t_lab

Inhalt - Übersicht

Einleitung

Erster Teil.
Die Idee des Kunstschönen oder das Ideal

Stellung der Kunst im Verhältnis zur endlichen Wirklichkeit und zur Religion und Philosophie

Zweiter Teil. Entwicklung des Ideals zu den besonderen Formen des Kunstschönen

Dritter Teil.
Das System der einzelnen Künste

Vom “Ende der Kunst” >

Wie nun aber die Kunst in der Natur und den endlichen Gebieten des Lebens ihr Vor hat, ebenso hat sie auch ein Nach, ...  >>>

sampea84b4b190df19da

      ABCphilDE   Hegel -Philosophen   Religion  .    Kunst&Wahn   .   Hegel Texte .  Grundbegriffe   .   Herok-Info             

Georg Wilhelm Friedrich Hegel
Vorlesungen über die Ästhetik
                          
(1835-1838)                                                              

   Inhalt - Übersicht       

 < >

b. Die alten Götter im Unterschiede zu den neuen

Wie nun im Orakel der Inhalt in den wissenden und wollenden Göttern liegt, die Form der äußeren Erscheinung aber das abstrakt Äußerliche und Natürliche ist, so wird auf der anderen Seite das Natürliche, seinen allgemeinen Mächten und deren Wirksamkeiten nach, zum Inhalt, aus welchem sich die selbständige Individualität erst emporzuringen hat und zur nächsten Form nur die formelle und oberflächliche Personifikation erhält.
Das Zurückweisen dieser bloßen Naturmächte, der Gegensatz und Widerstreit, durch welchen sie besiegt werden, ist eben der wichtige Punkt, dem wir die eigentlich klassische Kunst erst zu verdanken haben und den wir deshalb einer genaueren Prüfung unterwerfen wollen.

α) Das nächste, was wir in dieser Rücksicht bemerken können, betrifft den Umstand, daß wir es jetzt nicht, wie in der Weltanschauung der Erhabenheit oder zum Teil selbst im Indischen, mit einem für sich fertigen, sinnlichkeitslosen Gott als dem Beginn aller Dinge zu tun haben, sondern daß den Anfang Naturgötter, und zwar zuerst die allgemeineren Mächte der Natur, abgeben, das alte Chaos, Tartaros, Erebos, dies ganze wüste unterirdische Wesen; ferner Uranos, Gäa, der titanische Eros, Kronos usf. Aus diesen entstehen dann erst die bestimmteren Gewalten, wie Helios, Okeanos usf., welche die Naturgrundlage für die späteren, geistig individualisierten Götter werden.
Hier tritt also wieder eine von der Phantasie erfundene und durch die Kunst ausgestaltete Theogonie und Kosmogonie auf, deren erste Götter aber für die Anschauung einerseits noch unbestimmter Art bleiben oder ins Maßlose hin sich ausdehnen und andererseits noch viel Symbolisches an sich tragen.

β) Was den bestimmteren Unterschied innerhalb dieser titanischen Mächte selber anbetrifft, so sind sie

αα) erstens tellurische, siderische Gewalten, ohne geistigen und sittlichen Inhalt und deshalb ungebändigt, ein rohes, wildes Geschlecht, mißgestaltet, wie aus indischer oder ägyptischer Phantasie hervorgegangen, riesig und formlos.
Sie stehen mit den anderweitigen Naturbesonderheiten, wie z. B. Brontes, Steropes, ebenso mit den Hekatoncheiren Kottos, Briareus und Gyges, den Giganten usf., zunächst unter der Herrschaft des Uranos, dann des Kronos, dieses Haupttitanen, der offenbar auf die Zeit geht und alle seine Kinder verschlingt, wie die Zeit ihre Erzeugungen, die sie geboren hat, auch wieder vernichtet.
Dieser Mythe fehlt es nicht an symbolischem Sinn.
Denn das Naturleben ist in der Tat der Zeit unterworfen und bringt nur Vergängliches zur Existenz, wie auch die vorgeschichtlichen Tage eines Volkes, das nur eine Nation, ein Stamm ist, aber keinen Staat bildet und keine in sich selber festen Zwecke verfolgt, der geschichtslosen Gewalt der Zeit anheimfällt. Erst im Gesetz, in der Sittlichkeit, dem Staat ist Festes vorhanden, das im Vorübergehen der Geschlechter bleibt, so wie die Muse alledem Dauer und Befestigung gibt, was als natürliches Leben und wirkliche Handlung nur vergänglich und in der Zeitlichkeit vergangen wäre.

ββ) Weiter aber gehören zu diesem Kreise der alten Götter nicht nur Naturmächte als solche,
sondern auch die nächsten Gewalten über die Elemente. Besonders ist die erste Bearbeitung des Metalls durch die Kraft der selber noch rohen elementarischen Natur, der Luft, des Wassers, Feuers, von Wichtigkeit. Die Korybanten, Telchinen, ebenso wohltätige als bösartige Dämonen, die Pätaken, Pygmäen, Zwerge, in Bergarbeiten geschickt, klein, mit dicken Bäuchen, können wir hier anführen.

Als eines hauptsächlich hervorragenden Übergangspunktes aber ist des Prometheus Erwähnung zu tun. Prometheus ist ein Titan eigener Art, und seine Geschichte verdient besondere Aufmerksamkeit. Mit seinem Bruder Epimetheus erscheint er zunächst den neuen Göttern befreundet; dann tritt er als Wohltäter der Menschen auf, die sonst in dem Verhältnis der neuen Götter und der Titanen nichts zu tun haben; er bringt den Menschen das Feuer und dadurch die Möglichkeit, für die Befriedigung ihrer Bedürfnisse, für die Ausbildung der technischen Künste usf. zu sorgen, welche doch nichts Natürliches mehr sind und deshalb mit dem Titanischen scheinbar in keinem näheren Zusammenhang stehen.
Für diese Tat straft Zeus den Prometheus, bis Herkules ihn endlich von seiner Qual erlöst.
Beim ersten Blick liegt in allen diesen Hauptzügen nichts eigentlich Titanisches, ja man könnte sogar eine Inkonsequenz darin finden, daß Prometheus, wie Ceres, ein Wohltäter der Menschen ist und dennoch den alten titanischen Mächten zugezählt wird. Bei näherer Betrachtung jedoch verschwindet diese Inkonsequenz sogleich.
In dieser Beziehung geben z. B. ein paar Stellen des Platon schon genügende Aufklärung. In dem Mythos nämlich, in welchem der Gastfreund dem jüngeren Sokrates erzählt, zur Zeit des Kronos seien die Menschen aus der Erde entstanden und der Gott selber habe für das Ganze Sorge getragen, dann aber sei eine entgegengesetzte Bewegung eingetreten und die Erde sich selbst überlassen worden, so daß nun die Tiere verwildert und die Menschen, denen bisher Nahrung, und was sie sonst brauchten, unmittelbar zufloß, ohne Rat und Hilfe gewesen seien,
- heißt es bei dieser Gelegenheit (Politicus, Steph. 274), das Feuer sei dem Menschen vom Prometheus zugeteilt, die Kunstfertigkeiten aber (τtέχναaι) vom Hephaistos und der Mitkünstlerin Athene. - Hier ist ein ausdrücklicher Unterschied zwischen dem Feuer und dem gemacht, was die Geschicklichkeit in Bearbeitung roher Materialien hervorbringt, und dem Prometheus wird nur das Geschenk des Feuers zugeschrieben. Weitläufiger erzählt Platon die Mythe vom Prometheus im Protagoras. Dort heißt es (Protagoras, Steph. 320-323):
Es war einst eine Zeit, da wohl die Götter waren, sterbliche Geschlechter aber nicht.
Nachdem nun auch diesen die festbestimmte Zeit der Entstehung gekommen war, bildeten die Götter sie drinnen in der Erde, sie aus Erde und Feuer und dem mischend, was mit dem Feuer und der Erde geeint wird. Als die Götter sie dann ans Licht bringen wollten, trugen sie dem Prometheus und Epimetheus auf, den einzelnen nach Gebühr die Kräfte zu erteilen und einzurichten.
Vom Prometheus aber erbittet es sich Epimetheus, selber zu verteilen:
"Habe ich verteilt", sagte er, "so besichtige du."  Epimetheus aber, ungeschickterweise, verwendet alle Vermögen auf die Tiere, so daß für den Menschen nichts mehr übrigbleibt, und als nun Prometheus zur Besichtigung kommt, sieht er die übrigen Lebendigen zwar mit allem weislich ausgestattet, aber den Menschen findet er nackt, unbeschuht, ohne Bedeckung und Waffen.
Schon aber erschien der festgestellte Tag, an welchem es notwendig war, daß der Mensch hervorgehe aus der Erde ans Licht. In der Verlegenheit nun, welch eine Hilfe er für den Menschen fände, entwendet Prometheus des Hephaistos und der Athene gemeinsame Weisheit mit dem Feuer
- denn ohne Feuer war es unmöglich, daß sie besitzbar oder nützlich werde -, und so schenkt er sie dem Menschen.
Die für das Leben nötige Weisheit hatte nun zwar der Mensch dadurch, die Politik aber nicht: denn diese war noch beim Zeus; dem Prometheus aber war in die Burg des Zeus hineinzukommen nicht mehr gestattet, umher auch standen die furchtbaren Wächter des Zeus.
In das gemeinschaftliche Gemach jedoch des Hephaistos und der Athene, in welchem sie ihre Kunst ausübten, geht er insgeheim hinein, und nachdem er die Feuerkunst des Hephaistos und die andere (die Webekunst) der Athene entwendet, schenkt er sie dem Menschen.
Und hieraus entsteht für den Menschen das Vermögen der Lebensbefriedigung (εeὐπpοϱίαa τtου βίου), den Prometheus aber, des Epimetheus wegen, traf später, wie erzählt wird, die Strafe des Diebstahls.
- Weiter sodann erzählt Platon in einer gleich darauffolgenden Stelle, daß den Menschen jedoch zu ihrer Erhaltung die Kunst des Krieges gegen die Tiere, die von der Politik nur ein Teil sei, gleichfalls noch gefehlt habe, weshalb sie sich in Städten gesammelt, dort aber, da ihnen die Staatseinrichtung abging, sich so beleidigt und wieder zerstreut hätten, daß Zeus genötigt war, durch Hermes ihnen die Scham und das Recht zu senden. - In diesen Stellen ist ausdrücklich der Unterschied der unmittelbaren Lebenszwecke, die sich auf die physische Behaglichkeit, die Sorge für die Befriedigung der nächsten Bedürfnisse beziehen, und der Staatseinrichtung hervorgehoben, welche sich das Geistige, Sitte, Gesetz, Recht des Eigentums, Freiheit, Gemeinwesen zum Zwecke macht.
Dies Sittliche, Rechtliche hat Prometheus den Menschen nicht gegeben, sondern nur die List gelehrt, die Naturdinge zu besiegen und zum Mittel menschlicher Befriedigung zu gebrauchen.
Das Feuer und die Geschicklichkeiten, die sich des Feuers bedienen, sind nichts Sittliches in sich selbst, ebensowenig die Webekunst, sondern treten zunächst nur in den Dienst der Selbstsucht und des Privatnutzens, ohne auf das Gemeinsame des menschlichen Daseins und das Öffentliche des Lebens Bezug zu haben.
Weil Prometheus nichts Geistigeres und Sittlicheres dem Menschen zuzuteilen im Falle war, gehört er auch nicht dem Geschlecht der neuen Götter an, sondern der Titanen. Hephästos hat zwar gleichfalls das Feuer und die damit zusammenhängenden Künste zum Element seiner Wirksamkeit und ist dennoch ein neuer Gott, aber Zeus hat ihn vom Olympos herabgeschleudert, und er ist der hinkende Gott geblieben. Ebensowenig ist es deshalb eine Inkonsequenz, wenn wir die Ceres, welche, wie Prometheus, sich als Wohltäterin des Menschengeschlechts erweist, den neuen Göttern zugezählt finden. Denn was Ceres lehrte, war der Ackerbau, mit dem sogleich Eigentum und weiterhin Ehe,
Sitte und Gesetz in Verbindung steht.

γγ) Ein dritter Kreis der alten Götter enthält nun zwar weder personifizierte Naturmächte als solche in ihrer Wildheit oder List noch die nächste Macht über die vereinzelten Naturelemente im Dienste der untergeordneten menschlichen Bedürfnisse, sondern streift schon gegen das in sich selbst Ideelle, Allgemeine und Geistige heran. Was aber den hierher zu rechnenden Gewalten dessenungeachtet abgeht, ist die geistige Individualität und deren gemäße Gestalt und Erscheinung, so daß sie nun auch mehr oder weniger in betreff ihrer Wirksamkeit einen näheren Bezug auf das im Natürlichen Notwendige und Wesentliche behalten.
Als Beispiel können wir an die Vorstellung von der Nemesis, Dike, den Erinnyen, Eumeniden und Moiren erinnern. Allerdings drängen sich hier schon die Bestimmungen von Recht und Gerechtigkeit hervor; dies notwendige Recht aber, statt als das in sich Geistige und Substantielle der Sittlichkeit gefaßt und gestaltet zu sein, bleibt entweder bei der allgemeinsten Abstraktion stehen oder betrifft das dunkle Recht des Natürlichen innerhalb geistiger Verhältnisse, die Blutliebe z. B. und ihr Recht, das nicht dem in klarer Freiheit seiner selbst bewußten Geiste zugehört und deshalb auch nicht als gesetzliches Recht, sondern im Gegensatz gegen dasselbe als unversöhnliches Recht der Rache erscheint.

Was das Nähere angeht, so will ich nur weniger Vorstellungen Erwähnung tun.
Die Nemesis z. B. ist die Macht, das Emporgehobene zu erniedrigen, das Allzuglückliche von seiner Höhe herabzuwerfen und dadurch die Gleichheit herzustellen. Das Recht der Gleichheit aber ist das ganz abstrakte und äußerliche Recht, das sich zwar im Bereich geistiger Zustände und Verhältnisse tätig erweist, ohne jedoch den sittlichen Organismus derselben zum Inhalte der Gerechtigkeit zu machen.

Eine andere Hauptseite liegt darin, daß den alten Göttern das Recht der Familienzustände, insofern dieselben auf der Natürlichkeit beruhen und dadurch dem öffentlichen Recht und Gesetz des Gemeinwesens entgegenstehen, zugeteilt wird.
Als deutlichstes Beispiel für diesen Punkt lassen sich die Eumeniden des Aischylos anführen.
Die furchtbaren Jungfrauen verfolgen den Orest um des Muttermordes willen, den ihm Apollo, der neue Gott, geboten, damit Agamemnon, der erschlagene Gatte und König, nicht ungerächt bleibe.
Das ganze Drama gestaltet sich dadurch zu einem Kampfe zwischen diesen göttlichen Mächten, welche in Person gegeneinander auftreten. Einerseits sind die Eumeniden Rachegöttinnen, aber sie heißen die Wohlmeinenden, und unsere gewöhnliche Vorstellung von Furien, zu denen wir sie umwandeln, ist roh und barbarisch.
Denn zu ihrer Verfolgung haben sie ein wesentliches Recht und sind deshalb nicht nur gehässig, wild und grausam in den Martern, die sie auferlegen.
Das Recht jedoch, das sie gegen Orest geltend machen, ist nur das Recht der Familie, insofern dieselbe im Blute wurzelt. Der innigste Zusammenhang von Sohn und Mutter, welchen Orest zerrissen, ist die Substanz, die sie vertreten. Apollo stellt der natürlichen, schon sinnlich im Blute begründeten und empfundenen Sittlichkeit das Recht des in seinem tieferen Rechte verletzten Ehegatten und Fürsten entgegen. Dieser Unterschied scheint zunächst äußerlich, da beide Parteien die Sittlichkeit innerhalb ein und desselben Gebiets, der Familie, verfechten.
Dennoch hat die gehaltvolle Phantasie des Aischylos, die wir deshalb auch von dieser Seite her mehr und mehr schätzen müssen, hier einen Gegensatz aufgefunden, der nicht etwa oberflächlich, sondern von durchweg wesentlicher Art ist.
Das Verhältnis von Kindern zu Eltern nämlich beruht auf der Einheit im Natürlichen, das Bündnis des Ehegatten und der Ehefrau dagegen muß als Ehe genommen werden, welche nicht nur aus bloß natürlicher Liebe, aus Bluts- und Naturverwandtschaft herkommt, sondern aus bewußter Neigung entspringt und dadurch der freien Sittlichkeit des selbstbewußten Willens angehört.
Wie sehr die Ehe deshalb auch mit Liebe und Empfindung zusammenhängt, so unterscheidet sie sich doch von der Naturempfindung der Liebe, weil sie auch unabhängig von derselben bestimmt gewußte Verpflichtungen, wenn auch die Liebe erstorben ist, anerkennt.
Der Begriff und das Wissen von der Substantialität des ehelichen Lebens ist etwas Späteres und Tieferes als der natürliche Zusammenhalt von Sohn und Mutter und macht den Beginn des Staats als der Realisation des freien, vernünftigen Wollens aus. In der gleichen Weise liegt auch in dem Verhältnis des Fürsten zu den Bürgern der politische Zusammenhang des gleichen Rechts, der Gesetze, der selbstbewußten Freiheit und Geistigkeit der Zwecke. Dies ist der Grund, weshalb die Eumeniden, die alten Göttinnen, den Orestes zu strafen trachten, während Apollo die klare, wissende und sich wissende Sittlichkeit, das Recht des Gatten und Fürsten verteidigt, indem er mit Recht den Eumeniden entgegnet (Die Eumeniden, v. 206-209): "Wenn das Verbrechen der Klytämnestra nicht wäre gerochen worden, wahrlich würde ich ehrlos und für nichts erachten der Vollzieherin Here und des Zeus Bündnisse."

Interessanter noch, obschon ganz in das menschliche Empfinden und Handeln hineinverlegt, tritt derselbe Gegensatz in der Antigone hervor, einem der allererhabensten, in jeder Rücksicht vortrefflichsten Kunstwerke aller Zeiten.
Alles in dieser Tragödie ist konsequent; das öffentliche Gesetz des Staats und die innere Familienliebe und Pflicht gegen den Bruder stehen einander streitend gegenüber,
das Familieninteresse hat das Weib, Antigone, die Wohlfahrt des Gemeinwesens Kreon, der Mann, zum Pathos. Polyneikes, die eigene Vaterstadt bekämpfend, war vor Thebens Toren gefallen, und Kreon, der Herrscher, durch ein öffentlich verkündetes Gesetz droht jedem den Tod, der jenem Feinde der Stadt die Ehre des Begräbnisses zuteil werden ließe.
Diesen Befehl aber, der nur das öffentliche Wohl des Staats betrifft, läßt sich Antigone nichts angehen, sie vollbringt als Schwester die heilige Pflicht der Bestattung, nach der Pietät ihrer Liebe zum Bruder. Dabei beruft sie sich auf das Gesetz der Götter; die Götter aber, die sie verehrt, sind die unteren Götter des Hades (Sophokles, Antigone, v. 451, ἡξύνοιϰος τtων ϰάτtω ϑεeων Δίϰη *) ), die inneren der Empfindung, der Liebe, des Blutes, nicht die Tagesgötter des freien, selbstbewußten Volks- und Staatslebens.

γ) Der dritte Punkt, den wir in Rücksicht auf die Theogonie der klassischen Kunstanschauung herausheben können, betrifft den Unterschied der alten Götter in bezug auf ihre Macht und die Dauer ihrer Herrschaft. Hier haben wir drei Seiten bemerklich zu machen.

αα) Erstlich nämlich ist das Entstehen der Götter eine Aufeinanderfolge.
Aus dem Chaos, nach Hesiod, gehen Gäa, Uranos usf. hervor, dann Kronos und sein Geschlecht, endlich Zeus mit den Seinigen.
Diese Folge nun erscheint einerseits als ein Aufsteigen von den abstrakteren und gestaltloseren zu konkreteren und schon bestimmter gestalteten Naturmächten, andererseits als ein beginnendes Emporragen des Geistigen über das Natürliche.
So läßt z. B. Aischylos in den Eumeniden die Pythia im Tempel zu Delphi mit den Worten beginnen: "Zuerst verehre ich mit diesem Gebete die erste Orakelgeberin, Gäa, und auf sie die Themis, welche als zweite nach der Mutter in diesem Ort der Weissagung ihren Sitz hatte."
Pausanias dagegen, der gleichfalls die Erde zuerst als Orakelgeberin nennt, sagt, daß Daphne sodann von ihr sei zur Verkünderin bestellt worden. In einer anderen Reihe wieder setzt Pindar die Nacht voran, ihr gibt er dann die Themis zur Nachfolgerin, dieser die Phöbe, bis er endlich auf Phöbos kommt. Es wäre interessant, diesen bestimmten Unterschieden nachzugehen, wozu hier jedoch nicht der Ort ist.

ββ) Die Aufeinanderfolge nun ferner, indem sie sich ebensosehr als ein Weiterschreiten zu in sich vertieferen und reichhaltigeren Göttern geltend zu machen hat, erscheint auch in der Form der Herabsetzung des Früheren und Abstrakteren innerhalb des alten Göttergeschlechtes selber. Den ersten ältesten Mächten wird ihre Herrschaft geraubt, wie Kronos den Uranos entthronte, und die späteren setzen sich an ihre Stelle.

γγ) Dadurch wird das negative Verhältnis der Umgestaltung, das wir von Hause aus als das Wesen dieser ersten Stufe der klassischen Kunstform feststellten, nun auch zum eigentlichen Mittelpunkte derselben, und da die Personifikation hier die allgemeine Form ist, in welcher die Götter zur Vorstellung kommen und die vorschreitende Bewegung sich der menschlichen und geistigen Individualität entgegendrängt, wenn diese zunächst auch noch in unbestimmter und unförmlicher Gestalt auftritt, so bringt sich die Phantasie das negative Verhalten der jüngeren Götter gegen die älteren als Kampf und Krieg zur Anschauung.
Der wesentliche Fortgang aber ist der von der Natur zum Geist als dem wahren Gehalt und der eigentlichen Form für die klassische Kunst. Dieser Fortgang und die Kämpfe, vermittels derer wir ihn zustande kommen sehen, gehört nicht mehr zum ausschließlichen Kreise der alten Götter, sondern fällt in den Krieg, durch welchen die neuen Götter ihre dauernde Herrschaft über die alten begründen.

*) "Hier im Haus das Recht der Todesgötter"

 zurück blättern  >>>

weiter blättern  >>>

>Besiegung der alten Götter

   < >

Hegel
- Quellen und Volltexte

Site search Web search

powered by FreeFind

 

 <<<zurück blättern weiter blättern  >>>

 Vorlesungen über die Ästhetik:       Inhalt - Übersicht       

         ABCphilDE   Hegel -Philosophen   .   Religion  .    Kunst&Wahn   .    Texte   .  Grundbegriffe  . Herok-Info

Phil-Splitter

 

since Jan 2013  ABCphilDE//Phil-Splitter  >DETAILS

Flag Counter

 

Hegels Quelltexte:
- als Kontexte verbunden von:
>>>>>    ABCphilDE 
>>>>> Phil-Splitter.de
>>>>>   Herok.Info

manfred herok
©2000-14