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c. Die niederländische und deutsche Malerei
Was nun drittens die deutsche Malerei angeht, so können wir die eigentlich deutsche mit der niederländischen zusammenstellen.
Der allgemeine Unterschied gegen die Italiener besteht hier darin, daß weder die Deutschen noch die Niederländer aus sich selbst zu jenen freien idealen Formen und Ausdrucksweisen hingelangen wollen oder können, denen es ganz entspricht, in die geistige verklärte Schönheit übergegangen zu sein. Dafür bilden sie aber auf der einen Seite den Ausdruck für die Tiefe der Empfindung und die subjektive Beschlossenheit des Gemüts aus; auf der anderen Seite bringen sie zu dieser Innigkeit des Glaubens die ausgebreitetere Partikularität des individuellen Charakters hinzu, der nun nicht nur die alleinige innere Beschäftigung mit den Interessen des Glaubens und Seelenheils kundgibt, sondern auch zeigt, wie sich die dargestellten Individuen auch um die Weltlichkeit bemüht, sich mit den Sorgen des Lebens herumgeschlagen und in dieser schweren Arbeit weltliche Tugenden, Treue, Beständigkeit, Geradheit, ritterliche Festigkeit und bürgerliche Tüchtigkeit erworben haben. Bei diesem mehr in das Beschränkte versenkten Sinn finden wir zugleich im Gegensatz der von Hause aus reineren Formen und Charaktere der Italiener hier, bei den Deutschen besonders, mehr den Ausdruck einer formellen Halsstarrigkeit widerspenstiger Naturen, welche sich entweder mit der Energie des Trotzes und der brutalen Eigenwilligkeit Gott gegenüberstellen oder sich Gewalt anzutun genötigt sind, um sich mit saurer Arbeit aus ihrer Beschränktheit und Roheit herausreißen und zur religiösen Versöhnung durchkämpfen zu können, so daß nun die tiefen Wunden, die sie ihrem Inneren schlagen müssen, noch in dem Ausdruck ihrer Frömmigkeit zum Vorschein kommen.
In Rücksicht auf das Nähere will ich nur auf einige Hauptpunkte aufmerksam machen, welche in betreff der älteren niederländischen Schule im Unterschiede der oberdeutschen und der späteren holländischen Meister des siebzehnten Jahrhunderts von Wichtigkeit sind.
α) Unter den älteren Niederländern ragen besonders die Gebrüder van Eyck, Hubert und Johann, schon im Anfange des fünfzehnten Jahrhunderts hervor, deren Meisterschaft man erst in neuerer Zeit wieder hat schätzenlernen. Sie werden bekanntlich als die Erfinder oder wenigstens als die eigentlichen ersten Vollender der Ölmalerei genannt. Bei dem großen Schritte, den sie vorwärts taten, könnte man nun glauben, daß sich hier von früheren Anfängen her eine Stufenleiter der Vervollkommnung müßte nachweisen lassen. Von solch einem allmählichen Fortschreiten aber sind uns keine geschichtlichen Kunstdenkmäler aufbewahrt. Anfang und Vollendung steht bis jetzt für uns mit einem Male da. Denn vortrefflicher, als diese Brüder es taten, kann fast nicht gemalt werden. Außerdem beweisen die übriggebliebenen Werke, in welchen das Typische bereits beiseite gestellt und überwunden ist, nicht nur eine große Meisterschaft in Zeichnung, Stellung, Gruppierung, innerer und äußerer Charakteristik, Wärme, Klarheit, Harmonie und Feinheit der Färbung, Großartigkeit und Abgeschlossenheit der Komposition; sondern auch der ganze Reichtum der Malerei in betreff auf Naturumgebung, architektonisches Beiwerk, Hintergründe, Horizont, Pracht und Mannigfaltigkeit der Stoffe, Kleidung, Art der Waffen, des Schmuckes usf. ist bereits mit solcher Treue, mit so viel Empfindung für das Malerische und solch einer Virtuosität behandelt, daß selbst die späteren Jahrhunderte, wenigstens von seiten der Gründlichkeit und Wahrheit, nichts Vollendeteres aufzuzeigen haben. Dennoch werden wir durch die Meisterwerke der italienischen Malerei, wenn wir sie diesen niederländischen gegenüberstellen, mehr angezogen werden, weil die Italiener bei voller Innigkeit und Religiosität die geistreiche Freiheit und Schönheit der Phantasie voraushaben. Die niederländischen Figuren erfreuen zwar auch durch Unschuld, Naivität und Frömmigkeit, ja in Tiefe des Gemüts übertreffen sie zum Teil die besten Italiener, aber zu der gleichen Schönheit der Form und Freiheit der Seele haben sich die niederländischen Meister nicht zu erheben vermocht; und besonders sind ihre Christkinder übel gestaltet, und ihre übrigen Charaktere, Männer und Frauen, wie sehr sie auch innerhalb des religiösen Ausdrucks zugleich eine durch die Tiefe des Glaubens geheiligte Tüchtigkeit in weltlichen Interessen kundgeben, würden doch über dies Frommsein hinaus oder vielmehr unter demselben unbedeutend und gleichsam unfähig erscheinen, in sich frei, phantasievoll und höchst geistreich zu sein.
β) Eine zweite Seite, welche Berücksichtigung verdient, ist der Übergang aus der ruhigeren, ehrfurchtsvollen Frömmigkeit zur Darstellung von Martern, zum Unschönen der Wirklichkeit überhaupt. Hierin zeichnen sich besonders die oberdeutschen Meister aus, wenn sie in Szenen aus der Passionsgeschichte die Roheit der Kriegsknechte, die Bosheit des Spottes, die Barbarei des Hasses gegen Christus im Verlauf seines Leidens und Sterbens mit großer Energie in Charakteristik der Häßlichkeiten und Mißgestaltungen hervorkehren, welche als äußere Formen der inneren Verworfenheit des Herzens entsprechend sind. Die stille schöne Wirkung ruhiger, inniger Frömmigkeit ist zurückgesetzt, und bei der Bewegtheit, welche die genannten Situationen vorschreiben, wird zu scheußlichen Verzerrungen, Gebärden der Wildheit und Zügellosigkeit der Leidenschaften fortgegangen. Bei der Fülle der durcheinandertreibenden Gestalten, und der überwiegenden Roheit der Charaktere fehlt es solchen Gemälden auch leicht an innerer Harmonie sowohl der Komposition als auch der Färbung, so daß man besonders beim ersten Wiederaufleben des Geschmacks an älterer deutscher Malerei bei der im ganzen geringeren Vollendung der Technik viele Verstöße in Rücksicht auf die Entstehungszeit solcher Werke gemacht hat. Man hielt sie für älter als die vollendeteren Gemälde der van Eyckschen Epoche, während sie doch größtenteils in eine spätere Zeit fallen. Jedoch sind die oberdeutschen Meister nicht etwa bei diesen Darstellungen ausschließlich stehengeblieben, sondern haben gleichfalls die mannigfaltigsten religiösen Gegenstände behandelt und sich auch in Situationen der Passionsgeschichte, wie Albrecht Dürer z. B., dem Extrem der bloßen Roheit siegreich zu entwinden verstanden, indem sie sich auch für dergleichen Aufgaben einen inneren Adel und eine äußere Abgeschlossenheit und Freiheit bewahrten.
γ) Das letzte nun, wozu es die deutsche und niederländische Kunst bringt, ist das gänzliche Sicheinleben ins Weltliche und Tägliche und das damit verbundene Auseinandertreten der Malerei in die verschiedenartigsten Darstellungsarten, welche sich sowohl in Rücksicht des Inhalts als auch in betreff der Behandlung voneinander scheiden und einseitig ausbilden. Schon in der italienischen Malerei macht sich der Fortgang bemerkbar von der einfachen Herrlichkeit der Andacht zu immer hervortretenderer Weltlichkeit, die hier aber, wie z. B. bei Raffael, teils von Religiosität durchdrungen, teils von dem Prinzip antiker Schönheit begrenzt und zusammengehalten bleibt, während der spätere Verlauf weniger ein Auseinandergehen in die Darstellung von Gegenständen aller Art am Leitfaden des Kolorits ist als ein oberflächlicheres Zerfahren oder eklektisches Nachbilden der Formen und Malweisen. Die deutsche und niederländische Kunst dagegen hat am bestimmtesten und auffallendsten den ganzen Kreis des Inhalts und der Behandlungsarten durchlaufen: von den ganz traditionellen Kirchenbildern, einzelnen Figuren und Brustbildern an zu sinnigen, frommen, andächtigen Darstellungen hinüber bis zur Belebung und Ausdehnung derselben in größeren Kompositionen und Szenen, in welchen aber die freie Charakterisierung der Figuren, die erhöhte Lebendigkeit durch Aufzüge, Dienerschaft, zufällige Personen der Gemeinde, Schmuck der Kleider und Gefäße, der Reichtum von Porträts, Architekturwerken, Naturumgebung, Aussichten auf Kirchen, Straßen, Städte, Ströme, Waldungen, Gebirgsformen auch noch von der religiösen Grundlage zusammengefaßt und getragen wird. Dieser Mittelpunkt nun ist es, der jetzt fortbleibt, so daß der bis hierher in eins gehaltene Kreis von Gegenständen auseinanderfällt und die Besonderheiten in ihrer spezifischen Einzelheit und Zufälligkeit des Wechsels und der Veränderung sich der vielfältigsten Art der Auffassung und malerischen Ausführung preisgeben.
Um den Wert dieser letzten Sphäre auch an dieser Stelle, wie früher bereits, vollständig zu würdigen, müssen wir uns noch einmal den nationalen Zustand näher vor Augen bringen, aus welchem sie ihren Ursprung genommen hat. In dieser Beziehung haben wir das Herübertreten aus der Kirche und den Anschauungen und Gestaltungen der Frömmigkeit zur Freude am Weltlichen als solchem, an den Gegenständen und partikularen Erscheinungen der Natur, an dem häuslichen Leben in seiner Ehrbarkeit, Wohlgemutheit und stillen Enge, wie an nationalen Feierlichkeiten, Festen und Aufzügen, Bauerntänzen, Kirmesspäßen und Ausgelassenheiten folgendermaßen zu rechtfertigen. Die Reformation war in Holland durchgedrungen; die Holländer hatten sich zu Protestanten gemacht und die spanische Kirchen- und Königsdespotie überwunden. Und zwar finden wir hier nach seiten des politischen Verhältnisses weder einen vornehmen Adel, der seinen Fürsten und Tyrannen verjagt oder ihm Gesetze vorschreibt, noch ein ackerbauendes Volk, gedrückte Bauern, die losschlagen wie die Schweizer; sondern bei weitem der größere Teil, ohnehin der Tapferen zu Land und der kühnsten Seehelden, bestand aus Städtebewohnern, gewerbefleißigen, wohlhabenden Bürgern, die, behaglich in ihrer Tätigkeit, nicht hoch hinauswollten, doch, als es galt, die Freiheit ihrer wohlerworbenen Rechte, der besonderen Privilegien ihrer Provinzen, Städte, Genossenschaften zu verfechten, mit kühnem Vertrauen auf Gott, ihren Mut und Verstand aufstanden, ohne Furcht vor der ungeheuren Meinung von der spanischen Oberherrschaft über die halbe Welt allen Gefahren sich aussetzten, tapfer ihr Blut vergossen und durch diese rechtliche Kühnheit und Ausdauer sich ihre religiöse und bürgerliche Selbständigkeit siegreich errangen. Wenn wir irgendeine partikulare Gemütsrichtung deutsch nennen können, so ist es diese treue, wohlhäbige, gemütvolle Bürgerlichkeit, die im Selbstgefühl ohne Stolz, in der Frömmigkeit nicht bloß begeistert und andächtelnd, sondern im Weltlichen konkret-fromm, in ihrem Reichtum schlicht und zufrieden, in Wohnung und Umgebung einfach, zierlich und reinlich bleibt und in durchgängiger Sorgsamkeit und Vergnüglichkeit in allen ihren Zuständen, mit ihrer Selbständigkeit und vordringenden Freiheit sich zugleich, der alten Sitte treu, die altväterliche Tüchtigkeit ungetrübt zu bewahren weiß.
Diese sinnige, kunstbegabte Völkerschaft will sich nun auch in der Malerei an diesem ebenso kräftigen als rechtlichen, genügsamen, behaglichen Wesen erfreuen, sie will in ihren Bildern noch einmal in allen möglichen Situationen die Reinlichkeit ihrer Städte, Häuser, Hausgeräte, ihren häuslichen Frieden, ihren Reichtum, den ehrbaren Putz ihrer Weiber und Kinder, den Glanz ihrer politischen Stadtfeste, die Kühnheit ihrer Seemänner, den Ruhm ihres Handels und ihrer Schiffe genießen, die durch die ganze Welt des Ozeans hinfahren. Und eben dieser Sinn für rechtliches, heiteres Dasein ist es, den die holländischen Meister auch für die Naturgegenstände mitbringen und nun in allen ihren malerischen Produktionen mit der Freiheit und Treue der Auffassung, mit der Liebe für das scheinbar Geringfügige und Augenblickliche, mit der offenen Frische des Auges und unzerstreuten Einsenkung der ganzen Seele in das Abgeschlossenste und Begrenzteste zugleich die höchste Freiheit künstlerischer Komposition, die feine Empfindung auch für das Nebensächliche und die vollendete Sorgsamkeit der Ausführung verbinden. Auf der einen Seite hat diese Malerei in Szenen aus dem Kriegs- und Soldatenleben, in Auftritten in Schenken, bei Hochzeiten und anderen bäurischen Gelagen, in Darstellung häuslicher Lebensbezüge, in Porträts und Naturgegenständen, Landschaften, Tieren, Blumen usf. die Magie und Farbenzauber des Lichts, der Beleuchtung und des Kolorits überhaupt, andererseits die durch und durch lebendige Charakteristik in größter Wahrheit der Kunst unübertrefflich ausgebildet. Und wenn nun aus dem Unbedeutenden und Zufälligen auch in das Bäurische, die rohe und gemeine Natur fortgeht, so erscheinen diese Szenen so ganz durchdrungen von einer unbefangenen Froheit und Lustigkeit, daß nicht das Gemeine, das nur gemein und bösartig ist, sondern diese Froheit und Unbefangenheit den eigentlichen Gegenstand und Inhalt ausmacht. Wir sehen deshalb keine gemeinen Empfindungen und Leidenschaften vor uns, sondern das Bäurische und Naturnahe in den unteren Ständen, das froh, schalkhaft, komisch ist. In dieser unbekümmerten Ausgelassenheit selber liegt hier das ideale Moment: es ist der Sonntag des Lebens, der alles gleichmacht und alle Schlechtigkeit entfernt; Menschen, die so von ganzem Herzen wohlgemut sind, können nicht durch und durch schlecht und niederträchtig sein. Es ist in dieser Rücksicht nicht dasselbe, ob das Böse nur als momentan oder als Grundzug in einem Charakter heraustritt. Bei den Niederländern hebt das Komische das Schlimme in der Situation auf, und uns wird sogleich klar: die Charaktere können auch noch etwas anderes sein als das, worin sie in diesem Augenblick vor uns stehen. Solch eine Heiterkeit und Komik gehört zum unschätzbaren Wert dieser Gemälde. Will man dagegen in heutigen Bildern der ähnlichen Art pikant sein, so stellt man gewöhnlich etwas innerlich Gemeines, Schlechtes und Böses ohne versöhnende Komik dar. Ein böses Weib z. B. zankt ihren betrunkenen Mann in der Schenke aus, und zwar recht bissig; da zeigt sich denn, wie ich schon früher einmal anführte, nichts, als daß er ein liederlicher Kerl und sie ein geifriges altes Weib ist.
Sehen wir die holländischen Meister mit diesen Augen an, so werden wir nicht mehr meinen, die Malerei hätte sich solcher Gegenstände enthalten und nur die alten Götter, Mythen und Fabeln oder Madonnenbilder, Kreuzigungen, Martern, Päpste, Heilige und Heiliginnen darstellen sollen. Das, was zu jedem Kunstwerk gehört, gehört auch zur Malerei: die Anschauung, was überhaupt am Menschen, am menschlichen Geist und Charakter, was der Mensch und was dieser Mensch ist. Diese Auffassung der inneren menschlichen Natur und ihrer äußeren lebendigen Formen und Erscheinungsweisen, diese unbefangene Lust und künstlerische Freiheit, diese Frische und Heiterkeit der Phantasie und sichere Keckheit der Ausführung macht hier den poetischen Grundzug aus, der durch die meisten holländischen Meister dieses Kreises geht. In ihren Kunstwerken kann man menschliche Natur und Menschen studieren und kennenlernen. Heutigentags aber muß man sich nur allzuoft Porträts und historische Gemälde vor Augen bringen lassen, denen man aller Ähnlichkeit mit Menschen und wirklichen Individuen zum Trotz doch auf den ersten Blick schon ansieht, daß der Künstler weder weiß, was der Mensch und menschliche Farbe, noch was die Formen sind, in denen der Mensch, daß er Mensch sei, ausdrückt.
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