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1. Allgemeiner Charakter der Malerei
Wenn ich als das wesentliche Prinzip der Malerei die innere Subjektivität in ihrer Himmel und Erde umfassenden Lebendigkeit der Empfindung, Vorstellung und Handlung, in der Mannigfaltigkeit der Situationen und äußeren Erscheinungsweisen im Leiblichen angegeben und den Mittelpunkt der Malerei dadurch in die romantische, christliche Kunst hineinverlegt habe, so kann jedem sogleich die Instanz einfallen, daß nicht nur bei den Alten vortreffliche Maler zu finden sind, welche in dieser Kunst ebenso hoch als in der Skulptur, d. h. auf der höchsten Stufe standen, sondern daß auch andere Völker, wie die Chinesen, Inder, Ägypter usf., sich nach seiten der Malerei hin Ruhm erworben haben. Allerdings ist die Malerei durch die Mannigfaltigkeit der Gegenstände, die sie ergreifen, und der Art, in welcher sie dieselben ausführen kann, auch in ihrer Verbreitung über verschiedene Völker weniger beschränkt; dies macht aber nicht den Punkt aus, auf den es ankommt. Sehen wir nur auf das Empirische, so ist dies und jenes in dieser und jener Art von diesen und anderen Nationen in den verschiedensten Zeiten produziert worden; die tiefere Frage jedoch geht auf das Prinzip der Malerei, auf die Untersuchung ihrer Darstellungsmittel und dadurch auf die Feststellung desjenigen Inhalts, der durch seine Natur selbst mit dem Prinzip gerade der malerischen Form und Darstellungsweise übereinstimmt, so daß diese Form die schlechthin entsprechende dieses Inhalts wird. - Wir haben von der Malerei der Alten nur wenige Überbleibsel: Gemälde, denen man es ansieht, daß sie weder zu den vortrefflichsten des Altertums gehören, noch von den berühmtesten Meistern ihrer Zeit gemacht sein können. Wenigstens ist das, was man in Privathäusern der Alten durch Ausgrabungen gefunden hat, von dieser Art. Dennoch müssen wir die Zierlichkeit des Geschmacks, das Passende der Gegenstände, die Deutlichkeit der Gruppierung sowie die Leichtigkeit der Ausführung und Frische des Kolorits bewundern, Vorzüge, die gewiß noch in einem weit höheren Grade den ursprünglichen Vorbildern eigen waren, nach welchen z. B. die Wandgemälde in dem sogenannten Hause des Tragödiendichters zu Pompeji gearbeitet worden sind. Von namhaften Meistern ist leider nichts auf uns gekommen. Wie vortrefflich nun aber auch diese ursprünglicheren Gemälde gewesen sein mögen, so steht dennoch zu behaupten, daß die Alten bei der unerreichbaren Schönheit ihrer Skulpturen die Malerei nicht zu dem Grade der eigentlich malerischen Ausbildung bringen konnten, welchen dieselbe in der christlichen Zeit des Mittelalters und vornehmlich des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts gewonnen hat. Dies Zurückbleiben der Malerei hinter der Skulptur ist bei den Alten an und für sich zu präsumieren, weil der eigentlichste Kern der griechischen Anschauung mehr als mit jeder anderen Kunst gerade mit dem Prinzip dessen zusammenstimmt, was die Skulptur irgend zu leisten imstande ist. In der Kunst aber läßt sich der geistige Gehalt nicht von der Darstellungsweise abscheiden. Fragen wir in dieser Rücksicht, weshalb die Malerei erst durch den Inhalt der romantischen Kunstform zu ihrer eigentümlichen Höhe emporgebracht sei, so ist eben die Innigkeit der Empfindung, die Seligkeit und der Schmerz des Gemüts dieser tiefere, eine geistige Beseelung fordernde Gehalt, welcher der höheren malerischen Kunstvollkommenheit den Weg gebahnt und dieselbe notwendig gemacht hat.
Ich will als Beispiel in dieser Rücksicht nur an das wieder erinnern, was Raoul Rochette von der Auffassung der Isis, die den Horus auf den Knien hält, anführt. Im allgemeinen ist das Sujet hier dasselbe mit dem Gegenstande christlicher Madonnenbilder: eine göttliche Mutter mit ihrem Kinde. Der Unterschied aber der Auffassung und Darstellung dessen, was in diesem Gegenstande liegt, ist ungeheuer. Die ägyptische Isis, welche in Basreliefs in solcher Situation vorkommt, hat nichts Mütterliches, keine Zärtlichkeit, keinen Zug der Seele und Empfindung, wie sie doch selbst den steiferen byzantinischen Madonnenbildern nicht gänzlich fehlt. Was hat nun nicht gar Raffael oder irgendein anderer der großen italienischen Meister aus der Madonna und dem Christuskinde gemacht. Welche Tiefe der Empfindung, welch geistiges Leben, welche Innigkeit und Fülle, welche Hoheit oder Lieblichkeit, welch menschliches und doch ganz von göttlichem Geiste durchdrungenes Gemüt spricht uns aus jedem Zuge an. Und in wie unendlich mannigfaltigen Formen und Situationen ist dieser eine Gegenstand oft von den gleichen Meistern und mehr noch von verschiedenen Künstlern dargestellt worden. Die Mutter, die reine Jungfrau, die körperliche, die geistige Schönheit, Hoheit, Liebreiz, alles dies und bei weitem mehr ist abwechselnd als Hauptcharakter des Ausdrucks herausgehoben. Überall aber ist es nicht die sinnliche Schönheit der Formen, sondern die geistige Beseelung, durch welche die Meisterschaft sich kundgibt und auch zur Meisterschaft der Darstellung führt. - Nun hat zwar die griechische Kunst die ägyptische weit überflügelt und auch den Ausdruck des menschlichen Inneren sich zum Gegenstande gemacht, aber die Innigkeit und Tiefe der Empfindung, welche in der christlichen Ausdrucksweise liegt, war sie doch nicht zu erreichen imstande und strebte auch ihrem ganzen Charakter nach gar nicht dieser Art der Beseelung zu. Der schon öfter von mir angeführte Faun z. B., der den jungen Bacchus auf den Armen hält, ist von höchster Lieblichkeit und Liebenswürdigkeit. Ebenso die Nymphen, die den Bacchus pflegen, eine Situation, welche eine kleine Gemme in schönster Gruppierung darstellt. Hier haben wir die ähnliche Empfindung unbefangener, begierdeloser, sehnsuchtsloser Liebe zum Kinde, aber selbst abgesehen von dem Mütterlichen, hat der Ausdruck dennoch die innere Seele, die Tiefe des Gemüts, welcher wir in christlichen Gemälden begegnen, in keiner Weise. Die Alten mögen zwar Porträts vortrefflich gemalt haben, aber weder ihre Auffassung der Naturdinge noch ihre Anschauung von menschlichen und göttlichen Zuständen ist der Art gewesen, daß in betreff der Malerei eine so innige Begeistigung als in der christlichen Malerei könnte zum Ausdruck gekommen sein.
Daß aber die Malerei diese subjektivere Art der Beseelung fordern muß, liegt schon in ihrem Material. Ihr sinnliches Element nämlich, in welchem sie sich bewegt, ist die Verbreitung in die Fläche und das Gestalten durch die Besonderung der Farben, wodurch die Form der Gegenständlichkeit, wie sie für die Anschauung ist, zu einem vom Geist an die Stelle der realen Gestalt selbst gesetzten künstlerischen Scheine verwandelt wird. Im Prinzip dieses Materials liegt es, daß das Äußerliche nicht mehr für sich in seinem - wenn auch von Geistigem beseelten - wirklichen Dasein letzte Gültigkeit behalten soll, sondern in dieser Realität gerade zu einem bloßen Scheinen des inneren Geistes herabgebracht werden muß, der sich für sich als Geistiges anschauen will. Einen anderen Sinn, wenn wir die Sache tiefer fassen, hat dieser Fortgang von der totalen Skulpturgestalt her nicht. Es ist das Innere des Geistes, das sich im Widerschein der Äußerlichkeit als Inneres auszudrücken unternimmt. Ebenso führt dann zweitens die Fläche, auf welcher die Malerei ihre Gegenstände erscheinen macht, schon für sich zu Umgebungen, Bezüglichkeiten, Verhältnissen hinaus, und die Farbe fordert als Besonderung des Scheinens nun auch eine Besonderheit des Inneren, welche erst durch Bestimmtheit des Ausdrucks, der Situation und Handlung klarwerden kann und deshalb unmittelbar Mannigfaltigkeit, Bewegung und partikulares inneres und äußeres Leben erheischt. Dies Prinzip der Innerlichkeit als solcher, welche zugleich in ihrem wirklichen Erscheinen mit der Vielgestaltigkeit des äußeren Daseins verknüpft ist und sich aus dieser partikularen Existenz heraus als in sich gesammeltes Fürsichsein zu erkennen gibt, haben wir aber als das Prinzip der romantischen Kunstform gesehen, in deren Gehalt und Darstellungsart deshalb das Element der Malerei einzig und allein seinen schlechthin entsprechenden Gegenstand hat. Umgekehrt können wir gleichfalls sagen, die romantische Kunst, wenn sie zu Kunstwerken fortgehen wolle, müsse sich ein Material suchen, das mit ihrem Inhalte zusammenfalle, und finde dasselbe zunächst in der Malerei, welche deshalb in allen übrigen Gegenständen und Auffassungen mehr oder weniger formell bleibt. Wenn es daher außer der christlichen Malerei auch eine orientalische, griechische und römische gibt, so bleibt dennoch die Ausbildung, welche diese Kunst innerhalb der Grenzen des Romantischen gewonnen hat, ihr eigentlicher Mittelpunkt, und wir können von orientalischer und griechischer Malerei nur so sprechen, wie wir auch in der Skulptur, die im klassischen Ideal wurzelte und mit der Darstellung desselben ihre wahre Höhe erreichte, von einer christlichen Skulptur zu reden hatten, d. h. wir müssen zugestehen, daß die Malerei erst im Stoffe der romantischen Kunstform den Inhalt erfaßt, der ihren Mitteln und Formen vollständig zusagt und deshalb auch in Behandlung solcher Gegenstände erst ihre Mittel nach allen Seiten gebrauchen und erschöpfen lernt.
Verfolgen wir diesen Punkt zunächst ganz im allgemeinen, so ergibt sich daraus für den Inhalt, das Material und die künstlerische Behandlungsweise der Malerei folgendes.
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