[<Wissenschaftliche Behandlungsarten des Schönen und der Kunst]
Es ist dies eine sehr wichtige Bestimmung, welche sich in gewisser Beziehung rechtfertigen läßt. Meyer jedoch in seinem angeführten Werke meint, diese Ansicht sei spurlos vorübergegangen, und, wie er dafürhalte, zum Besten der Kunst. Denn jene Vorstellung hätte wahrscheinlich zum Karikaturmäßigen geleitet. Dies Urteil enthält sogleich das Schiefe, als ob es bei solchem Feststellen des Schönen um das Leiten zu tun wäre. Die Philosophie der Kunst bemüht sich nicht um Vorschriften für die Künstler, sondern sie hat auszumachen, was das Schöne überhaupt ist und wie es sich im Vorhandenen, in Kunstwerken gezeigt hat, ohne dergleichen Regeln geben zu wollen. Was nun außerdem jene Kritik betrifft, so faßt die Hirtsche Definition allerdings auch das Karikaturmäßige in sich, denn auch das Karikierte kann charakteristisch sein; allein es ist dagegen sogleich zu sagen, daß in der Karikatur der bestimmte Charakter zur Übertreibung gesteigert und gleichsam ein Überfluß des Charakteristischen ist. Der Überfluß ist aber nicht mehr das eigentlich zum Charakteristischen Erforderliche, sondern eine lästige Wiederholung, wodurch das Charakteristische selbst kann denaturiert werden. Zudem zeigt sich das Karikaturmäßige ferner als die Charakteristik des Häßlichen, das allerdings ein Verzerren ist. Das Häßliche seinerseits bezieht sich näher auf den Inhalt, so daß gesagt werden kann, daß mit dem Prinzip des Charakteristischen auch das Häßliche und die Darstellung des Häßlichen als Grundbestimmung angenommen sei. Über das, was im Kunstschönen charakterisiert werden soll und was nicht, über den Inhalt des Schönen allerdings gibt die Hirtsche Definition keine nähere Auskunft, sondern liefert in dieser Rücksicht nur eine rein formelle Bestimmung, welche jedoch in sich Wahrhaftes, wenn auch auf abstrakte Weise, enthält.
Was setzt Meyer nun aber, ergeht die weitere Frage, jenem Kunstprinzipe Hirts entgegen, was zieht er vor? Er handelt zunächst nur von dem Prinzip in den Kunstwerken der Alten, das jedoch die Bestimmung des Schönen überhaupt enthalten muß. Bei dieser Gelegenheit kommt er auf Mengs’ und auf Winckelmanns Bestimmung des Ideals zu sprechen und äußert sich dahin, daß er dies Schönheitsgesetz weder verwerfen noch ganz annehmen wolle, dagegen kein Bedenken trage, sich der Meinung eines erleuchteten Kunstrichters (Goethes) anzuschließen, da sie bestimmend sei und näher das Rätsel zu lösen scheine. Goethe sagt: „Der höchste Grundsatz der Alten war das Bedeutende, das höchste Resultat aber einer glücklichen Behandlung das Schöne.“ Sehen wir näher zu, was in diesem Ausspruche liegt, so haben wir darin wiederum zweierlei: den Inhalt, die Sache, und die Art und Weise der Darstellung. Bei einem Kunstwerke fangen wir bei dem an, was sich uns unmittelbar präsentiert, und fragen dann erst, was daran die Bedeutung oder Inhalt sei. Jenes Äußerliche gilt uns nicht unmittelbar, sondern wir nehmen dahinter noch ein Inneres, eine Bedeutung an, durch welche die Außenerscheinung begeistet wird. Auf diese seine Seele deutet das Äußerliche hin. Denn eine Erscheinung, die etwas bedeutet, stellt nicht sich selber und das, was sie als äußere ist, vor, sondern ein anderes; wie das Symbol z. B. und deutlicher noch die Fabel, deren Moral und Lehre die Bedeutung ausmacht. Ja, jedes Wort schon weist auf eine Bedeutung hin und gilt nicht für sich selbst. Ebenso das menschliche Auge, das Gesicht, Fleisch, Haut, die ganze Gestalt läßt Geist, Seele durch sich hindurchscheinen, und immer ist hier die Bedeutung noch etwas Weiteres als das, was sich in der unmittelbaren Erscheinung zeigt. In dieser Weise soll das Kunstwerk bedeutend sein und nicht nur in diesen Linien, Krümmungen, Flächen, Aushöhlungen, Vertiefungen des Gesteins, in diesen Farben, Tönen, Wortklängen, oder welches Material sonst benutzt ist, erschöpft erscheinen, sondern eine innere Lebendigkeit, Empfindung, Seele, einen Gehalt und Geist entfalten, den wir eben die Bedeutung des Kunstwerks nennen.
Mit dieser Forderung der Bedeutsamkeit eines Werks ist daher nicht viel weiteres oder anderes als mit dem Hirtschen Prinzip des Charakteristischen gesagt.
Dieser Auffassung nach haben wir also als die Elemente des Schönen ein Inneres, einen Inhalt, und ein Äußeres, welches jenen Inhalt bedeutet, charakterisiert; das Innere scheint im Äußeren und gibt durch dasselbe sich zu erkennen, indem das Äußere von sich hinweg auf das Innere hinweist. In das Nähere können wir jedoch nicht weiter eingehen.
c) Die frühere Manier dieses Theoretisierens wie jener praktischen Regeln ist denn auch bereits in Deutschland gewaltsam auf die Seite geworfen worden - vornehmlich durch das Hervortreten von wahrhafter lebendiger Poesie -, und das Recht des Genies, die Werke desselben und deren Effekte sind geltend gemacht worden gegen die Anmaßungen jener Gesetzlichkeiten und breiten Wasserströme von Theorien. Aus dieser Grundlage einer selbst echten geistigen Kunst, wie der Mitempfindung und Durchdringung derselben, ist die Empfänglichkeit und Freiheit entsprungen, auch die längst vorhandenen großen Kunstwerke der modernen Welt, des Mittelalters oder auch ganz fremder Völker des Altertums (die indischen z. B.) zu genießen und anzuerkennen - Werke, welche ihres Alters oder fremden Nationalität wegen für uns allerdings eine fremdartige Seite haben, doch bei ihrem alle Fremdartigkeit überbietenden, allen Menschen gemeinschaftlichen Gehalt nur durch das Vorurteil der Theorie zu Produktionen eines barbarischen schlechten Geschmacks gestempelt werden konnten. Diese Anerkennung überhaupt von Kunstwerken, welche aus dem Kreise und Formen derjenigen heraustreten, die vornehmlich für die Abstraktionen der Theorie gelegt wurden, hat zunächst zur Anerkennung einer eigentümlichen Art von Kunst - der romantischen Kunst- geführt, und es ist nötig geworden, den Begriff und die Natur des Schönen auf eine tiefere Weise zu fassen, als es jene Theorien vermocht hatten. Womit sich dies zugleich verbunden hat, daß der Begriff für sich selbst, der denkende Geist sich nun auch seinerseits in der Philosophie tiefer erkannte und damit auch das Wesen der Kunst auf eine gründlichere Weise zu nehmen unmittelbar veranlaßt ward.
So ist denn selbst nach den Momenten dieses allgemeineren Verlaufs jene Art des Nachdenkens über die Kunst, jenes Theoretisieren, seinen Prinzipien wie deren Durchführung nach, antiquiert worden. Nur die Gelehrsamkeit der Kunstgeschichte hat ihren bleibenden Wert behalten und muß ihn um so mehr behalten, je mehr durch jene Fortschritte der geistigen Empfänglichkeit ihr Gesichtskreis nach allen Seiten hin sich erweitert hat. Ihr Geschäft und Beruf besteht in der ästhetischen Würdigung der individuellen Kunstwerke und Kenntnis der historischen, das Kunstwerk äußerlich bedingenden Umstände; eine Würdigung, die mit Sinn und Geist gemacht, durch die historischen Kenntnisse unterstützt, allein in die ganze Individualität eines Kunstwerks eindringen läßt; wie
z. B. Goethe viel über Kunst und Kunstwerke geschrieben hat. Das eigentliche Theoretisieren ist nicht Zweck dieser Betrachtungsweise, obschon sich dieselbe wohl auch häufig mit abstrakten Prinzipien und Kategorien zu tun macht und bewußtlos darein verfallen kann, doch, wenn man sich hiervon nicht aufhalten läßt, sondern nur jene konkreten Darstellungen vor Augen behält, auf allen Fall für eine Philosophie der Kunst die anschaulichen Belege und Bestätigungen liefert, in deren historisches besonderes Detail sich die Philosophie nicht einlassen kann.
Das wäre die erste Weise der Kunstbetrachtung, welche vom Partikulären und Vorhandenen ausgeht.
2. Hiervon ist wesentlich die entgegengesetzte Seite zu unterscheiden, nämlich die ganz theoretische Reflexion, welche das Schöne als solches aus sich selbst zu erkennen und dessen Idee zu ergründen bemüht ist.
Bekanntlich hat Platon in tieferer Weise an die philosophische Betrachtung die Forderung zu machen angefangen, daß die Gegenstände nicht in ihrer Besonderheit, sondern in ihrer Allgemeinheit, in ihrer Gattung, ihrem Anundfürsichsein erkannt werden sollten, indem er behauptete, das Wahre seien nicht die einzelnen guten Handlungen, wahren Meinungen, schönen Menschen oder Kunstwerke, sondern das Gute, das Schöne, das Wahre selbst. Wenn nun in der Tat das Schöne seinem Wesen und Begriff nach erkannt werden soll, so kann dies nur durch den denkenden Begriff geschehen, durch welchen die logischmetaphysische Natur der Idee überhaupt sowie der besonderen Idee des Schönen ins denkende Bewußtsein tritt. Allein diese Betrachtung des Schönen für sich in seiner Idee kann selbst wieder zu einer abstrakten Metaphysik werden, und wenn auch Platon dabei zur Grundlage und zum Führer genommen wird, so kann uns doch die Platonische Abstraktion, selbst für die logische Idee des Schönen, nicht mehr genügen. Wir müssen diese selbst tiefer und konkreter fassen, denn die Inhaltslosigkeit, welche der Platonischen Idee anklebt, befriedigt die reicheren philosophischen Bedürfnisse unseres heutigen Geistes nicht mehr. Es ist also wohl der Fall, daß auch wir in der Philosophie der Kunst von der Idee des Schönen ausgehen müssen, aber es darf nicht der Fall sein, daß wir nur jene abstrakte, das Philosophieren über das Schöne erst beginnende Weise Platonischer Ideen festhalten.
3. Der philosophische Begriff des Schönen, um seine wahre Natur vorläufig wenigstens anzudeuten, muß die beiden angegebenen Extreme in sich vermittelt enthalten, indem er die metaphysische Allgemeinheit mit der Bestimmtheit realer Besonderheit vereinigt. Erst so ist er an und für sich in seiner Wahrheit gefaßt. Denn einerseits ist er dann der Sterilität einseitiger Reflexion gegenüber aus sich selbst fruchtbar, da er sich seinem eigenen Begriffe nach zu einer Totalität von Bestimmungen zu entwickeln hat und er selbst wie seine Auseinandersetzung die Notwendigkeit seiner Besonderheiten sowie des Fortgangs und Übergangs derselben zueinander enthält; andererseits tragen die Besonderheiten, zu denen übergeschritten wird, in sich die Allgemeinheit und Wesentlichkeit des Begriffs, als dessen eigene Besonderheiten sie erscheinen. Beides geht den bisher berührten Betrachtungsweisen ab, weshalb nur jener volle Begriff auf die substantiellen, notwendigen und totalen Prinzipien führt.
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