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Inhalt - Übersicht

Einleitung

Erster Teil.
Die Idee des Kunstschönen oder das Ideal

Stellung der Kunst im Verhältnis zur endlichen Wirklichkeit und zur Religion und Philosophie

Zweiter Teil. Entwicklung des Ideals zu den besonderen Formen des Kunstschönen

Dritter Teil.
Das System der einzelnen Künste

Vom “Ende der Kunst” >

Wie nun aber die Kunst in der Natur und den endlichen Gebieten des Lebens ihr Vor hat, ebenso hat sie auch ein Nach, ...  >>>

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Georg Wilhelm Friedrich Hegel
Vorlesungen über die Ästhetik
                          
(1835-1838)                                                              

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b. Skulptur der Griechen und Römer                                   

Dies Selbstgefühl sehen wir in betreff der Skulptur vollständig zuerst bei den Griechen lebendig werden und finden dadurch alle die Mängel dieser ägyptischen Vorstufe getilgt.
Doch haben wir in der Fortentwicklung nicht etwa einen gewaltsamen Sprung von den Unvollkommenheiten einer noch symbolischen Skulptur zur Vollendung des klassischen Ideals zu machen, sondern das Ideal hat, wie ich schon mehrfach sagte, in seinem eigenen Bereiche, wenn auch auf eine höhere Stufe erhoben, das Mangelhafte, wodurch es zunächst an der Vollendung verhindert wird, abzustreifen.

α) Als solcher Anfänge innerhalb der klassischen Skulptur selbst will ich hier der sogenannten Ägineten und der althetrurischen Kunstwerke ganz kurz Erwähnung tun.

Diese beiden Stufen oder Stile gehen schon über denjenigen Standpunkt hinaus, der sich wie bei den Ägyptern begnügt, die zwar nicht naturwidrigen, aber doch unlebendigen Formen ganz so zu wiederholen, wie er sie von anderen empfangen hat, und zufrieden ist, für die Vorstellung eine Gestalt hinzustellen, aus welcher die Vorstellung sich ihren eigenen religiösen Inhalt abstrahieren und sich desselben erinnern könne, nicht aber für die Anschauung in einer Weise zu arbeiten, durch welche sich das Werk als die eigene Konzeption und Lebendigkeit des Künstlers dartut.

Ebensosehr aber dringt diese eigene Vorstufe der idealen Kunst noch nicht bis zum wirklich Klassischen hindurch, weil sie sich einerseits noch im Typischen und dadurch Unlebendigen befangen zeigt, andererseits zwar der Lebendigkeit und Bewegung entgegengeht, doch zunächst nur die Lebendigkeit des Natürlichen selbst statt jener geistbeseelten Schönheit erreichen kann, welche das Leben des Geistes in der Lebendigkeit seiner Naturgestalt ungetrennt darstellt und die individuellen Formen dieser schlechthin vollbrachten Einigung gleichmäßig aus der Anschauung des Vorhandenen als aus der freien Schöpfung des Genius nimmt.

Mit den äginetischen Kunstwerken, über welche man gestritten hat, ob sie der griechischen Kunst angehörten oder nicht, ist man erst in neuester Zeit näher bekannt geworden. Man muß bei ihnen sogleich in Ansehung der künstlerischen Darstellung den Kopf und die übrigen Glieder wesentlich unterscheiden. Der ganze Körper nämlich, mit Ausnahme des Kopfs, zeugt von der treuesten Auffassung und Nachbildung der Natur. Selbst die Zufälligkeiten der Haut sind nachgeahmt und mit einer bewunderungswürdigen Behandlung des Marmors vortrefflich ausgeführt, die Muskeln stark herausgehoben, das Knochengerüst des Körpers bezeichnet, die Gestalten bei strenger Zeichnung gedrungen, doch mit solcher Kenntnis des menschlichen Organismus wiedergegeben, daß die Figuren dadurch bis zur Täuschung lebendig erscheinen, ja daß man sich, nach Wagners * Bericht (Bericht über die äginetischen Bildwerke ... Mit kunstgeschichtlichen Anmerkungen von Schelling, 1817), fast davor entsetzt und sich scheut, sie anzurühren.

Dagegen ist bei der Bearbeitung der Köpfe auf getreue Darstellung der Natur gänzlich Verzicht geleistet; ein gleichförmiger Schnitt der Gesichter geht bei aller Verschiedenheit der Handlung, Charaktere, Situationen durch alle Köpfe hindurch, die Nasen sind spitz, die Stirn liegt noch zurück, ohne frei und gerade aufzusteigen, die Ohren stehen hoch, die langgeschlitzten Augen sind flach und schief gestellt, der geschlossene Mund endet in aufwärts gezogenen Winkeln, die Wangen sind flach gehalten, doch das Kinn ist stark und eckig. Ebenso wiederkehrend ist die Form der Haare und das Gefältel der Gewänder, in welchen das Symmetrische, das sich auch in der Stellung und Gruppierung vornehmlich geltend macht, und dann eine eigentümliche Art der Zierlichkeit vorherrschen. Man hat diese Gleichförmigkeit teils auf eine unschöne Auffassung nationaler Züge geschoben, teils daraus hergeleitet, daß die Ehrfurcht vor dem alten Herkommen einer noch unvollkommenen Kunst den Künstlern die Hände gebunden habe. Der in sich selbst und seiner Produktion lebendige Künstler aber läßt sich eben die Hände so nicht binden, und dies Typische bei sonstiger großer Geschicklichkeit muß deshalb schlechthin auf eine Gebundenheit des Geistes, der sich noch nicht frei und selbständig in seinem künstlerischen Schaffen weiß, gedeutet werden.

Die Stellungen endlich sind ebenso gleichförmig, doch nicht eigentlich steif, sondern mehr schroff, kalt, und zum Teil bei den Kämpfern Stellungen ähnlich, wie sie Handwerker bei ihren Hantierungen, Tischler z. B. beim Hobeln zu machen pflegen.

Um aus diesen Schilderungen ein allgemeines Resultat zu ziehen, so können wir sagen, was diesen für die Kunstgeschichte höchst interessanten Bildwerken in ihrem Zwiespalte von Tradition und Naturnachahmung fehle, sei die geistige Beseelung. Denn nach dem, was ich schon im zweiten Kapitel ausgeführt habe, läßt sich das Geistige nur in Gesicht und Stellung ausdrücken. Die übrigen Glieder bezeichnen zwar Naturunterschiede des Geistes, Geschlechts, Alters usf., aber das eigentlich Geistige kann nur die Stellung wiedergeben. Gesichtszüge und Stellung aber sind in den Ägineten gerade das noch relativ Geistlose.

Die hetrurischen Kunstwerke nun, die durch Inschriften als echt legitimiert sind, zeigen ebendieselbe Nachahmung der Natur in einem noch höheren Maße, doch sind sie in Stellung und Gesichtszügen freier, und einige darunter gehen ganz gegen das Porträtmäßige hin. So spricht z. B. Winckelmann (Bd. III, Kap. 2, § 10, S. 188, und Tafel VI A) von einer männlichen Statue, die ganz Porträt zu sein, doch aus späterer Zeit der Kunst herzurühren scheint. Es ist ein Mann in Lebensgröße, der eine Art von Redner, eine obrigkeitliche, würdige Person darstellt und von großer, ungezwungener Natürlichkeit und Bestimmtheit des Ausdrucks und der Stellung ist. Merkwürdig und bezeichnend würde es sein, wenn auf römischem Boden nicht das Ideale, sondern die wirkliche und prosaische Natur von Hause aus wäre heimisch gewesen.

β) Die eigentlich ideale Skulptur nun zweitens hat, um den Gipfelpunkt des Klassischen zu erreichen, vor allem das bloß Typische und die Ehrfurcht vor dem Überkommenen aufzugeben und der künstlerischen Freiheit der Produktion Raum zu schaffen. Dieser Freiheit allein gelingt es, auf der einen Seite die Allgemeinheit der Bedeutung in die Individualität der Gestalt ganz hineinzuarbeiten, andererseits die sinnlichen Formen zur Höhe des echten Ausdrucks ihrer geistigen Bedeutung zu erheben. Dadurch sehen wir das Starre und Gefesselte, das in den Anfängen der älteren Kunst liegt, sowie das Hinausragen der Bedeutung über die Individualität, durch welche der Inhalt sich ausdrücken soll, zu derjenigen Lebendigkeit befreit, in welcher die körperlichen Formen nun auch ihrerseits sowohl die abstrakte Gleichförmigkeit eines hergebrachten Charakters als auf die täuschende Natürlichkeit verlieren und dagegen zu der klassischen Individualität fortgehen, welche die Allgemeinheit der Form ebenso zur Besonderheit belebt, als sie die Sinnlichkeit und Realität derselben dem Ausdruck der Begeistigung vollkommen durchgängig macht. Diese Art der Lebendigkeit betrifft nicht nur die Gestalt, sondern auch die Stellung, Bewegung, Gewandung, Gruppierung, genug, alle Seiten, welche ich oben näher unterschieden und besprochen habe.

Was sich hier in Einheit setzt, ist die Allgemeinheit und Individualität, welche sowohl in betreff des geistigen Gehalts als solchen als auch in Rücksicht auf die sinnliche Form in Einklang gebracht sein müssen, ehe sie miteinander in die unauflösbare Verbindung, die das wahrhaft Klassische ist, zu treten vermögen. Diese Identität aber hat selbst wieder ihren Stufengang.
Auf der einen Seite nämlich neigt das Ideal noch zu der Hoheit und Strenge hin, welche dem Individuellen zwar seine lebendige Regung und Bewegung nicht mißgönnt, doch es noch fester unter der Herrschaft des Allgemeinen zusammenhält, während sich auf der anderen Seite das Allgemeine mehr und mehr in das Individuelle hinein verliert und, indem es dadurch von seiner Tiefe einbüßt, das Verlorene nur durch Ausbildung des Individuellen und Sinnlichen zu ersetzen weiß und deshalb vom Hohen zum Gefälligen, Zierlichen, zur Heiterkeit und schmeichelnden Anmut herübertritt. In der Mitte liegt eine zweite Stufe, welche die Strenge der ersten zu weiterer Individualität fortführt, ohne jedoch schon in der bloßen Anmutigkeit ihren Hauptzweck erreicht zu finden.

γ) In der römischen Kunst drittens zeigt sich schon die beginnende Auflösung der klassischen Skulptur. Hier nämlich ist das eigentlich Ideale nicht mehr das Tragende für die ganze Konzeption und Ausführung; die Poesie geistiger Belebung, der innere Hauch und Adel in sich vollendeter Erscheinung, diese eigentümlichen Vorzüge der griechischen Plastik verschwinden und machen im ganzen der Vorliebe für das mehr Porträtartige Platz. Diese sich ausbildende Naturwahrheit der Kunst geht durch alle Seiten hindurch. Dennoch behauptet in diesem ihrem eigenen Kreise die römische Skulptur noch immer eine so hohe Stufe, daß sie nur, insofern ihr das eigentlich Vollendende im Kunstwerk, die Poesie des Ideals, im wahren Sinne des Wortes abgeht, der griechischen wesentlich nachsteht.

* Johann Martin von Wagner, 1777-1858, Bildhauer

 

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