menschenwelt und dem Bewußtsein von der prosaischen Ordnung der Dinge läßt sich innerhalb dieser Weltanschauung, besonders wenn sie zum Märchenhaften übergeht, schwerer die Gefahr vermeiden, daß dem an und für sich Zufälligen und Gleichgültigen in den äußerlichen Umständen, die nur als Gelegenheit für das menschliche Handeln und die Bewährung und Entwicklung des individuellen Charakters da sind, ohne inneren Halt und Grund eine wunderbare Deutung gegeben wird. Hiermit ist zwar der ins Unendliche fortlaufende Zusammenhang von Wirkung und Ursache abgebrochen, und die vielen Glieder in dieser prosaischen Kette von Umständen, die nicht alle deutlich gemacht werden können, sind auf einmal in eins zusammengefaßt; geschieht dies aber ohne Not und innere Vernünftigkeit, so stellt sich solche Erklärungsweise, wie z. B. häufig in den Erzählungen in Tausendundeine Nacht, als ein bloßes Spiel der Phantasie heraus, welche das sonst Unglaubliche durch dergleichen Erdichtungen als möglich und wirklich geschehen motiviert.

Die schönste Mitte hingegen vermag die griechische Poesie auch in dieser Rücksicht zu halten, da sie sowohl ihren Göttern als auch ihren Helden und Menschen der ganzen Grundanschauung nach eine wechselseitig ungestörte Kraft und Freiheit selbständiger Individualität geben kann.

γγ) Doch kommt in betreff auf die gesamte Götterwelt besonders im Epos eine Seite zum Vorschein, die ich schon oben in anderer Beziehung angedeutet habe: der Gegensatz nämlich ursprünglicher Epopöen und in späterer Zeit künstlich gemachter. Am schlagendsten zeigt dieser Unterschied sich bei Homer und Vergil. Die Stufe der Bildung, aus welcher die Homerischen Gedichte hervorgegangen sind, bleibt mit dem Stoffe selbst noch in schöner Harmonie; bei Vergil dagegen erinnert uns jeder Hexameter daran, daß die Anschauungsweise des Dichters durchaus von der Welt verschieden ist, die er uns darstellen will, und die Götter vornehmlich haben nicht die Frische eigener Lebendigkeit. Statt selber zu leben und den Glauben an ihr Dasein zu erzeugen, erweisen sie sich als bloße Erdichtungen und äußerliche Mittel, mit denen es weder dem Dichter noch dem Zuhörer Ernst sein kann, obschon der Schein hineingelegt ist, als sei es wirklich mit ihnen großer Ernst. In dem ganzen Vergilischen Epos überhaupt scheint der gewöhnliche Tag, und die alte Überlieferung, die Sage, das Feenhafte der Poesie tritt mit prosaischer Klarheit in den Rahmen des bestimmten Verstandes herein; es geht in der Äneis wie in der römischen Geschichte des Livius her, wo die alten Könige und Konsuln Reden halten wie zu Livius' Zeiten ein Orator auf dem Markte Roms oder in der Schule der Rhetoren; wogegen denn, was sich traditionell erhalten hat wie die Fabel des Menenius Agrippa vom Magen (Livius, II, 32), als Redekunst der alten Zeit gewaltig absticht. Bei Homer aber schweben die Götter in einem magischen Lichte zwischen Dichtung und Wirklichkeit; sie sind der Vorstellung nicht so weit nahegebracht, daß uns ihre Erscheinung in alltäglicher Vollständigkeit entgegentreten könnte, und doch wieder ebensowenig so unbestimmt gelassen, daß sie keine lebendige Realität für unsere Anschauung haben sollten. Was sie tun, ließe sich gleich gut aus dem Inneren der handelnden Menschen erklären, und weshalb sie uns einen Glauben an sie aufdringen, das ist das Substantielle, der Gehalt, der ihnen zugrunde liegt.
Nach dieser Seite ist es auch dem Dichter Ernst mit ihnen, ihre Gestalt aber und äußere Wirklichkeit behandelt er selber ironisch. So glaubten, wie es scheint, auch die Alten an diese Außenform der Erscheinung nur wie an Werke der Kunst, welche durch den Dichter ihre Bewährung und ihren Sinn erhalten.
Diese heitere menschliche Frische der Veranschaulichung, durch welche selbst die Götter menschlich und natürlich erscheinen, ist ein Hauptverdienst der Homerischen Gedichte, während die Gottheiten des Vergil als kalt erdichtete Wunder und künstliche Maschinerie innerhalb des wirklichen Laufes der Dinge auf und nieder steigen. Vergil ist trotz seiner Ernsthaftigkeit, ja gerade um dieser ernsthaften Miene willen der Travestie nicht entgangen, und Blumauers
*) Merkur, als Kurier in Stiefeln mit Sporen und Peitsche, hat sein gutes Recht.
Die Homerischen Götter braucht kein anderer ins Lächerliche zu ziehen; Homers eigene Darstellung macht sie genugsam lächerlich; denn müssen doch bei ihm selbst die Götter über den hinkenden Hephaistos lachen und über das kunstreiche Netz, in welchem Mars mit Venus liegt; außerdem erhält Venus Backenstreiche, und Mars schreit und fällt um. Durch diese naturfrohe Heiterkeit befreit uns der Dichter ebensosehr von der äußeren Gestalt, die er aufstellt, und hebt doch wiederum nur dieses menschliche Dasein auf, das er preisgibt, die durch sich selbst notwendige substantielle Macht dagegen und den Glauben an sie bestehen läßt. Um ein paar nähere Beispiele anzuführen, so ist die tragische Episode der Dido von so moderner Färbung, daß sie den Tasso zur Nachbildung, ja zum Teil zur wörtlichen Übersetzung anfeuern konnte und noch jetzt fast das Entzücken der Franzosen ausmacht. Und doch wie ganz anders menschlich naiv, ungemacht und wahr ist das alles in der Geschichte der Kirke und Kalypso.
Von ähnlicher Art ist bei Homer das Hinabsteigen des Odysseus in den Hades. Dieser dunkle abendliche Aufenthalt der Schatten erscheint in einem trüben Nebel, in einer Mischung von Phantasie und Wirklichkeit, die uns mit wunderbarem Zauber ergreift. Homer läßt seinen Helden nicht in eine fertige Unterwelt niedersteigen, sondern Odysseus selbst gräbt sich eine Grube, und dahinein gießt er das Blut des Bockes, den er geschlachtet hat, dann zitiert er die Schatten, die sich zu ihm heranbemühen müssen, und heißt die einen das belebende Blut trinken, damit sie zu ihm reden und ihm Bericht geben können, und verjagt die anderen, die sich um ihn im Durste nach Leben drängen, mit dem Schwert. Alles geschieht hier lebendig durch den Helden selbst, der sich nicht demütig wie Äneas und Dante benimmt. Bei Vergil dagegen steigt Äneas ordentlich herab, und die Treppe, der Zerberus, Tantalos und das übrige auch gewinnt die Gestalt einer bestimmt eingerichteten Haushaltung wie in einem steifen Kompendium der Mythologie.

Noch mehr steht uns dies Gemachte des Dichters als ein nicht aus der Sache selbst geschöpftes, sondern künstlich erarbeitetes Machwerk vor Augen, wenn die Geschichte, welche erzählt wird, uns sonst schon in ihrer eigentlich frischen Form oder historischen Wirklichkeit bekannt und geläufig ist. Von dieser Art z. B. sind Miltons Verlorenes Paradies, die Noachide Bodmers, Klopstocks Messias, Voltaires Henriade und andere mehr. In allen diesen Gedichten ist der Zwiespalt des Inhalts und der Reflexion des Dichters, aus welcher er die Begebenheiten, Personen und Zustände beschreibt, nicht zu verkennen.
Bei Milton z. B. finden wir ganz die Gefühle, Betrachtungen einer modernen Phantasie und der moralischen Vorstellungen seiner Zeit. Ebenso haben wir bei Klopstock einerseits Gottvater, die Geschichte Christi, Erzväter, Engel usf., auf der anderen Seite die deutsche Bildung des achtzehnten Jahrhunderts und die Begriffe der Wolffischen Metaphysik. Und dies Gedoppelte erkennt sich in jeder Zeile.
Allerdings legt hier der Inhalt selbst manche Schwierigkeit in den Weg.
Denn Gottvater, der Himmel, die himmlischen Heerscharen sind nicht so für die Individualisierung der freien Phantasie geeignet als die Homerischen Götter, welche gleich den zum Teil phantastischen Erdichtungen im Ariost in ihrem äußeren Erscheinen, wenn sie nicht als Momente menschlicher Handlungen, sondern für sich als Individuen gegeneinander auftreten, zugleich den Spaß über dies Erscheinen enthalten.
Klopstock gerät nun in Rücksicht auf religiöse Anschauung in eine bodenlose Welt hinein, die er mit dem Glanze einer weitschweifigen Phantasie ausstattet und dabei von uns verlangt, daß wir alles, was er ernsthaft meint, nun auch ernsthaft aufnehmen sollen. Dies ist besonders bei seinen Engeln und Teufeln schlimm. Etwas Gehaltvolles und individuell Einheimisches haben dergleichen Fiktionen noch, wenn, wie bei den Homerischen Göttern, der Stoff ihrer Handlungen im menschlichen Gemüte oder in einer sonstigen Realität gegründet ist, wenn sie z. B. als die eigenen Genien und Schutzengel bestimmter Menschen, als Patrone einer Stadt usf. Wert erhalten; außerhalb solcher konkreten Bedeutung aber geben sie sich um so mehr als eine bloße Leerheit der Einbildung, je mehr ihnen eine ernsthafte Existenz zugeschrieben wird.
Abbadona z. B., der reuige Teufel (Messias, 2. Gesang, Vers 627-850), hat weder irgendeinen rechten allegorischen Sinn - denn in dieser fixierten Abstraktion, dem Teufel, ist eben keine solche Inkonsequenz des Lasters, das sich zur Tugend umkehrt -, noch ist solche Gestalt etwas in sich wirklich Konkretes.
Wäre Abbadona ein Mensch, so würde die Hinwendung zu Gott gerechtfertigt erscheinen, bei dem Bösen für sich aber, das nicht ein einzelnes menschliches Böses ist, bleibt sie eine nur gefühlvolle moralische Trivialität. In solchen unrealen Erdichtungen von Personen, Zuständen und Begebenheiten, die nichts aus der daseienden Welt und deren poetischem Gehalte Herausgegriffenes sind, gefällt sich Klopstock vor allem. Denn auch mit seiner moralischen Weltrichterschaft der Schwelgerei der Höfe usf. steht es nicht besser, besonders dem Dante gegenüber, der die bekannten Individuen seiner Zeit mit einer ganz anderen Wirklichkeit in die Hölle verdammt.
Von derselben poetischen Realitätslosigkeit dagegen ist bei Klopstock auch die Auferstehungsfreude der schon zu Gott versammelten Seelen Adams, Noahs, Sems und Japhets usw., die im 11. Gesange der Messiade auf Gabriels Gebot ihre Gräber wieder besuchen. Das ist nichts Vernünftiges und in sich selbst Haltbares. Die Seelen haben im Anschauen Gottes gelebt, sehen nun die Erde, aber gelangen zu keinem neuen Verhältnis; daß sie dem Menschen erschienen, wäre noch das Beste, zu dem es kommen könnte, aber auch das geschieht nicht einmal. Es fehlt hier zwar nicht an schönen Empfindungen, lieblichen Situationen, und besonders ist der Moment, in welchem die Seele sich wieder verleiblicht, von anziehender Schilderung, aber der Inhalt bleibt für uns eine Erdichtung, an die wir nicht glauben. Solchen abstrakten Vorstellungen gegenüber hat das Bluttrinken der Schemen bei Homer, ihre Wiederbelebung zum Erinnern und Sprechen unendlich mehr innere poetische Wahrheit und Realität. - Von seiten der Phantasie sind diese Gemälde bei Klopstock wohl reich geschmückt, das Wesentlichste jedoch bleibt immer die lyrische Rhetorik der Engel, welche nur als bloße Mittel und Diener erscheinen, oder auch der Erzväter und sonstiger biblischer Figuren, deren Reden und Expektorationen dann schlecht genug mit der historischen Gestalt zusammenstimmen, in welcher wir sie sonst bereits kennen. Mars, Apollo, Krieg, Wissen usf., diese Mächte sind weder ihrem Gehalt nach etwas bloß Erdichtetes wie die Engel noch bloß historische Personen von historischem Fond wie die Erzväter, sondern es sind bleibende Gewalten, deren Form und Erscheinung nur poetisch gemacht ist. In der Messiade aber, soviel Vortreffliches sie auch enthält - ein reines Gemüt und glänzende Einbildungskraft -, kommt doch gerade durch die Art der Phantasie unendlich viel Hohles, abstrakt Verständiges und zu einem beabsichtigten Gebrauche Herbeigeholtes herein, das bei der Gebrochenheit des Inhalts und der Vorstellungsweise desselben das ganze Gedicht nur zu bald zu etwas Vergangenem gemacht hat. Denn es lebt und erhält sich nur, was ungebrochen in sich auf ursprüngliche Weise ursprüngliches Leben und Wirken darstellt. An die ursprünglichen Epopöen muß man sich deshalb halten und sich ebenso von den entgegenstrebenden Gesichtspunkten seiner wirklichen geltenden Gegenwart als auch vor allem von den falschen ästhetischen Theorien und Ansprüchen entbinden, wenn man die ursprüngliche Weltanschauung der Völker, diese große geistige Naturgeschichte, genießen und studieren will. Wir können unserer neuesten Zeit und unserer deutschen Nation Glück wünschen, daß sie zur Erreichung dieses Zwecks die alte Borniertheit des Verstandes durchbrochen und den Geist durch die Befreiung von beschränkten Ansichten empfänglich für solche Anschauungen gemacht hat, die man als Individuen nehmen muß, welche befugt sind, so zu sein, wie sie waren, als die berechtigten Völkergeister, deren Sinn und Tat in ihren Epopöen aufgeschlagen vor uns liegt.

*) Aloys Blumauer, 1760-1835, Altphilologe; travestierte Vergils Aeneis

 

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