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3. Die Ironie
Aus dieser Richtung und besonders den Gesinnungen und Doktrinen Friedrich von Schlegels entwickelte sich ferner in mannigfacher Gestalt die sogenannte Ironie. Ihren tieferen Grund fand dieselbe, nach einer ihrer Seiten hin, in der Fichteschen Philosophie, insofern die Prinzipien dieser Philosophie auf die Kunst angewendet wurden. Friedrich von Schlegel wie Schelling gingen von dem Fichteschen Standpunkt aus, Schelling, um ihn durchaus zu überschreiten, Friedrich von Schlegel, um ihn eigentümlich auszubilden und sich ihm zu entreißen. Was nun den näheren Zusammenhang Fichtescher Sätze mit der einen Richtung der Ironie angeht, so brauchen wir in dieser Beziehung nur den folgenden Punkt herauszuheben, daß Fichte zum absoluten Prinzip alles Wissens, aller Vernunft und Erkenntnis das Ich feststellt, und zwar das durchaus abstrakt und formell bleibende Ich. Dies Ich ist nun dadurch zweitens schlechthin in sich einfach, und einerseits jede Besonderheit, Bestimmtheit, jeder Inhalt in demselben negiert - denn alle Sache geht in diese abstrakte Freiheit und Einheit unter -, andererseits ist jeder Inhalt, der dem Ich gelten soll, nur als durch das Ich gesetzt und anerkannt. Was ist, ist nur durch das Ich, und was durch mich ist, kann ich ebensosehr auch wieder vernichten.
Wenn nun bei diesen ganz leeren Formen, welche aus der Absolutheit des abstrakten Ich ihren Ursprung nehmen, stehengeblieben wird, so ist nichts an und für sich und in sich selbst wertvoll betrachtet, sondern nur als durch die Subjektivität des Ich hervorgebracht. Dann aber kann auch das Ich Herr und Meister über alles bleiben, und in keiner Sphäre der Sittlichkeit, Rechtlichkeit, des Menschlichen und Göttlichen, Profanen und Heiligen gibt es etwas, das nicht durch Ich erst zu setzen wäre und deshalb von Ich ebensosehr könnte zunichte gemacht werden. Dadurch ist alles Anundfürsichseiende nur ein Schein, nicht seiner selbst wegen und durch sich selbst wahrhaft und wirklich, sondern ein bloßes Scheinen durch das Ich, in dessen Gewalt und Willkür es zu freiem Schalten bleibt. Das Geltenlassen und Aufheben steht rein im Belieben des in sich selbst als Ich schon absoluten Ich.
Das Ich nun drittens ist lebendiges, tätiges Individuum, und sein Leben besteht darin, seine Individualität für sich wie für andere zu machen, sich zu äußern und zur Erscheinung zu bringen. Denn jeder Mensch, indem er lebt, sucht sich zu realisieren und realisiert sich. In Rücksicht auf das Schöne und die Kunst nun erhält dies den Sinn, als Künstler zu leben und sein Leben künstlerisch zu gestalten. Als Künstler aber, diesem Prinzip gemäß, lebe ich, wenn all mein Handeln und Äußern überhaupt, insoweit es irgendeinen Inhalt betrifft, nur ein Schein für mich bleibt und eine Gestalt annimmt, die ganz in meiner Macht steht. Dann ist es mir weder mit diesem Inhalt noch seiner Äußerung und Verwirklichung überhaupt wahrhafter Ernst. Denn wahrhafter Ernst kommt nur durch ein substantielles Interesse, eine in sich selbst gehaltvolle Sache, Wahrheit, Sittlichkeit usf. herein, durch einen Inhalt, der mir als solcher schon als wesentlich gilt, so daß ich mir für mich selber nur wesentlich werde, insofern ich in solchen Gehalt mich versenkt habe und ihm in meinem ganzen Wissen und Handeln gemäß geworden bin. Auf dem Standpunkte, auf welchem das alles aus sich setzende und auflösende Ich der Künstler ist, dem kein Inhalt das Bewußtsein als absolut und an und für sich, sondern als selbstgemachter zernichtbarer Schein erscheint, kann solcher Ernst keine Stätte finden, da nur dem Formalismus des Ich Gültigkeit zugeschrieben ist. - Für andere zwar kann meine Erscheinung, in welcher ich mich ihnen gebe, ein Ernst sein, indem sie mich so nehmen, als sei es mir in der Tat um die Sache zu tun, - aber sie sind damit nur getäuscht, pauvre bornierte Subjekte, ohne Organ und Fähigkeit, die Höhe meines Standpunktes zu erfassen und zu erreichen. Dadurch zeigt es sich mir, daß nicht jeder so frei (d. i. formell frei) ist, in allem, was dem Menschen sonst noch Wert, Würde und Heiligkeit hat, nur ein Produkt seiner eigenen Macht des Beliebens zu sehen, in welcher er dergleichen gelten, sich dadurch bestimmen und erfüllen lassen kann oder auch nicht. Und nun erfaßt sich diese Virtuosität eines ironisch-künstlerischen Lebens als eine göttliche Genialität, für welche alles und jedes nur ein wesenloses Geschöpf ist, an das der freie Schöpfer, der von allem sich los und ledig weiß, sich nicht bindet, indem er dasselbe vernichten wie schaffen kann. Wer auf solchem Standpunkte göttlicher Genialität steht, blickt dann vornehm auf alle übrigen Menschen nieder, die für beschränkt und platt erklärt sind, insofern ihnen Recht, Sittlichkeit usf. noch als fest, verpflichtend und wesentlich gelten. So gibt sich denn das Individuum, das so als Künstler lebt, wohl Verhältnisse zu anderen, es lebt mit Freunden, Geliebten usf., aber als Genie ist ihm dies Verhältnis zu seiner bestimmten Wirklichkeit, seinen besonderen Handlungen wie zum an und für sich Allgemeinen zugleich ein Nichtiges, und es verhält sich ironisch dagegen.
Dies ist die allgemeine Bedeutung der genialen göttlichen Ironie, als dieser Konzentration des Ich in sich, für welches alle Bande gebrochen sind und das nur in der Seligkeit des Selbstgenusses leben mag. Diese Ironie hat Herr Friedrich von Schlegel erfunden, und viele andere haben sie nachgeschwatzt oder schwatzen sie von neuem wieder nach.
Die nächste Form dieser Negativität der Ironie ist nun einerseits die Eitelkeit alles Sachlichen, Sittlichen und in sich Gehaltvollen, die Nichtigkeit alles Objektiven und an und für sich Geltenden. Bleibt das Ich auf diesem Standpunkte stehen, so erscheint ihm alles als nichtig und eitel, die eigene Subjektivität ausgenommen, die dadurch hohl und leer und die selber eitle wird. Umgekehrt aber kann sich auf der anderen Seite das Ich in diesem Selbstgenuß auch nicht befriedigt finden, sondern [muß] sich selber mangelhaft werden, so daß es nun den Durst nach Festem und Substantiellem, nach bestimmten und wesentlichen Interessen empfindet. Dadurch kommt dann das Unglück und der Widerspruch hervor, daß das Subjekt einerseits wohl in die Wahrheit hinein will und nach Objektivität Verlangen trägt, aber sich andererseits dieser Einsamkeit und Zurückgezogenheit in sich nicht zu entschlagen, dieser unbefriedigten abstrakten Innigkeit nicht zu entwinden vermag und nun von der Sehnsüchtigkeit befallen wird, die wir ebenfalls aus der Fichteschen Philosophie haben hervorgehen sehen. Die Befriedigungslosigkeit dieser Stille und Unkräftigkeit - die nicht handeln und nichts berühren mag, um nicht die innere Harmonie aufzugeben, und mit dem Verlangen nach Realität und Absolutem dennoch unwirklich und leer, wenn auch in sich rein bleibt - läßt die krankhafte Schönseelischkeit und Sehnsüchtigkeit entstehen. Denn eine wahrhaft schöne Seele handelt und ist wirklich. Jenes Sehnen aber ist nur das Gefühl der Nichtigkeit des leeren eitlen Subjekts, dem es an Kraft gebricht, dieser Eitelkeit entrinnen und mit substantiellem Inhalt sich erfüllen zu können.
Insofern nun aber die Ironie ist zur Kunstform gemacht worden, blieb sie nicht dabei stehen, nur das eigene Leben und die besondere Individualität des ironischen Subjekts künstlerisch herauszugestalten, sondern außer dem Kunstwerk der eigenen Handlungen usf. sollte der Künstler auch äußere Kunstwerke als Produkte der Phantasie zustande bringen. Das Prinzip dieser Produktionen, die nur in der Poesie vornehmlich hervorgehen können, ist nun wiederum die Darstellung des Göttlichen als des Ironischen. Das Ironische aber als die geniale Individualität liegt in dem Sichvernichten des Herrlichen, Großen, Vortrefflichen, und so werden auch die objektiven Kunstgestalten nur das Prinzip der sich absoluten Subjektivität darzustellen haben, indem sie, was dem Menschen Wert und Würde hat, als Nichtiges in seinem Sichvernichten zeigen. Darin liegt denn, daß es nicht nur nicht ernst sei mit dem Rechten, Sittlichen, Wahrhaften, sondern daß an dem Hohen und Besten nichts ist, indem es sich in seiner Erscheinung in Individuen, Charakteren, Handlungen selbst widerlegt und vernichtet und so die Ironie über sich selbst ist. Diese Form, abstrakt genommen, streift nahe an das Prinzip des Komischen heran, doch muß das Komische in dieser Verwandtschaft wesentlich von dem Ironischen unterschieden werden. Denn das Komische muß darauf beschränkt sein, daß alles, was sich vernichtet, ein an sich selbst Nichtiges, eine falsche und widersprechende Erscheinung, eine Grille z. B., ein Eigensinn, eine besondere Kaprice gegen eine mächtige Leidenschaft oder auch ein vermeintlich haltbarer Grundsatz und feste Maxime sei. Ganz etwas anderes aber ist es, wenn nun in der Tat Sittliches und Wahrhaftes, ein in sich substantieller Inhalt überhaupt, in einem Individuum und durch dasselbe sich als Nichtiges dartut. Dann ist solch Individuum in seinem Charakter nichtig und verächtlich, und auch die Schwäche und Charakterlosigkeit ist zur Darstellung gebracht. Es kommt deshalb bei diesem Unterschiede des Ironischen und Komischen wesentlich auf den Gehalt dessen an, was zerstört wird. Das aber sind schlechte, untaugliche Subjekte, die nicht bei ihrem festen und gewichtigen Zwecke bleiben können, sondern ihn wieder aufgeben und in sich zerstören lassen. Solche Ironie der Charakterlosigkeit liebt die Ironie. Denn zum wahren Charakter gehört einerseits ein wesentlicher Gehalt der Zwecke, andererseits das Festhalten solchen Zwecks, so daß der Individualität ihr ganzes Dasein verloren wäre, wenn sie davon ablassen und ihn aufgeben müßte. Diese Festigkeit und Substantialität macht den Grundton des Charakters aus. Cato kann nur als Römer und Republikaner leben. Wird nun aber die Ironie zum Grundton der Darstellung genommen, so ist dadurch das Allerunkünstlerischste für das wahre Prinzip des Kunstwerks genommen. Denn teils kommen platte Figuren herein, teils gehalt- und haltungslose, indem das Substantielle sich in ihnen als das Nichtige erweist, teils treten endlich noch jene Sehnsüchtigkeiten und unaufgelösten Widersprüche des Gemüts hinzu. Solche Darstellungen können kein wahrhaftes Interesse erwecken. Deshalb denn auch von seiten der Ironie die steten Klagen über Mangel an tiefem Sinn, Kunstansicht und Genie im Publikum, das diese Höhe der Ironie nicht verstehe; d. h. dem Publikum gefalle diese Gemeinheit und das zum Teil Läppische, zum Teil Charakterlose nicht. Und es ist gut, daß diese gehaltlosen, sehnsüchtigen Naturen nicht gefallen; es ist ein Trost, daß diese Unredlichkeit und Heuchelei nicht zusagt und den Menschen dagegen ebensosehr nach vollen und wahrhaften Interessen verlangt als nach Charakteren, die ihrem gewichtigen Gehalte treu verbleiben.
Als geschichtliche Bemerkung wäre noch beizufügen, daß vornehmlich Solger und Ludwig Tieck die Ironie als höchstes Prinzip der Kunst aufgenommen haben.
Von Solger1) wie er es verdient, ausführlich zu sprechen ist hier der Ort nicht, und ich muß mich mit wenigen Andeutungen begnügen. Solger war nicht wie die übrigen mit oberflächlicher philosophischer Bildung zufrieden, sondern sein echt spekulatives innerstes Bedürfnis drängte ihn, in die Tiefe der philosophischen Idee hinabzusteigen. Hier kam er auf das dialektische Moment der Idee, auf den Punkt, den ich "unendliche absolute Negativität" nenne, auf die Tätigkeit der Idee, sich als das Unendliche und Allgemeine zu negieren zur Endlichkeit und Besonderheit und diese Negation ebensosehr wieder aufzuheben und somit das Allgemeine und Unendliche im Endlichen und Besonderen wiederherzustellen. An dieser Negativität hielt Solger fest, und allerdings ist sie ein Moment in der spekulativen Idee, doch, als diese bloße dialektische Unruhe und Auflösung des Unendlichen wie des Endlichen gefaßt, auch nur ein Moment, nicht aber, wie Solger es will, die ganze Idee. Solgers Leben ist leider zu frühe abgebrochen, als daß er hätte zur konkreten Ausführung der philosophischen Idee kommen können. So ist er bei dieser Seite der Negativität, die mit dem ironischen Auflösen des Bestimmten wie des in sich Substantiellen Verwandtschaft hat und in welcher er auch das Prinzip der Kunsttätigkeit erblickte, stehengeblieben. Doch in der Wirklichkeit seines Lebens war er bei der Festigkeit, dem Ernst und der Tüchtigkeit seines Charakters weder selber in der oben geschilderten Weise ein ironischer Künstler, noch sein tiefer Sinn für wahrhafte Kunstwerke, den das dauernde Studium der Kunst großgezogen hatte, in dieser Beziehung von ironischer Natur. Soviel zur Rechtfertigung Solgers, der es in Rücksicht auf Leben, Philosophie und Kunst verdient, von den bisher bezeichneten Aposteln der Ironie unterschieden zu werden.
Was Ludwig Tieck angeht, so stammt seine Bildung auch aus jener Periode her, deren Mittelpunkt eine Zeit hindurch Jena war. Tieck und andere von diesen vornehmen Leuten tun nun zwar ganz familiär mit solchen Ausdrücken, ohne jedoch zu sagen, was sie bedeuten. So fordert Tieck zwar stets Ironie; doch geht er nun selber an die Beurteilung großer Kunstwerke, so ist seine Anerkennung und Schilderung ihrer Größe freilich vortrefflich; wenn man aber glaubt, hier finde sich die beste Gelegenheit, zu zeigen, was die Ironie in solchem Werke wie z. B. Romeo und Julia sei, so ist man betrogen - von der Ironie kommt nichts mehr vor.
1) Karl Wilhelm Ferdinand Solger, 1780-1819; Erwin. Vier Gespräche über das Schöne und die Kunst, 2 Bde., Berlin 1815
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