c. Die Arten der eigentlichen Lyrik
Was nun drittens die besonderen Arten angeht, zu denen die lyrische Poesie auseinandertritt, so habe ich einiger, welche den Übergang aus der erzählenden Form des Epos in die subjektive Darstellungsweise bilden, bereits nähere Erwähnung getan. Auf der entgegengesetzten Seite könnte man nun ebenso das Hervorkommen des Dramatischen aufzeigen wollen; dieses Herüberneigen aber zur Lebendigkeit des Dramas beschränkt sich hier im wesentlichen nur darauf, daß auch das lyrische Gedicht als Zwiegespräch, ohne jedoch zu einer sich konfliktvoll weiterbewegenden Handlung fortzugehen, die äußere Form des Dialogs in sich aufzunehmen vermag. Diese Übergangsstufen und Zwitterarten wollen wir jedoch beiseite liegenlassen und nur kurz diejenigen Formen betrachten, in welchen sich das eigentliche Prinzip der Lyrik unvermischt geltend macht. Der Unterschied derselben findet seinen Grund in der Stellung, welche das dichtende Bewußtsein zu seinem Gegenstande einnimmt.
α) Auf der einen Seite nämlich hebt das Subjekt die Partikularität seiner Empfindung und Vorstellung auf und versenkt sich in die allgemeine Anschauung Gottes oder der Götter, deren Größe und Macht das ganze Innere durchdringt und den Dichter als Individuum verschwinden läßt. Hymnen, Dithyramben, Päane, Psalmen gehören in diese Klasse, welche sich dann wieder bei den verschiedenen Völkern verschiedenartig ausbildet. Im allgemeinsten will ich nur auf folgenden Unterschied aufmerksam machen.
αα) Der Dichter, der sich über die Beschränktheit seiner eigenen inneren und äußeren Zustände, Situationen und der damit verknüpften Vorstellungen erhebt und sich dafür dasjenige zum Gegenstande macht, was ihm und seiner Nation als absolut und göttlich erscheint, kann sich das Göttliche erstens zu einem objektiven Bilde abrunden und das für die innere Anschauung entworfene und ausgeführte Bild zum Preise der Macht und Herrlichkeit des besungenen Gottes für andere hinstellen. Von dieser Art sind z. B. die Hymnen, welche dem Homer zugeschrieben werden. Sie enthalten vornehmlich mythologische, nicht etwa nur symbolisch aufgefaßte, sondern in episch gediegener Anschaulichkeit ausgestaltete Situationen und Geschichten des Gottes, zu dessen Ruhm sie gedichtet sind.
ββ) Umgekehrt zweitens und lyrischer ist der dithyrambenmäßige Aufschwung als subjektiv gottesdienstliche Erhebung, die, fortgerissen von der Gewalt ihres Gegenstandes, wie im Innersten durchgerüttelt und betäubt, in ganz allgemeiner Stimmung es nicht zu einem objektiven Bilden und Gestalten bringen kann, sondern beim Aufjauchzen der Seele stehenbleibt. Das Subjekt geht aus sich heraus, hebt sich unmittelbar in das Absolute hinein, von dessen Wesen und Macht erfüllt es nun jubelnd einen Preis über die Unendlichkeit anstimmt, in welche es sich versenkt, und über die Erscheinungen, in deren Pracht sich die Tiefen der Gottheit verkündigen.
Die Griechen haben es innerhalb ihrer gottesdienstlichen Feierlichkeiten nicht lange bei solchen bloßen Ausrufungen und Anrufungen bewenden lassen, sondern sind dazu fortgegangen, dergleichen Ergüsse durch Erzählung bestimmter mythischer Situationen und Handlungen zu unterbrechen. Diese zwischen die lyrischen Ausbrüche hineingestellten Darstellungen machten sich dann nach und nach zur Hauptsache und bildeten, indem sie als lebendig abgeschlossene Handlung für sich in Form der Handlung hervortraten, das Drama aus, das nun seinerseits wieder die Lyrik der Chöre als integrierenden Teil in sich hineinnahm.
Durchgreifender dagegen finden wir diesen Schwung der Erhebung, dies Aufblicken, Jauchzen und Aufschreien der Seele zu dem Einen, worin das Subjekt das Endziel seines Bewußtseins und den eigentlichen Gegenstand aller Macht und Wahrheit, alles Ruhmes und Preises findet, in vielen der erhabeneren Psalmen des Alten Testamentes. Wie es z. B. im 33. Psalm heißt:
"Freuet euch des Herrn, ihr Gerechten; die Frommen sollen ihn schön preisen. Danket dem Herrn mit Harfen und lobsinget ihm auf dem Psalter von zehn Saiten; singet ihm ein neues Lied, und machet's gut auf Saitenspiel mit Schalle. Denn des Herrn Wort ist wahrhaftig, und was er zusaget, das hält er gewiß. Er liebet Gerechtigkeit und Gericht. Die Erde ist voll der Güte des Herrn; der Himmel ist durchs Wort des Herrn gemacht und all sein Heer durch den Geist seines Mundes" usw.
Ebenso im 29. Psalm:
"Bringet her dem Herrn, ihr Gewaltigen, bringet her dem Herrn Ehre und Stärke. Bringet dem Herrn die Ehre seines Namens; betet an den Herrn in heiligem Schmuck. Die Stimme des Herrn gehet auf den Wassern; der Gott der Ehren donnert, der Herr auf großen Wassern. Die Stimme des Herrn gehet mit Macht, die Stimme des Herrn gehet herrlich. Die Stimme des Herrn zerbricht die Zedern, der Herr zerbricht die Zedern des Libanon. Und machet sie lecken wie ein Kalb, Libanon und Sirjon wie ein junges Einhorn. Die Stimme des Herrn sprühet Feuerflammen. Die Stimme des Herrn erreget die Wüste" usf.
Solch eine Erhebung und lyrische Erhabenheit enthält ein Außersichsein und wird deshalb weniger zu einem Sichvertiefen in den konkreten Inhalt, so daß die Phantasie in ruhiger Befriedigung die Sache gewähren ließe, als sie sich vielmehr nur zu einem unbestimmten Enthusiasmus steigert, der das dem Bewußtsein Unaussprechliche zur Empfindung und Anschauung zu bringen ringt. In dieser Unbestimmtheit kann sich das subjektive Innere seinen unerreichbaren Gegenstand nicht in beruhigter Schönheit vorstellen und seines Ausdrucks im Kunstwerke genießen; statt eines ruhigen Bildes stellt die Phantasie die äußerlichen Erscheinungen, die sie ergreift, ungeregelter, abgerissen zusammen, und da sie im Inneren zu keiner festen Gliederung der besonderen Vorstellungen gelangt, bedient sie sich auch im Äußeren nur eines willkürlicher herausstoßenden Rhythmus.
Die Propheten, welche der Gemeinde gegenüberstehen, gehen dann mehr schon - großenteils im Grundtone des Schmerzes und der Wehklage über den Zustand ihres Volks, in diesem Gefühl der Entfremdung und des Abfalls, in der erhabenen Glut ihrer Gesinnung und ihres politischen Zornes - zur paränetischen Lyrik fort.
Aus übergroßer Wärme nun aber wird in späteren nachbildenden Zeiten diese dann künstlichere Hitze leicht kalt und abstrakt. So sind z. B. viele hymnen- und psalmenartige Gedichte Klopstocks weder von Tiefe der Gedanken noch von ruhiger Entwicklung irgendeines religiösen Inhalts, sondern was sich darin ausdrückt, ist vornehmlich der Versuch dieser Erhebung zum Unendlichen, das der modernen, aufgeklärten Vorstellung gemäß nur zur leeren Unermeßlichkeit und unbegreiflichen Macht, Größe und Herrlichkeit Gottes, gegenüber der dadurch ganz begreiflichen Ohnmacht und erliegenden Endlichkeit des Dichters, auseinandergeht.
β) Auf einem zweiten Standpunkte stehen diejenigen Arten der lyrischen Poesie, welche sich durch den allgemeinen Namen Ode, im neueren Sinne des Worts, bezeichnen lassen. >>>
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