[<Das Schöne der Kunst]
Nach allen diesen Seiten hin scheint daher die schöne Kunst sowohl ihrem Ursprunge als auch ihrer Wirkung und ihrem Umfange nach, statt sich für die wissenschaftliche Bemühung geeignet zu zeigen, vielmehr selbständig dem Regulieren des Gedankens zu widerstreben und der eigentlich wissenschaftlichen Erörterung nicht gemäß zu sein.
Diese und ähnliche Bedenklichkeiten gegen eine wahrhaft wissenschaftliche Beschäftigung mit der schönen Kunst sind aus gewöhnlichen Vorstellungen, Gesichtspunkten und Betrachtungen hergenommen, an deren weitläufigerer Ausführung man sich in älteren, besonders französischen Schriften über das Schöne und die schönen Künste übersatt lesen kann. Und zum Teil sind Tatsachen darin enthalten, mit denen es seine Richtigkeit hat, zum Teil sind Räsonnements daraus gezogen, die ebenso zunächst plausibel erscheinen. So z. B. die Tatsache, daß die Gestaltung des Schönen so mannigfaltig als die Erscheinung des Schönen allgemein verbreitet sei, woraus, wenn man will, auch ferner auf einen allgemeinen Schönheitstrieb in der menschlichen Natur geschlossen und die weitere Folgerung gemacht werden kann, daß, weil die Vorstellungen vom Schönen so unendlich vielfach und damit zunächst etwas Partikuläres sind, es keine allgemeinen Gesetze des Schönen und des Geschmacks geben könne.
Ehe wir uns nun von solchen Betrachtungen ab-, nach unserem eigentlichen Gegenstande hinwenden können, wird unser nächstes Geschäft in einer kurzen einleitenden Erörterung der erregten Bedenklichkeiten und Zweifel bestehen müssen.
Was erstens die Würdigkeit der Kunst betrifft, wissenschaftlich betrachtet zu werden, so ist es allerdings der Fall, daß die Kunst als ein flüchtiges Spiel gebraucht werden kann, dem Vergnügen und der Unterhaltung zu dienen, unsere Umgebung zu verzieren, dem Äußeren der Lebensverhältnisse Gefälligkeit zu geben und durch Schmuck andere Gegenstände herauszuheben. In dieser Weise ist sie in der Tat nicht unabhängige, nicht freie, sondern dienende Kunst. Was wir aber betrachten wollen, ist die auch in ihrem Zwecke wie in ihren Mitteln freie Kunst. Daß die Kunst überhaupt auch anderen Zwecken dienen und dann ein bloßes Beiherspielen sein kann, dieses Verhältnis hat sie übrigens gleichfalls mit dem Gedanken gemein. Denn einerseits läßt sich die Wissenschaft zwar als dienstbarer Verstand für endliche Zwecke und zufällige Mittel gebrauchen und erhält dann ihre Bestimmung nicht aus sich selbst, sondern durch sonstige Gegenstände und Verhältnisse; andererseits aber löst sie sich auch von diesem Dienste los, um sich in freier Selbständigkeit zur Wahrheit zu erheben, in welcher sie sich unabhängig nur mit ihren eigenen Zwecken erfüllt.
In dieser ihrer Freiheit nun ist die schöne Kunst erst wahrhafte Kunst und löst dann erst ihre höchste Aufgabe, wenn sie sich in den gemeinschaftlichen Kreis mit der Religion und Philosophie gestellt hat und nur eine Art und Weise ist, das Göttliche, die tiefsten Interessen des Menschen, die umfassendsten Wahrheiten des Geistes zum Bewußtsein zu bringen und auszusprechen. In Kunstwerken haben die Völker ihre gehaltreichsten inneren Anschauungen und Vorstellungen niedergelegt, und für das Verständnis der Weisheit und Religion macht die schöne Kunst oftmals, und bei manchen Völkern sie allein, den Schlüssel aus. Diese Bestimmung hat die Kunst mit Religion und Philosophie gemein, jedoch in der eigentümlichen Art, daß sie auch das Höchste sinnlich darstellt und es damit der Erscheinungsweise der Natur, den Sinnen und der Empfindung näherbringt. Es ist die Tiefe einer übersinnlichen Welt, in welche der Gedanke dringt und sie zunächst als ein Jenseits dem unmittelbaren Bewußtsein und der gegenwärtigen Empfindung gegenüber aufstellt; es ist die Freiheit denkender Erkenntnis, welche sich dem Diesseits, das sinnliche Wirklichkeit und Endlichkeit heißt, enthebt. Diesen Bruch aber, zu welchem der Geist fortgeht, weiß er ebenso zu heilen; er erzeugt aus sich selbst die Werke der schönen Kunst als das erste versöhnende Mittelglied zwischen dem bloß Äußerlichen, Sinnlichen und Vergänglichen und dem reinen Gedanken, zwischen der Natur und endlichen Wirklichkeit und der unendlichen Freiheit des begreifenden Denkens.
Was aber die Unwürdigkeit des Kunstelementes im allgemeinen, des Scheines nämlich und seiner Täuschungen, angeht, so hätte es mit diesem Einwand allerdings seine Richtigkeit, wenn der Schein als das Nichtseinsollende dürfte angesprochen werden. Doch der Schein selbst ist dem Wesen wesentlich, die Wahrheit wäre nicht, wenn sie nicht schiene und erschiene, wenn sie nicht für Eines wäre, für sich selbst sowohl als auch für den Geist überhaupt. Deshalb kann nicht das Scheinen im allgemeinen, sondern nur die besondere Art und Weise des Scheins, in welchem die Kunst dem in sich selbst Wahrhaftigen Wirklichkeit gibt, ein Gegenstand des Vorwurfs werden. Soll in dieser Beziehung der Schein, in welchem die Kunst ihre Konzeptionen zum Dasein erschafft, als Täuschung bestimmt werden, so erhält dieser Vorwurf zunächst seinen Sinn in Vergleichung mit der äußerlichen Welt der Erscheinungen und ihrer unmittelbaren Materialität sowie im Verhältnis zu unserer eigenen empfindenden, das ist der innerlich sinnlichen Welt, welchen beiden wir im empirischen Leben, im Leben unserer Erscheinung selber den Wert und Namen von Wirklichkeit, Realität und Wahrheit imGegensatz der Kunst zu geben gewohnt sind, der solche Realität und Wahrheit fehle. Aber gerade diese ganze Sphäre der empirischen inneren und äußeren Welt ist nicht die Welt wahrhafter Wirklichkeit, sondern vielmehr in strengerem Sinne als die Kunst ein bloßer Schein und eine härtere Täuschung zu nennen. Erst jenseits der Unmittelbarkeit des Empfindens und der äußerlichen Gegenstände ist die echte Wirklichkeit zu finden. Denn wahrhaft wirklich ist nur das Anundfürsichseiende, das Substantielle der Natur und des Geistes, das sich zwar Gegenwart und Dasein gibt, aber in diesem Dasein das Anundfürsichseiende bleibt und so erst wahrhaft wirklich ist. Das Walten dieser allgemeinen Mächte ist es gerade, was die Kunst hervorhebt und erscheinen läßt. In der gewöhnlichen äußeren und inneren Welt erscheint die Wesenheit wohl auch, jedoch in der Gestalt eines Chaos von Zufälligkeiten, verkümmert durch die Unmittelbarkeit des Sinnlichen und durch die Willkür in Zuständen, Begebenheiten, Charakteren usf. Den Schein und die Täuschung dieser schlechten, vergänglichen Welt nimmt die Kunst von jenem wahrhaften Gehalt der Erscheinungen fort und gibt ihnen eine höhere, geistgeborene Wirklichkeit. Weit entfernt also, bloßer Schein zu sein, ist den Erscheinungen der Kunst der gewöhnlichen Wirklichkeit gegenüber die höhere Realität und das wahrhaftigere Dasein zuzuschreiben.
Ebensowenig sind die Darstellungen der Kunst ein täuschender Schein gegen die wahrhaftigeren Darstellungen der Geschichtsschreibung zu nennen. Denn die Geschichtsschreibung hat auch nicht das unmittelbare Dasein, sondern den geistigen Schein desselben zum Elemente ihrer Schilderungen, und ihr Inhalt bleibt mit der ganzen Zufälligkeit der gewöhnlichen Wirklichkeit und deren Begebenheiten, Verwicklungen und Individualitäten behaftet, während das Kunstwerk uns die in der Geschichte waltenden ewigen Mächte ohne dies Beiwesen der unmittelbar sinnlichen Gegenwart und ihres haltlosen Scheines entgegenbringt.
Wird nun aber die Erscheinungsweise der Kunstgestalten eine Täuschung genannt in Vergleichung mit dem Denken der Philosophie, mit religiösen und sittlichen Grundsätzen, so ist die Form der Erscheinung, welche ein Inhalt in dem Bereiche des Denkens gewinnt, allerdings die wahrhaftigste Realität; doch in Vergleich mit dem Schein der sinnlichen unmittelbaren Existenz und dem der Geschichtsschreibung hat der Schein der Kunst den Vorzug, daß er selbst durch sich hindurchdeutet und auf ein Geistiges, welches durch ihn soll zur Vorstellung kommen, aus sich hinweist, dahingegen die unmittelbare Erscheinung sich selbst nicht als täuschend gibt, sondern vielmehr als das Wirkliche und Wahre, während doch das Wahrhafte durch das unmittelbar Sinnliche verunreinigt und versteckt wird. Die harte Rinde der Natur und gewöhnlichen Welt machen es dem Geiste saurer, zur Idee durchzudringen, als die Werke der Kunst.
Wenn wir nun aber der Kunst einerseits diese hohe Stellung geben, so ist andererseits ebensosehr daran zu erinnern, daß die Kunst dennoch weder dem Inhalte noch der Form nach die höchste und absolute Weise sei, dem Geiste seine wahrhaften Interessen zum Bewußtsein zu bringen. Denn eben ihrer Form wegen ist die Kunst auch auf einen bestimmten Inhalt beschränkt. Nur ein gewisser Kreis und Stufe der Wahrheit ist fähig, im Elemente des Kunstwerks dargestellt zu werden; es muß noch in ihrer eigenen Bestimmung liegen, zu dem Sinnlichen herauszugehen und in demselben sich adäquat sein zu können, um echter Inhalt für die Kunst zu sein, wie dies z. B. bei den griechischen Göttern der Fall ist. Dagegen gibt es eine tiefere Fassung der Wahrheit, in welcher sie nicht mehr dem Sinnlichen so verwandt und freundlich ist, um von diesem Material in angemessener Weise aufgenommen und ausgedrückt werden zu können. Von solcher Art ist die christliche Auffassung der Wahrheit, und vor allem erscheint der Geist unserer heutigen Welt, oder näher unserer Religion und unserer Vernunftbildung, als über die Stufe hinaus, auf welcher die Kunst die höchste Weise ausmacht, sich des Absoluten bewußt zu sein. Die eigentümliche Art der Kunstproduktion und ihrer Werke füllt unser höchstes Bedürfnis nicht mehr aus; wir sind darüber hinaus, Werke der Kunst göttlich verehren und sie anbeten zu können; der Eindruck, den sie machen, ist besonnenerer Art, und was durch sie in uns erregt wird, bedarf noch eines höheren Prüfsteins und anderweitiger Bewährung. Der Gedanke und die Reflexion hat die schöne Kunst überflügelt. Wenn man es liebt, sich in Klagen und Tadel zu gefallen, so kann man diese Erscheinung für ein Verderbnis halten und sie dem Übergewicht von Leidenschaften und eigennützigen Interessen zuschreiben, welche den Ernst der Kunst wie ihre Heiterkeit verscheuchen; oder man kann die Not der Gegenwart, den verwickelten Zustand des bürgerlichen und politischen Lebens anklagen, welche dem in kleinen Interessen befangenen Gemüt sich zu den höheren Zwecken der Kunst nicht zu befreien vergönne, indem die Intelligenz selbst dieser Not und deren Interessen in Wissenschaften dienstbar sei, welche nur für solche Zwecke Nützlichkeit haben, und sich verführen lasse, sich in diese Trockenheit festzubannen.
Wie es sich nun auch immer hiermit verhalten mag, so ist es einmal der Fall, daß die Kunst nicht mehr diejenige Befriedigung der geistigen Bedürfnisse gewährt, welche frühere Zeiten und Völker in ihr gesucht und nur in ihr gefunden haben, - eine Befriedigung, welche wenigstens von seiten der Religion aufs innigste mit der Kunst verknüpft war. >>>
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