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Inhalt - Übersicht

Einleitung

Erster Teil.
Die Idee des Kunstschönen oder das Ideal

Stellung der Kunst im Verhältnis zur endlichen Wirklichkeit und zur Religion und Philosophie

Zweiter Teil. Entwicklung des Ideals zu den besonderen Formen des Kunstschönen

Dritter Teil.
Das System der einzelnen Künste

Vom “Ende der Kunst” >

Wie nun aber die Kunst in der Natur und den endlichen Gebieten des Lebens ihr Vor hat, ebenso hat sie auch ein Nach, ...  >>>

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Georg Wilhelm Friedrich Hegel
Vorlesungen über die Ästhetik
                          
(1835-1838)                                                              

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3. Individualität der idealen Skulpturgestalten

Wir haben bis jetzt das Skulpturideal sowohl in seinem allgemeinen Charakter als auch nach den näheren Formen seiner besonderen Unterschiede betrachtet.
Drittens bleibt uns jetzt nur noch herauszuheben übrig, daß die Ideale der Skulptur, insofern sie ihrem Inhalte nach in sich substantielle Individualitäten, ihrer Gestalt nach die menschliche Körperform darzustellen haben, auch zur unterscheidbaren Besonderheit der Erscheinung fortgehen müssen und deshalb einen Kreis besonderer Individuen bilden, wie wir ihn schon aus der klassischen Kunstform her als den Kreis der griechischen Götter kennen.
Man könnte sich zwar vorstellen, es dürfe nur eine höchste Schönheit und Vollendung geben, welche sich nun auch in ihrer ganzen Vollständigkeit in einer Statue konzentrieren lasse, aber diese Vorstellung von einem Ideal als solchem ist schlechthin abgeschmackt und töricht.
Denn die Schönheit des Ideals besteht eben darin, daß sie keine bloß allgemeine Norm ist, sondern wesentlich Individualität und deshalb auch Besonderheit und Charakter hat.
Dadurch allein kommt erst Lebendigkeit in die Skulpturwerke hinein und erweitert die eine abstrakte Schönheit zu einer Totalität in sich selbst bestimmter Gestalten.
Im ganzen jedoch ist dieser Kreis seinem Gehalt nach beschränkt, indem eine Menge von Kategorien, die wir z. B. in unserer christlichen Anschauung zu gebrauchen gewohnt sind,
wenn wir den Ausdruck menschlicher und göttlicher Eigenschaften darstellen wollen,
beim eigentlichen Ideal der Skulptur fortfallen.
So haben z. B. die moralischen Gesinnungen und Tugenden, wie das Mittelalter und die moderne Welt sie zu einem in jeder Epoche wieder modifizierten Pflichtenkreis zusammenstellten,
bei den idealen Göttern der Skulptur keinen Sinn und sind für diese Götter nicht vorhanden.
Wir dürfen deswegen die Darstellung der Aufopferung, des besiegten Eigennutzes, den Kampf gegen das Sinnliche, den Sieg der Keuschheit usf. hier ebensowenig erwarten als den Ausdruck der Liebesinnigkeit, der unwandelbaren Treue, der männlichen weiblichen Ehre und Ehrbarkeit oder den Ausdruck religiöser Demut, Unterwerfung und Beseligung in Gott.
Denn alle diese Tugenden, Eigenschaften und Zustände beruhen teils auf dem Bruch des Geistigen und Leiblichen, teils gehen sie über das Leibliche hinaus in die bloße Innigkeit des Gemüts zurück oder zeigen die einzelne Subjektivität in der Trennung von seiner an und für sich seienden Substanz sowie im Streben der Wiedervermittlung mit derselben.
Ferner ist der Kreis dieser eigentlichen Götter der Skulptur zwar eine Totalität, doch,
wie wir schon bei Betrachtung der klassischen Kunstform sahen, kein nach Begriffsunterschieden streng zu gliederndes Ganzes.
Dennoch sind die einzelnen Gestalten jede von der anderen als in sich abgeschlossene bestimmte Individuen zu unterscheiden, obgleich sie nicht durch abstrakt ausgeprägte Charakterzüge auseinandertreten, sondern im Gegenteil viel Gemeinsames in Rücksicht auf ihre Idealität und Göttlichkeit behalten.

Die näheren Unterschiede nun können wir nach folgenden Gesichtspunkten durchgehen:

Erstens kommen bloß äußere Kennzeichen, beihergestellte Attribute, Art der Kleidung, Bewaffnung und dergleichen in Betracht, Abzeichen, in deren bestimmterer Angabe Winckelmann besonders weitläufig gewesen ist.

Zweitens aber liegen die Hauptunterschiede nicht nur in so äußerlichen Merkmalen und Zügen, sondern in dem individuellen Bau und Habitus der ganzen Gestalt. Das Wesentlichste in dieser Rücksicht ist der Unterschied des Alters, Geschlechts sowie der verschiedenen Kreise, aus welchen die Bildwerke ihren Inhalt und ihre Form nehmen, indem von den Göttern zu Heroen, Satyrn, Faunen, Porträtstatuen fortgegangen wird und die Darstellung sich endlich auch zur Auffassung tierischer Bildungen verliert.

Drittens endlich wollen wir einen Blick auf die einzelnen Gestalten werfen, zu deren individueller Form die Skulptur jene allgemeineren Unterschiede verarbeitet. Hier vornehmlich 14/414 ist es das breiteste Detail, das sich aufdrängt und uns Einzelnes, das sich überdies vielfach ins Empirische verläuft, mehr nur beispielsweise anzuführen erlaubt.

 

a. Attribute, Waffen, Putz usf.

Was nun erstens die Attribute und sonstiges äußerliches Beiwesen angeht, Art des Putzes, Waffen, Geräte, Gefäße, überhaupt Dinge, welche zur Beziehung auf die Umgebung gehören, so sind diese Äußerlichkeiten in den hohen Werken der Skulptur sehr einfach, mäßig und beschränkt gehalten, so daß nicht mehr davon vorhanden ist, als zur Andeutung und zum Verständnis gehört. Denn es ist die Gestalt für sich, ihr Ausdruck und nicht das äußerliche Beiwesen, was die geistige Bedeutung und deren Anschauung geben muß. Umgekehrt aber werden dergleichen Bezeichnungen ebenso notwendig, um die bestimmten Götter wiedererkennen zu lassen.
Die allgemeine Göttlichkeit nämlich, welche in jedem einzelnen Gotte das Substantielle der Darstellung abgibt, bringt durch diese gleiche Grundlage eine nahe Verwandtschaft des Ausdrucks und der Gestalten hervor, so daß nun jeder Gott auch wieder seiner Besonderheit enthoben werden und auch ebenso andere Zustände und Darstellungsweisen durchgehen kann als die ihm sonst eigentümlichen.
Dadurch tritt an ihm die besondere Charakteristik überhaupt nicht durchweg in vollem Ernste hervor, und es sind oft nur solche Äußerlichkeiten, die übrigbleiben, um ihn erkennbar zu machen. Aus diesen Bezeichnungen nun will ich nur die folgenden andeuten.

α) Von den eigentlichen Attributen habe ich schon bei Gelegenheit der klassischen Kunstform und ihrer Götter gesprochen. In der Skulptur verlieren dieselben noch mehr ihren selbständigen, symbolischen Charakter und behalten nur das Recht, als die mit irgendeiner Seite der bestimmten Götter in Verwandtschaft stehende äußerliche Bezeichnung an der Gestalt, die nur sich selber darstellt, oder neben derselben zu erscheinen.
Sie sind vielfach von Tieren hergenommen,  wie z. B. Zeus mit dem Adler dargestellt wird, Juno mit dem Pfau, Bacchus mit Tiger und Panther, die seinen Wagen ziehen, weil, wie Winckelmann (Werke, Bd. II, S. 503) sagt, dieses Tier einen beständigen Durst hat und begierig ist nach Wein; ebenso Venus mit dem Hasen oder der Taube. - Andere Attribute sind Gerätschaften oder Werkzeuge, die auf Tätigkeiten und Handlungen Bezug haben, welche jedem Gott seiner bestimmten Individualität gemäß zugeschrieben werden. So wird z. B. Bacchus mit dem Thyrsusstab abgebildet, um den sich Efeublätter und Bänder schlingen, oder er hat einen Kranz von Lorbeerblättern, um ihn als Sieger auf seinem Zuge nach Indien zu bezeichnen, oder auch eine Fackel, mit welcher er der Ceres leuchtete.

Dergleichen Bezüglichkeiten, von denen ich allerdings hier nur die allerbekanntesten
angeführt habe, setzen besonders den Scharfsinn und die Gelehrsamkeit der Antiquare in Bewegung und bringen sie zu einer Kleinigkeitskrämerei, die dann freilich oft zu weit geht und Bedeutsamkeit in Dingen sieht, in welchen keine liegt.
So z. B. nahm man zwei berühmte in Schlummer liegende weibliche Figuren im Vatikan und der Villa Medici bloß deswegen für Darstellungen der Kleopatra, weil sie ein Armband von der Gestalt einer Viper trugen und den Archäologen beim Anblick der Schlange sogleich der Tod der Kleopatra ganz ebenso einfiel, wie einem frommen Kirchenvater etwa die erste Schlange, welche im Paradiese die Eva verführte, in Gedanken kommt.
Nun war es aber allgemein die Sitte griechischer Frauen, Armbänder in Form von Schlangenwindungen zu tragen, und die Armbänder selbst hießen Schlangen. So hat denn auch schon Winckelmanns richtiger Sinn (Bd. V, 6. Buch, Kap. 2, S. 56; Bd. VI, 11. Buch, Kap. 2, S. 222) diese Figuren nicht mehr für Kleopatra angesehen und Visconti (Museo Pio-Clementino, Bd. II, S. 89-92  1) ) sie endlich bestimmt für eine Ariadne erkannt, wie sie vor Schmerz über die Entfernung des Theseus zuletzt in Schlummer gesunken ist.
- Wie unendlich oft man sich nun auch in solchen Beziehungen hat irreführen lassen und sosehr die Art des Scharfsinns kleinlich erscheint, die von dergleichen unbedeutenden Äußerlichkeiten ausgeht, so ist diese Untersuchungsweise und Kritik doch notwendig, weil oft die nähere Bestimmtheit einer Gestalt nur auf solchem Wege zu ermitteln ist.
Doch kommt auch hierbei wieder die Schwierigkeit vor, daß wie die Gestalt so auch die Attribute nicht jedesmal nur auf einen Gott schließen lassen, sondern mehreren gemeinschaftlich sind. Die Schale z. B. sieht man außer bei Jupiter, Apoll, Merkur, Äskulap auch noch bei Ceres und Hygiea; die Kornähre haben gleichfalls mehrere weibliche Gottheiten; die Lilie findet sich in der Hand der Juno, Venus und Hoffnung, und selbst den Blitz führt nicht nur Zeus, sondern auch Pallas, welche wiederum ihrerseits die Ägide nicht allein, sondern gleichmäßig mit Zeus, Juno und dem Apollo trägt (Winckelmann, Bd. II, S. 491). Der Ursprung der individuellen Götter aus einer gemeinschaftlichen, unbestimmteren allgemeinen Bedeutung führt selbst alte Symbole mit sich, die dieser allgemeineren und dadurch gemeinschaftlichen Natur der Götter angehörten.

β) Anderweitiges Beiwesen, Waffen, Gefäße, Pferde usf., findet mehr in solchen Werken Platz, welche schon aus der einfachen Ruhe der Götter zur Darstellung von Handlungen, Gruppen, Reihen von Figuren, wie dies in Reliefs der Fall sein darf, heraustreten und deshalb auch von äußerlich mannigfaltigen Bezeichnungen und Andeutungen einen breiteren Gebrauch machen können. Auch auf Weihgeschenken, die in Kunstwerken aller Art, vornehmlich in Statuen, bestanden, auf den Statuen der olympischen Sieger, hauptsächlich aber auf Münzen und geschnittenen Steinen hatte dann der reiche, schöpferische Witz der griechischen Erfindsamkeit einen großen Spielraum, symbolische und sonstige Bezüglichkeiten - z. B. auf die Lokalität der Stadt usf. - anzubringen.

γ) Tiefer nun schon aus der Äußerlichkeit in die Individualität der Götter hineingenommen sind solche Kennzeichen, welche der bestimmten Gestalt selber angehören und einen integrierenden Teil derselben ausmachen. Hierher ist die spezifische Art der Bekleidung, Bewaffnung, des Haarschmucks, Putzes usf. zu zählen, in bezug auf welche ich mich jedoch zur näheren Erläuterung mit wenigen Anführungen aus Winckelmann begnügen will, der in der Auffassung solcher Unterschiede sehr scharfsichtig war.
Unter den besonderen Göttern ist Zeus vornehmlich durch die Art des Haarwurfs zu erkennen, so daß Winckelmann behauptet (Bd. IV, 5. Buch, Kap. 1, § 29), ein Kopf würde schon durch die Haare seiner Stirn oder durch seinen Bart, wenn auch weiter nichts vorhanden wäre, als ein Jupiterkopf bestimmt werden können. "Auf der Stirne", sagt Winckelmann nämlich (l. c., § 31), "erheben sich die Haare aufwärts, und deren verschiedene Abteilungen fallen in einen engen Bogen gekrümmt wieder herunter." Und diese Art, das Haar darzustellen, war so durchgreifend, daß sie selbst bei den Söhnen und Enkeln des Zeus beibehalten wurde. So z. B. ist in dieser Rücksicht das Haupt des Jupiter von dem des Äskulap kaum zu unterscheiden, der dafür aber einen anderen Bart hat, besonders auf der Oberlippe, wo derselbe mehr im Bogen gelegt ist, während er bei Jupiter sich "mit einmal um die Winkel des Mundes herumdreht und sich mit dem Bart auf dem Kinne vermischt". Auch den schönen Kopf einer Statue des Neptun in der Villa Medici, später in Florenz, weiß Winckelmann durch den krauseren Bart, der über der Oberlippe außerdem auch dicker ist, und durch das lockigere Haupthaar von Köpfen des Jupiter zu unterscheiden. Pallas, ganz im Unterschiede der Diana, trägt das Haar lang vom Haupt ab gebunden und dann unter dem Bande in Locken reihenweise herabhängend, Diana dagegen von allen Seiten hinaufgestrichen und auf dem Wirbel in einen Knaul gebunden. Das Haupt der Ceres ist bis auf das Hinterteil mit ihrem Gewande bedeckt, dabei trägt sie nebst Ähren ein Diadem wie Juno, "vor welchem sich die Haare", wie Winckelmann bemerkt (Bd. IV, 5. Buch, Kap. 2, § 10), "in einer lieblichen Verwirrung zerstreut erheben, so daß dadurch vielleicht ihre Betrübnis über den Raub ihrer Tochter Proserpina angedeutet werden soll" . - Die ähnliche Individualität geht nun auch durch andere Äußerlichkeiten, wie z. B. Pallas an ihrem Helm und dessen bestimmter Gestalt, an ihrer Art der Bekleidung usf. zu erkennen ist.

1) Ennio Quirino Visconti, Museo Pio-Clementino, 7 Bde., 1782-1807

 

 

 

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