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Inhalt - Übersicht

Einleitung

Erster Teil.
Die Idee des Kunstschönen oder das Ideal

Stellung der Kunst im Verhältnis zur endlichen Wirklichkeit und zur Religion und Philosophie

Zweiter Teil. Entwicklung des Ideals zu den besonderen Formen des Kunstschönen

Dritter Teil.
Das System der einzelnen Künste

Vom “Ende der Kunst” >

Wie nun aber die Kunst in der Natur und den endlichen Gebieten des Lebens ihr Vor hat, ebenso hat sie auch ein Nach, ...  >>>

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Georg Wilhelm Friedrich Hegel
Vorlesungen über die Ästhetik
                          
(1835-1838)                                                              

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b. Der Übergang ins Christliche erst Gegenstand der neueren Kunst

Deshalb ist dieser Streit und Übergang denn auch erst in neuerer Zeit ein zufälliger, einzelner Gegenstand der Kunst geworden, der keine Epoche hat machen und in dieser Gestalt kein durchdringendes Moment im Ganzen der Kunstentwicklung hat sein können.
Ich will in dieser Beziehung hier beiläufig an einige berühmter gewordene Erscheinungen erinnern. Es ist in neuerer Zeit häufig die Klage über den Untergang der klassischen Kunst zu vernehmen, und die Sehnsucht nach den griechischen Göttern und Helden ist mehrfach auch von Dichtern behandelt worden. Diese Trauer ist dann vornehmlich im Gegensatze gegen das Christentum ausgesprochen, von dem man zwar zugeben wollte, daß es die höhere Wahrheit enthielte,
doch mit der Einschränkung, daß in Rücksicht auf den Standpunkt der Kunst jener Untergang des klassischen Altertums nur zu bedauern sei. Schillers "Götter Griechenlands" haben diesen Inhalt, und es ist schon der Mühe wert, auch hier dies Gedicht nicht nur als Gedicht in seiner schönen Darstellung, seinem klingenden Rhythmus, seinen lebendigen Gemälden oder in der schönen Trauer des Gemüts zu betrachten, aus der es hervorgegangen ist, sondern auch den Inhalt vorzunehmen, da Schillers Pathos immer auch wahr und tief gedacht ist.

Die christliche Religion selbst enthält allerdings das Moment der Kunst in sich, aber sie hat im Verlaufe ihrer Entfaltung zur Zeit der Aufklärung auch einen Punkt erreicht, auf welchem der Gedanke, der Verstand das Element verdrängt hat, dessen die Kunst schlechthin bedarf, die wirkliche Menschengestalt und Erscheinung Gottes.
Denn die menschliche Gestalt und was sie ausdrückt und sagt, menschliche Begebenheit, Handlung, Empfindung ist die Form, in welcher die Kunst den Inhalt des Geistes fassen und darstellen muß. Indem nun der Verstand Gott zu einem bloßen Gedankendinge gemacht, die Erscheinung seines Geistes in konkreter Wirklichkeit nicht mehr geglaubt und so den Gott des Gedankens von allem wirklichen Dasein abgedrängt hat, so ist diese Art religiöser Aufklärung notwendig zu Vorstellungen und Forderungen gekommen, welche mit der Kunst unverträglich sind.
Wenn sich aber der Verstand aus diesen Abstraktionen heraus wieder zur Vernunft erhebt,
so tritt sogleich das Bedürfnis nach etwas Konkretem und auch nach dem Konkreten,
das Kunst ist, ein.
Die Periode des aufgeklärten Verstandes hat freilich auch Kunst getrieben,
aber auf sehr prosaische Weise, wie wir an Schiller selber sehen können, der von dieser Periode her seinen Ausgangspunkt genommen, dann aber im Bedürfnis der durch den Verstand nicht mehr befriedigten Vernunft, Phantasie und Leidenschaft die lebendige Sehnsucht nach Kunst überhaupt und näher nach der klassischen Kunst der Griechen und ihrer Götter und Weltanschauung empfunden hat. Aus dieser von der Gedankenabstraktion seiner Zeit zurückgestoßenen Sehnsucht ist das genannte Gedicht hervorgegangen.
Der ursprünglichen Abfassung des Gedichts nach ist Schillers Richtung gegen das Christentum durchaus polemisch, nachher hat er die Härte gemildert, da sie nur gegen die Verstandesansicht der Aufklärung gerichtet war, welche in späterer Zeit selber ihre Herrschaft zu verlieren anfing.
Er preist zunächst die griechische Anschauung glücklich, für welche die ganze Natur belebt und voll Götter war, dann geht er auf die Gegenwart und deren prosaische Auffassung der Naturgesetze und Stellung des Menschen zu Gott über und sagt:

Diese traur'ge Stille,
Kündigt sie mir meinen Schöpfer an?
Finster, wie er selbst, ist seine Hülle,
Mein Entsagen - was ihn feiern kann.

Allerdings macht die Entsagung im Christentum ein wesentliches Moment aus, aber nur in der mönchischen Vorstellung fordert sie vom Menschen, das Gemüt, die Empfindung, die sogenannten Triebe der Natur in sich abzutöten, der sittlichen, vernünftigen, wirklichen Welt, der Familie, dem Staat sich nicht einzuverleiben,
- ebenso wie die Aufklärung und ihr Deismus, welcher, daß Gott unerkennbar sei, vorgibt,
dem Menschen die höchste Entsagung auferlegt, die Entsagung, von Gott nicht zu wissen, ihn nicht zu begreifen.
Der wahrhaft christlichen Anschauung nach ist die Entsagung dagegen nur das Moment der Vermittlung, der Durchgangspunkt, in welchem das bloß Natürliche, Sinnliche und Endliche überhaupt seine Unangemessenheit abtut, um den Geist zur höheren Freiheit und Versöhnung mit sich selbst kommen zu lassen, eine Freiheit und Seligkeit, welche die Griechen nicht kannten.
Von der Feier des einsamen Gottes, von der bloßen Abgeschiedenheit seiner und Loslösung von der entgötterten Welt darf dann im Christentum die Rede nicht sein, denn gerade jener geistigen Freiheit und Versöhnung des Geistes ist Gott immanent,
und nach dieser Seite betrachtet, ist das Schillersche berühmte Wort:

Da die Götter menschlicher noch waren,
Waren Menschen göttlicher,

durchweg falsch. Als wichtiger müssen wir deshalb die spätere Änderung des Schlusses herausheben, in der es von den griechischen Göttern heißt:

Aus der Zeitflut weggerissen, schweben
Sie gerettet auf des Pindus Höhn,
Was unsterblich im Gesang soll leben,
Muß im Leben untergehn 1) 

Damit ist ganz das bestätigt, was wir schon oben angeführt haben: die griechischen Götter hätten ihren Sitz nur in der Vorstellung und Phantasie, sie könnten weder in der Wirklichkeit des Lebens ihren Platz behaupten noch dem endlichen Geist seine letztliche Befriedigung geben.

In einer anderen Art hat sich Parny 2) seiner gelungenen Elegien wegen der französische Tibull genannt, in einem ausführlichen Gedicht in zehn Gesängen, einer Art Epopöe,
"La guerre des Dieux", gegen das Christentum gewendet, um durch Scherz und Komik mit offener Frivolität des Witzes, doch mit Laune und Geist sich über die christlichen Vorstellungen lustig zu machen. Die Späße sollen aber nichts weiter als ausgelassene Leichtfertigkeit sein, und es soll nicht etwa die Liederlichkeit zur Heiligkeit und höchsten Vortrefflichkeit gemacht werden, wie zur Zeit von Friedrich von Schlegels Lucinde. Maria kommt allerdings in jenem Gedichte sehr schlecht weg, die Mönche, Dominikaner, Franziskaner usf., lassen sich vom Wein und den Bacchantinnen wie die Nonnen von den Faunen verführen, und da geht's denn sehr bös zu. Zuletzt aber werden die Götter der alten Welt besiegt und ziehen sich zurück vom Olymp auf den Parnaß.

Goethe endlich in seiner "Braut von Korinth" hat auf tiefere Weise in einem lebendigen Gemälde die Verbannung der Liebe nicht sowohl nach dem wahren Prinzipe des Christentums als nach der übelverstandenen Forderung von Entsagen und Aufopferung geschildert, indem er dieser falschen Asketik, welche die Bestimmung des Weibes, Gattin zu sein, verdammen und die gezwungene Ehelosigkeit für etwas Heiligeres als die Ehe halten will, die Naturgefühle des Menschen entgegensetzt. Wie wir bei Schiller den Gegensatz der griechischen Phantasie und der Verstandesabstraktionen der modernen Aufklärung finden, so sehen wir hier die griechische sittlich-sinnliche Berechtigung in Rücksicht auf Liebe und Ehe Vorstellungen gegenübergebracht, welche nur einem einseitigen, unwahrhaften Standpunkte der christlichen Religion angehört haben. Es ist mit großer Kunst dem Ganzen ein schauderhafter Ton gegeben, vornehmlich darin, daß es ungewiß bleibt, ob es sich um ein wirkliches Mädchen oder um eine Tote, eine Lebendige oder ein Gespenst handelt, und im Versmaß ist ebenso ganz meisterhaft die Tändelei mit Feierlichkeit, die desto schauerlicher wird, verwebt.

1) "Die Götter Griechenlands", 1. und 2. Fassung

2) Evariste Désiré de Forges, Vicomte de Parny, 1753-1814

 

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