3. Die Auflösung der romantischen Kunstform
Das letzte, was wir jetzt noch näher festzustellen haben, ist der Punkt, auf welchem das Romantische, da es an sich schon das Prinzip der Auflösung des klassischen Ideals ist, diese Auflösung nun in der Tat als Auflösung klar heraustreten läßt.
Hier kommt nun vor allem sogleich die vollendete Zufälligkeit und Äußerlichkeit des Stoffs in Betracht, welchen die Kunsttätigkeit ergreift und gestaltet. In der Plastik des Klassischen ist das subjektive Innere so auf das Äußere bezogen, daß dieses Äußere die eigene Gestalt des Inneren selbst und nicht aus demselben selbständig entlassen ist. Im Romantischen dagegen, wo die Innigkeit sich in sich zurückzieht, erhält der gesamte Inhalt der äußeren Welt die Freiheit, sich für sich zu ergehen und sich seiner Eigentümlichkeit und Partikularität nach zu erhalten. Umgekehrt, wenn die subjektive Innigkeit des Gemüts das wesentliche Moment für die Darstellung wird, ist es von gleicher Zufälligkeit, in welchen bestimmten Inhalt der äußeren Wirklichkeit und der geistigen Welt sich das Gemüt hineinlebt. Das romantische Innere kann sich deshalb an allen Umständen zeigen, in tausend und aber tausend Lagen, Zuständen, Verhältnissen, Irrungen und Verwirrungen, Konflikten und Befriedigungen umherwerfen, denn es ist nur seine subjektive Gestaltung an ihm selbst, die Äußerung und Aufnahmsweise des Gemüts, nicht aber ein objektiver an und für sich gültiger Gehalt, was gesucht wird und gelten soll. In den Darstellungen der romantischen Kunst hat daher alles Platz, alle Lebenssphären und Erscheinungen, das Größte und Kleinste, Höchste und Geringste, das Sittliche, Unsittliche und Böse; und besonders haust sich die Kunst, je mehr sie sich verweltlicht, mehr und mehr in die Endlichkeiten der Welt ein, nimmt mit ihnen vorlieb, gewährt ihnen vollkommene Gültigkeit, und dem Künstler ist wohl in ihnen, wenn er sie darstellt, wie sie sind. So sehen wir z. B. in Shakespeare, weil bei ihm die Handlungen überhaupt in ihren endlichsten Zusammenhang auslaufen, sich in einen Kreis von Zufälligkeiten hinein vereinzeln und zerstreuen und alle Zustände ihr Gelten haben, neben den höchsten Regionen und wichtigsten Interessen ebenso die unbedeutendsten und nebensächlichsten: wie in Hamlet neben dem Königshofe die Schildwachen; in Romeo und Julia das Hausgesinde; in anderen Stücken außerdem Narren, Rüpel und allerhand Gemeinheiten des täglichen Lebens, Kneipen, Fuhrleute, Nachttöpfe und Flöhe, ganz ebenso wie in dem religiösen Kreise der romantischen Kunst bei der Geburt Christi und Anbetung der Könige Ochs und Esel, die Krippe und das Stroh nicht fehlen dürfen. Und so geht es durch alles hindurch, auf daß auch in der Kunst das Wort erfüllt sei, die da niedrig sind, sollen erhöht werden.
Innerhalb dieser Zufälligkeit der Gegenstände, welche teils zwar als bloße Umgebung für einen in sich selbst gewichtigeren Inhalt, teils aber auch selbständig zur Darstellung kommen, kehrt sich das Zerfallen der romantischen Kunst heraus, das wir oben bereits berührt haben. Auf die eine Seite nämlich stellt sich die reale Wirklichkeit in ihrer vom Standpunkt des Ideals aus betrachtet prosaischen Objektivität: der Inhalt des gewöhnlichen täglichen Lebens, das nicht in seiner Substanz, in welcher es Sittliches und Göttliches enthält, aufgefaßt wird, sondern in seiner Veränderlichkeit und endlichen Vergänglichkeit. Andererseits ist es die Subjektivität, welche mit ihrer Empfindung und Ansicht, mit dem Recht und der Macht ihres Witzes sich zum Meister der gesamten Wirklichkeit zu erheben weiß, nichts in seinem gewohnten Zusammenhange und seiner Geltung läßt, die es für das gewöhnliche Bewußtsein hat, und sich nur befriedigt, insofern alles, was in dies Bereich hineingezogen wird, sich durch die Gestalt und Stellung, welche die subjektive Meinung, Laune, Genialität ihm gibt, in sich selbst als auflösbar und für die Anschauung und Empfindung aufgelöst erweist.
Wir haben deshalb in dieser Beziehung erstens von dem Prinzip jener mannigfaltigen Kunstwerke zu sprechen, deren Darstellungsweise der gemeinen Gegenwart und äußerlichen Realität sich dem nähert, was wir Nachahmung der Natur zu nennen gewohnt sind;
zweitens von dem subjektiven Humor, der in der modernen Kunst eine große Rolle spielt und besonders bei vielen Dichtern den Grundtypus ihrer Werke abgibt.
Drittens bleibt uns zum Schluß nur noch übrig, den Standpunkt anzudeuten, von welchem aus die Kunst sich noch heutigentags zu betätigen imstande ist.
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