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Inhalt - Übersicht

Einleitung

Erster Teil.
Die Idee des Kunstschönen oder das Ideal

Stellung der Kunst im Verhältnis zur endlichen Wirklichkeit und zur Religion und Philosophie

Zweiter Teil. Entwicklung des Ideals zu den besonderen Formen des Kunstschönen

Dritter Teil.
Das System der einzelnen Künste

Vom “Ende der Kunst” >

Wie nun aber die Kunst in der Natur und den endlichen Gebieten des Lebens ihr Vor hat, ebenso hat sie auch ein Nach, ...  >>>

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Georg Wilhelm Friedrich Hegel
Vorlesungen über die Ästhetik
                          
(1835-1838)                                                              

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2. Das Zusammenstimmen des konkreten Ideals mit seiner äußerlichen Realität

Das allgemeine Gesetz, welches wir in dieser Beziehung können geltend machen, besteht darin, daß der Mensch in der Umgebung der Welt müsse heimisch und zu Hause sein, daß die Individualität in der Natur und in allen äußeren Verhältnissen müsse eingewohnt und dadurch frei erscheinen, so daß die beiden Seiten, die subjektive innere Totalität des Charakters und seiner Zustände und Handlungen und die objektive des äußeren Daseins, nicht als gleichgültig und disparat auseinanderfallen, sondern ein Zusammenstimmen und Zueinandergehören zeigen. Denn die äußere Objektivität, insofern sie die Wirklichkeit des Ideals ist, muß ihre bloße objektive Selbständigkeit und Sprödigkeit aufgeben, um sich als in Identität mit dem zu erweisen, dessen äußeres Dasein sie ausmacht.

Wir haben in dieser Rücksicht drei verschiedene Gesichtspunkte für solche Zusammenstimmung festzustellen.

Erstlich nämlich kann die Einheit beider ein bloßes Ansich bleiben und nur als ein geheimes inneres Band erscheinen, durch welches der Mensch mit seiner äußeren Umgebung verknüpft ist.

Zweitens jedoch, da die konkrete Geistigkeit und deren Individualität den Ausgangspunkt und wesentlichen Inhalt des Ideals abgibt, hat das Zusammenstimmen mit dem äußeren Dasein auch von der menschlichen Tätigkeit auszugehen und sich als durch dieselbe hervorgebracht kundzutun.

Drittens endlich ist diese vom menschlichen Geiste hervorgebrachte Welt selbst wieder eine Totalität, die in ihrem Dasein für sich eine Objektivität bildet, mit welcher die auf diesem Boden sich bewegenden Individuen in wesentlichem Zusammenhange stehen müssen.

a) In betreff auf den ersten Punkt nun können wir davon ausgehen, daß die Umgebung des Ideals, da sie hier noch nicht als durch die menschliche Tätigkeit gesetzt erscheint, zunächst noch das dem Menschen überhaupt Äußere, die äußere Natur bleibt. Von der Darstellung derselben im idealen Kunstwerk ist deshalb zunächst zu sprechen.

Wir können auch hier drei Seiten herausheben.

α) Die äußere Natur erstens, sobald sie ihrer Außengestalt nach hervorgekehrt wird, ist eine nach allen Richtungen hin in bestimmter Weise gestaltete Realität. Soll dieser nun ihr Recht, das sie in betreff auf die Darstellung zu fordern hat, wirklich geschehen, so muß sie in voller Naturtreue aufgenommen werden. Welche Unterschiede jedoch von unmittelbarer Natur und Kunst auch hier zu respektieren sind, haben wir früher schon gesehen. Im ganzen aber ist es gerade der Charakter der großen Meister, daß sie auch in Rücksicht auf die äußere Naturumgebung treu, wahr und vollkommen bestimmt sind. Denn die Natur ist nicht nur Erde und Himmel überhaupt, und der Mensch schwebt nicht in der Luft, sondern empfindet und handelt in bestimmtem Lokal von Bächen, Flüssen, Meer, Hügeln, Bergen, Ebenen, Wäldern, Schluchten usf. Homer z. B., obschon er nicht etwa moderne Naturschilderungen liefert, ist dennoch in seinen Bezeichnungen und Angaben so treu und gibt uns von dem Skamander, dem Simois, der Küste, den Meerbuchten eine so richtige Anschauung, daß man die gleiche Gegend auch jetzt noch geographisch mit seiner Beschreibung übereinstimmend gefunden hat. Dagegen ist die traurige Bänkelsängerei wie in den Charakteren so auch hierin kahl, leer und ganz nebulos. Auch die Meistersänger, wenn sie altbiblische Geschichten in Versmaße bringen und z. B. Jerusalem zum Lokal haben, geben nichts als den Namen. In dem Heldenbuche geht es ähnlich zu; Ortnit reitet in die Tannen, kämpft mit dem Drachen, ohne Umgebung von Menschen, bestimmter Örtlichkeit usf., so daß der Anschauung in dieser Beziehung so gut als nichts gegeben ist. Selbst im Nibelungenliede ist es nicht anders; wir hören zwar von Worms, dem Rhein, der Donau; doch auch hier bleibt es beim Unbestimmten und Kahlen stehen. Aber die vollkommene Bestimmtheit macht die Seite der Einzelheit und Wirklichkeit aus, die sonst nur ein Abstraktum ist, was ihrem Begriffe äußerer Realität widerspricht.

β) An diese geforderte Bestimmtheit und Treue ist nun unmittelbar eine gewisse Ausführlichkeit geknüpft, durch welche wir ein Bild, eine Anschauung auch von dieser Außenseite erhalten. Freilich machen die verschiedenen Künste nach dem Elemente, in welchem sie sich ausdrücken, einen wesentlichen Unterschied aus. Der Skulptur bei der Ruhe und Allgemeinheit ihrer Gestalten liegt die Ausführlichkeit und Partikularität des Äußeren ferner, und sie hat das Äußere nicht als Lokal und Umgebung, sondern nur als Gewandung, Haarputz, Waffen, Sessel und dergleichen. Viele Figuren der alten Skulptur jedoch sind nur bestimmter durch das Konventionelle der Gewänder, der Zurichtung des Haars und dergleichen anderweitige Abzeichen unterscheidbar. Dies Konventionelle gehört aber nicht hierher, denn es ist nicht dem Natürlichen als solchem zuzurechnen und hebt gerade die Seite der Zufälligkeit in solchen Dingen auf und ist die Art und Weise, wie sie zum Allgemeineren und Bleibenden werden. - Nach der entgegengesetzten Seite hin stellt die Lyrik überwiegend nur das innere Gemüt dar und braucht deshalb das Äußere, wenn sie es aufnimmt, nicht zu so bestimmter Anschaulichkeit auszuführen. Das Epos dagegen sagt, was da ist, wo sich die Taten und wie sie sich begeben und bedarf deshalb von allen Gattungen der Poesie die meiste Breite und Bestimmtheit auch des äußeren Lokals. Ebenso geht die Malerei ihrer Natur nach in dieser Rücksicht hauptsächlich ins Partikuläre mehr als jede andere Kunst über. Diese Bestimmtheit nun aber darf in keiner Kunst weder bis zur Prosa der wirklichen Natürlichkeit und deren unmittelbarer Nachbildung abirren, noch die Ausführlichkeit, welche der Darstellung der geistigen Seite der Individuen und Begebnisse gewidmet wird, an Vorliebe und Wichtigkeit überragen. Überhaupt darf sie sich nicht für sich verselbständigen, weil das Äußere hier nur im Zusammenhange des Innern soll zur Erscheinung gelangen.

γ) Dies ist der Punkt, auf welchen es hier ankommt. Daß nämlich ein Individuum als wirkliches auftrete, dazu gehören, wie wir sahen, zwei: es selbst in seiner Subjektivität und seine äußere Umgebung. Damit die Äußerlichkeit nun als die seinige erscheine, ist es notwendig, daß zwischen beiden eine wesentliche Zusammenstimmung vorwalte, die mehr oder weniger innerlich sein kann und in welche allerdings auch viel Zufälliges hineinspielt, ohne daß jedoch die identische Grundlage fortfallen darf. In der ganzen geistigen Richtung epischer Helden z. B., in ihrer Lebensweise, Gesinnung, ihrem Empfinden und Vollbringen, muß sich eine geheime Harmonie, ein Ton des Anklangs beider vernehmbar machen, der sie zu einem Ganzen zusammenschließt. Der Araber z. B. ist eins mit seiner Natur und nur mit seinem Himmel, seinen Sternen, seinen heißen Wüsten, seinen Zelten und Pferden zu verstehen. Denn er ist nur in solchem Klima, Himmelsstriche und Lokal heimisch. Ebenso sind Ossians Helden (nach Macphersons moderner Bearbeitung oder Erfindung) zwar höchst subjektiv und innerlich, aber in ihrer Düsterheit und Schwermut erscheinen sie durchaus an ihre Heiden, durch deren Disteln der Wind streicht, an ihre Wolken, Nebel, Hügel und dunkle Höhlen gebunden. Die Physiognomie dieses ganzen Lokals macht uns erst recht das Innere der Gestalten, welche sich auf diesem Boden mit ihrer Wehmut, Trauer, ihren Schmerzen, Kämpfen, Nebelerscheinungen bewegen, vollständig deutlich, denn sie sind ganz in dieser Umgebung und nur in ihr zu Hause.

Von dieser Seite her können wir jetzt zum erstenmal die Bemerkung machen, daß die historischen Stoffe den großen Vorteil gewähren, ein solches Zusammenstimmen der subjektiven und objektiven Seite unmittelbar, und zwar bis ins Detail hin, ausgeführt in sich zu enthalten.
A priori läßt sich diese Harmonie nur schwer aus der Phantasie entnehmen, und wir sollen sie doch, sowenig sie sich auch in den meisten Teilen eines Stoffs begriffsmäßig entwickeln läßt, durchgehend ahnen. Allerdings sind wir gewohnt, eine freie Produktion der Einbildungskraft höher anzuschlagen als die Bearbeitung bereits vorhandener Stoffe, aber die Phantasie kann sich nicht dahin auslassen, das geforderte Zusammenstimmen so fest und bestimmt zu geben, als es in dem wirklichen Dasein bereits vorliegt, wo die nationalen Züge aus dieser Harmonie selber hervorgehen.

Dies wäre das allgemeine Prinzip für die bloß ansichseiende Einheit der Subjektivität und ihrer äußeren Natur.

b) Eine zweite Art der Zusammenstimmung bleibt bei diesem bloßen Ansich nicht stehen, sondern wird ausdrücklich durch die menschliche Tätigkeit und Geschicklichkeit hervorgebracht, indem der Mensch die Außendinge zu seinem Gebrauch verwendet und sich durch die hiermit erlangte Befriedigung seiner selbst mit ihnen in Harmonie setzt. Jenem ersten, bloß das Allgemeinere betreffenden Einklange gegenüber bezieht sich diese Seite auf das Partikuläre, auf die besonderen Bedürfnisse und deren Befriedigung durch den besonderen Gebrauch der Naturgegenstände. - Dieser Kreis der Bedürftigkeit und Befriedigung ist von der unendlichsten Mannigfaltigkeit, die natürlichen Dinge jedoch sind noch unendlich vielseitiger und erlangen erst eine größere Einfachheit, insofern der Mensch seine geistige Bestimmungen in sie hineinlegt und die Außenwelt mit seinem Willen durchdringt. 
Dadurch vermenschlicht er sich seine Umgebung, indem er zeigt, wie sie fähig zu seiner Befriedigung sei und keine Macht der Selbständigkeit gegen ihn zu bewahren wisse. Erst vermittels dieser durchgeführten Tätigkeit ist er nicht mehr nur im allgemeinen, sondern auch im besonderen und einzelnen in seiner Umgebung für sich selber wirklich und zu Hause.

Der Grundgedanke nun, der in betreff auf die Kunst für diese ganze Sphäre geltend zu machen ist, liegt kurz in folgendem.
Der Mensch, den partikulären und endlichen Seiten seiner Bedürfnisse, Wünsche und Zwecke nach, steht zunächst nicht nur überhaupt im Verhältnis zur äußeren Natur, sondern näher in dem Verhältnis der Abhängigkeit. Diese Relativität und Unfreiheit widerstrebt dem Ideal, und der Mensch, um Gegenstand der Kunst werden zu können, muß sich deshalb von dieser Arbeit und Not schon befreit und die Abhängigkeit abgeworfen haben. Der Akt der Ausgleichung beider Seiten kann nun ferner einen doppelten Ausgangspunkt nehmen, indem erstens die Natur von ihrem Teil her dem Menschen freundlich gewährt, was er bedarf, und, statt seinen Interessen und Zwecken ein Hemmnis in den Weg zu stellen, sich ihnen vielmehr von selber darbietet und auf allen Wegen entgegenkommt.
Der Mensch aber zweitens hat Bedürfnisse und Wünsche, denen die Natur nicht unmittelbar Befriedigung zu verschaffen imstande ist. In diesen Fällen muß er sich das nötige Selbstgenügen durch seine eigene Tätigkeit erarbeiten; er muß die Naturdinge in Besitz nehmen, zurechtmachen, formieren, alles Hinderliche durch selbsterworbene Geschicklichkeit abstreifen und so das Äußere zu einem Mittel umwandeln, durch welches er sich allen seinen Zwecken nach auszuführen vermag. Das reinste Verhältnis nun wird da zu finden sein, wo beide Seiten zusammentreten, indem sich mit der Freundlichkeit der Natur die geistige Geschicklichkeit insoweit verbindet, daß statt der Härte und Abhängigkeit des Kampfs bereits die vollbrachte Harmonie durchweg zur Erscheinung gekommen ist.

Auf dem idealen Boden der Kunst muß die Not des Lebens schon beseitigt sein. Besitz und Wohlhabenheit, insofern sie einen Zustand gewähren, worin die Bedürftigkeit und Arbeit nicht nur für den Augenblick, sondern im ganzen verschwindet, sind daher nicht nur nichts Unästhetisches, sondern konkurrieren vielmehr mit dem Ideal, während es nur eine unwahre Abstraktion bezeigen würde, das Verhältnis des Menschen zu jenen Bedürfnissen ganz in Darstellungsarten beiseite zu lassen, welche auf die konkrete Wirklichkeit Rücksicht zu nehmen genötigt sind. Dieser Kreis gehört zwar der Endlichkeit an, aber die Kunst kann das Endliche nicht entbehren und hat es nicht als etwas nur Schlechtes zu behandeln, sondern versöhnt mit dem Wahrhaftigen zusammenzuschließen, da selbst die besten Handlungen und Gesinnungen, für sich in ihrer Bestimmtheit und ihrem abstrakten Gehalt nach genommen, beschränkt und dadurch endlich sind. Daß ich mich nähren, essen und trinken, wohnen, mich kleiden muß, eines Lagers, Sessels und so vieler anderweitiger Gerätschaften bedarf, ist allerdings eine Notwendigkeit der äußeren Lebendigkeit; aber das innere Leben zieht sich auch durch diese Seiten so sehr hindurch, daß der Mensch seinen Göttern selbst Kleidung und Waffen gibt und sie in mannigfachen Bedürfnissen und deren Befriedigung sich vor Augen stellt. Diese Befriedigung muß dann jedoch, wie gesagt, als gesichert erscheinen. Bei den fahrenden Rittern z. B. kommt das Entfernen der äußeren Not beim Zufall ihrer Abenteuer selbst nur als ein Verlassen auf den Zufall vor, wie bei den Wilden als ein Verlassen auf die unmittelbare Natur. Beides ist ungenügend für die Kunst. Denn das echt Ideale besteht nicht nur darin, daß der Mensch überhaupt über den bloßen Ernst der Abhängigkeit herausgehoben sei, sondern mitten in einem Überfluß stehe, der ihm mit den Naturmitteln ein ebenso freies als heiteres Spiel zu treiben vergönnt.

Innerhalb dieser allgemeinen Bestimmungen lassen sich nun folgende zwei Punkte bestimmter voneinander sondern

α) Der erste bezieht sich auf den Gebrauch der Naturdinge zu einer rein theoretischen Befriedigung. Hierher gehört jeder Putz und Schmuck, den der Mensch auf sich verwendet, überhaupt alle Pracht, mit der er sich umgibt. Durch solche Ausschmückung zeigt er, daß ihm das Köstlichste, was die Natur liefert, und das Schönste, was den Blick auf sich hinzieht, Gold, Edelsteine, Perlen, Elfenbein, köstliche Gewänder, - daß dies Seltenste und Strahlendste ihm nicht für sich schon interessant sei und als Natürliches gelten solle, sondern sich an ihm zu zeigen habe oder als ihm gehörig an seiner Umgebung, an dem, was er liebt und verehrt, an seinen Fürsten, seinen Tempeln, seinen Göttern. Er wählt dazu hauptsächlich dasjenige aus, was an sich als Äußeres schon als schön erscheint, reine leuchtende Farben z. B., den Spiegelglanz der Metalle, duftende Hölzer, Marmor usf. Die Dichter, hauptsächlich die orientalischen, lassen es an solchem Reichtum nicht fehlen, der auch im Nibelungenliede seine Rolle spielt, und die Kunst überhaupt bleibt nicht bei den bloßen Beschreibungen dieser Herrlichkeit stehen, sondern stattet auch ihre wirklichen Werke, wo sie es nur vermag und wo es an seiner Stelle ist, mit dem ähnlichen Reichtum aus. An der Statue der Pallas zu Athen und des Zeus zu Olympia war Gold und Elfenbein nicht gespart; die Tempel der Götter, die Kirchen, die Bilder der Heiligen, die Paläste der Könige geben fast bei allen Völkern ein Beispiel des Glanzes und der Pracht, und die Nationen erfreuten sich von jeher, in ihren Gottheiten ihren eigenen Reichtum vor Augen zu haben, wie sie sich bei der Pracht der Fürsten erfreuten, daß dergleichen vorhanden und aus ihrer Mitte hergenommen sei. - Man kann sich einen solchen Genuß freilich durch sogenannte moralische Gedanken stören, wenn man die Reflexion macht, wie viele arme Athenienser hätten von dem Mantel der Pallas gesättigt, wie viele Sklaven losgekauft werden können; und in großen Nöten des Staats sind auch bei den Alten solche Reichtümer zu nützlichen Zwecken, wie bei uns jetzt Klöster- und Kirchenschätze, verwendet worden. Weiter noch lassen sich dergleichen kümmerliche Betrachtungen nicht nur über einzelne Kunstwerke, sondern über die ganze Kunst selbst anstellen: denn welche Summen kostet einem Staate nicht eine Akademie der Künste oder der Ankauf von alten und neuen Werken der Kunst und die Aufstellung von Galerien, Theatern, Museen. Aber wieviel moralische und rührende Bewegungen man darüber auch erregen mag, so ist dies allein dadurch möglich, daß man die Not und Bedürftigkeit wieder ins Gedächtnis zurückruft, deren Beseitigung gerade von der Kunst gefordert wird, so daß es jedem Volke nur zum Ruhme und zur höchsten Ehre gereichen kann, für eine Sphäre seine Schätze hinzugeben, welche innerhalb der Wirklichkeit selbst über alle Not der Wirklichkeit verschwenderisch hinaushebt.

β) Der Mensch nun aber hat sich selbst und die Umgebung, in welcher er lebt, nicht nur auszuschmücken, sondern er muß die Außendinge auch praktisch zu seinen praktischen Bedürfnissen und Zwecken verwenden. In diesem Gebiete geht erst die volle Arbeit, Plage und Abhängigkeit des Menschen von der Prosa des Lebens an, und es fragt sich daher hier vor allem, inwieweit auch dieser Kreis den Forderungen der Kunst gemäß könne dargestellt werden.

αα) Die nächste Weise, in welcher die Kunst diese ganze Sphäre zu beseitigen versucht hat, ist die Vorstellung eines sogenannten Goldenen Zeitalters oder auch eines idyllischen Zustandes. Von der einen Seite her befriedigt dann dem Menschen die Natur mühelos jedes Bedürfnis, das sich in ihm regen mag, von der anderen her begnügt er sich in seiner Unschuld mit dem, was Wiese, Wald, Herden, ein Gärtchen, eine Hütte ihm an Nahrung, Wohnung und sonstigen Annehmlichkeiten bieten können, indem alle Leidenschaften des Ehrgeizes oder der Habsucht, Neigungen, welche dem höheren Adel der menschlichen Natur zuwider erscheinen, noch durchweg schweigen. Auf den ersten Blick hat ein solcher Zustand allerdings einen idealen Anstrich, und gewisse beschränkte Gebiete der Kunst können sich mit dieser Darstellungsweise  begnügen. Gehen wir aber tiefer ein, so wird uns solches Leben bald langweilen. Die Geßnerschen Schriften z. B. werden wenig mehr gelesen, und liest man sie, so kann man nicht darin zu Hause sein. Denn eine in dieser Weise beschränkte Lebensart setzt auch einen Mangel der Entwicklung des Geistes voraus. Für einen vollen, ganzen Menschen gehört es sich, daß er höhere Triebe habe, daß ihn dies nächste Mitleben mit der Natur und ihren unmittelbaren Erzeugnissen nicht mehr befriedige. Der Mensch darf nicht in solcher idyllischen Geistesarmut hinleben, er muß arbeiten. Wozu er den Trieb hat, das muß er durch seine eigene Tätigkeit zu erlangen streben. In diesem Sinne regen schon die physischen Bedürfnisse einen weiten und verschiedenartigen Kreis der Tätigkeiten auf und geben dem Menschen das Gefühl der innerlichen Kraft, aus dem sich sodann auch die tieferen Interessen und Kräfte entwickeln können. Zugleich aber muß dann auch hier noch das Zusammenstimmen des Äußeren und Inneren die Grundbestimmung bleiben, und nichts ist widriger, als wenn in der Kunst die physische Not bis zum Extrem gesteigert dargestellt wird. Dante z. B. führt uns nur in ein paar Zügen den Hungertod des Ugolino ergreifend vorüber. Wenn dagegen Gerstenberg in seiner Tragödie gleichen Namens*) weitläufig durch alle Grade des Schrecklichen hindurch schildert, wie erst seine drei Söhne und zuletzt Ugolino selber vor Hunger umkommen, so ist dies ein Stoff, welcher der Kunstdarstellung von dieser Seite her gänzlich widerstrebt.

ββ) Ebensosehr hat jedoch der dem idyllischen entgegengesetzte Zustand der allgemeinen Bildung nach der umgekehrten Richtung viel Hinderliches. Der lange weitläufige Zusammenhang der Bedürfnisse und Arbeit, der Interessen und deren Befriedigung ist seiner ganzen Breite nach vollständig entwickelt und jedes Individuum aus seiner Selbständigkeit heraus in eine unendliche Reihe der Abhängigkeiten von anderen verschränkt. Was es für sich selber braucht, ist entweder gar nicht oder nur einem sehr geringen Teile nach seine eigene Arbeit, und außerdem geht jede dieser Tätigkeiten statt in individuell lebendiger Weise mehr und mehr nur maschinenmäßig nach allgemeinen Normen vor sich. Da tritt nun mitten in dieser industriellen Bildung und dem wechselseitigen Benutzen und Verdrängen der übrigen teils die härteste Grausamkeit der Armut hervor, teils, wenn die Not soll entfernt werden, müssen die Individuen als reich erscheinen, so daß sie von der Arbeit für ihre Bedürfnisse befreit sind und sich nun höheren Interessen hingeben können. In diesem Überfluß ist dann allerdings der stete Widerschein einer endlosen Abhängigkeit beseitigt und der Mensch um so mehr allen Zufälligkeiten des Erwerbs entnommen, als er nicht mehr in dem Schmutz des Gewinnes steckt. Dafür ist er nun aber auch in seiner nächsten Umgebung nicht in der Weise heimisch, daß sie als sein eigenes Werk erscheint. Was er sich um sich her stellt, ist nicht durch ihn hervorgebracht, sondern aus dem Vorrat des sonst schon Vorhandenen genommen, durch andere, und zwar in meist mechanischer und dadurch formeller Weise produziert und an ihn erst durch eine lange Kette fremder Anstrengungen und Bedürfnisse gelangt.

γγ) Am geeignetsten für die ideale Kunst wird sich daher ein dritter Zustand erweisen, der in der Mitte steht zwischen den goldenen idyllischen Zeiten und den vollkommen ausgebildeten allseitigen Vermittlungen der bürgerlichen Gesellschaft. Es ist dies ein Weltzustand, wie wir ihn schon als den heroischen, vorzugsweise idealen haben kennenlernen. Die heroischen Zeitalter sind nicht mehr auf jene idyllische Armut geistiger Interessen beschränkt, sondern gehen über dieselbe zu tieferen Leidenschaften und Zwecken hinaus; die nächste Umgebung aber der Individuen, die Befriedigung ihrer unmittelbaren Bedürfnisse ist noch ihr eigenes Tun.
Die Nahrungsmittel sind noch einfacher und dadurch idealer, wie z. B. Honig, Milch, Wein, während Kaffee, Branntwein usf. uns sogleich die tausend Vermittlungen ins Gedächtnis zurückrufen, deren es zu ihrer Bereitung bedarf. Ebenso schlachten und braten die Helden selber; sie bändigen das Roß, das sie reiten wollen; die Gerätschaften, welche sie gebrauchen, bereiten sie mehr oder weniger selber; Pflug, Waffen zur Verteidigung, Schild, Helm, Panzer, Schwert, Spieß sind ihr eigenes Werk, oder sie sind mit der Zubereitung vertraut. In einem solchen Zustande hat der Mensch in allem, was er benutzt und womit er sich umgibt, das Gefühl, daß er es aus sich selber hervorgebracht und es dadurch in den äußeren Dingen mit dem Seinigen und nicht mit entfremdeten Gegenständen zu tun hat, die außer seiner eigenen Sphäre, in welcher er Herr ist, liegen. Allerdings muß dann die Tätigkeit für das Herbeischaffen und Formieren des Materials nicht als eine saure Mühe, sondern als eine leichte, befriedigende Arbeit erscheinen, der sich kein Hindernis und kein Mißlingen in den Weg stellt.

Solch einen Zustand finden wir z. B. bei Homer. Das Zepter Agamemnons ist ein Familienstab, den sein Ahnherr selber abgehauen und auf die Nachkommen vererbt hat; Odysseus hat sich sein großes Ehebett selbst gezimmert; und wenn auch die berühmten Waffen Achills nicht seine eigene Arbeit sind, so wird doch auch hier die vielfache Verschlingung der Tätigkeiten abgebrochen, da es Hephaistos ist, welcher sie auf Bitten der Thetis verfertigt. Kurz, überall blickt die erste Freude über neue Entdeckungen, die Frische des Besitzes, die Eroberung des Genusses hervor, alles ist einheimisch, in allem hat der Mensch die Kraft seines Arms, die Geschicklichkeit seiner Hand, die Klugheit seines eigenen Geistes oder ein Resultat seines Mutes und seiner Tapferkeit gegenwärtig vor sich. In dieser Weise allein sind die Mittel der Befriedigung noch nicht zu einer bloß äußerlichen Sache heruntergesunken; wir sehen ihr lebendiges Entstehen noch selber und das lebendige Bewußtsein des Wertes, welchen der Mensch darauf legt, da er in ihnen nicht tote oder durch die Gewohnheit abgetötete Dinge, sondern seine eigenen nächsten Hervorbringungen hat. So ist hier alles idyllisch, aber nicht in der begrenzten Weise, daß Erde, Flüsse, Meer, Bäume, Vieh usf. dem Menschen seine Nahrung darreichen und der Mensch dann vornehmlich nur in der Beschränkung auf diese Umgebung und deren Genuß erscheint; sondern innerhalb dieser ursprünglichen Lebendigkeit tun sich tiefere Interessen auf, in Verhältnis auf welche die ganze Äußerlichkeit nur als ein Beiwesen, als der Boden und das Mittel für höhere Zwecke da ist - als ein Boden jedoch und eine Umgebung, über welche jene Harmonie und Selbständigkeit sich verbreitet, die nur dadurch zum Vorschein kommt, daß alles und jedes menschlich hervorgebracht und benutzt, zugleich von dem Menschen selbst, der es braucht, bereitet und genossen wird.

Eine solche Darstellungsweise nun aber auf Stoffe anzuwenden, welche aus späteren, vollkommen ausgebildeten Zeiten genommen sind, hat immer große Schwierigkeit und Gefahr. Doch hat uns Goethe in dieser Beziehung ein vollendetes Musterbild in Hermann und Dorothea geliefert. Ich will nur einige kleine Züge vergleichungsweise anführen. Voß in seiner bekannten Luise schildert in idyllischer Weise das Leben und die Wirksamkeit in einem stillen und beschränkten, aber selbständigen Kreise. Der Landpastor, die Tabakspfeife, der Schlafrock, der Lehnsessel und dann der Kaffeetopf spielen eine große Rolle. Kaffee und Zucker nun sind Produkte, welche in solchem Kreise nicht entstanden sein können und sogleich auf einen ganz anderen Zusammenhang, auf eine fremdartige Welt und deren mannigfache Vermittlungen des Handels, der Fabriken, überhaupt der modernen Industrie hinweisen. Jener ländliche Kreis daher ist nicht durchaus in sich geschlossen. In dem schönen Gemälde Hermann und Dorothea dagegen brauchten wir eine solche Beschlossenheit nicht zu fordern; denn wie schon bei einer anderen Gelegenheit angedeutet ist, spielen in dies - im ganzen Tone zwar idyllisch gehaltene - Gedicht die großen Interessen der Zeit, die Kämpfe der Französischen Revolution, die Verteidigung des Vaterlandes höchst würdig und wichtig herein. Der engere Kreis des Familienlebens in einem Landstädtchen hält sich nicht dadurch etwa so fest in sich zusammen, daß die in den mächtigsten Verhältnissen tiefbewegte Welt bloß ignoriert wird wie bei dem Landpfarrer in Vossens Luise, sondern durch das Anschließen an jene größeren Weltbewegungen, innerhalb welcher die idyllischen Charaktere und Begebnisse geschildert sind, sehen wir die Szene in den erweiternden Umfang eines gehaltreicheren Lebens hineinversetzt, und der Apotheker, der nur in dem übrigen Zusammenhang der rings bedingenden und beschränkenden Verhältnisse lebt, ist als bornierter Philister, als gutmütig, aber verdrießlich dargestellt. Dennoch ist in Rücksicht auf die nächste Umgebung der Charaktere durchweg der vorhin verlangte Ton angeschlagen. So trinkt z. B., um nur an dies eine zu erinnern, der Wirt mit seinen Gästen, dem Pfarrer und Apotheker, nicht etwa Kaffee:

Sorgsam brachte die Mutter des klaren, herrlichen Weines,
In geschliffener Flasche auf blankem zinnernen Runde,
Mit den grünlichen Römern, den echten Bechern des Rheinweins.

Sie trinken in der Kühle ein heimisches Gewächs, Dreiundachtziger, in den heimischen, nur für den Rheinwein passenden Gläsern; "die Fluten des Rheinstroms und sein liebliches Ufer" wird uns gleich darauf vor die Vorstellung gebracht, und bald werden wir auch in die eigenen Weinberge hinter dem Hause des Besitzers geführt, so daß hier nichts aus der eigentümlichen Sphäre eines in sich behaglichen, seine Bedürfnisse innerhalb seiner sich gebenden Zustands hinausgeht.

c) Außer diesen beiden ersten Arten der äußeren Umgebung gibt es noch eine dritte Weise, mit welcher jedes Individuum in konkretem Zusammenhange zu leben hat. Es sind dies die allgemeinen geistigen Verhältnisse des Religiösen, Rechtlichen, Sittlichen, die Art und Weise der Organisation des Staats, der Verfassung, Gerichte, Familie, des öffentlichen und privaten Lebens, der Geselligkeit usf. Denn der ideale Charakter hat nicht nur in der Befriedigung seiner physischen Bedürfnisse, sondern auch seiner geistigen Interessen zur Erscheinung zu kommen. Nun ist zwar das Substantielle, Göttliche und in sich Notwendige dieser Verhältnisse seinem Begriff nach nur ein und dasselbe, in der Objektivität aber nimmt es eine mannigfach verschiedenartige Gestalt an, welche auch in die Zufälligkeit des Partikulären, Konventionellen und bloß für bestimmte Zeiten und Völker Geltenden eingeht. In dieser Form werden alle Interessen des geistigen Lebens auch zu einer äußeren Wirklichkeit, die das Individuum als Sitte, Gewohnheit und Gebrauch vor sich findet und als in sich abgeschlossenes Subjekt zugleich, wie mit der äußeren Natur, so auch mit dieser ihm näher noch verwandten und angehörenden Totalität in Zusammenhang tritt. Im ganzen können wir für diesen Kreis dieselbe lebendige Zusammenstimmung in Anspruch nehmen, deren Andeutung uns soeben beschäftigt hat, und wollen deshalb die bestimmtere Betrachtung, deren Hauptgesichtspunkte nach einer anderen Seite hin sogleich anzugeben sein werden, hier übergehen.

*)   Heinrich Wilhelm von Gerstenberg, Ugolino, 1768

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